„Rechtsexport hat es immer gegeben“, stellte Nußberger zu Beginn ihrer Ausführungen fest. Ein Beispiel für eine besonders weite Reise sind die unter Bismarck erlassenen Sozialgesetze im Kaiserreich, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in japanische Gesetze einflossen. Spätestens „nach der Wende wurde der Export dann zur Regel, es „verfasselte“, wie man sagte“, so Nußberger. Einer dieser deutschen Exportschlager ist die Verfassungsgerichtbarkeit. Aber auch der Rechtsstaat an sich oder das konstruktive Misstrauensvotum stünden hoch im Kurs, wenn auch nicht immer unter dem Label „Made in Germany“. Die Qualität des Produkts spiegelt sich in der Nachfrage wider. So wollten Armenien und Georgien weg von ihren präsidialen Verfassungen – und hätten dazu deutsche Experten angefragt, sie beim Wandel zu unterstützen. „Dieses Interesse spricht für eine positive Außenwahrnehmung“, so Nußberger.
„Rechtsexport ist Politik“
Problematisch sei jedoch, so Nußberger, dass das eigene System auch in anderen Umgebungen funktionieren müsse. Nicht immer würden komplette Modelle wie ein Fertighaus übernommen. Manchmal dienten Konzepte auch nur der Inspiration. Dann gebe es ein inhaltliches Interesse und die Idee eines Systems werde an die eigenen Vorstellungen angepasst. Und gelegentlich werde auch nur das Label übernommen. Das zeige: „Rechtsexport ist Politik“, sagte Nußberger. So sei das Rechtsstaatsprinzip auch in der Russischen Föderation, in Aserbaidschan oder der Türkei vorzufinden. Doch die zahlreichen Verstöße, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat, lassen an einer der Ernsthaftigkeit zweifeln, so Nußberger.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs habe es extreme Fälle von Kämpfen zwischen Präsidenten und den Verfassungsgerichten ihrer Länder gegeben: in Russland, Kirgistan oder der Ukraine. Das zeigt, dass die Folgen der Aufnahme eines Rechtskonzepts nicht vorhersehbar sind und dass Modelle an die Landesgegebenheiten angepasst werden müssen. „Recht ist keine Ware“, die mit einer Anleitung verschickt werden könne – vor allem bekomme der Sender kein Geld dafür. Ganz im Gegenteil: „Es kostet Geld, derartige Artikel zu exportieren.“
Flankierende Maßnahmen des Rechtsexports
„Welchen Sinn hat es also, wenn das Produkt missverstanden wird?“, fragte Nußberger und gab gleich die Antwort: Beispielsweise könne die Opposition eines Landes, wenn die Realität sich heftig vom Verfassungstext unterscheide, dort einen Hebel ansetzen. Und auch, wenn es eine Demokratie ohne Demokraten gebe, wenn der Rechtsstaat nur eine leere Hülle ist und der Rahmen nicht ausgefüllt wird: „Dann können trotzdem Demokraten hineinwachsen“, gab sich Nußberger hoffnungsfroh. Unterstützen ließen sich solche Prozesse durch Beratung und Ausbildung, flankierende Maßnahmen des Rechtsexports nannte sie das. Engagement sei hier gefragt: „Man darf sich nicht scheuen, das zu vermitteln, was man selbst wertschätzt.“
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