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Sudan-Krise trifft Sahelland Tschad

Eine Chance für Russland?

Das Sahelland Tschad droht in den Sog der Sudan-Krise zu geraten: Fast eine Million Menschen sind in den Tschad geflohen – einige dürften sich Richtung Europa auf den Weg machen. Präsident Mahamat Déby setzt sich unterdessen von seinem Hauptpartner Frankreich ab, flirtet mit Russland und kooperiert mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die eine Kriegspartei im Sudan unterstützen. Es gibt also viel zu besprechen für Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) bei ihrem Tschad-Besuch nächste Woche.

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Der Tschad macht eher selten internationale Schlagzeilen, und wenn dann mit Militärputschen oder Rebellionen. Es gab seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 nicht einen einzigen friedlichen Machtwechsel, dafür aber jede Menge Umstürze. Regieren heißt, die Staatskasse dazu zu nutzen, um Waffen zur Bekämpfung von Rebellen oder Oppositionelle zu kaufen. Der jetzige Präsident Déby griff im April 2022 nach dem Tod seines Vaters und Landzeitherrschers Idriss zur Macht und ließ sich im April 2024 wählen. Die Opposition spricht von Wahlbetrug. Es ist seit den Wahlen ruhig geblieben – die befürchteten Proteste der Opposition sind ausgeblieben, auch weil die Sicherheitskräfte viele Aktivisten festgenommen haben. Aber der Tschad  – dreimal so groß wie Deutschland -- bleibt ein fragiles Land, wo Macht und Budgets bei einer kleinen Elite in der Hauptstadt konzentriert sind und die Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Zudem macht dem Land der Klimawandel zu schaffen: Fast zwei Millionen Menschen sind derzeit von schweren Überflutungen betroffen.

Von der Europäischen Union ist wenig Kritik an den demokratischen Defiziten zu hören. Zu wichtig ist jetzt der Tschad als Umschlagplatz der Vereinten Nationen, um Sudan-Flüchtlinge zu versorgen und Lebensmittel über die gemeinsame Grenze in das Nachbarland zu bringen. Im Osten des Landes haben die Vereinten Nationen eine der weltweit größten Hilfsoperationen gestartet und mehrere Flüchtlingslager errichtet. Das sorgt für Konflikte mit Einheimischen wie z.B. mit Bauern, die kaum noch Land zum Agraranbau finden. Zudem steigen Lebensmittelpreise, weil so viele Flüchtlinge im Tschad ankommen. Schulze will mit der Regierung über zusätzliche Hilfen reden.

Dann ist da noch ein anderer Grund, warum Schulze den Tschad einschließlich des Grenzgebiets zum Sudan besucht. Déby scheint sich zunehmend von Frankreich, dem traditionellen Hauptverbündeten des Landes sowie dem Westens im Allgemeinen, lösen zu wollen. Er besuchte letztes Jahr den russischen Präsidenten Wladimdir Putin in Moskau – er flog mit einer Maschine der VAE, einem weiteren neuen Verbündeten des Tschad. Schulze kommt als Vorsitzende der Sahel-Allianz, einem westlichen Geber-Forum zur Koordinierung von Entwicklungszusammenarbeit. Mit ihrem Besuch und der erwarteten Ankündigung neuer Entwicklungsprojekte unterstreicht sie das Interesse der Europäischen Union und Frankreichs, mit Tschad weiter im Gespräch zu bleiben, um so den Einfluss Russlands und anderer neuer Akteure etwas entgegenzusetzen.

 

Krisenstaat

Der Tschad ist nie als Nation zusammengewachsen. Es gibt dutzende ethnische Gruppen und eine große Spaltung zwischen dem muslimischen Norden und christlichen Süden. Seit 1979 sind „Nordisten“ an der Macht. Präsident Déby stammt väterlicherseits aus einem Clan, den Zaghawa, der gerade mal etwa drei Prozent der Bevölkerung ausmacht. Sein Vater Idriss Déby war einer der engsten Verbündeten von Frankreich, das seit der Unabhängigkeit Tschads mehrere Truppenstützpunkte im Lande unterhält. Französische Jets stoppten 2019 einen Vormarsch von Rebellen, die aus dem nördlichen Nachbarland Libyen kamen, und sicherten so die Macht von Déby Senior. Doch der Sohn nimmt von den westlichen Partnern eher Abstand – im frankophonen Afrika gibt es ein starkes Sentiment gegen Frankreich und zunehmend auch gegen den Westen insgesamt. Frankreich wird nach Einschätzungen von Diplomaten in den nächsten Monaten seine Truppen von derzeit 1000 auf 300 verringern. Paris hat sich sehr darum bemüht, seit Débys Putsch im Jahr 2022 auf EU-Ebene jegliche Kritik an demokratischen Defiziten im Tschad durch andere Mitgliedstaaten zu verhindern. Die Erklärung der EU zu den Wahlen etwa nimmt das Wahlergebnis nur zur Kenntnis und ignoriert die Kritik der Opposition – Frankreich hatte nach Angaben von Diplomaten sein Veto gegen jede Verurteilung eingelegt. Trotzdem hat dies nicht verhindert, dass sich die bilateralen Beziehungen zunehmend abkühlen.

