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Bloß eine politische Atempause
Ein gutes Zeichen meint Dr. Daniel Röder, einer der Gründer der Initiative „Pulse of Europe“ und seines Zeichens „EU-Romantiker“. Europapolitik scheint wieder salonfähig zu werden, wöchentlich treffen sich inzwischen zehntausende Menschen, um für ein gemeinsames Europa einzustehen. Dennoch warnt Röder vor einer zu großen Euphorie und weist darauf hin, dass wir uns bloß in einer politischen Atempause befinden: „Wir haben etwas Zeit gewonnen. Zukunft gestalten heißt jetzt die Ärmel hochkrempeln.“ Denn überwunden sind die Differenzen noch lange nicht. Unsere Gesellschaft scheint tief gespalten. Betrachtet man die vergangenen Wahlen einmal genauer, fiel in allen Fällen eine knappe 50/50-Entscheidung. Es geht ein Riss durch die EU, zwischen Jung und Alt, Arm und Reich – vor allem aber zutiefst weltanschaulich zwischen Nationalisten und überzeugten Europäern.
Videomitschnitt der kritischen Impulse von „Pulse of Europe“-Gründer Daniel Röder, BILD-Chefredakteurin Tanit Koch, Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner und Soziologie-Professor Armin Nassehi zu Beginn der Zukunftskonferenz
Die zentralen Streitpunkte der EU
Dieser „Kulturkampf“, wie Röder ihn nennt, sorgt für fundamentale Fragen, die es zwischen den unterschiedlichen Weltanschauungen zu klären gilt. Einer der größten Streitpunkte: die Asyl- und Migrationspolitik der EU. Doch auch die Währungspolitik ist zentrales Thema. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits vor sechs Jahren. Darüberhinaus werden auch die Entscheidungen in den Bereichen Digitalisierung, Infrastruktur und vor allem Demokratie die Weichen für die Zukunft stellen. An diesen Themen kann Europa wachsen, aber eben auch scheitern.
Europa muss erlebbarer werden
Wenn es nach Ana-Marija Cvitic geht, braucht es eine stärkere europäische Zivilgesellschaft, ein europäisches Bewusstsein. Die Voraussetzung dafür muss allerdings erst noch geschaffen werden. „Wie kann man für etwas kämpfen, an das man nicht glaubt? Um an etwas zu glauben, muss man sich damit identifizieren können“, merkt Cvitic an. Das Problem: Bei Europa denke man vor allem an das Bürokratie-Monster Brüssel. Mit so einem Apparat kann man sich nicht identifizieren. Hinzu kommt die soziale Wirklichkeit der EU: Hohe Jugendarbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit, das ist die emotionale Wahrnehmung. Europa muss laut Cvitic also erlebbarer werden: Europabildung in der Schule, Auslandsaufenthalte durch Universität und Praktika oder schlicht und ergreifend Reisen, zum Beispiel mit einem Interrail-Ticket für alle 18-Jährigen. Das ist bloß eine Auswahl an Ideen, um die Menschen für das Thema Europa zu emotionalisieren. „Die Konfrontation mit Fremdbildern auf Europa schärft das eigene Verständnis, durch einen Aufenthalt im Ausland kehrt man immer ein Stückchen europäischer zurück“, meint auch Adriana Lettrari.
Mehr Fußball, Eurovision Song Contest und Co.
Doch nicht nur der direkte Kontakt mit den europäischen Nachbarn, auch Großevents und das Fernsehen können laut ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber für identitätsstiftende Momente sorgen. Nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 habe sich das Verhältnis zur Nationalität der Deutschen, vor allem im Symbol ihrer Flagge, geändert. Sie ist wieder positiv konnotiert. Den gleichen Effekt könne man mit mehr Veranstaltungen wie dem Eurovision Song Contest auch für die EU erzielen. Auch eine Europäische Fußballmeisterschaft nach Beispiel des Ryder Cup wäre laut Cvitic denkbar. Grundsätzlich müsste sich die Gesellschaft mehr im Fernsehen abbilden. „Warum gibt es zum Beispiel keinen türkischen Tagesschau-Sprecher?“, fragt Schreiber.
Politische Zukunft der EU
Doch nicht nur für die Zivilgesellschaft Europas gibt es verschiedene Optionen. In Anlehnung an das Weißbuch der Europäischen Kommission von März 2017 lassen sich laut Olaf Wientzek fünf verschiedene Szenarien für die politische Zukunft der EU herausarbeiten:
„Weiter wie bisher“
Zum einen könnte die Zusammenarbeit weiterlaufen wie bisher. Im Fokus stehen dann vor allem ad-hoc-Kooperationen, zum Beispiel im Bereich der Verteidigungspolitik, schrittweise Stärkung des Binnenmarktes, moderate Veränderungen am EU-Haushalt und die stärkere Koordinierung im Bereich der Migrationspolitik.
„Schwerpunkt Binnenmarkt“
In diesem Szenario werden Politikbereiche renationalisiert, der gemeinsame Waren- und Kapitalmarkt hingegen gestärkt. Dies würde unter anderem eine begrenzte Zusammenarbeit im Euroraum, keine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik und systematischere Grenzkontrollen innerhalb der EU bedeuten.
„Wer mehr tun will, tut mehr“
Wie der Name schon andeutet, bildet sich bei diesem Szenario ein Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten. Es bildet sich eine Avantgarde-Gruppe heraus, die sich mehr für die europäische
Idee einsetzt als andere Nationen. Dies hat eine stärkere Koordinierung im Euroraum zur Folge.
Gemeinsame Standards bei der Terrorismusbekämpfung und zusätzliche Haushaltsmittel gibt es nur
für die kleine Gruppe von Mitgliedsstaaten, die enger zusammenarbeitet.
„Weniger, aber effizienter“
In diesem Szenario konzentriert sich die EU auf ihre Kernprioritäten, setzt dort aber mehr Mittel ein.
Eine stärkere Zusammenarbeit könnte vor allem in den Bereichen der Beschäftigungs-, Migrations-, Asyl- und Verteidigungspolitik sowie in der Terrorismusbekämpfung stattfinden.
„Mehr Europa – viel mehr gemeinsames Handeln“
Mehr Europa in allen Bereichen könnte durch eine Stärkung gemeinsamer Standards in
allen mit dem Binnenmarkt verbundenen Politikbereichen und der stärkeren Zusammenarbeit im
Rahmen der Eurozone und im Bereich der Migrationspolitik, der Asylpolitik und der
Terrorismusbekämpfung geschaffen werden.
René Bucken ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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