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Cédric Puisney / flickr / CC BY 2.0 / creativecommons.org/licenses/by/2.0/

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EuGH-Urteil zu Rumänien. Fehlgeschlagene "Justizreform" der PSD-geführten Vorgängerregierungen

Hartmut Rank, Stanislav Splavnic, Svenja Gutsche

Europäischer Gerichtshof urteilt: Es besteht ein erheblicher Verbesserungsbedarf der 2017-2019 durch PSD-Regierungen veränderten rumänischen Justizgesetze.

Am 18. Mai 2021 entschied der EuGH in einem lang erwarteten Urteil über die von den rumänischen Gerichten zu beachtende Rechtsnatur und Bindungswirkung des Kooperations- und Kontrollverfahrens (auch als „Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens“ genannt – fortan: VZÜ) und der Fortschrittsberichte der EU-Kommission. Daneben äußerte sich der EuGH zu verschiedenen Rechtsänderungen betreffend die institutionelle Ausgestaltung der Justiz in Rumänien, die durch die in der Öffentlichkeit stark kritisierten Justizreform in den Jahren 2017-2019 eingeführt wurden. Hierbei muss jedoch klar unterschieden werden zwischen der Phase der PSD-geführten Regierungen, welche für diese „Reformen“ verantwortlich war, und den Regierungen unter Führung der EVP-Mitgliedspartei PNL, welche seit Oktober 2019 die Regierung stellen und die PSD-„Reformen“ sowohl ablehnen als auch aktuell im parlamentarischen Verfahren rückgängig machen.

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Einordnung des Urteils

Da Rumänien und Bulgarien bei ihrem EU-Beitritt am 1. Januar 2007 in den Bereichen Justizreformen und Korruptionsbekämpfung die europarechtlichen Vorgaben noch nicht erfüllt hatten, wurde die Einrichtung des „Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens“ beschlossen. In regelmäßigen Fortschrittsberichten analysiert die EU-Kommission die rechtsstaatlichen Entwicklungen in Rumänien und gibt den rumänischen Behörden Empfehlungen zur Umsetzung der Vorgaben aus dem VZÜ-Verfahren. Deren Ziel ist die Verbesserung der rechtsstaatlichen Strukturen in Rumänien.

Dem EuGH-Urteil vom 18. Mai 2021  lagen mehrere Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte vor allem wegen Amtsmissbrauchs sowie die materielle Haftungsklage für einen von einem Richter begangenen Justizirrtum zugrunde. Neben den individuellen Fällen wendeten sich das Forum der Richter Rumäniens und die Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte auch direkt gegen die Beschlüsse aus der umstrittenen Justizreform. Bei diesen so genannten „Reformen“ handelt es sich im Kern um Altlasten aus der knapp dreijährigen Phase mehrerer Regierungen unter Führung der rumänischen sozialdemokratischen Partei, PSD.  

Im Wege von Vorabentscheidungsverfahren ersuchten mehrere rumänische Gerichte den EuGH um eine Entscheidung darüber, inwieweit das VZÜ-Verfahren sowie die durch das VZÜ-Verfahren erlassenen Empfehlungen und Berichte der Kommission rechtlich verbindlich seien. Außerdem wurde der EuGH von den vorlegenden Gerichten gebeten, über die Vereinbarkeit einiger der durch die Reformen der sog. „Justizgesetze“ in den Jahren 2017-2019 vorgenommenen Änderungen mit dem Unionsrecht zu entscheiden. Die in Rede stehenden Änderungen aus der Entscheidung des EuGH bezogen sich auf die Organisation der Justizinspektion, die Errichtung einer Spezialabteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft sowie die persönliche Haftung von Richtern.  

Der EuGH befasst sich in seiner o.g. Entscheidung vom Mai 2021 vor allem damit, inwiefern die rumänischen Regelungen der in den europäischen Verträgen in Art. 2 EUV genannten „Rechtsstaatlichkeit“ entsprechen. Nach dem EuGH beinhaltet Rechtsstaatlichkeit das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und das Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art. 47 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Besonders wichtiges Element dieser Rechte ist die Gewährleistung unabhängiger Gerichte. Bei der Ausübung von Druck auf die Judikative und einer somit stattfindenden politischen Einflussnahme durch die Legislative oder Exekutive wird die Unabhängigkeit der Gerichte, namentlich ihre Objektivität und Unparteilichkeit, dagegen nicht mehr gewährleistet.