Déby misstraut Macron, seitdem dieser sich im Oktober 2022 – nach der Niederschlagung von Protesten in der Hauptstadt – gegen eine automatische dauerhafte Installierung Débys als neuen Präsidenten ausgesprochen hatte. Frankreich ruderte später zurück, aber die Beziehungen sind seitdem beschädigt. Kam zur Machtergreifung Débys noch Macron persönlich, um ihm gewissermaßen seinen Segen zu geben, so schickte Paris zu seinem Amtsantritt nach den Wahlen nur seinen Minister für Außenhandel, Franck Riester, der zudem ein bekennender Homosexueller ist. Seine Entsendung gleicht einem Affront, da Homosexualität im Tschad eine Straftat ist. Déby wählte dann nach seiner Wahl wohl auch nicht aus Zufall Budapest und nicht wie zuvor traditionell Paris als erstes Besuchsziel in Europa aus. Ungarn engagiert sich stark im Tschad, was das Misstrauen Frankreichs hervorruft. Schulzes Besuch dürfte auch helfen, die Beziehungen zum Rest der EU wieder etwas in Richtung Normalität zu bewegen.

 

Russland sieht Chance

Russland sieht angesichts der Spannungen zwischen dem Tschad und Frankreich eine Chance, seine Präsenz in der Region auszubauen. Mit den Militärregierungen von Mali, Niger und Burkina Faso hat Moskau in den letzten zwei Jahren bereits die Zusammenarbeit intensiviert. In allen drei Ländern sind russische Söldner tätig sowie in Tschads Nachbarländern Libyen, Sudan und der Zentralafrikanischen Republik. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kam im Juni 2024 zu Besuch, um die bilaterale Kooperation auszubauen. Es kam zu keiner konkreten Vereinbarung, aber Déby setzt immer neue Nadelstiche gegen seine westlichen Partner, so beispielsweise auch indem er im November einen Rückzug seines Landes von einer Eingreiftruppe gegen Dschihadisten am Tschadsees nicht ausschloss. Die Truppe, zu der auch Kamerun, Nigeria und Niger gehört, wird stark von Frankreich, den Vereinigten Staaten und Großbritannien unterstützt.

Gleichzeitig hat Déby die Zusammenarbeit mit den VAE ausgebaut, die offensichtlich seinen Wahlkampf mitfinanziert haben. Wahlen im Tschad werden gewonnen, indem der Präsident Geschenke in Form von Posten in Regierung und Armee verteilt. Dies kostet viel Geld, und Déby war auf der Suche nach neuen Finanzquellen, nachdem die EU nach seinem Putsch Haushaltshilfen suspendiert hatte.

 

Sudan-Krise

Während Déby seine Partnerschaften diversifiziert, blicken westliche Diplomaten mit Sorge auf den Osten des Landes, wo sich die humanitäre Krise verschärft. Mehr als 860.000 Flüchtlinge und Tschhadier sind aus dem Sudan dorthin geflohen. Dort tobt seit April 2023 ein Bürgerkrieg zwischen der Rapid Support Force (RSF), die gegen die reguläre sudanesische Armee um die Kontrolle des Landes kämpft. Die Kämpfe toben im ganzen Land, sind aber besonders heftig in der westlichen Region Darfur an der Grenze zum Tschad. Die RSF ist dabei, die letzte Stadt noch unter Armee-Kontrolle, El-Fasher, einzunehmen – dies dürfte weitere Flüchtlingsströme auslösen. Dazu kommen noch 400.000 Sudanesen, die bereits vor 20 Jahren aus dem Land geflohen sind, als ein erster Konflikt in Darfur ausbrach. Bis Ende des Jahres werden nach Angaben des Flüchtlingswerks UNHCR 910.000 Flüchtlinge erwartet.

