„Es wird keinen Balkanischen Frühling geben“, sagt Maja Kocijančič, Pressesprecherin für Außenpolitik und EU-Erweiterung bei der Europäischen Kommission. „Die Proteste haben ihre eigenen Besonderheiten in jedem Land und ich würde diese nicht vergleichen.“[1] Sie gibt jedoch zu, dass es gemeinsame Elemente gebe, wie Korruption, undurchsichtige Machtstrukturen und fehlende Medientransparenz. Beim Wunsch nach mehr Medienfreiheit geraten auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ins Kreuzfeuer der Demonstranten. Aus ihrer Sicht würden diese zu regierungsnah und unkritisch berichten.
Montenegro
Seit dem 2. Februar versammeln sich jeden Samstag bis zu 10.000 Menschen in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica, um gegen die Regierung zu protestieren. Das ist eine beachtliche Zahl für eine Stadt mit nur 150.000 Einwohnern. Auslöser der Proteste war ein Parteispenden-Skandal, wodurch die Protestintiative „Odupri se – 97000“ („Lehne dich auf – 97000“) entstand. Diese fordert den Rücktritt von Präsident Milo Đukanović, der das Land seit 30 Jahren regiert, sowie von hochrangigen Personen aus der Regierung und der Justiz. Allerdings kritisieren die Demonstranten auch generelle strukturelle Probleme wie zum Beispiel die schlechte Mediensituation. Deshalb fordern sie den Rücktritt des Generaldirektors des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „Radio Televizija Crne Gore“ (RTCG) Božidar Šundić und die Auflösung des Aufsichtsrats. Einer der Organisatoren des Protests, Omer Šarkić, erklärt: „Das ist kein öffentlicher Rundfunk, sondern ein Rundfunk für Parteipropaganda. Seit 30 Jahren desinformiert der Rundfunk, führt zu Streitereien und spaltet die Gesellschaft, anstatt zu informieren, zu bilden und zu vereinen.“[2] Oppositionsparteien riefen zum Boykott des Senders auf. Darüber hinaus starteten sie eine Aktion gegen RTCG, in dem sie Sticker auf das Gebäude des Senders und an verschiedenen Plätzen in Podgorica klebten.
RTCG ließ daraufhin in einem Statement verlauten: „Das Management und die Redaktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks warnt die nationale und internationale Öffentlichkeit, dass RTCG einem beispiellosen Druck einiger Medien, politischer Parteien und des Nichtregierungssektors ausgesetzt ist. Dies betrifft offene Aufrufe zum Boykott und den Appell an RTCG-Mitarbeiter, ihre Aufgaben zu ignorieren. Dadurch soll Chaos in unserem Medienhaus erzeugt werden. Wir nehmen die Forderungen der Demonstranten nach einem außerinstitutionellen Regierungswechsel zur Kenntnis […] allerdings erheben wir unsere Stimme gegen die Art und Weise, wie man mit expliziten Drohungen versucht, das Programm des öffentlichen Senders zu beeinflussen.“[3] Darüber hinaus lehnte Generaldirektor Šundić in einem Interview mit der Zeitung „Dnevne Novosti“ einen Rücktritt des Managements ab. Die Sendeleitung verrichte ihre Aufgabe professionell. Dies zu beurteilen, liege an den Staatsorganen und dem Aufsichtsrat, der sie ernannt habe. Er fügte aber auch hinzu, dass es legitim sei zu streiken, zu kritisieren und Rücktritte zu verlangen.[4]
Serbien
In Serbien sind die Menschen schon länger auf der Straße und protestieren gegen Präsident Aleksander Vučić. Die Proteste begannen am 8. Dezember in Belgrad mit dem Slogan „Stop krvavim košuljama” („Stoppt die blutigen Hemden“). Auslöser war der Überfall auf den Parteivorsitzenden der Linken Borko Stefanović. Seitdem sind die Demonstranten jeden Samstag in Belgrad und jeden Freitag in den Regionen mit den Slogans „1 od 5 miliona“ („1 von 5 Millionen“) und „Počelo je“ („Es hat begonnen“)[5] auf den Straßen und verlangen nach Aufklärung des Angriffs. In der Zwischenzeit sind weitere Ziele hinzugekommen, u.a. mehr Medienfreiheit. Auf der Webseite der Protest-Initiative sind explizite Forderungen aufgelistet. Eine davon richtet sich an den öffentlich-rechtlichen Sender „Radio Televizija Srbije“ (RTS):
- objektive Berichterstattung von RTS über die Proteste
- fünf Minuten Sendezeit in den öffentlich-rechtlichen Sendern für die Organisatoren der Proteste
- gleiche Anteile an Sendezeit für politische Akteure
- Ablösung des RTS-Generaldirektors Dragan Bujošević und des Nachrichten-Chefredakteurs Nenad Lj. Stefanović
Auch in Belgrad zeigten die Demonstranten ihren Unmut gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Form von Aufklebern („1 von 5 Millionen“ oder „Zensiert!“), die sie auf das Gebäude von RTS klebten. Von dieser Aktion war allerdings nicht nur RTS betroffen, sondern auch der regierungsnahe private Fernsehsender „TV Pink“ und die Zeitung „Politika“.
