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Wahlkampf in Serbien zwischen EU-Kandidatenstatus und Kosovofrage

Gestern hat in Serbien offiziell der Wahlkampf für die Parlaments- und Lokalwahlen begonnen, die auf den 6. Mai angesetzt wurden. Wieder geht es im Wahlkampf um das „europäische“ Serbien, nachdem Belgrad vor Kurzem endlich den EU-Kandidatenstatus erhalten hatte. Doch geben sich die Wähler nicht mehr wie früher der Illusion hin, dass ihr Land schnell der Union beitreten wird.

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Diese Lehre haben sie aus den Erfahrungen des kroatischen Nachbarn und aus den Veränderungen im Zuge der Eurokrise gezogen; noch mehr aber aus den ungelösten wirtschaftlichen Problemen im eigenen Land – und den schwierigen Verhandlungen zur Normalisierung der Beziehungen mit Pristina.

Noch Anfang Dezember 2011 hatten es die Staats- und Regierungschefs auf dem Brüsseler EU-Gipfel wegen des neu entflammten Konflikts an der Grenze zwischen Serbien und Kosovo abgelehnt, Belgrad zum Beitrittskandidaten zu erklären. Insbesondere Deutschland verlangte weitere Fortschritte beim Belgrad-Pristina Dialog. Die jüngste Einigung der beiden Streitparteien über gemeinsame Grenzkontrollen und die Repräsentation Kosovos auf regionalen Foren brachte nun den entscheidenden Durchbruch in den Verhandlungen; diese müssen wohl aufgrund der nun angesetzten Wahlen für einige Monate ausgesetzt werden. Im Nachhinein rechtfertigten die erzielten Vereinbarungen die von anderen Seiten kritisierte harte Linie Berlins im Dezember und führten nun zur Gewährung des Kandidatenstatus.

Der Kandidatenstatus stellt für Serbien mehr als ein Jahrzehnt nach dem Beginn des Demokratisierungsprozesses einen wichtigen Etappensieg dar. Für die jetzige Regierung unter Präsident Tadic ist es neben der Auslieferung der Kriegsverbrecher Karadzic, Mladic und Hadzic der größte politische Erfolg der nun endenden Amtszeit.

Kann der Kandidatenstatus Tadics Koalition wieder zum Sieg verhelfen?

Die wirtschaftliche Bilanz der vergangenen vier Jahre unter Tadic fällt in den Augen der meisten Bürger schlecht aus: Reallöhne sind gesunken, die Arbeitslosigkeit auf knapp 24 Prozent hochgeschnellt, die Landeswährung schwächer und schwächer. Ob der Erhalt des Kandidatenstatus der jetzigen Regierung unter Führung von Tadics demokratischer Partei Auftrieb verleiht, die in allen Umfragen einige Prozentpunkte hinter der Oppositionellen Fortschrittspartei unter Nikolic liegt, hängt von der Glaubwürdigkeit ihrer Versprechen ab, damit ein positives Signal für die Wirtschaft gesetzt zu haben. Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Konjunkturprognosen für ganz Europa, das weiterhin durch die Euro-Schuldenkrise zutiefst verunsichert bleibt, ist fraglich, ob der Kandidatenstatus viele potentielle Auslandsinvestitionen nach Serbien ziehen kann. Die fehlende konsequente Umsetzung der begonnen Wirtschaftsreformen wird wohl darüber hinaus einheimische Unternehmer auf absehbare Zeit davon abhalten, Serbiens Wirtschaft ankurbeln zu können.

Hilfe von Europa für Serbiens Wirtschaft

Den vermutlich größten finanziellen Nutzen aus dem neuen Status als Beitrittskandidat wird Serbien also nicht von privaten Investoren, sondern aus Brüsseler Geldtöpfen erhalten, und zwar aus den Fonds der EU-Heranführungshilfe (IPA) erhalten. Die Mittel aus diesen Fonds sind dazu gedacht, die Beitrittskandidaten bei der Implementierung von Reformen als Vorbereitung auf den EU-Beitritt zu unterstützen. Bislang erhielt Serbien von Brüssel Gelder als Übergangshilfe für den Aufbau von Institutionen, sowie für die Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit in einer Höhe von insgesamt rund 200 Millionen Euro jährlich. Durch den neuen Status stehen Serbien weitere finanzielle Mittel aus den Fonds zur Förderung der regionalen Entwicklung, als Vorbereitung und Heranführung an die Kohäsionspolitik der EU, den Fonds für die Entwicklung der Humanressourcen, sowie für die Entwicklung des ländlichen Raums zu. Die konkreten Auswirkungen dieser Hilfe werden jedoch erst in einigen Jahren zu spüren sein, sodass die derzeitige Regierung im Wahlkampf nur vom Signalcharakter des jüngst verliehenen Kandidatenstatus zehren kann.

