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Der Lehrkräftemangel beschäftigt aktuell alle Teile der Gesellschaft – Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern als direkt Betroffene ebenso, je mehr die Auswirkungen deutlich werden, auch die Wirtschaft, viele Institutionen und Stiftungen, und die Politik. Sehr viele Probleme im Bildungsbereich – Unterrichtsausfall, fehlende Förderungsmöglichkeiten, sinkende Leistungen in Studien – hängen indirekt oder direkt auch mit fehlenden Fachkräften im Lehrkräftebereich zusammen.
In drei Panels diskutierten die Expertinnen und Experten unter anderem folgende Fragestellungen:
- Was sind die Ursachen für den Lehrkräftemangel und warum entscheiden sich immer weniger junge Menschen für den Beruf?
- Wege und Irrwege: Wie sind die aktuellen Gegenmaßnahmen der Bundesländer zu bewerten?
- Wie kann der Arbeitsort Schule langfristig attraktiver werden?
Der Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung Michael Thielen eröffnete die Tagung und wies auf die Dringlichkeit des Themas hin, da neben den Perspektiven der Bildungsrepublik Deutschland die Bildungs- und damit Lebenschancen junger Menschen akut betroffen sind. DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger beschrieb in seiner Begrüßung den Lehrkräftemangel als die zentrale, größte und alle anderen Themen überlagernde Herausforderung der Schulpolitik in Deutschland – er liege wie eine bleierne Decke über allen anderen Problemen der Schul-und Bildungspolitik, Stundenausfall und Unterrichtskürzungen bedrohten längst nicht nur mehr Zusatzangebote, sondern den gesamten Pflichtunterricht.
Fachtagung: Schule ohne Lehrkräfte?
Probleme, Lösungsansätze und Zukunftsperspektiven
3Q
In seiner Keynote für das erste Panel zur aktuellen Lage entwarf Andreas Schleicher von der OECD ein Bild des Lehrkräfteberufs, das von Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit geprägt ist – aktuelle zu enge Vorschriften und Regeln führten zu Frustration bei vielen Lehrkräften. Zu den Teilnehmerinnen des Panels zählte Wiebke Maibaum, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz – als Lehrertochter hat sie einen realistischen Einblick in die Belastungen des Berufs. Zum Zeitpunkt der Tagung war sie zwischen den schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen, entsprechend spielt der Gedanke an die Zukunft eine Rolle: sie habe nicht vor, Lehrerin zu werden – Lehrkräfte müssen aus ihrer Beobachtung heraus zu viel private Zeit investieren und haben zu wenig Spielräume. Isabell Probst, eine ehemalige Gymnasiallehrerin, berät Lehrkräfte, die mit ihrer beruflichen Situation nicht zufrieden sind. Oft geht es zunächst darum, wie an ihrem Platz in der Schule ihr beruflicher Alltag so verändert werden kann, dass wieder mehr Zufriedenheit und Erfüllung entsteht. In vielen Fällen hilft sie als Coach Lehrkräften aber auch, eine Berufsperspektive außerhalb der Schule und des Daseins als Lehrkraft zu entwickeln. Für viele ihrer Klienten tue sich ein pädagogischer Wertekonflikt auf, der sie belaste, neben aller zu erledigender (Verwaltungs-)Arbeit komme die Beziehungsarbeit mit den Schülerinnen und Schülern zu kurz. Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des VDR, kritisierte an den aktuellen angedachten politischen Maßnahmen, dass sie Aspekte des Berufs zerstören, die ihn für die Lebensplanung vieler Lehrkräfte attraktiv gemacht haben, z.B. in Bezug auf Teilzeitmöglichkeiten. Um attraktiv zu sein, brauche der Lehrkräfteberuf auch Karriereentwicklungsmöglichkeiten. Er unterstrich auch die Wichtigkeit der fachlichen Ausbildung, denn Fachlichkeit von hoher Qualität führe auch zu pädagogischer Freiheit.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK war für viele ihrer Vorschläge in ihrer Stellungnahme zum Lehrkräftemangel zu Beginn dieses Jahres aus vielen verschiedenen Richtungen kritisiert worden. Die Co-Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Felicitas Thiel, ging in ihrer Keynote sachlich auf viele der Kritikpunkte ein und legte die Gründe für die Empfehlungen der SWK dar. Es sei nicht übertrieben, von einer Bildungskrise zu sprechen: anhand der Schulleistungsstudien werde sichtbar, dass Schülerinnen und Schülern ein Bildungsminimum nicht garantiert werden könne. Um die Chancen einer Generation nicht zu verspielen seien durchaus auch kontroverse Maßnahmen notwendig, insgesamt müssten die Ressourcen, die im System sind, besser verteilt werden. Alle angedachten Notmaßnahmen seien in unterschiedlicher Weise mangelhaft. Prof. Thiel unterstrich auch, dass der Beruf als Lehrkraft nicht zu schwarz gemalt werden dürfe. In der folgenden Gesprächsrunde diskutierte sie mit der Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbands Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing und Dr. Dorit Stenke, Staatssekretärin im Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Prof. Lin-Klitzing wies vor allem auf zwei Aspekte hin: Vorhandene Lehrkräfte müssen auf verschiedenen Ebenen entlastet werden, um sie im System zu halten. Zweitens brauche es einheitliche Standards auf Bundesebene, um die berufsbegleitende Qualifikation von Quereinsteigern sicherzustellen – analog zum grundständigen Lehramtsstudium. Staatssekretärin Stenke berichtete aus der Praxis der Bildungspolitik, wie z.B. für einen Weiterbildungsstudiengang für das Mangelfach Informatik darauf geachtet wurde, nicht Kolleginnen und Kollegen aus den Mangelfächern Mathematik und Physik abzuziehen. Generell müsse man neue Arbeitszeitmodelle denken, Lebensarbeitszeitkonten für Lehrende sei eine Idee, über die in Zukunft geredet werden müsse.
