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Handstreich gegen das Parlament

Thomas Yoshimura

Im Konflikt mit der Opposition greift Südkoreas Präsident zum Kriegsrecht

In der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 2024 herrschte zum ersten Mal seit den Tagen vor der Demokratie 1980/81 Kriegsrecht in Südkorea. Präsident Yoon Suk-yeol erklärte die Bemühungen der Opposition zur Kürzung seines Haushalts und weitere Amtsenthebungsverfahren gegen Mitglieder seiner Regierung zur Gefährdung des Landes und sprach von Unterwanderung durch pro-nordkoreanische Kräfte. Wenige Stunden später sah er sich durch den erfolgreichen Widerstand des Parlaments und massive Demonstrationen gezwungen, die Entscheidung aufzuheben, und steht jetzt vor den Scherben seiner Regierung. Die nächsten Tage entscheiden wohl nur noch, ob er freiwillig geht oder gezwungen werden muss.

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Was ist passiert?

Zu später Stunde, 22:30 Uhr Ortszeit tritt der südkoreanische Präsident am 3. Dezember vor die Fernsehkameras. Es folgt eine Liveübertragung, die wohl selbst Mitglieder seines engsten Beraterkreises überrascht. Kommunistische Kräfte drohten das Land zu zerstören. Er verwies auf die Versuche der Opposition, mit ihrer Parlamentsmehrheit das rechtmäßige Regieren zu verhindern. Es herrsche eine „Diktatur der Legislative“. Aufgrund dieser Notlage rief der Präsident gemäß Verfassung ab 23 Uhr das Kriegsrecht aus und schränkte damit vor allem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein. Dadurch wären, jeweils im entsprechenden Ermessen des Militärs, insbesondere politische Aktivitäten wie die Arbeit der Nationalversammlung untersagt und Medien und sämtliche Berichterstattung unter strenge Kontrolle gestellt. Kurz darauf besetzten bewaffnete Einsatzkräfte des Militärs das Parlamentsgebäude.

Parlament und Öffentlichkeit reagierten entsetzt. Der Oppositionsführer rief zum Schutz der Demokratie auf und sprach dem Präsidenten jegliche Legitimität ab. Auch die Führung der Regierungspartei lehnte die Entscheidung des Präsidenten als unrechtmäßig ab und stellte sich auf die Seite der Bevölkerung, die mit Protesten vor der Nationalversammlung ihren Widerspruch deutlich machte.

190 von 300 Abgeordneten aus beiden Lagern – allerdings im Verhältnis 172 zu 18 zu Ungunsten der Regierungspartei – kamen um ca. 1:00 Uhr früh nach einem Aufruf des Parlamentspräsidenten zusammen und machten einstimmig von ihrem Recht Gebrauch, der Ausrufung des Präsidenten zu widersprechen und das Kriegsrecht aufzuheben. Das Militär zog sich zurück. Weitere drei Stunden später erkannte der Präsident die Entscheidung an und nahm das Kriegsrecht um etwa 4:30 Uhr morgens zurück.

 

Was war da los?

Unmittelbarer Auslöser für den Schritt des Präsidenten waren wohl die Beratungen des Haushalts für das kommende Jahr. Die Opposition hatte hierzu einen Gegenentwurf eingebracht, der massive Kürzungen für zentrale Anliegen der Regierung vorsieht. Aufgrund ihrer Mehrheit[i] wäre dessen Verabschiedung eine Frage der Zeit. Gleichzeitig strengte das Parlament weitere Amtsenthebungen von Regierungsmitgliedern an. Seit Antritt der Regierung von Yoon Suk-yeol hat es bereits 22 solcher Verfahren eingeleitet. Zudem greift die Opposition über Bestechungsvorwürfe gegen die Präsidentengattin auch den Staats- und Regierungschef selbst an.

Das Verhältnis zwischen den als konservativ und progressiv bezeichneten Kräften des Landes ist seit Jahren zunehmend gespalten. Grundlegende Differenzen bestehen in der Einstellung zu außenpolitischen Fragen wie der richtigen Politik gegenüber Nordkorea, Japan oder der Rivalität zwischen China und den USA aber auch im Verhältnis zur Vergangenheit, darunter insbesondere der autoritären Herrschaft von Präsident Park Chung-hee (1961-1979), dessen Tod durch ein Attentat zur letzten Ausrufung des Kriegsrechts in Südkorea geführt hatte. Dessen Tochter, Park Geun-hye wiederum wurde im März 2017 aus dem Präsidentenamt gezwungen[ii], was einen weiteren Gipfelpunkt in der Spaltung der politischen Lager und einen Tiefpunkt für die koreanische Konservative markierte.

Yoon Suk-yeol, der vor knapp drei Jahren haarscharf das höchste Amt im Staat erringen konnte[iii] und damit ein scheinbares Wiedererstarken der Konservativen einläutete[iv], ist inzwischen der unpopulärste Präsident der südkoreanischen Demokratiegeschichte. Spätestens seit der klaren Niederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen im April, die klar als Ausdruck der Enttäuschung über seine Arbeit zu verstehen war, ist die Regierung in zentralen Fragen vor allem der Wirtschafts- und Innenpolitik gelähmt, für die es Gesetzesänderungen braucht.