Außerdem kam es zu einer einstündigen Blockade des RTS-Gebäudes, auf die der Sender mit folgenden Worten reagierte: „Diese Blockade überschreitet die Grenze zwischen legitimem Protest und illegitimem Druck auf die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ Auf die Forderungen der Demonstranten, die Leitungsebene solle zurücktreten, ging RTS bisher nicht ein. Im Januar hätte Generaldirektor Bujošević aus Altergründen in den Ruhestand verabschiedet werden sollen, stattdessen entschied der Aufsichtsrat, sein Mandat um ein halbes Jahr zu verlängern. Die Organisatoren der Proteste haben weitere Demonstrationen angekündigt.
Kroatien
Auch im EU-Land Kroatien steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterdessen in der Kritik und es kam am 2. März zu einer ersten Demonstration. Anders als in den Nachbarländern, wo der Anstoß aus der Gesellschaft und von den Bürgern kam, war es in Zagreb jedoch ein reiner Journalisten-Protest und wendete sich primär gegen die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt „Hrvatska Radio Televizija“ (HRT).
In den vergangenen Jahren häufte sich die Kritik gegenüber HRT, insbesondere wegen der Ernennungspolitik der Generaldirektion des Senders. Diese wurde oft nach Regierungswechseln ausgetauscht. Insbesondere 2016 sorgte die Entlassung des Generaldirektors für internationale Empörung, nachdem bereits 70 HRT-Journalisten innerhalb des Senders zurückgestuft worden waren. Doch Auslöser für die aktuelle Demonstration war, dass HRT zahlreiche andere Medien aber auch eigene Journalisten verklagt hat. Mittlerweile laufen 36 Verfahren, in denen HRT insgesamt 2.227.500 Kuna (ca. 300.000 Euro)[6] wegen Verleumdung und Schädigung des Rufs von HRT einklagt. Auch der Präsident des Kroatischen Journalisten Verbands (HND) Hrvoje Zovko und die HND-Vertreterin im Sender HRT Sanja Mikleušević Pavić wurden verklagt, weil sie ihren Arbeitgeber öffentlich kritisiert hatten. Der Verband war einer der Hauptorganisatoren der Demonstration und erklärte, dass das Ziel dieser Klagen sei, Journalisten einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, kritisch über den öffentlichen Rundfunk zu schreiben.
Deshalb ist einer der Hauptforderungen der Initiative „Novinarstvo ne damo“ („Journalismus geben wir nicht her“), die Klagen fallen zu lassen. Zu Beginn bestand die Initiative aus 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die nicht nur zum Protest, sondern auch zu einem zweiwöchigen Interview-Boykott von HRT aufgerufen hatten. Diesem schlossen sich daraufhin auch zahlreiche Oppositionsparteien an. Der Boykott ging sogar soweit, dass der Abgeordnete Gordan Maras von der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens (SDP) Journalisten von HRT aus seiner Pressekonferenz warf. Dies wurde von zahlreichen Personen kritisiert, auch vom HND-Vorsitzenden Zovko. Maras entschuldigte sich später.
