Nacionalni izveštaji
Öffentliche Debatte notwendig
Ein wichtiger Gradmesser für den Erfolg des Demokratisierungsprozesses eines Staates ist die Aufarbeitung der autoritären Vergangenheit. Sie ist erforderlich, um aus den Fehlern zu lernen. Dafür müssen einerseits gesetzliche und politische Schritte unternommen werden. Andererseits kann eine Aufarbeitung aber wenig erfolgreich sein, wenn man in der Öffentlichkeit kaum über die Fehler der Vergangenheit redet.
Symptomatisch dafür, dass die Einzelheiten der autoritären Vergangenheit in Serbien immer noch weitgehend ausgeblendet werden, ist der im Mai begonnene Auftakt im Mladic-Prozess, der weltweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, in Serbien aber bisher wenig thematisiert wurde. Schwerer noch wiegt die als Leugnung historischer Fakten kritisierte jüngste Äußerung des neu gewählten serbischen Präsidenten Nikolic, der den Völkermord in Srebrenica anzweifelt. Dies führte zu Entrüstung insbesondere bei den Nachbarn Serbiens, die Konfliktparteien im gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens gewesen waren. Aber auch der Chefankläger des Haager Kriegsverbrechertribunals Brammertz kritisierte Nikolic scharf. Sein jüngster Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat bestätigt zudem: trotz der guten Zusammenarbeit mit den zuständigen serbischen Behörden zur Ergreifung und Auslieferung der letzten gesuchten Kriegsverbrecher Hadzic und Mladic hat die serbische Staatsanwaltschaft nicht genug getan, um Licht in das Dunkel um Mladics Helfer zu werfen, die ihn jahrelang in Serbien vor seiner Verhaftung bewahrten.
Politisches Personal aus der Zeit Milosevics
Der Auseinandersetzung mit der autoritären Vergangenheit in Serbien fehlt sowohl ein breiter politischer Konsens über Notwendigkeit und Nutzen als auch ausreichend Unterstützung durch Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Der fehlende politische Wille ist u.a. darauf zurückzuführen, dass ein beträchtlicher Teil des politischen Personals, der bereits unter dem Milosevic-Regime diente, auch heute noch die Geschicke des Landes mitbestimmt. So hat beispielsweise die Sozialistische Partei Serbiens SPS als Nachfolgepartei von Milosevic nie mit ihrer Vergangenheit abgerechnet. Ihre heutigen Führungsfiguren, allen voran Parteichef Dacic, der in der scheidenden Regierung Innenminister war, und die bisherige Parlamentspräsidentin Djukic-Dejanovic haben ihre politische Karriere unter Milosevic begonnen. Aber auch der neu gewählte Präsident Nikolic, sowie viele seiner Berater und viele alten Kollegen an der Spitze seiner Fortschrittpartei SNS dienten in den Neunziger Jahren dem autoritären Regime Milosevics. Es erscheint offensichtlich, dass eine detaillierte Aufarbeitung des Regimes nicht in ihrem politischen Interesse liegen kann.
Überdauern alter Strukturen
Der nach dem Sturz Milosevics weitgehend ausgebliebene politische Generationswechsel erklärt, warum die Öffnung der für die Aufarbeitung notwendigen Geheimdienstakten bis heute noch nicht stattgefunden hat. Ein weiterer Aspekt ist der weiterhin große Einfluss der Geheimdienste auf die Politik. Diese haben die Regimewechsel seit Titos Zeit zu großen Teilen unverändert überlebt und bleiben auch heute unzureichend demokratisch kontrolliert. Damit sind sie weiterhin von den jeweiligen politischen Machthabern politisch manipulierbar: denn sie hüten in ihren Akten die Geheimnisse und wichtigen Fakten über die Menschenrechtsvergehen der Unrechtsregime seit Tito. Diese Dokumente sind bis heute der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ihre Öffnung – eine Voraussetzung für die Aufarbeitung der Vergangenheit - ist durch keinen umfassenden gesetzlichen Rahmen geregelt.
Warten auf die Öffnung von Geheimdienstakten
Ein umfassender rechtlicher Rahmen erscheint jedoch aus mehreren Gründen notwendig: Zur Rehabilitierung der Opfer, der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen, aber auch zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der historischen Ereignisse durch Einsicht in die ehemaligen Geheimdienstakten. Gerade in Serbien erhofft man sich u.a. dadurch den Zugang zu Dokumenten, die Licht in die Hintergründe von politisch motivierten Attentaten und über potentielle Hintermänner bringen könnten, wie die Anschläge auf den kritischen Journalisten Curuvija 1999, aber auch auf den damaligen Ministerpräsidenten Djindjic 2003.
Doch welche Akten sollten überhaupt unter die Bestimmungen eines entsprechenden Gesetzes zur Aufarbeitung fallen und welche Zeiträume sollten berücksichtigt werden? Sollte als erster Schritt der Einblick in die relevanten Dokumente der Geheimdienste unter Titos Jugoslawien gewährleistet, später dann auch für das System Milosevic Bestimmungen geregelt werden? Aktivisten fordern zuvorderst die Öffnung der Akten der UDBA, des Geheimdienstes des kommunistischen Jugoslawiens auf föderaler Ebene. Doch neben der UDBA arbeitete auf der Republikebene der RSDB und der militärische Geheimdienst KOS.