 

Verbindlichkeit der Entscheidung zum VZÜ-Verfahren und der darauf basierenden Fortschrittsberichte

Der EuGH weist in seinem Urteil darauf hin, dass das durch die Entscheidung 2006/928/EG begründete VZÜ-Verfahren und die Fortschrittsberichte als Handlungen eines Organs der Europäischen Union im Sinne des Art. 288 Abs. 4 EUV zu qualifizieren seien. Angesichts der Bestimmungen des Beitrittsvertrages von Rumänien zur Europäischen Union (Art. 4 Abs. 3 des Beitrittsvertrages) entfalte die Entscheidung zum VZÜ-Verfahren in Rumänien Geltung, obwohl sie vor dem EU-Beitritt Rumäniens erlassen wurde. Laut des EuGH bestehe mangels einer wirksamen Umsetzung von Korruptionsbekämpfung und Justizreformen das Erfordernis des VZÜ-Verfahrens. Eine Verminderung der in Art. 2 EUV und Art. 19 EUV verankerten rechtsstaatlichen Standards in den Mitgliedstaaten sei nicht zulässig, betont der EuGH.
Der EuGH stellt schließlich fest, dass die Entscheidung zum VZÜ-Verfahren auf Grundlage der Art. 37 und Art. 38 der als Bestandteil des Beitrittsvertrages geltenden Beitrittsakte beruhe und daher rechtsverbindlich sei. Das als verbindlicher Beschluss im Sinne des Art. 288 Abs. 4 EUV einzustufende VZÜ-Verfahren kann also erst nach Erfüllung der rechtsstaatlichen Vorgaben zur effektiven Korruptionsbekämpfung und Reformierung der Justiz aufgehoben werden.

Zudem seien die Fortschrittsberichte der Kommission gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit von Rumänien „gebührend zu berücksichtigen“, so der EuGH. Rumänien hat folglich die Pflicht, nicht nur von dem Erlass oder der Aufrechterhaltung von Maßnahmen abzusehen, die den Empfehlungen zuwiderlaufen, sondern auch bei geäußerten Zweifeln der Kommission über die Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen mit den Vorgaben aus dem VZÜ-Verfahren, diese Missstände zu beseitigen. Eine Bindungswirkung würden diese Fortschrittsberichte im Gegensatz zum VZÜ-Verfahren indes nicht entfalten.

 

Vorläufige Besetzung der Leitungsstellen in der Justizinspektion

Obwohl der als Garant der richterlichen Unabhängigkeit geltende Oberste Richterrat (sog. „Oberster Magistraturrat“ – fortan: CSM) nach der rumänischen Verfassung für die Ernennung des Chefinspekteurs bzw. des stellvertretenden Chefinspekteurs zuständig ist, gab die im Wege der Justizreform verabschiedete Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 die Möglichkeit, ohne Ermessensausübung des CSM und folglich ohne ordentliches Ernennungsverfahren, die Leitungsstellen der Justizinspektion ad interim zu besetzen.

Bei der Vorlagefrage betreffend die Organisation der Justizinspektion machte das „Forum der Richter Rumäniens“ geltend, dass der Chefinspekteur Lucian Netejoru, der für Disziplinaruntersuchungen sowie Disziplinarklagen in Bezug auf Richter und Staatsanwälte zuständig war, aufgrund des Ablaufs seines Mandats keine Vertretungsbefugnis der Justizinspektion im Rahmen einer Klageerwiderung innehatte.
Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass diese mögliche vorläufige Verlängerung des Mandats unter Außerachtlassen des ordentlichen Ernennungsverfahrens der mit großer Einflussnahme betrauten (stellvertretenden) Chefinspekteure ein „Instrument zur Ausübung von Druck auf die Tätigkeit [der] Richter und Staatsanwälte“ bzw. „zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit“ darstelle. Diese Rechtsänderung stehe dem unionsrechtlichen Wert der Rechtsstaatlichkeit entgegen.

 

Staatsanwaltliche Spezialabteilung für Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte

Die Vorlagefrage, die sich mit der Einrichtung der spezialisierten Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangene Straftaten (fortan: AUSJ) befasst, resultiere aus verschiedenen Gerichtsverfahren in Rumänien.
Aus den Klagen des Forums der Richter Rumäniens und der Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte gegen Beschlüsse des Obersten Richterrats und des Generalstaatsanwaltes, welche die Errichtung der AUSJ an sich sowie die Modalitäten ihrer Arbeitsweise und ebenso die Ernennung und Entlassung der Staatsanwälte innerhalb dieser Institution zum Gegenstand hatten, baten die vorlegenden Gerichte um eine Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit dem Unionsrecht. Diese Frage nach der Unionsrechtskonformität der AUSJ wurde in ähnlicher Weise auch von den zuständigen Gerichten in Verfahren gegen mehrere Staatsanwälte und Richter wegen Amtsmissbrauchs und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gestellt.