Die Ausrufung des Kriegsrechts erscheint als Akt der Verzweiflung und zeichnet ein erschreckendes Bild vom Demokratieverständnis der Beteiligten. In Zeiten schwieriger Mehrheiten und bei immer tieferer Spaltung der politischen Verhältnisse braucht es umso mehr Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit. Sich stattdessen der Instrumente und Sprache der Autokratie und Militärdiktatur der koreanischen Vergangenheit zu bedienen, war eine fatale Fehlentscheidung. Die Stärke der südkoreanischen Demokratie lag im erfolgreichen Widerstand durch Parlament und Zivilgesellschaft. In beiden Lagern haben zumindest wichtige Akteure ihre Verantwortung erkannt und wahrgenommen.

 

Was kommt jetzt?

In den Morgenstunden folgten die ersten Reaktionen auf die ereignisreiche Nacht. Die Opposition hat die neuen Verfahren gegen die Regierungsmitglieder eingestellt, um sich nun auf eine Amtsenthebung des Präsidenten zu konzentrieren. Hierfür muss sie eine Zweidrittelmehrheit im Parlament gewinnen, für die mindestens acht Abgeordnete der Regierungspartei zu überzeugen sind. Die Abstimmung dürfte noch in dieser Woche folgen, sofern Präsident Yoon nicht vorher der Aufforderung nachkommt, selbst seinen Rücktritt zu erklären. Wie die meisten seiner Amtsvorgänger erwarten Yoon Suk-yeol jetzt wohl mit nochmal höherer Wahrscheinlichkeit auch strafrechtliche Anklagen bis zum Landesverrat.

Der Vorsitzende der Regierungspartei hat zudem den Präsidenten zunächst aufgefordert, die Partei zu verlassen. Damit erfolgt eine seit Frühjahr absehbare Abkehr vom einstigen Hoffnungsträger.[v] Eine Rücktrittsforderung blieb allerdings zunächst aus, was als Anzeichen von Uneinigkeit und Ratlosigkeit in Bezug auf das weitere Vorgehen gedeutet werden kann. Nach Beratungen entschied sich die gesamte Partei zur Rücktrittsforderung an das gesamte Kabinett.

Aber selbst im unmittelbaren Umfeld des Präsidenten lichten sich ebenso die Reihen: der gesamte Stab des Präsidialamtes erklärte geschlossen seinen Rücktritt. Die Handlungsfähigkeit des Präsidenten ist dadurch weiter beschnitten.

Vor diesem Hintergrund erscheint umso fraglicher, welche Unterstützung den Präsidenten eigentlich zu seiner Entscheidung gebracht hatte. Vermutet wird ein Rat des im Sommer berufenen Verteidigungsministers[vi], gegenüber dem die ersten gezielten Entlassungsforderungen von den verschiedenen Seiten erfolgten.

Sollte es zum plötzlichen Ende der Präsidentschaft von Yoon Suk-yeol kommen, übernähme erstmal der Premierminister kommissarisch das Amt. Dann wäre aber auch schnell die Nachfolgefrage auf dem Plan. Dabei müssten sowohl die konservative People Power Party als auch die progressive Minju ihre internen Differenzen klären und sich auf Kandidaten einigen, wobei die aktuellen Akteure auf beiden Seiten klare Defizite vorweisen.[vii]

Viel wird aber davon abhängen, wie sich die Lage in den nächsten Stunden und Tagen entwickelt und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Darauf sollte sich die Aufmerksamkeit aller Verantwortlichen erstmal konzentrieren.

 

Fazit

Die Ereignisse der letzten Nacht haben dem Land geschadet. Während die Demokratie insgesamt den Test bestanden und sich durch das entschiedene Handeln des Parlaments als wehrhaft erweisen konnte, scheint sehr schwer begreiflich, wie die gewählten Mittel dem Regierungschef, seinen Beratern und wohl auch verbliebenen Anhängern angemessen erscheinen konnten.

Südkorea ist als Partner im Systemwettbewerb für die Demokratie und ihre Werte wichtig und erhebt besonders unter der aktuellen Regierung auch mehr Anspruch auf diese Rolle. Die Ereignisse dieser Tage stören aber die Wahrnehmung und sorgen auch jenseits der Unruhen auf den Währungs- und Aktienmärkten mindestens für Unsicherheiten.

Die Lage erfordert klare Bekenntnisse zu Demokratie und Verfassungswerten, verantwortungsvolle Maßnahmen zu deren Schutz, nötigenfalls wohlüberlegte Reformen im Verhältnis der Verfassungsorgane und vor allem eine Besinnung auf grundlegende Mechanismen einer funktionierenden Demokratie – dazu gehört die nötige Kompromissfähigkeit im geordneten Streit um Lösungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

 


[i]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/spezialitaet-des-hauses-lahme-ente

[ii]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/-die-rechnung-bitte-

[iii]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/praesidentschaftswahl-suedkorea-knappes-rennen-lange-nacht

[iv]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/konservative-staerke-im-geteilten-land

[v]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/konvent-der-koreanischen-konservativen

[vi]Korea Times, https://www.koreatimes.co.kr/www/nation/2024/12/113_387639.html

[vii]Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/koreas-parteienlandschaft-in-unruhe

 

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Thomas Yoshimura

Thomas Yoshimura

Leiter des Auslandsbüros Korea Interimsleiter des Auslandsbüros Japan bis Juli 2024

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