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Das Parteiensystem in Deutschland ein Jahr nach der Bundestagswahl

Trotz einiger und nachhaltiger Veränderungen in den zurückliegenden dreieinhalb Jahrzehnten galt das Parteiensystem der Bundesrepublik als sehr stabil. Während sich die Parteiensysteme in Nachbarländern Deutschlands stets durch eine höhere Fragmentierung und den Hang zur Kurzlebigkeit der Parteien und Wahlbündnisse auszeichneten, allen voran in Frankreich und in Italien, oder sich die Systeme schon frühzeitig auffächerten, neue Parteien hinzukamen und Traditionsparteien stark dezimiert wurden, wie zuletzt in den Niederlanden, legten die deutschen Parteien ein bemerkenswert hohes Integrations- und Beharrungsvermögen an den Tag.

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Bis zur Bundestagswahl 2017 war die jüngste Partei im Deutschen Bundestag, die Linke bzw. deren Vorgängerorganisationen, dort schon 27 Jahre ununterbrochen vertreten, die zweitjüngste, Bündnis 90/Die Grünen, dank einer vereinigungsbedingten Sonderregelung im Jahr 1990 bereits 34 Jahre. Alle anderen kamen bei der Wahl von 2017 auf durchgehende Dienstzeiten von 64 bzw. 68 Jahren. Das sind unter Konkurrenzbedingungen beachtliche Lebensalter, vor allem aber auch beachtliche Repräsentations- und Gestaltungszeiten. Die „etablierten“ deutschen Parteien zeichnen sich aber nicht nur durch ihr Alter und ihre langjährige Präsenz aus, auch die Kräfteverhältnisse der Parteien zueinander waren sehr stabil. Trotz nachlassender Mobilisierungskraft und zuletzt deutlicher Verluste gingen die Unionsparteien nicht nur aus der letzten Bundestagswahl, sondern aus insgesamt 16 der 19 Wahlen seit Gründung der Bundesrepublik als stärkste politische Kraft in Deutschland hervor. Die SPD belegte 2017 wie 15 Male zuvor den zweiten Platz, während sich die FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke nach der Wahl von 2017 nah an ihrem langfristigen Durchschnitt bewegen. Neu im Bundestag ist hingegen die AfD. Bei der Wahl von 2013 noch knapp gescheitert, hat sie 2017 die Fünf-Prozent-Hürde ohne Probleme übersprungen. Die Partei hat wachsende Verunsicherung, Sorgen, aber auch Unzufriedenheit mit politischen Entwicklungen und Entscheidungen gebündelt und eine Stimme gegeben, die sie nun im Bundestag und außerhalb deutlich hörbar vernehmen lässt. Mit der AfD hat die Fragmentierung in Parteiensystem und Parlament zugenommen. Sie beeinflusst Mehrheitsbildungen, aber auch Sprache und Politikstil in Deutschland und damit nicht zuletzt auch den Kurs der einen oder anderen Partei. Der Blick ins benachbarte Ausland zeigt uns jedoch, dass mit dem Einzug einer national- und rechtspopulistischen Partei zu rechnen war. Deutschland ist schließlich umgeben von Ländern, in denen mit der AfD vergleichbare Parteien seit Jahren auf dem Vormarsch sind. Neu war nach den Wahlen von 2017 auch, dass erstaunlich viel Zeit vergangen ist, bis sich alle Parteien, die in den neugewählten Bundestag eingezogen sind, sortiert und ihre Rollen in dem uns vertrauten Vokabular – Regierungspartei, Koalitionspartner, Opposition – an- und eingenommen haben. Und neu war schließlich auch, dass der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD auf die Koalitionspartner nicht befriedend und anspornend wirkte, sondern gerade zwischen den Unionsschwesterparteien ein nachträglicher Konflikt aufflammte, der angesichts seiner Ursachen und der Heftigkeit der Austragung Zweifel am Überleben der Wiederauflage der Großen Koalition, aber auch an der Handlungs- und Führungsfähigkeit der Bundesregierung aufkommen ließ. Es kann heute nicht ausgeschlossen werden, dass mit der Bundestagswahl 2017 nicht nur vertraute Strukturmerkmale des deutschen Parteiensystems wie der nur „moderate Pluralismus“ oder die einstige Volksparteiendominanz verschwunden sind, sondern dass auch die beinahe sprichwörtliche Stabilität des Parteiensystems ins Wanken gerät.

 

Bitte verwenden Sie folgende Zitierweise der Einzelhefte:

Name, Vorname des/der Autoren (2018). Titel des Beitrags/des Heftes, in: Karsten Grabow und Viola Neu (Hrsg.): Das Ende der Stabilität? Parteien und Parteiensystem in Deutschland. Sankt Augustin und Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, Heft X, S. X-XX.

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Dr. habil. Karsten Grabow

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Referent für Asien und Pazifik (Politikdialog, Medienprogramm, Rechtsstaatsprogramm, Myanmar, Indonesien, Malaysia, Mongolei)

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