Nach dem Sturz Miloševićs 2000 fanden zwar erste Bemühungen von Teilen der Regierung und der Zivilgesellschaft statt, die auf eine Öffnung aller relevanten Geheimdienstakten abzielten. So wurde 2001 von der Regierung eine Verordnung erlassen, die allen interessierten Personen eine Einsicht in ihre persönlichen Akten ermöglichte. Die Verordnung wurde jedoch kurz darauf wieder aufgehoben, so dass nur einige wenige Leute ihre Akten einsehen konnten.
Kurzes Erwachen nach der Ermordung Djindjics
Die Forderungen nach einer Öffnung der Geheimdienstakten durch verschiedene Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Medienvertreter rissen jedoch in den folgenden Jahren nicht ab, so dass es nach der Ermordung Djindjics 2003 zu einem ersten gesetzlichen Versuch zur Erforschung der Vergangenheit kam. Denn mit dem Attentat auf den Ministerpräsidenten wurde allen vor Augen geführt, dass kriminell tätige, geheime Strukturen aus der Zeit Milosevics immer noch einflussreich und offenbar keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sind.
Es wurde ein Lustrationsgesetz verabschiedet, das die Bildung einer Kommission zur Untersuchung der Akten seit 1976 vorsah. Das Gesetz wurde im Folgenden jedoch nie umgesetzt und eine Lustrationskommission nie gebildet: Der nach dem Attentat für eine kurze Zeit die demokratischen Parteien im Parlament einende Wille zur Aufarbeitung verflog im anschließenden, wegen des Todes Djindjics vorgezogenen Wahlkampf schnell. Die beabsichtigte Prüfung von Funktionären auf ihre Rolle in früheren Unrechtsregimen blieb aus, Viele der politischen Elite von damals setzten ihre Karriere erfolgreich in Politik und/oder Wirtschaft fort.
Mosaiksteine im Bild der Vergangenheit
Doch trug immerhin ein später unter Premier Kostunica verabschiedetes Gesetz zur Rehabilitierung politisch Verfolgter in bis heute rund 2000 Fällen dazu bei, Opfern des Autoritarismus ihre Ehre wiederzugeben. Das Gesetz, das 2011 novelliert wurde, hat sich jedoch kaum auf einige wichtige Grundpfeiler des neuen demokratischen Serbiens ausgewirkt: das Bildungs- und das Justizsystem sind zu weiten Teilen immer noch von Personen geprägt, die unter Milosevic Rektoren, Dekane, Professoren, Richter und Staatsanwälte aus ihren Positionen verdrängten. Viele von diesen können bis heute insbesondere im Bereich der Justiz nicht zu ihrer alten Anstellung zurückkehren oder eine adäquate Neuanstellung gewinnen.
Die unvollendete und sowohl von Europarat als auch EU stark kritisierte Justizreform der letzten Jahre hat einen Großteil der entscheidenden Strukturen aus der Zeit Milosevics weitgehend unangetastet gelassen. Dies hat in erster Linie Auswirkungen auf die schleppende Demokratisierung im Land, im Besonderen wird aber eben auch die Vergangenheitsaufarbeitung behindert, wenn die Anwendung der bestehenden Gesetze durch fehlende unabhängige, professionell arbeitende Gerichte nicht möglich ist.
Die EU kann wichtige Impulse geben
Doch die anvisierte EU-Integration Serbiens gibt Brüssel und den westlichen Partnern Belgrads die Gelegenheit, auf die Fortführung und Umsetzung von Reformen auch in diesem Bereich einzuwirken. Das Europaparlament hat in seiner Resolution vom 29. März (Punkt 22), erkannt, wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit ist: darin werden die serbischen Behörden dazu aufgerufen, das Erbe der früheren kommunistischen Geheimdienste zu beseitigen und dazu die Nationalarchive und vor allem die Akten der UDBA zu öffnen, um so den Aufarbeitungsprozess im Land und die Aussöhnung mit den Nachbarn voranzubringen.
Am Beispiel des Restitutionsgesetzes, das letztes Jahr unter Druck der EU vom serbischen Parlament verabschiedet wurde, wird der Erfolg einer solchen, gezielten Ausübung von „Zuckerbrot und Peitsche“ deutlich: Denn dessen Ratifizierung wurde zu einer wichtigen Bedingung für den Erhalt des Kandidatenstatus gemacht. Freilich genügt auch dieses Gesetz nicht allen Forderungen einer gerechten Rückgabe oder einer Entschädigung konfiszierten Eigentums. Ferner bleibt abzuwarten, in welchem Umfang das Gesetz überhaupt angewendet wird; die bisherige Erfahrung von anderen wichtigen, steckengebliebenen Reformen mahnt zur Skepsis. Doch stellt das Restitutionsgesetz einen weiteren wichtigen Mosaikstein dar, der das Unrecht der Vergangenheit aufarbeiten kann. Und die „Konditionalisierung“ weiterer Integrationsschritte Serbiens in Richtung EU mit der Verabschiedung von Reformen kann, das zeigt dieses Beispiel, wichtige Impulse auch bei der Aufarbeitung geben. Allein die Umsetzung und, gerade in diesem Bereich unabdingbar, eine begleitende öffentliche Debatte muss von Serbien selber kommen. Besonders gefragt sind deshalb die zivilgesellschaftlichen Institutionen Serbiens und die Öffentlichkeit, die, um die Durchleuchtung der Vergangenheit voranzutreiben und zu begleiten, eine noch aktivere Rolle übernehmen müssen. Die Befürchtung, dass viele Akten in der Zwischenzeit zerstört oder abgeändert wurden, darf nicht als Argument gegen die Öffnung gelten, sondern sollte darauf aufmerksam machen, dass die Öffnung mit besonderer Sorgfalt und gut funktionierenden Kontrollmechanismen vorgenommen werden muss.