Mit Spannung erwartet, stand das dritte Panel unter der Frage, welche Maßnahmen nötig sind, um den Arbeitsort Schule attraktiver zu gestalten, so dass auch in Zeiten des demographischen Wandels, in denen insgesamt weniger Fachkräfte in allen beruflichen Bereichen zur Verfügung stehen, sich genügend junge Leute für das Studium auf Lehramt und den Beruf als Lehrkraft entscheiden. Der junge Lehrer Alexander Brand hatte auf einer selbst organisierten Studienreise intensiven Einblick in das Schulsystem von fünf Ländern gewonnen. In seiner Keynote berichtete er von seinen Erfahrungen, vor allem in Singapur. Deutlich wurde, dass sich Ausgestaltungen im Schulwesen in verschiedenen Ländern stark unterscheiden, oft abhängig von der Mentalität und gewachsenen Strukturen. Dabei plädierte Alexander Brand auch in der folgenden Diskussion dafür, nicht einfach Konzepte und Strukturen aus anderen, scheinbar erfolgreicheren Ländern zu übernehmen – sondern zu überlegen, welche Frage/welchen Bedarf diese Strukturen in den jeweiligen Ländern erfüllen, und dann zu überlegen und Konzepte zu entwerfen, wie dieser Bedarf im Einklang mit hiesiger Kultur und Mentalität erfüllt werden kann. Ebenfalls auf dem Panel saß Schulleiterin Silke Müller, die von Gestaltungsfreiheiten im Bereich der niedersächsischen Schulen berichtete. Sie sehe ihre wichtigsten Aufgaben darin, die Schule nach außen zu vertreten, die Qualitätssicherung zu verantworten und ihr Kollegium zu entlasten und Freiräume zu schaffen. Schule sei für sie nach wie vor der beste Ort der Welt, weil die Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit haben, ihre Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten. Auch DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger forderte, darüber nachzudenken, wie man das Image des Lehrkräfteberufs dadurch verbessern kann, indem mehr Freiräume und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden. Befragungen zeigten, dass Lehrkräfte sich vor allem mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, das Unterrichten, und für ihre Schülerinnen und Schüler wünschten. Prof. Dr. Susan Seeber, ebenfalls Mitglied der SKW der KMK, die vor allem auch die Beruflichen Schulen in den Fokus rückte: Berufliche Schulen haben systemimmanent bereits jahrzehntelange Erfahrung mit der Ausbildung und Einbindung von Quereinsteigern und bieten außerdem eine große Bandbreite, wie Lehrkräfte sich entwickeln können.
Einige Motive durchzogen trotz unterschiedlicher Fragestellungen alle drei Gesprächsrunden der Tagung: Die Beteiligten waren sich einig, dass die Qualitätsstandards in der Lehrkräfteausbildung trotz des bestehenden Lehrkräftemangels im Interesse der Schülerinnen und Schüler und ihrer Bildung nicht heruntergefahren werden dürfen. Ebenfalls immer wiederkehrende Aspekte waren die Notwendigkeit von Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten an den Schulen – sowie der große Wunsch, dass Lehrkräfte wieder mehr Zeit und Freiräume für das Unterrichten und die pädagogische Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern gewinnen. Vielleicht schwierig umzusetzen in einer Zeit, in der ohnehin schon Lehrkräfte fehlen: aber gleichzeitig eine Notwendigkeit, damit der Lehrkräftemangel nicht noch gravierender wird.
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