Vor knapp 900 geladenen Gästen im Haus der Berliner Festspiele sprach sich Barroso dafür aus, die Demokratie auf „nationaler, aber auch auf europäischer Ebene“ zu stärken, die Währungsunion um eine echte Wirtschaftsunion zu ergänzen und „Systemmängel“ zu korrigieren. Eine verstärkte wirtschaftliche Steuerung des Euroraums müsse zukünftig die zentrale Säule der Union bilden. Neben einer strengeren Überwachung der Maastrichtkriterien bedürfe es neuer supranationaler Organe. Diese sollen dabei helfen, dass vereinbarte Grundsätze und Regeln auch eingehalten werden. Durch die ihnen innewohnenden Eigenschaften wie Objektivität und Unabhängigkeit, könnten sie gewährleisten, dass alle Mitgliedstaaten gleichbehandelt würden und dass die Finanzstabilität nicht zur Geisel der Politik verkomme.
Warnung vor Spaltung Europas
Mit Blick auf die Entscheidung der Eurozone im Oktober, sich eine eigene Struktur mit eigenen Gipfeltreffen zu geben, warnte Barroso vor einer Spaltung der EU in die Eurozone und die zehn Nicht-Euro-Staaten. „Eine gespaltene Union würde nicht funktionieren“, so Barroso. Europa stehe vor der Entscheidung, ob es weiter vorangehen oder zerfallen solle. Eine stärkere Integration in der Eurozone bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik sei wichtig, dürfe aber nicht auf Kosten der Nicht-Euro-Staaten gehen. Dies sei nicht fair gegenüber Staaten wie Polen, die auch noch den Euro einführen wollen. „Die EU als Ganze und die Eurozone gehören zusammen.“
„Europa steht an einem „Scheideweg“, so Barroso eindringlich. Wenn Europa scheitere, seien die Folgen schwerwiegend, wirtschaftlich wie politisch. Das müsse den Bürgern stärker verdeutlicht werden als bisher. Barroso zitierte Schätzungen, wonach bei einem Auseinanderbrechen des Euroraums, allein Deutschland mit Konjunktureinbußen von bis zu drei Prozent rechnen müsste und eine Million Arbeitsplätze verlieren würde. Nur in einem vereinten Europa könnten Wohlstand, gemeinsame Werte und Lebensweisen gewahrt werden.
Egal, welche Änderungen schlussendlich beschlossen werden würden, entscheidend sei, dass nicht der langsamste Staat in der EU das Tempo der weiteren Integration bestimmen dürfe. Es müsse eine Absicherung geben für die, die eine weitere Integration nicht mitgehen wollten. Aber niemand in der EU dürfe die anderen an einem Fortschreiten hindern, sagte Barroso.
Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert nutzte in einem Grußwort die Gelegenheit noch einmal für eine starke Rolle der Parlamente in Europa zu werben. Die Zustimmung der Volksvertreter sei für ihn auch zukünftig unverzichtbar, wenn es um Fragen der nationalen Souveränität, wie zum Beispiel dem Haushaltsrecht, gehe. Lammert wies entschieden den Vorwurf zurück, die Parlamentarier blockierten schnelle europäische Entscheidungs- und Reformprozesse. Das sei angesichts der Forderung nach einer Demokratisierung Europas widersprüchlich. Wie Barroso warnte auch Lammert vor einem Scheitern der Reformen. Er sagte: „Dann hat Europa seine Zukunft hinter sich. Und jeder einzelne Mitgliedstaat umso sicherer.“
Dieter Berg, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung, wie auch der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Hans-Gert Pöttering, riefen in ihren Ansprachen dazu auf die aktuellen Herausforderungen durch die Krise anzunehmen. Europa müsse nun beweisen, dass es auch in stürmischen Zeiten zusammenstehe. An die zahlreichen jungen Zuhörer im Publikum gerichtet, sagte Pöttering: „Die Zukunft der Europäischen Union liegt in Ihren Händen. Seien Sie verantwortungsbewusste Bürger Europas. Seien Sie engagierte Bürger Europas. Und seien Sie selbstbewusste Bürger Europas.“ Berg bedankte sich abschließend bei Barroso für eine „begeisternde Rede“, die Europa „ein Gesicht“ gegeben habe.
Die Europa-Rede ist ein Kooperationsprojekt der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung sowie der Stiftung Zukunft Berlin. Sie ist eine jährlich am 9. November wiederkehrende Stellungnahme höchster Repräsentanten Europas. 2010 eröffnete Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, diese neue Reihe.
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