An dieser Stelle - so berichtete Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, in seiner Einführung zu Beginn des diesjährigen „Bonner Forum zur Einheit“ im ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages im WCCB - wurde kurz vor dem Umzug des Deutschen Bundestages ins Reichstagsgebäude der Bau des Holocaustmahnmals in Berlin beschlossen. Unter anderem damit trat die damals noch keine 10 Jahre vereinigte Bundesrepublik den Befürchtungen aus dem Ausland entgegen, das gemeinsam entstehende Deutschland könnte einen Rückfall in nationalistisches Denken und eine Sehnsucht nach dem „Schlussstrich“ erleben.
Der deutsche Staat, seine Repräsentanten, überhaupt die gesamte offizielle Kommunikation stehen unverändert hinter der Jüdischen Gemeinde in Deutschland – aber auch die deutsche Gesellschaft? Da seien Zweifel unabweisbar. Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, teilt diese Zweifel und hielt eine nachdenkliche, ja eine mahnende Rede. Sie gab zunächst einen Rückblick darauf, was die 31 Jahre deutsche Vereinigung, die heute zu feiern sind, für die Jüdische Gemeinde bedeutet haben, indem sie das Wort von der „Jüdischen Wiedervereinigung“ gebrauchte. Wiedervereinigt werden mussten nämlich nicht nur die ca. 30.000 westdeutschen mit den zuwandernden Jüdinnen und Juden aus den GUS-Staaten, sondern auch die westdeutschen Gemeinden mit den jüdischen Gemeinderudimenten in der ehemaligen DDR, deren antireligiöse Politik und offener Antizionismus die Zahl der in der DDR lebenden Menschen jüdischen Glaubens auf unter 1000 gedrückt hatte.
In den im Rückblick beinahe unbeschwert erscheinenden Neunzigern und zu Beginn der Nullerjahre sind beide Aspekte der Jüdischen Wiedervereinigung aus der Sicht Knoblochs zu einem guten Teil gelungen. 2005 war das Jahr mit der höchsten Mitgliederzahl. Sie ist seitdem wieder rückläufig, sicher wegen Überalterung, aber auch wegen der Abwanderung u.a. nach Israel und die USA. Was ist passiert? Und an dieser Stelle wechselte der Ton Charlotte Knoblochs, denn die Aktualität ist alles andere als ein Grund zum Feiern. Anschläge auf Synagogen, Gewalt gegen Juden in den Städten, antiisraelische Hassdemonstrationen, offener Antisemitismus von AfD-Parlamentariern – das ist für jüdische Gemeinschaften im Ausland Anlass genug, besorgt zu fragen, ob Verwandte und Freunde in Deutschland noch sicher leben, womit sie die Zweifel und die Sorgen der hier Lebenden noch verstärken. Für Charlotte Knobloch ist das sehr schmerzlich mitanzusehen, ist doch Deutschland in ihren Worten „ein besonderes jüdisches Heimatland“.
Im anschließenden Gespräch mit Prof. Dr. Armin Nassehi, Soziologe der LMU München und Fellow der Adenauer-Stiftung, drehte sich fast alles um den Begriff der „Normalität“. Charlotte Knobloch forderte, dass endlich Angehörige des Judentums in Deutschland nicht als „Jude“ oder „Jüdin“ angesprochen und empfunden werden, sondern als „Mensch“. Das sei ein hehres aufklärerisches Ziel, wendete Nassehi ein, aber es sei (noch) nicht realistisch: Solange man noch „Normalität“ einfordern müsse, sei diese nicht gegeben. Noch immer müssen Politik und Öffentlichkeit „Zeichen“ dafür setzen, dass Menschen jüdischen Glaubens und Kultur zu dieser Gesellschaft „ganz normal“ gehören – aber in eben dieser Zeichensetzung drücken sie gleichzeitig aus, dass noch nichts „normal“ ist. Offensichtlich können nur wenige, ohne etwas im „Hinterkopf“ zu haben – sei es positiv oder negativ – in Kommunikation miteinander treten. Sein Ausweg ist „Alltagsbegegnungen schaffen“. Erst in ihnen kann sich Unbefangenheit einstellen.
Vorerst aber ist die Kommunikation mit und über Jüdinnen und Juden verkompliziert, teilweise toxisch, worin Charlotte Knobloch vor allem eine Schuld der AfD sieht. Gleichzeitig tritt, so Nassehi, der innerjüdische Diskurs um „jüdische Identität“ nach außen, er wird in Feuilletons ausgetragen und hilft so, die Kluft der Unkenntnis über Jüdisches zu überbrücken. Nassehi glaubt daher auch nicht daran, dass in Zukunft „Juden nur noch als Menschen“ gesehen werden, sondern als eine deutsche Teilidentität unter vielen anderen, die sich selbstbewusst als zugehöriges Anderes, als besondere Gruppe in der deutschen Gesellschaft, versteht und von dieser Warte aus mitgestaltet. So besteht die jüdische Gemeinde dann auch nicht aus „Mitbürgern“, wie Knobloch die Formulierung moniert, sondern nur noch aus Bürgern, die auf ihre Art über das Gemeinwesen mitdiskutieren.
Dr. Ulrike Hospes, Leiterin des Büros Bonn der Konrad-Adenauer-Stiftung, legte vor den rund 500 Gästen im WCCB dar, wie stark sich die KAS und das Büro Bonn im Besonderen mit der Frage jüdischen Lebens in Deutschland beschäftigen und damit über die übliche, häufig ritualisierte Beschäftigung mit dem Holocaust hinausgehen, ohne diesen aus dem Blick zu verlieren. Die Stiftung greift damit die Mahnung Charlotte Knoblochs auf, die sie in Ihrer Rede zum 27.01. in diesem Jahr im Bundestag ausgesprochen hat: „Passen Sie auf auf unser Land!“
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