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European People's Party / flickr / CC BY 2.0

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Albanien vor den Parlamentswahlen

Premierminister Edi Rama von der Sozialistischen Partei strebt Wiederwahl und sein drittes Mandat an. Herausforderer Lulzim Basha von der Demokratischen Partei will das verhindern.

Weniger als zwei Monate vor den Wahlen zum nationalen Parlament am 25. April positionieren sich die albanischen Parteien. Die Opposition versucht mit einer Allianz von mehr als einem Dutzend Parteien den politischen Schulterschluss herzustellen. Sie stellt die schwächelnde Wirtschaft mit steigender Arbeitslosigkeit, die massive Abwanderung sowie das geringe Vertrauen in das Justizsystem in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne. Die regierenden Sozialisten verweisen auf die vielen im Land stattfindenden Infrastrukturprojekte und hoffen auf die Strahlkraft von Premierminister Rama. Im Hintergrund schwebt noch die Debatte über die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen. Grundsätzlich ist die Wahl auch geprägt durch die besonderen Umstände der Corona-Pandemie.

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Harte Auseinandersetzungen und Skandale in den vergangenen Jahren

In sechs Wochen stehen die albanischen Wählerinnen und Wähler vor der Frage, ob sie Premierminister Edi Rama und seiner regierenden Sozialistischen Partei (SP) ein drittes Mandat nach 2013 und 2017 zugestehen wollen, oder ob sie ihm – wie allen Premierministern zuvor seit dem Ende des Kommunismus 1990 – nach zwei Amtszeiten das Vertrauen entziehen. Darauf hoffen insbesondere die Demokratische Partei (DP) unter ihrem Spitzenkandidaten Lulzim Basha, der eine Allianz mehrerer oppositioneller Parteien anführt, und Monika Kryemadhi von der Sozialistischen Bewegung für Integration (LSI). Aber auch einige Parteineugründungen und Einzelkandidaten rechnen sich Chancen auf einen Platz im nächsten Parlament aus. Viele Analysten betrachten den Urnengang als eine Art „Schicksalswahl“, die maßgeblich die Entwicklung des Landes in den kommenden Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnt, beeinflussen kann.

In den letzten Jahren war die politische Landschaft in Albanien von starken Kämpfen zwischen Regierung und Opposition wie auch von einigen Skandalen geprägt. So war Albanien über mehrere Jahre hinweg „Cannabis-Hotspot Europas“, wobei sich der Anbau und Verkauf von Marihuana zu einer „Industrie" mit einem geschätzten Jahresumsatz von 4 Milliarden Euro entwickelte. Im Jahr 2017 wurde der sozialistische Innenminister Saimir Tahiri von italienischen Anti-Mafia-Staatsanwälten in Verbindung mit kriminellen Drogenhandelsnetzwerken gebracht.

Im Dezember 2018 gingen mehrere tausend Studenten in Tirana auf die Straße, um gegen die hohen Studiengebühren und schlechten Zustand der Studentenwohnheime zu protestieren. Nach einigem Zögern reagierte Rama mit einer Kabinettsumbildung und einiger Zugeständnisse bei den Studiengebühren. Zudem wurden einige Wohnheime renoviert. Viele Forderungen der Studenten blieben jedoch unbeantwortet.

Im Januar 2019 strahlte Voice of America (VoA) Mitschnitte aus einer offiziellen staatsanwaltschaftlichen Untersuchung aus, die sich auf eine kriminelle Bande in Durrës, der zweitgrößten Stadt Albaniens, konzentrierte. Diese Transkripte zeigten eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bande und dem sozialistischen Bürgermeister von Durrës, Vangjush Dako, bei Aktivitäten zum Stimmenkauf und zur Stimmeinschüchterung während der Wahlen 2017. In einem nicht unumstrittenen Schritt beschloss daher die Opposition im Februar 2019, ihre Mandate zurückzugeben und verließ, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das Parlament.