HRT-Generaldirektor Kazimir Bačić äußerte sich in einer Pressekonferenz zu den Vorgängen: „Mit diesem Boykott wird das öffentliche Fernsehen an seiner Arbeit, die Öffentlichkeit zu informieren, gehindert. Wir betrachten dies als direkten Schlag gegen den Journalismus und einen nie zuvor da gewesenen politischen Druck gegen den öffentlichen Rundfunk. Wir fordern, dass sie uns vor politischem Druck schützen und den öffentlichen Rundfunk nicht für politische Interessen und politische Abrechnungen benutzen.“[7]
Im Parlament wurde die aktuelle Situation von HRT ebenfalls diskutiert. Zivilgesellschaftliche Akteure als auch Oppositionspolitiker sehen die Regierung Plenkovićs in der Schuld, durch die Ernennung einer regierungstreuen Leitungsebene, für politische Abhängigkeit gesorgt zu haben. Der Protestzug ging deshalb auch an den Gebäuden des Kultur-Ministeriums und dem Regierungssitz vorbei, wo acht Forderungen an die Regierung hinterlassen wurden.[8]
- Beenden Sie den Missbrauch von Gerichtsklagen als Druckmittel gegen Journalisten.
- Beschützen Sie gesetzlich Journalisten, die öffentlich vor dem Druck warnen, dem sie ausgesetzt sind.
- Sichern Sie die Depolitisierung des Rates für elektronische Medien.
- Entbinden Sie die Leitungsebene des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihrer Ämter und ändern sie schleunigst das Gesetz über HRT.
- Sichern Sie die Implementierung des Gesetzes über die Medien und des Statuts der Medien.
- Verhindern Sie die Vereinnahmung der Medien durch lokale Amtsträger.
- Finden Sie die Erpresser und Angreifer von Journalisten und machen Sie ihnen den Prozess.
- Unterstützen Sie öffentlich Qualitätsjournalismus.
Premier Plenković ließ nach den Protesten verlauten, dass es in Kroatien Medienfreiheit gebe und dass er offen mit jedem darüber diskutiere, der dies anzweifle. Er verurteile die Klagen von HRT, aber wisse zu wenig darüber, um die Vorgänge korrekt bewerten zu können. Zudem stellte er klar, dass er nicht in einem Land lebe, in dem er als Premierminister jemanden befehlen könne, keine rechtlichen Schritte zu unternehmen. Er könne auch keinem Gericht verbieten, ein Urteil zu sprechen. Bezüglich der Forderungen des Protests werde die Regierung prüfen, ob es Möglichkeiten gebe, die Medienpolitik und die Finanzierung von Medien zu verbessern.
Albanien
Auch in Albanien gibt es derzeit regelmäßig Proteste auf den Straßen. Dort begannen Studenten im vergangenen Dezember gegen hohe Studiengebühren und schlechte Zustände in den Studentenwohnheimen zu demonstrieren. Zudem sorgten verschiedene Bauprojekte - wie z.B. der Bau einer neuen Stadtautobahn in Tirana - für Unzufriedenheit in der Bevölkerung, sodass sich die Proteste vergrößerten und sich nun gegen die Regierung von Edi Rama wenden. Die Situation hat sich sogar soweit verschärft, dass die Abgeordneten der Opposition ihre Arbeit im Parlament niedergelegt haben. Anders jedoch als in den anderen Ländern ist bisher aber keine Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk laut geworden.
Strukturprobleme der Rundfunkanstalten als Auslöser
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Maja Kocijančič Recht hat, wenn sie sagt, diese Proteste seien kein „Balkanischer Frühling“. Denn es ist in der Tat keine regionale Bewegung mit gemeinsamen Akteuren. Die Ursachen sind lokaler Art. Es besteht allerdings die Gemeinsamkeit, dass die Auslöser in allen Ländern in der Frustration über die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse liegen. Letztendlich sind die Gründe struktureller Natur, denn trotz nomineller Demokratien sind die formalen Kontrollmechanismen durch die Staatsführung beeinflusst. Es zeigt sich in allen Ländern, dass Gesetze häufig in den Parlamenten durchgewunken werden, die Justiz nicht immer unabhängig arbeiten kann und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oft als Sprachrohr der Regierenden fungieren.