Mit seiner Entscheidung erklärt der EuGH, dass in der Errichtung der AUSJ kein objektives und überprüfbares Erfordernis einer geordneten Rechtspflege ersichtlich ist. Insbesondere widerspricht er dem rumänischen Obersten Richterrat, der die Errichtung der AUSJ durch die Notwendigkeit, Richter und Staatsanwälte durch willkürliche Strafanzeigen zu schützen, als gerechtfertigt ansieht.

Überdies beurteilt der EuGH die weitreichende Zuständigkeit bzw. Kompetenzen der Spezialabteilung als äußerst kritisch und sieht in ihrer Einrichtung die Gefahr eines „Instrument[s] zur Ausübung politischen Drucks“. Diese Ansicht führt der EuGH zum einen auf den Umstand zurück, dass die AUSJ sogar dann für solche Verfahren zuständig ist, wenn neben dem Verfahren gegen einen Richter oder Staatsanwalt auch ein Verfahren wegen der gleichen Tat gegen eine nicht der Justiz zugehörige Person angestrengt wird. Zum anderen verweist der EuGH darauf, dass die Zuständigkeit auf die AUSJ von einer ursprünglich zuständigen Stelle wie der DNA (Nationale Antikorruptionsagentur) übertragen wird, wenn ein Richter oder Staatsanwalt Beschuldigter ist. Zuletzt beanstandet der EuGH sowohl das Recht der AUSJ gegen Entscheidungen der rumänischen Sonderstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung der Korruption bzw. des organisierten Verbrechens (DIICOT) oder dem Generalstaatsanwalt, die vor der Errichtung der AUSJ gefällt wurden, gerichtlich vorzugehen, als auch diese zurücknehmen zu können. Die durch die „autonome Struktur“ gekennzeichnete Spezialabteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft mit der ausschließlichen Zuständigkeit könne sich, so der EuGH, besonders auf die „komplexen und mediatisierten“ hochrangigen Korruptionsfälle oder Fälle in der organisierten Kriminalität auswirken, indem durch das missbräuchliche Stellen von Anzeigen, die Zuständigkeit gezielt auf die AUSJ gelenkt wird. Die Folge sei, dass die entsprechenden Richter unter Druck gesetzt und eingeschüchtert werden können, was mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte unvereinbar sei.

Der EuGH moniert außerdem, dass durch die sehr geringe Anzahl von nur 15 Staatsanwälten in der AUSJ das fehlende Fachwissen für komplexe Korruptionsfälle und die Arbeitsbelastung, die mit der Übertragung der Zuständigkeiten auf die AUSJ einhergehe, eine Verhandlung der Fälle gegen Richter und Staatsanwälte in einer angemessenen Frist nicht gewährleistet werden könne. Die im Unionsrecht statuierten Rechte auf ein faires Verfahren und Verteidigung aus Art. 47 und Art. 48 GRCh können durch diese Modalitäten nicht wahrgenommen werden.
Mithin stellt die Errichtung der Spezialabteilung in der Staatsanwaltschaft mit der ausschließlichen Zuständigkeit in seiner jetzigen Form einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze dar und ist somit unionsrechtswidrig. Die abschließende rechtliche Würdigung des EuGH-Urteils liegt aber bei den rumänischen Gerichten, die zu prüfen haben, ob die Änderungen durch die „Justizgesetze“ dazu führen, dass eine äußere Einflussnahme besteht.