Im Juni 2019 veröffentlichte zudem BILD-Online offizielle Tonbänder der Staatsanwaltschaft mit Gesprächen zwischen SP-Ministern und hohen Beamten mit Personen der organisierten Kriminalität, die vor der Parlamentswahl 2017 aufgezeichnet wurden. In Anbetracht dessen beschloss die Opposition, nicht an den Kommunalwahlen teilzunehmen und forderte stattdessen Neuwahlen. Die SP trat bei den ersten Ein-Parteien-Wahlen in Albanien seit dem Ende des Kommunismus allein an. Auch die Kommunalwahlen 2019 waren wiederrum von Unregelmäßigkeiten geprägt. Einige SP-Bürgermeister hatten Vorstrafen und konnten somit ihr Amt nicht antreten.

Erschwerend kam hinzu, dass durch die 2016 begonnene Justizreform und der damit einhergehenden Überprüfung der Richter („Vetting“) sowohl das Verfassungsgericht als auch der Oberste Gerichtshof Albaniens 2019 nicht funktionsfähig waren. Dies bedeutete, dass die Opposition keine Fragen an das Verfassungsgericht richten konnte.

Im Dezember 2020 schließlich erregte die Tötung eines jungen Mannes, der sich einer Personenkontrolle durch die Polizei im Rahmen der Corona-Maßnahmen entziehen wollte, die albanische Öffentlichkeit. Über mehrere Tage hinweg gab es abendliche Proteste von Jugendlichen in mehreren Städten Albaniens, die vor allem in Tirana zu Sachbeschädigungen führten. Im Zuge dessen musste der albanische Innenminister Sander Lleshaj zurücktreten.

 

Der erste Bewährungstest für das neue Wahlgesetz

Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes im Jahr 1990 hat sich das albanische Wahlgesetz mehrmals geändert. Im Januar 2020 stimmten Regierung und Opposition einem Vorschlag der Europäischen Union (EU) und der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zu, einen gemeinsamen „Politischen Rat“ einzurichten, um eine einvernehmliche Wahlrechtsreform für die kommenden Parlamentswahlen im April 2021 auszuarbeiten. Die Durchführung einer solchen Reform gemäß der Empfehlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bzw. dessen Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) war auch eine der sechs Vorbedingungen des Deutschen Bundestages[1] und des Rates der Europäischen Union[2] für die Eröffnung von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien.

Trotz der politischen Polarisierung im Land gelang es dem Politischen Rat am 5. Juni 2020 eine Vereinbarung über eine Wahlreform zu vereinbaren. Dies wurde national und international allseits begrüßt. Diese Änderungen wurden am 23. Juli vom Parlament beschlossen. Nach heftigen politischen Diskussionen beschloss allerdings das albanische Parlament kurz vor der Sommerpause am 30. Juli mit den Stimmen der sozialistischen Mehrheit sowie der parlamentarischen Opposition noch weitere umstrittene Änderungen an der Verfassung. Besonders kritisiert wurde dabei von der außerparlamentarischen Opposition die Streichung der Wahlkoalitionen.

Am 5. Oktober wurden anschließend das Verbot von Vorwahlkoalitionen sowie die Einführung eines (teiloffenen) Listenwahlsystems vom albanischen Parlament beschlossen. Nach Ansicht der außerparlamentarischen Opposition sowie einiger internationaler Beobachter liefen diese Änderungen des Wahlsystems auf eine erneute Änderung der Wahlrechtsreform hinaus, die entsprechend der Bedingung des Bundestages in einem „inklusiven Prozess“ im Politischen Rat hätten beschlossen werden müssen. Die Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarats (VK) vom Dezember 2020 zu diesen Änderungen des Wahlgesetzes hat jedoch die Debatte über die Wahlreform vorerst beendet.[3]

Gemäß dem Wahlgesetz werden bei der diesjährigen Wahl wie bisher 140 Abgeordnete über ein regionales Listenwahlsystem für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt. Die Kandidaten werden in 12 Wahlkreisen gewählt, die den verschiedenen Verwaltungsregionen Albaniens (Qarks) entsprechen. Die Anzahl der Sitze hängt dabei von der Bevölkerungsgröße der jeweiligen Qarks ab. Am 11. Dezember 2020 hat die Zentrale Wahlkommission (ZWK) die Anzahl der Sitze für jeden Distrikt gemäß der Bevölkerungsentwicklung neu berechnet. Unter anderem gab es Änderungen in Dibër (vorher 6, nun 5 Sitze) und Tirana (vorher 34, jetzt 36 Sitze).

