Ruhiger Wahlkampf
Trotz starker politischer Polarisierung auf nationaler Ebene in den vergangenen Wochen, ist der Wahlkampf im Vorfeld der Kommunalwahlen ruhig verlaufen. Die wegen der andauernden Blockade zwischen Regierungskoalition, Opposition und einigen Institutionen in den Hintergrund geratene Wahl hat ein überraschendes Ergebnis hervorgebracht. Alles in allem lassen sich zwei Trends feststellen, die für die weitere Entwicklung Montenegros von herausregender Bedeutung sein könnten.
Das Ende der Ära Đukanović?
Nach 24 Jahren an der Macht wurde die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) von Staatspräsident Milo Đukanović in Podgorica abgelöst. Nur in Bar, Bijelo Polje und Plav blieb die DPS wegen ihrer Verbindungen mit den Koalitionspartnern an der Macht. Dagegen gibt es in Podgorica, Danilovgrad, Budva, Tivat, Bar, Zeta, Pljevlja, Kolašin, Bijelo Polje, Plav, Rožaje, Plužine, Šavnik und Žabljak eine Machtverschiebung zugunsten anderer politischer Kräfte. In einer der kleinsten Gemeinden, Šavnik, sind die politischen Verhältnisse noch unklar, da wegen Unregelmäßigkeiten die Wahlen an 5 der 18 Wahllokale wiederholt werden müssen.
In 9 der 14 Gemeinden haben die politischen Wettbewerber der DPS die Mehrheit der Sitze gewonnen. Bereits bei den letzten Parlamentswahlen 2020 hatte Präsident Đukanović mit seiner Partei DPS an Einfluss verloren. Die Partei muss sich einem Erneuerungsprozess unterziehen, wenn sie auch zukünftig eine gewichtige Rolle in der montenegrinischen Politik spielen möchte.
Podgorica als Stimmungsmesser
In Podgorica leben insgesamt 187.000 der 621.000 Bürger Montenegros. Die Wahlbeteiligung in der Hauptstadt lag mit 69,3 Prozent etwas höher als mit ca. 65 Prozent in den restlichen Gemeinden. Zwar holte eine Koalition unter Führung des bisherigen Bürgermeisters Ivan Vuković (DPS) 38,1 Prozent der Stimmen. Allerdings kamen ihre politischen Wettbewerber zusammen auf 57,1 Prozent der Stimmen. Die neu gegründete pro-europäische Bewegung „Europa Jetzt“, angeführt von den ehemaligen Wirtschafts- und Finanzministern Jakov Milatović und Milojko Spajić, gewann insgesamt 21,7 Prozent der Stimmen, gefolgt von der pro-serbischen Demokratischen Front mit 18,2, der von den Demokraten geführten Liste mit 10,8 und der United Reform Action (URA) von Premierminister Dritan Abazović geführten Liste mit 6,4 Prozent. Die Sozialistische Volkspartei (SNP) und zwei weitere Listen scheiterten an der erforderlichen Mindestzahl an Stimmen.
Es ist erstaunlich, dass die Bewegung „Europa Jetzt“ aus dem Stand dieses bemerkenswerte Ergebnis erreichen konnte. Auch wenn am Wahlabend Jakov Milatović von „Europa Jetzt“ die Bürgermeisterfunktion für sich reklamierte, bleibt die Koalitionsbildung abzuwarten. Der bisherige Bürgermeister Ivan Vuković sagte am Wahlabend, dass die DPS sich bessere Ergebnisse erwartet habe, die Bürgerinnen und Bürger aber gesprochen hätten und dies unstrittig sei.
Das überraschend schlechte Ergebnis von URA um Premierminister Abazović ist auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der aktuellen politischen Lage im Land zurückzuführen. Seit am 20. August die Regierung unter Dritan Abazović nach nur dreieinhalb Monaten im Amt zu Fall gebracht wurde, befindet sich das Land in einer Art Paralyse zwischen den politischen Akteuren. Premierminister Abazović sorgt regelmäßig für Aufsehen, indem er Minister oder Leiter wichtiger staatlicher Institutionen entlässt, obwohl er nur kommissarisch die Geschäfte der Regierung führt. Beobachter in Podgorica sehen darin eine politische Abrechnung und weniger ein staatspolitisches Handeln. Im wöchentlichen Rhythmus wird versucht, neue Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten, politische Gegner wahlweise als Spione des Westens, Serbiens oder Russlands zu diffamieren oder weitere Kandidaten für das Verfassungsgericht scheitern zu lassen. Letzteres ist in Montenegro seit langem nicht arbeits- und funktionsfähig, da nur 3 der insgesamt 7 Richter im Amt sind. Auch im Hinblick auf die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wäre es von herausgehobener Bedeutung, wenn dieses höchste Staatsorgan seine verfassungsmäßigen Aufgaben nachkommen könnte. Andernfalls droht eine neue Phase der politischen Instabilität.
Wie weiter?
Es ist zu erwarten, dass die Parteien um „Europa Jetzt“ versuchen werden, eine Mehrheit für vorgezogene Parlamentswahlen im kommenden Jahr zu bilden. Im Frühjahr 2023 werden reguläre Präsidentschaftswahlen stattfinden. Es wäre keine große Überraschung, wenn pro-russische Kräfte in diesem Zeitraum versuchen, ihren Einfluss zu vergrößern und damit auch die politische Instabilität. Noch vor dem russischen Krieg in der Ukraine haben sich im Land ca. 30.000 russische Staatsbürger dauerhaft aufgehalten. In Folge der Sanktionen der EU gegen Russland ist diese Zahl weiter gestiegen.
Gleichwohl hätte Montenegro alle wesentlichen Voraussetzungen, um schnell Reformen umzusetzen und sich den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Insgesamt wurden 33 Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der EU eröffnet und zwei bereits temporär geschlossen. Damit nimmt Montenegro den ersten Platz im regionalen Vergleich der (potenziellen) Kandidatenländer ein. In ihrem Fortschrittsbericht hat die EU-Kommission vor ein paar Wochen notwendige Reformen angemahnt, unter anderem, um die mit 86 Prozent sehr hohe Staatsverschuldung zu reduzieren. Zudem leidet die von ausländischen Direktinvestitionen stark abhängige Wirtschaft an einer hohen Inflationsrate von 16% (September 2022).
Es wäre für das Land von besonderer Bedeutung, wenn die politischen Akteure ihre Befindlichkeiten und das ausschließliche Streben nach eigenen Interessen zur Seite legen und im Sinne der euro-atlantischen Integration neue Wege der Zusammenarbeit finden würden.