Allgemein wird bezweifelt, dass das Thema Europa eine große Anziehungskraft für Tadics Partei auf die Wähler ausüben wird. Denn mittlerweile ist den Meisten klar, wie mühsam weitere Annäherungen an die EU, beispielsweise im Bereich der Umweltpolitik oder der Wirtschaftsreformen, sein werden. Von umso größerer Bedeutung für die Wahlentscheidung wird es sein, wem der Wähler am ehesten zutraut, die persönliche wirtschaftliche Situation zu verbessern. Dazu hat bisher keine Partei ein detailliertes und glaubwürdiges Programm vorzulegen gewusst.

Perspektiven nach den Wahlen

Kaum zu bezweifeln ist jedoch, dass die neu gewählte serbische Regierung den eingeschlagenen Kurs Richtung Europa konsequent weiterverfolgen muss, will sie mittelfristig die wirtschaftlichen Probleme meistern. Die vergangenen Monate haben darüber hinaus gezeigt, dass jede neue Belgrader Regierung mehr in die gutnachbarlichen Beziehungen im Allgemeinen und die Normalisierung des Verhältnisses mit Pristina im Besonderen investieren muss: Der nur knapp vor dem jüngsten EU-Gipfel abgewendete Streit Belgrads mit dem Nachbarland Rumänien über die Minderheitenrechte der Vlachen im ostserbischen Grenzgebiet zeigt, wie wichtig der Dialog mit den Nachbarn ist, um das EU-Integrationsziel nicht durch bilaterale Streitigkeiten zu gefährden. Dabei wurde den serbischen Entscheidungsträgern auch deutlich, wie wichtig die Unterstützung des noch vor einigen Monaten geschmähten Deutschlands war, das sich neben Anderen für eine gütliche Einigung zwischen Belgrad und Bukarest einsetzte.

Schlechter Impuls für Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo

Der Normalisierung der Beziehungen zu Pristina kommt auch weiterhin eine übergeordnete Bedeutung zu. Insofern ist es ein schlechtes Zeichen, dass Belgrad trotz eindringlicher Warnungen von Seiten des Westens lokale Wahlen im serbisch kontrollierten Nordkosovo abhalten will, und damit die von Bundeskanzlerin Merkel im Namen der EU gestellten Forderungen ignoriert die dortigen „parallelen Strukturen“ abzubauen. Damit sabotiert Belgrad die eigenen EU-Perspektiven, will es in absehbarer Zeit einen Termin für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erhalten. Außerdem handelt es damit erneut im Widerspruch zu den Bestimmungen der UN-Resolution 1244 zu Kosovo, die für die serbische Politik die einzig akzeptierte rechtliche Grundlage zum Status Pristinas ist.

Doch muss nach den Wahlen der bilaterale Dialog fortgesetzt, zuerst aber vor allem die bisher getroffenen Vereinbarungen zwischen Serbien und Kosovo auf beiden Seiten umgesetzt werden. Von zukünftigen Fortschritten hierin wird letztlich abhängen, wann Serbien einen Termin für die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen erhalten wird. Mit den geplanten Lokalwahlen im Nordkosovo beendet die scheidende Regierung ihre Amtszeit – von Brüsseler und Berliner Sicht aus – mit einer bitteren Note. Die neue Regierung wird entsprechend mit starken Gegenwind rechnen müssen. Die serbischen Bürger müssen – ebenso wie die zukünftige Regierung - Ausdauer beweisen und der innen-, sowie außenpolitischen Realität die Augen öffnen, bevor sie ihrem Nachbarn Kroatien in die EU folgen können.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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28.02.2012.
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