Von den o.g. gesetzlichen Änderungen vom 23. Juli und 5. Oktober 2020 sind die folgenden Punkte für die Wahl 2021 besonders relevant:

Sperrklausel – Um sich für eine Sitzverteilung im Parlament zu qualifizieren, müssen die Parteien landesweit eine Ein-Prozent-Hürde überschreiten. Bei der vorherigen Wahl im Jahr 2017 gab es noch eine Drei-Prozent-Hürde.

Vorzugsstimmen – Die Wähler wählen zwischen ihrer bevorzugten Partei oder Koalition und geben zudem die Stimme für ihren bevorzugten Kandidaten aus der ausgewählten Liste ab. Die Kandidaten erhalten die Mandate gemäß der Reihenfolge der Liste. Um die eigene Position in der Liste zu verbessern, muss ein Kandidat mehr Vorzugsstimmen erhalten als die durchschnittliche Anzahl der Stimmen, die die nominierende Partei pro Sitz in der Region erhalten hat. Das genaue Layout des Wahlzettels steht allerdings noch nicht fest.

Koalitionen – Parteikoalitionen sind verpflichtet, vor den Wahlen eine gemeinsame Liste von Kandidaten einzureichen, was bedeutet, dass sie nicht wie bei früheren Wahlen mit getrennten Listen teilnehmen können.

Neben diesen zentralen Punkten umfassten die Gesetzesänderungen auch bestimmte Maßnahmen für eine transparente Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern diese Änderungen wirklich umgesetzt und befolgt werden, insbesondere da es keine wirklich unabhängigen Instanzen gibt, die Punkte wir informelle Finanzierung und Spenden überprüfen könnten.

Mit Spannung erwartet wird zudem die ebenfalls im Wahlgesetz vorgeschriebene Einführung einer biometrischen Registrierung und Überprüfung der Wählerinnen und Wähler, sowie die elektronische Abstimmung und Auszählung, um Wahlbetrug zu verhindern bzw. zu erschweren. Aus zeitlichen und technischen Gründen wird letzteres bei der diesjährigen Wahl vorerst nur in einigen wenigen Projektregionen getestet, so dass diese Maßnahme ihre volle Wirkung wohl erst bei zukünftigen Wahlen entfalten kann.

 

Teile der Opposition vereint als „Allianz für den Wandel“

Derzeit sind 46 politische Parteien bei der ZWK angemeldet, die möglicherweise an den bevorstehenden Wahlen teilnehmen werden. Im Vergleich zu den vorherigen Parlamentswahlen ist dies eine geringere Zahl. Von den angemeldeten Parteien haben jedoch nicht alle die Möglichkeit, in die Abstimmungslisten aufgenommen zu werden, weil die ZWK nur diejenigen Parteien zulässt, die Kandidaten in allen 12 Distrikten aufstellen können.

Aufgrund der Einschränkungen des neuen Wahlgesetzes haben die wichtigsten Oppositionsparteien, die DP und die LSI beschlossen, mit getrennten Kandidatenlisten zu teilzunehmen. Die DP ist jedoch im Rahmen einer Vereinbarung mit 12 weiteren Mitte-rechts-Parteien eine Wahlkoalition eingegangen. Diese Koalition mit dem Namen „Demokratische Partei – Allianz für den Wandel“ (DP-AC) tritt mit einer gemeinsamen Liste bei der Wahl an.