Der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt und die Grenzregion zu Darfur im Osten nochmals ärmer als der Süden. Es gibt weder geteerte Straßen noch Strom, dazu mangelt es an Wasser – der Klimawandel macht sich hier dramatisch bemerkbar. Es gibt entweder in der Regenzeit wie derzeit massive Überschwemmungen, die ganze Dörfer zerstören, oder in der Trockenzeit eine Dauer-Dürre. Man sieht hier deutlich, dass Regierungen seit der Unabhängigkeit das Staatsbudget primär für Waffen ausgegeben haben oder Gelder auf korrupte Art und Weise nutzten, um Rebellen entweder zu bekämpfen oder einzukaufen. Das Land ist so arm, dass internationale Institutionen wie die Weltbank Krankenhäuser, Schulen und sogar die Gehälter einiger Staatsdiener zahlen.

Die ersten Flüchtlinge aus dem Sudan sind bereits angeblich in das Nachbarland Niger weitergezogen, wo die Militärregierung Ende 2023 die Landroute für Migranten nach Libyen wieder aufgemacht hat. Es sollen sich auch Flüchtlinge vom Ost-Tschad nach Libyen aufgemacht haben. Die Menschen werden auf absehbare Zeit nicht nach Darfur zurückkehren können.

 

Spiel mit dem Feuer

Für den Tschad ist die Krise im Sudan sehr gefährlich, weil Déby mit seiner Partnerschaft mit Abu Dhabi ein hohes Risiko eingeht. Nach Aussagen von Diplomaten und Entwicklungshelfern erlaubt er den VAE, über den Luftwaffenstützpunkt Amdjarass im Ost-Tschad ihre Verbündeten, die Rapid Support Force, mit Waffen und Munition zu beliefern (die VAE bestreiten dies). Die RSF ist eine arabische Miliz, die nach Angaben von Menschenrechtlern gezielt gegen nicht-arabische Stämme – wie zum Beispiel auch die Zaghawa, zu denen Déby väterlicherseits gehört, und andere afrikanische Stämme – vorgeht. Die meisten Flüchtlinge im Ost-Tschad sind Angehörige nicht-arabischer Stämme, die von der RSF vertrieben wurden.  

Vor diesem Hintergrund scheint es deswegen paradox, dass Déby indirekt einen politischen Akteur im Nachbarland unterstützt, zu dessen Feindbild sein Clan väterlicherseits eigentlich selbst zählt. Neben der Finanzierung seines Wahlkampfs dürfte Déby Interesse an Drohnen haben, die die VAE bereits an mehrere afrikanische Staaten wie Libyen und Äthiopien geliefert hat. Warum braucht Déby Drohnen ? Damit könnte er die französischen Jets am Flughafen N’Djamena ersetzen. Denn angesichts des nun unterkühlten Verhältnisses mit Paris kann sich Deby nicht darauf verlassen, dass Frankreich ihn wieder wie seinen Vater 2019 mit Luftangriffen gegen Rebellen schützt. Die Drohnen könnten dafür eine Alternative sein. Sie benötigen auch wesentlich weniger Personal als Jets.

Mit seiner Partnerschaft mit Abu Dhabi geht Déby aber ein hohes Risiko ein. Einige westliche Diplomaten sprechen von einem Spiel mit dem Feuer: Sollte die RSF den sudanesischen Bürgerkrieg für sich entscheiden, könnten sich Zaghawa und andere nicht-arabische Stämme, die unter der RSF litten, an Déby rächen – es braucht nicht viel, um im fragilen Tschad eine Regierung zu stürzen. Sudanesische Regierungsvertreter haben bereits damit gedroht, im Tschad – wie in der Vergangenheit üblich – Rebellengruppen zu unterstützen, um Déby zu stürzen - als Vergeltung für die Zusammenarbeit mit den VAE. Westliche Staaten wissen um die Waffenlieferungen, vermeiden aber eine öffentliche Kritik an Abu Dhabi – der Golfstaat ist ein wichtiger Partner des Westens und Israels (mit dem die VAE mittlerweile diplomatische Beziehungen aufgenommen hat) - auch mit Blick auf die Eindämmung der Expansion des Irans im Nahen Osten. Die VAE finanzieren auch im Gazastreifen viele Hilfsprojekte und waren selbst jüngst an einem Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine beteiligt. Doch so lange die Waffenlieferungen an die RSF weitergehen, werden alle diplomatischen Bemühungen – wie die jüngst von den Vereinigten Staaten organisierten Friedensgespräche – scheitern.

 

 

Der Autor:

Ulf Laessing ist Leiter des regionalen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für die (früheren) G5-Sahel-Staaten (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad) mit Sitz in Bamako (Mali). 

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