Einzeltitel
Es verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art.
1 Abs. 1 GG) von Personen, die sich aufgrund ihrer Geschlechtsentwicklung dauerhaft
weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordneten, wenn sie nur die
Wahl zwischen den beiden traditionellen Geschlechtskategorien oder der Variante „fehlende
Angabe“ hätten. Auch verstoße diese Regelung gegen das Diskriminierungsverbot
des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Die große öffentliche Resonanz auf den Karlsruher Beschluss
zum „dritten Geschlecht“ zeigt abermals, wie gesellschaftlich sensibel Geschlechterfragen
sind. Entsprechend behutsam sollte man bei Gesetzesänderungen vorgehen.
Der folgende Beitrag greift Anmerkungen und Empfehlungen auf, die bei einem Expertengespräch
der Konrad-Adenauer-Stiftung zum „Geschlecht im Recht“ vorgetragen wurden. Mitwirkende waren
die Verfassungsrechtler Prof. Dr. Ferdinand Gärditz (Universität Bonn) und Prof. Dr. Matthias Jestaedt
(Universität Freiburg) sowie die Verfassungsrechtlerin Prof. Dr. Ute Sacksofsky (Universität Frankfurt/
Main). Als Vertreter der Politik sprach Marc Henrichmann MdB, Berichterstatter für das Personenstandswesen
in der AG Innen und Heimat der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die in diesem
Beitrag vorgestellten Positionen geben gleichwohl nur die Meinung der Autoren wieder.
I. Abschaffung des Geschlechtseintrags weder notwendig noch sinnvoll
Der Gerichtsbeschluss zwingt keineswegs dazu, die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ im PStG
aufzugeben. Zwar würden mit Abschaffung des Geschlechtseintrags kontroverse Regelungsfragen
zur Einführung einer neuen Geschlechtskategorie vermieden. Aber es überwiegen gesellschaftspolitische
und juristische Gründe, am Geschlechtseintrag festzuhalten:
Die Geschlechtszuordnung bietet einer ganz überwiegenden Mehrheit in der Bevölkerung persönliche
Identität und sozial stabilisierende Orientierung. Recht hat über die bloße Regelungsfunktion
hinaus sinnstiftende und bestätigende Funktion. Die weithin akzeptierten Optionen „männlich“ oder
„weiblich“ sollten sich deshalb auch künftig im Recht widerspiegeln; ein Verzicht auf diese Möglichkeit
wäre der gesellschaftlichen Verständigung alles andere als förderlich.
Die Abschaffung des Geschlechts als Rechtskategorie könnte auch zu Problemen, etwa im Passrecht
und im internationalen Privatrecht führen, da Deutschland nach rechtsvergleichenden Untersuchungen
das einzige Land weltweit wäre, das so verfahren würde. In der Öffentlichkeit sollten
derartige Folgeprobleme stärker verdeutlicht werden. Hier kann die Politik noch klarer auftreten.
II. Zunächst „kleine Lösung“
Eine sachgerechte und gesellschaftlich befriedende Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG in der vom
BVerfG vorgegebenen Zeit ist schwierig genug. Eine Befrachtung der Arbeiten mit weiteren Reformanliegen,
etwa mit Blick auf das Transsexuellengesetz, würde weder der Gesamtdebatte noch dem
laufenden Gesetzgebungsverfahren gerecht.
Der Gesetzgebung sollten gründliche Beratungen mit den Interessenverbänden vorausgehen, auch
um die Neuregelung „gerichtsfest“ zu machen. Der Erste Senat verlangt eine positive Anerkennung
der geschlechtlichen Identität. Eine zufriedenstellende Bezeichnung für die neue Geschlechtskategorie
zu finden, ist ohne Einbeziehung der Betroffenenverbände kaum möglich.
Der Erste Senat macht dem Gesetzgeber keine detaillierten Vorgaben zu den Kriterien und Verfahren
für den neuen Geschlechtseintrag. Ausreichend ist eine „einheitliche dritte Bezeichnung“. Vage
bleibt, in welcher Ausprägung sich zeigen oder plausibel gemacht werden muss, dass die eigene
Geschlechtsidentität nicht vom Mann-Frau-Schema abgebildet wird. Das eigene Selbstverständnis
spielt eine Rolle, es gibt aber keinen Anspruch auf beliebige Wahl. Zur Frage ärztlicher Beurteilungen,
die das BVerfG in früheren Entscheidungen grundsätzlich billigte, hat es sich in dem
Beschluss nicht geäußert.
III. Weitere Reformüberlegungen sollten folgen
Der Erste Senat legt sich nicht darauf fest, welche Folgen der Beschluss zum PStG möglicherweise
für andere Rechtsgebiete hat, in denen Geschlechterzuordnungen maßgeblich sind, etwa bei der
(lediglich ausgesetzten) Wehrpflicht oder bei Quotenregelungen. Ob und inwieweit Regelungsbedarf
besteht, ist für jedes Rechtsgebiet gesondert zu ermitteln. Auch das Transsexuellengesetz, das
seit langem Gegenstand verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen ist, sollte in die Prüfungen
perspektivisch einbezogen werden. In jedem Fall sollten die Reformüberlegungen davon geleitet
sein, beim sensiblen Thema Geschlechterfragen auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Neuregelungen
zu achten und die Bürgerinnen und Bürger sachlich über entsprechende Vorhaben
und etwaige Meinungsunterschiede zu informieren.
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