 

Wirtschaft und Justiz als zentrale Wahlkampfthemen

Die heiße Phase des Wahlkampfs hat begonnen. Durch die Corona-Pandemie unterscheidet sich dieser Wahlkampf allerdings von den vorherigen Kampagnen. Große Veranstaltungen mit dutzenden oder hunderten von Menschen sind derzeit auch in Albanien nicht möglich. Dadurch bekommt der Haustürwahlkampf, kleinere Treffen und natürlich die Auseinandersetzung und Werbung in den (Sozialen) Medien eine größere Bedeutung. Die Hauptthemen der aktuellen politischen Diskussion in Albanien, die auch den Wahlkampf prägen, sind die massive Abwanderung (insbesondere der jungen und gebildeten Bevölkerung), die schwächelnde Wirtschaft mit steigender Arbeitslosenquote sowie das geringe Vertrauen in das Justizsystem.

Laut einer Umfrage des Instituts für Statistik (INSTAT) gaben 22,1 % der Befragten an, mindestens ein Familienmitglied zu haben, das das Land verlassen hat. Allein im Jahr 2019 haben über 360.000 Albaner das Land verlassen, was 12,6 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Während früher Griechenland und Italien das Hauptziel albanischer Migranten waren, ist die Migrationsrate nach Deutschland im Zeitraum 2011-2019 erheblich gestiegen. Auf die Frage nach dem Hauptgrund, warum sie das Land verlassen würden, gaben 83,7% der Befragten an, nach besseren Arbeitsmöglichkeiten zu suchen. Daher wird die Arbeitslosenquote aktuell nach Angaben des gleichen Instituts auf 11,6 % geschätzt, was mehr als im Vorjahr ist.

Ein weiterer Schwerpunkt der politischen Debatte ist die aktuelle Situation der Kleinunternehmer. Kleine Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle für die albanische Wirtschaft, da sie 79,8 % der Erwerbsbevölkerung beschäftigen, verglichen mit dem Industriesektor, der nur 18,4 % beschäftigt. Für den Zeitraum 2011-2018 gibt es in diesem Sektor einen wachsenden Trend der Arbeitslosenquote, der auch ein Indikator für die ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen ist. Die Lage hat sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie noch einmal deutlich verschärft. Nachdem es von März bis Juni 2020 bereits einen teils sehr harten Lockdown gab, bestehen nun seit November 2020 wiederrum einige Beschränkungen, u.a. eine nächtliche Ausgangssperre. Dies trifft vor allem das Restaurant- und Gastgewerbe, deren Einnahmen eingebrochen sind.

Seit der Umsetzung der Justizreform im Jahr 2016 steht das Vertrauen in das Justizsystem im Mittelpunkt der internationalen Partner Albaniens. Aufgrund der Unterstützung der EU und der USA haben bisher 340 Richter und Staatsanwälte an einem Vetting-Verfahren teilgenommen, bei dem 58 % der Überprüften entlassen wurden, weil sie als unqualifiziert eingestuft wurden bzw. die Quellen ihrer Vermögenswerte nicht ausreichend belegen konnten. Laut einer Studie des albanischen Instituts für Demokratie und Mediation (IDM) in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (VN) sind zwar 54 % der Befragten für den Zeitraum November bis Dezember 2019 der Meinung, dass die neuen Reformen positive Veränderungen im Justizsystem bewirken werden. Der größte Teil von ihnen, nämlich 48,5 %, ist jedoch der Ansicht, dass die Reformen nicht korrekt umgesetzt wurden im Vergleich zu 31 %, die das Gegenteil denken.

 

Zwischen „Weiter so“ und umfassendem Wandel

Was die Wahlprogramme angeht, so hat die SP ihr Programm für die Wahlen noch nicht abgeschlossen. Rama erklärte, dass es kein Programm für die Wahlen am 25. April sein wird, sondern eher ein Arbeitsprogramm für Albanien bis 2030. Grundsätzlich hält die SP an ihrem bisherigen Kurs fest und beruft sich dabei vor allem die in ihren Augen erfolgreichen Infrastrukturprojekte, wie den Bau von Straßen und Tunneln. Zudem ist man davon überzeugt, das Land bisher verhältnismäßig gut durch die Corona-Pandemie gebracht zu haben. Darüber hinaus hofft man auf die Strahlkraft des Parteiführers und Premierministers Rama.