 

Persönliche Haftung für Justizirrtümer

Weiterhin befasst sich der EuGH in seiner Entscheidung vom 18. Mai 2021 mit einer Vorlagefrage zu einem durch die rumänische Justizreform geänderten materiell-rechtlichen Gesichtspunkt zur Haftung von Justizirrtümern. Gegenstand war die Schadensersatzklage eines Bürgers gegen den rumänischen Staat aufgrund einer rechtswidrigen strafrechtlichen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sowie rechtswidrig erfolgter Haft- und freiheitsentziehender Maßnahmen. Der EuGH wies zunächst daraufhin, dass zwischen der Haftung des Staates und der persönlichen Haftung von Richtern für einen Justizirrtum differenziert werden müsse. Die vermögensrechtliche Haftung des Staates für Gerichtsentscheidungen bei Justizirrtümern sei möglich; die abstrakte Formulierung des Begriffs „Justizirrtum“ verletze nicht den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, da ein unbestimmter Rechtsbegriff durch nationale Rechtsprechung zu konkretisieren sei.
Laut dem rumänischen Recht können im Wege einer Regressklage Richter für einen Justizirrtum persönlich haftbar gemacht werden. Dieser Anerkennung des Grundsatzes der persönlichen Haftung für Richter hänge die „Gefahr eines Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit“ aus Art. 2 EUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV an, da die richterliche Entscheidungsfindung dadurch beeinflusst werden könne, so der EuGH. Daher müsse diese Haftung auch „auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben und durch objektive und überprüfbare Kriterien“ im Rahmen einer „geordneten Rechtspflege“ ohne „eines Drucks von außen“ erfolgen. Zwar ist es nicht notwendig, den Richtern absolute Immunität zu gewähren, um dem Grundsatz der Unabhängigkeit Rechnung zu tragen. Allerdings müsse die „schwere individuelle Schuld“ eines Richters für die persönliche Haftung festgestellt werden. Demzufolge hält der EuGH die rumänische Regelung, wonach der im Rahmen des Haftungsverfahrens gegen den Staat festgestellte Justizirrtum im Regressklageverfahren gegen den entsprechenden Richter als bindend angesehen wird, ohne dem Richter die Möglichkeit der Anhörung zu geben, für unionsrechtswidrig. Es könne so nicht der Ausschluss von politischem Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit und die Wahrung der Verteidigungsrechte aus Art. 47 GRCh gewahrt werden. Dabei steht der EuGH auch der nationalen rumänischen Bestimmung kritisch gegenüber, dass dem Ministerium für öffentliche Finanzen ein weiter Ermessensspielraum dahingehend zukommt, als dass es die Voraussetzungen und Umstände für die Erhebung einer Regressklage alleinig prüft.

 

Vorrang des Unionsrechts

Schließlich weist der EuGH die rumänischen Gerichte nochmals ausdrücklich an, den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts zu beachten. Das rumänische Verfassungsgericht hatte unter anderem entschieden, dass insbesondere die Regelungen aus dem VZÜ-Verfahren keinen Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht haben könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist ein elementarer Grundsatz, die Gewährleistung der optimalen Wirksamkeit des Unionsrechts (sog. „effet utile“), sodass das Unionsrecht Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates genießt. Die Gerichte müssen also eine nach ihrem Verständnis nationale unionsrechtswidrige Bestimmung unangewendet lassen. Dies gelte vor allem auch für die Normen der Verfassung in ihrer durch das Verfassungsgericht vorgenommenen Auslegung.

 

Aktuelle Gesetzesentwürfe zur neuerlichen Justizreform

Vor diesem Hintergrund hatte die rumänische Regierung ein Gutachten der Venedig-Kommission bzgl. der Justizreform ersucht. Gegenstand des Gutachtens waren zwei Gesetzesentwürfe über die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft (fortan: die Gesetzesentwürfe)  für von Richtern und Staatsanwälten begangene Straftaten sowie das Zurückgeben der Befugnisse an die DNA. Von Vornherein lässt sich behaupten, dass die zwei von der Regierung und der Abgeordnetenkammer beschlossenen Gesetzesentwürfe nur teilweise die während der PSD-Regierung verursachte Senkung der rechtsstaatlichen Standards abdecken würden. Inhaltlich unterscheiden sich die Gesetzesentwürfe nur zu einem beschränkten Ausmaß. Sie betreffen lediglich zwei der oben genannten Problemstellen: die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft und die Rolle des Obersten Magistraturrates (CSM) bei gegen Richter und Staatsanwälte eingeleiteten Strafverfahren. Die Begründung des von der neuen, nationalliberal geführten Regierung beschlossenen Gesetzesentwurfes enthält teils mit dem inzwischen ergangenen EuGH-Urteil übereinstimmende Erwägungen. Insofern lässt sich bereits feststellen, dass die neue Regierung den Konfrontationskurs mehrerer sozialdemokratisch geführter Vorgänger-Regierungen nicht fortführt.