Diese Strukturprobleme und der fehlende politische Wille zu Reformen erlauben diese Abhängigkeiten. Im Falle der öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten entstehen sie durch die Art der Finanzierung und die Auswahl der Kontrollgremien. Vergleichsweise kleine Jahresetats und die Angst, dass diese noch weiter reduziert werden, fördern die Abhängigkeit.
Es ist deshalb nachvollziehbar, dass der Bevölkerung diese Vereinnahmung missfällt und Reformen verlangt werden. Denn nur ein unabhängiger und gut finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk kann seine Aufgaben – Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung – in einer Demokratie erfolgreich erfüllen. Es ist besonders positiv zu bewerten, dass die Bürger Medienfreiheit und unabhängigen Journalismus als Wert in einer Demokratie erkennen. Denn in den drei Ländern in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk kritisiert wird und Rücktritte verlangt werden, ist der Wunsch von Medienfreiheit stets an vorderer Stelle der Forderungen. Das KAS-Medienprogramm für Südosteuropa ist deshalb umso mehr bestärkt, Aktivitäten für eine Verbesserung der Mediensituation und einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchzuführen. Es wird in diesem und nächsten Jahr einen verstärkten Blick auf die aktuelle Situation und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Südosteuropa werfen und das Thema als Schwerpunkt in vielen seiner Veranstaltungen auf die Agenda setzen.
[1] European Western Balkans (2019) Kocijančič: There is no “Balkan Spring”, 25. Februar, https://europeanwesternbalkans.com/2019/02/25/kocijancic-no-balkan-spring.
[2] Samir Kajošević (2019) „Hiljade na ulici: Traže se i ostavke Savjeta i direktora RTCG“, Vijesti.me, 23. Februar, https://www.vijesti.me/vijesti/politika/uzivo-vise-hiljada-ljudi-na-trgu-nezavisnosti.
[3] Reaktion der Leitung des RTCG, „RTCG pod pritiskom dijela NVO, partija i medija“, 20. Februar, http://www.rtcg.me/vijesti/drustvo/231500/rtcg-pod-pritiskom-dijela-nvo-partija-i-medija.html.
[4] Dnevne Novine (2019) “Šundić: Ostavke nećemo podnijeti ni ja ni menadžment RTCG”, 25. Februar, https://www.cdm.me/drustvo/sundic-ostavke-necemo-podnijeti-ni-ja-ni-menadzment-rtcg.
[5] Als Vučić gefragt wurde, ob er den Forderungen der Menschen zuhören würde, sagte er, dass er das niemals tun werde, selbst wenn fünf Millionen Menschen protestieren würden. In einem Land mit nur rund sieben Millionen Einwohnern war dies ein erstaunliches Statement, weshalb die Organisatoren sich den Namen „1 von 5 Millionen“ gaben.
[6] Zahlen stammen vom Kroatischen Journalisten Verband (HND). https://www.hnd.hr/broj-tuzbi-hrt-a-protiv-novinara-i-medija.
[7] Tomislav Kukec (2019) „HRT sazvao izvanrednu tiskovnu konferenciju: Glavni ravnatelj Bačić: 'Tražimo da nas se zaštiti od političkih pritisaka koji nam onemogućuju rad'“, Jutarnji list, 25. Februar, https://www.jutarnji.hr/vijesti/hrvatska/hrt-sazvao-izvanrednu-tiskovnu-konferenciju-glavni-ravnatelj-bacic-trazimo-da-nas-se-zastiti-od-politickih-pritisaka-koji-nam-onemogucuju-rad/8420864.
[8] Vor kroatischen Gerichten befinden sich im Moment 1160 Klagen gegen Medien oder Journalisten.
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