Dem hingegen fokussiert die Agenda der DP für die Wahlen auf die Unterstützung der Mittelschicht als wichtigster sozialer Entwicklungsmotor sowie auf die albanische Jugend, damit das Phänomen der massiven Auswanderung gestoppt werden kann.

Daher verspricht die DP, ein günstigeres Geschäftsklima zu schaffen, indem sie die Steuern für kleine Unternehmen senkt und ausländische Investoren anzieht, sodass mindestens 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Durch die Errichtung optimaler Bedingungen für kleine Unternehmen wird auch der monatliche Mindestlohn angehoben. Nach Ansicht der PD hat das alte Steuersystem der regierenden sozialistischen Partei die wirtschaftliche Entwicklung behindert und die albanischen Bürger verarmt. Sie schlagen daher eine „Flat Tax“ von 9 % auf das persönliche Einkommen sowie für alle albanischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 10.000 Euro vor.

Der Plan der DP, um die stetig wachsende Migration des Humankapitals zu stoppen, besteht darin, die Gebühren für die Jugendbildung zu subventionieren. Studierende aus Familien mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 520 Euro werden finanziell durch die Deckung von 90 Prozent der Studiengebühren unterstützt. Damit ein gleichberechtigteres und leistungsfähigeres System geschaffen werden kann, verspricht die PD darüber hinaus, den freien Zugang zu Lehrbüchern für die gesamte Grund- und Sekundarstufe zu ermöglichen.

Was den Agrarsektor betrifft, betrachtet die PD die albanischen Landwirte als einen entscheidenden Bestandteil der Wirtschaftsstruktur. Sie verspricht daher eine Rekordunterstützung in Höhe von 100 Millionen Euro.

 

EU-Beitrittsverhandlungen weiterhin offen

Ein weiteres, wenngleich in der albanischen Berichterstattung derzeit eher nebensächliches, Thema des Wahlkampfs ist die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen. Wie eingangs bereits erwähnt hatten der Deutsche Bundestag und der Rat der EU im Herbst 2019 bzw. Frühjahr 2020 mehrere Bedingungen aufgestellt, die erfüllt werden müssen, bevor die einzelnen Verhandlungskapitel bzw. -cluster geöffnet werden können. Von den insgesamt 15 Bedingungen müssen sechs vor Beginn der sog. 1. Intergouvernementalen Konferenz erfüllt werden. Diese sind: Annahme und Umsetzung einer Wahlrechtsreform, die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichts sowie des Obersten Gerichts, die Etablierung von Strukturen zur Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität, Fortschritte beim Kampf gegen die Korruption, Reduzierung unbegründeter Asylersuchen sowie Rücknahme der eigenen Staatsbürger und die Überarbeitung des Mediengesetzes.

Inzwischen hat Albanien bei den sechs Punkten gute Fortschritte erzielt, sie allerdings noch nicht vollumfänglich erfüllt. Dies betrifft nicht nur die o.g. Wahlrechtsreform, bei der in Teilen kein politischer Konsens erzielt werden konnte, sondern u.a. auch die Korruptionsbekämpfung oder das Mediengesetz.

Nach der Einschätzung einiger nationaler und internationaler Akteure haben Korruption und Geldwäsche in Albanien sogar weiter zugenommen.  Die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) hat in ihrem Bericht vom 3.12.2020 kritisiert, dass ein großer Teil der zur Korruptionsbekämpfung vom Parlament beschlossenen Gesetze bisher nicht oder nur mangelhaft umgesetzt worden sein.[4]

Insbesondere die Überarbeitung des Mediengesetzes ist jedoch noch ausstehend. Dieses wird derzeit nach der Stellungnahme der Venedig-Kommission vom Juni 2020 noch geprüft. Die Regierung hat die Änderungsentwürfe mit internationalen Organisationen und nicht mit den Medien oder Interessengruppen des Landes konsultiert. Meinungsverschiedenheiten über die Konsultationen und das politische Interesse der Regierung, den Gesetzesentwurf gemäß ihrer Fassung beizubehalten, aber eine mögliche kritische Haltung der EU zu vermeiden, haben dazu geführt, dass das Gesetzespaket noch auf eine politische Entscheidung im Parlament wartet.