Einige Kernelemente werden im Folgenden kurz dargestellt:

1)    Die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft. Beide Gesetzesentwürfe sehen zwar ausdrücklich vor, dass die Sonderstaatsanwaltschaft vollständig abgeschafft werden soll. Von vornherein lässt sich behaupten, dass dieser Teil der Lösung im Einklang mit dem EuGH-Urteil steht, wobei der Gerichtshof auf eindeutige Art und Weise auf die Mängel der Sonderstaatsanwaltschaft hingewiesen hatte.

Damit ist aber das Problem der Verfahren bzw. Anklagen gegen Richter und Staatsanwälte, die von der Sonderstaatsanwaltschaft übernommen oder erhoben worden sind, nicht gelöst. Einige von ihnen könnten als eher problematisch bezeichnet werden. Beide Gesetzesentwürfe schlagen eine ausbalancierte Lösung vor, nämlich die folgenden Übergangsregelungen: Innerhalb von fünf Tagen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes sollen alle von der Sonderstaatsanwaltschaft geführten Verfahren an andere, sonst zuständigen Abteilungen der Staatsanwaltschaft übertragen werden. Dies würde auch die gerichtlich anhängigen Fälle betreffen. Die abgeschlossenen (Teil-)Verfahren würden nach dem Inkrafttreten einer der Gesetzesentwürfe weiterhin eine verbindliche Wirkung besitzen. Die Strafverfahrenseinstellung und die Anklageschriften, die von einem vorgesetzten Staatsanwalt nicht geprüft wurden, würden nach dem Inkrafttreten eines der Gesetzesentwürfe von der Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gericht (fortan GStA-OG) überprüft werden (vor allem DNA), womit ein Teilwiedergutmachen und Korrekturen der möglichen Fehlverfahren der Sonderstaatsanwaltschaft beabsichtigt sein könnten. Darüber hinaus befugt das Gesetz die GStA-OG die von der Sonderstaatsanwaltschaft AUSJ eingelegten Berufungen zu überprüfen und ggf. zurückzuziehen, z.B. bei Verstößen gegen das Recht auf ein faires Verfahren.

Die sonstigen Akten werden der DNA und DIICOT übertragen. Damit werden DNA und DIICOT ihre bis 2018 bestehenden Befugnisse zur Verfolgung von Korruptionsdelikten zurückübertragen bekommen.

2)    Die richterliche „Superimmunität“. Der von der Abgeordnetenkammer beschlossene Gesetzesentwurf sieht eine weitere Stärkung der richterlichen Immunität vor. Die rumänische Gesetzeslage bestimmt auch derzeit, dass Korruptionsdelikte von Richtern und Staatsanwälten nur dann ermittelt werden dürfen, nachdem der CSM dies genehmigt. Der Gesetzesentwurf geht aber einen Schritt weiter, und setzt zusätzlich voraus, dass auch die Anklage von Richtern und Staatsanwälten nur mit einem (zweiten) Beschluss der jeweiligen CSM-Abteilung (für Richter oder für Staatsanwälte) erfolgen dürfe. Praktischerweise heißt es, dass damit eine Art doppelter Überprüfung von gegen Richter und Staatsanwälte eingeleiteten Strafverfahren eingeführt würde.

Diese Lösung (auch „Superimmunität“ genannt) war zuletzt in Rumänien einiger Kritik ausgesetzt, insbesondere was die Rolle des CSM angeht. Z.B.  werden bei Anklageablehnung seitens der entsprechenden CSM-Abteilung keine Rechtswege vorgesehen, um das gerichtliche Anfechten einer solchen Ablehnung zu ermöglichen. Dies könnte zu einer bestimmten Schwächung von Ermittlungsbehörden (vor allem DNA und DIICOT) führen. Es wird versucht, diese Bedenken dadurch auszugleichen, indem es bei solchen Verfahren dem Justizminister, dem Generalstaatsanwalt, und dem Vorsitzenden des Obersten Gerichts verboten würde, über die Anklage gegen einen Richter oder Staatsanwalt abzustimmen. Darüber hinaus dürfe sich die jeweilige CSM-Abteilung bei solchen Verfahren in der Sache und zu den Beweisen nicht äußern, sondern eine Ablehnung dürfe nur aus formellen/verfahrensrechtlichen Gründen abgelehnt werden.