Es hat sich bereits im Herbst des vergangenen Jahres abgezeichnet, dass diese sechs Bedingungen innerhalb des Jahres 2020 nicht erfüllt würden, sodass vorhersehbar war, dass die Konferenz – unabhängig von der Vorbereitung Nordmazedoniens auf eine erste Regierungskonferenz – nicht mehr im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stattfinden konnte. Auch für dieses Jahr ist noch offen, wann seitens der EU eine Entscheidung über die 1. Intergouvernementale Konferenz getroffen wird. Dabei ist zu beachten, dass es nicht nur von Albanien abhängt, sondern auch mit der Lösung des Streits zwischen Bulgarien und Nordmazedonien, denn bei der Eröffnung von Beitrittsgesprächen soll es zu keinem „Decoupling“ des Verfahrens der beiden Länder Albanien und Nordmazedonien geben.

 

Prognosen

Nach den Daten von mehr als 3000 Befragten, im Zeitraum von Dezember 2020 bis Januar 2021 in allen 12 Wahlbezirken, kamen „Euro News Albania“ und das Meinungsforschungsinstitut „MRB“ zu dem Schluss, dass die derzeitige Regierungspartei (SP) aus den Wahlen mit insgesamt 41,8 % der Stimmen hervorgehen würde, während die Oppositionsparteien mit 28,2 % (PD) und 10,3% (LSI) erhalten würden. Alle Oppositionsparteien zusammen würden 42,7 % der Gesamtstimmen bekommen, während die linke Koalition, die neben der SP nur noch die deutlich kleinere Sozialdemokratische Partei (SPD) umfasst, 44 % erreicht. Die Gruppe der unentschlossenen Befragten, die nicht entschieden hatten, ob sie an den Wahlen teilnehmen würden, wird mit ca. 16,1 % angegeben. Dies ist ein beträchtlicher Anteil, wenn man den engen Unterschied zwischen den Koalitionen berücksichtigt und wie diese Zahl möglicherweise das Wahlergebnis verändern könnte. Auf die Frage, ob sie an den bevorstehenden Wahlen teilnehmen würden, antworteten 62,4 % der Befragten, dass sie an den Wahlen teilnehmen werden, während nur 6 % von ihnen sagten, dass sie nicht teilnehmen werden.

Die zweite Umfrage von Euronews, die den Zeitraum von Februar 2021 bis März 2021 umfasst, zeigt einen leichten Rückgang für die SP, nämlich von 41,8 %auf 39,9 %, während die größte oppositionelle Partei PD mit 2,4 % zugenommen hat. Der Unterschied zwischen beiden Koalitionen bleibt bei 4 %. Wie bei der ersten Umfrage ist die Zahl der unentschlossenen Wähler im Vergleich zur Differenz zu groß, was bedeutet, dass sie über das Endergebnis der Wahlen entscheiden werden.

Eine andere Umfrage von „Ora News“ in Zusammenarbeit mit IPR Marketing vom Februar 2021 zeigt unterschiedliche Ergebnisse. Nach den Daten von mehr als 2000 Befragten, wird die Koalition der oppositionellen Parteien mit insgesamt 55,5 %der Stimmen an der Spitze stehen, während die Koalition der regierenden PS-Partei mit 33,4 %der Stimmen aus den Wahlen hervorgehen wird. Im Vergleich zu den letzten Wahlen von 2017 verlieren die die Sozialisten 1 %der Stimmen, während die Demokraten mit 10 %Zuwachs rechnen können. Änderungen wurden insbesondere in den Wahlkreisen Elbasan und Shkodër festgestellt, in denen sich die PD im Vergleich zu den vorherigen Wahlen mehr Zustimmung erhält. Die Wahlkreise Tirana, Durrës und Fier haben laut der Umfrage die meisten unentschlossenen Befragten.