3)    Weitere Gesetzesänderungen. Seit dem 20. Januar 2020 beschäftigt sich die rumänische Regierung mit einer neuerlichen Reform der sog. Justizgesetze, die die Implementierung der von der EU-Kommission gegebenen VZÜ-Empfehlungen sicherstellen sollten. Vorgesehen ist u.a. eine Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft durch das Erfordernis einer CSM-Stellungnahme bei der Ernennung hochrangiger Staatsanwälte. Überdies sollte die Rolle des Staatsoberhaupts bei der Ernennung solcher Staatsanwälte auch gestärkt werden. Im Gegensatz zur derzeit geltenden Gesetzeslage, würde der Staatspräsident mehr als einmal einen Kandidaten für die Leitung einer der Staatsanwaltschaften ablehnen dürfen. Dem CSM würde die Rolle eingeräumt, dem Justizministerium eine Liste möglicher Kandidaten zu unterbreiten. Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf die Erhöhung der Quote der Vertreter der ersten Instanzen vor dem CSM.

Diese Vorschläge würden die rumänischen Justizgesetze näher an die VZÜ-Empfehlungen bringen. Dennoch handelt es sich hierbei um eine Momentaufnahme, da das Gesetzesverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

 

Bewertung

Das EuGH-Urteil vom 18.05.2021 kritisiert die im rumänischen Justizsektor in den Jahren 2017-2019 von mehreren PSD-ALDE-Regierungen vorgenommenen Änderungen scharf. Dass diese Dinge erst jetzt, 2021, auch im parlamentarischen Verfahren zurückgenommen werden, liegt im Wesentlichen daran, dass die PNL unter Premierminister Florin Citu, zusammen mit ihren Koalitionspartnern erst seit Dezember 2020 über eine Mehrheit in beiden Kammern des rumänischen Parlaments verfügt.

Die Unabhängigkeit der Justiz als wesentliches Merkmal des in den europäischen Verträgen normierten Wertes der Rechtsstaatlichkeit wurde durch die 2017-2019 verabschiedeten Justizreformen verletzt. Dies ist nun eindrucksvoll auch durch Entscheidung des höchsten Gerichts der Europäischen Union belegt. Durch den politischen Druck und die somit erzeugte Einschüchterung der Richter ist die Neutralität der Justiz nicht mehr sichergestellt. Rumänien ist in Anbetracht dieser Entscheidung des EuGH anzuraten, die „Spezialabteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangene Straftaten“ zügig abzuschaffen, sowie die Vorschriften zur Interimsleitung der Justizinspektion und die persönliche Haftung von Richtern nach rechtsstaatlichen Grundsätzen auszugestalten.

Insbesondere weist der EuGH das rumänische Verfassungsgericht in aller Deutlichkeit darauf hin, die unionsrechtlichen Vorgaben aus dem VZÜ-Verfahren zur Etablierung von rechtsstaatlichen Strukturen zu beachten und seine Rechtsprechung zur kritischen Haltung hinsichtlich des VZÜ-Verfahrens zu überprüfen. Erwartungsgemäß sollte dies auch die Rechtsprechung rumänischer Gerichte ändern, in dem Sinne, dass diese die VZÜ-Empfehlungen und die Folgen deren Nichtbeachtung berücksichtigen müssen.

Dennoch bleiben nach der EuGH-Entscheidung auch einige Fragen offen. Im Falle der Abschaffung der AUSJ steht im Raum, was mit den bei der AUSJ anhängigen Verfahren geschieht. Der rumänische Gesetzgeber steht der Herausforderung gegenüber, ob durch Auflösung dieser Spezialabteilung die Verfahren als nichtig anzusehen sind und/oder diese Verfahren etwa anderen Institutionen der Strafverfolgung zugewiesen werden. Zudem sollten die noch nicht umgesetzten Empfehlungen aus dem 2018 erschienenen VZÜ-Bericht  der EU-Kommission, trotz fehlender gerichtlicher Würdigung durch den EuGH in Rumänien berücksichtigt werden. U.a. betreffen sie die nachrichtendienstlichen Regelungen, die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft und des Justizwesens, insbesondere der DNA und ANI (Nationale Integritätsagentur). Die gesetzlichen Regelungen über die Ernennung und Entlassung von Richtern sind noch einmal zu überprüfen. Die bisher beschlossenen oder geplanten Gesetzesänderungen im Justizbereich sind ein Schritt in die richtige Richtung, behandeln aber nur einen Teil der noch zu klärenden Fragen. Ein umfassenderer Ansatz ist nötig, um das VZÜ-Verfahren abzuschließen.

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Hartmut Rank

Leiter des Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika

hartmut.rank@kas.de +57 601 7430947 ext. 210

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