Grundsätzlich muss man Vorwahlumfragen in Albanien jedoch mit großer Vorsicht betrachten. Dies liegt nicht nur in der Fehlertoleranz begründet, die es bei jeder Umfrage gibt, sondern insbesondere in Mängeln bei der Datenerhebung und möglichen politischen Interessen der Auftraggeber.

 

Fazit

Die albanischen Parlamentswahlen am 25. April versprechen die spannendsten Wahlen seit Langem zu werden, da sie die politische Zukunft des Landes auf lange Zeit bestimmen könnten. Ein Sieg Ramas wäre das erste Mal seit dem Ende des Kommunismus, dass ein Premierminister ein drittes Mandat erlangt. Darüber hinaus wäre es eine Bestätigung für seinen politischen Kurs, der in den letzten Jahren durchaus nicht unumstritten war und mit einigen Skandalen seiner Administration verbunden ist. Die Regierung setzt bei der Akzentuierung ihres Wahlprogramms aber vor allem auf eine Fortführung des bisherigen Kurses und verweist auf ihre vermeintlichen Erfolge im Infrastrukturbereich.

Auf der anderen Seite ist die Opposition unter der Führung der DP nach der Rückgabe der Mandate und dem Boykott der Kommunalwahlen 2019 bereit, in die politische Arena des Parlaments zurückzukehren. Dies ist eindeutig zu begrüßen, haben doch die vergangenen zwei Jahre gezeigt, dass außerhalb des Parlaments keine wirkungsvolle Oppositionsarbeit möglich ist. Inhaltlich legt die DP bei den Wahlkampfthemen vor allem einen Schwerpunkt auf die Stärkung der Wirtschaft und die Förderung der Jugend, auch um die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern.

Die Wahl 2021 ist die erste Wahl unter dem neuen Wahlgesetz, welches nach monatelangen Diskussionen im Politischen Rat beschlossen wurde, auch wenn anschließend noch einige streitbare Änderungen durch die Parlamentsmehrheit erfolgte. Es bleibt abzuwarten, was die Maßgaben im Bereich der Wahlkampffinanzierung sowie dem Bemühen, Wahlfälschung durch verschiedene technische Maßnahmen (biometrische Registrierung und Identifizierung der Wähler, elektronische Wahl) zu unterbinden, bringen werden.  Dies gilt insbesondere für Letzteres, da für diese Wahlen lediglich eine Anwendung in wenigen Projektregionen geplant ist. Ebenfalls ist der Einfluss der Corona-Pandemie nicht zu

Die bisher vorliegenden Umfragen sagen ein knappes Rennen zwischen der SP sowie der Wahlkoalition um die DP (DP-AC) und der LSI voraus. Auch wenn die beiden letzteren mit unterschiedlichen Listen zur Wahl antreten, haben sie es sich gemeinsam zum Ziel gesetzt, eine dritte Amtszeit von Edi Rama zu verhindern und stattdessen Lulzim Basha von DP zum Premierminister zu machen.

 


 

 

[1] Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/13509, Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Beitrittsantrag der Republik Albanien zur Europäischen Union und zur Empfehlung von Europäischer Kommission und Hoher Vertreterin vom 29. Mai 2019 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, Berlin, 24.09.2019.

[2] Vgl. Council of the European Union, Document 6954/20, ENLARGEMENT AND STABILISATION AND ASSOCIATION PROCESS for the Republic of North Macedonia and the Republic of Albania, Draft Council conclusions, Brüssel, 23.03.2020.

[3] Vgl. Venice Commission, Opinion No. 1006 / 2020, ODIHR Opinion Nr ELE-ALB/396/2020, Joint Opinion on the Amendments to the Constitution of 30 July 2020 and to the Electoral Code of 5 October 2020, Straßburg, 11.12.2020

[4] Vgl. Fifth Evaluation Round – Preventing corruption and promoting integrity in central governments (top executive functions) and law enforcement agencies. Evaluation Report  Albania, Straburg, 03.12.2020

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