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„Eine soziale Revolution“

Überwältigende Mehrheit beim Referendum in Irland für die gleichgeschlechtliche Ehe

Mit einer überwältigenden Mehrheit von 62,1 % der Stimmen haben sich die Iren in einem Volksentscheid für eine Verfassungsänderung ausgesprochen, die die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare auf dieselbe Stufe stellt wie den herkömmlichen Bund zwischen einer Frau und einem Mann. Irland ist damit weltweit das erste Land, welches diese Veränderung per Plebiszit herbeiführt.

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Hintergründe und Ergebnis

Mit einer Wahlbeteiligung von 60,52% lag dieser Volksentscheid unter den „top five“ der Plebiszite in Irland seit 1937 (Neue irische Verfassung), wobei die höchste Wahlbeteiligung beim Volksentscheid über den Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EEG) mit 70,88% zu verzeichnen war.

1.201.607 Stimmen entfielen auf das JA-Votum, 734.300 Stimmen auf das NEIN-Votum. Die Mehrheit für die Verfassungsänderung kam in 42 der 43 Wahlbezirke zu Stande, wodurch der von einigen Beobachtern im Vorfeld befürchtet Riss zwischen städtischen und ländlichen Raum ausblieb.

Die relativ hohe Wahlbeteiligung war vor allem darauf zurückzuführen, dass sich rund 60.000 junge wahlberechtigte Wähler erstmals ins Wahlregister eintragen ließen und zahlreiche wahlberechtige Iren lange Anfahrtswege (selbst aus dem Ausland) in Kauf nahmen, um ihre Stimme abgeben zu können.

Das starke, auch emotionale Engagement vor allem bei den Befürwortern der Kampagne kam so zum Ausdruck, wie auch Gesundheitsminister Leo Varadkar betonte.

Bei aller Euphorie bleibt aber auch festzustellen, dass die Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Irland bereits seit 2011 besteht, die beispielsweise güterrechtliche Regelungen und Sicherungen erlaubt, wie sie in der zivilen Ehe üblich sind. Die Homosexualität ist hingegen erst seit 1993 – nach einem Urteil des Europäischen Menschengerichtshofes - entkriminalisiert, was zeigt, welcher gesellschaftlicher Umbruch innerhalb relativ kurzer Zeit in Irland im Gange ist und nun in diesem Plebiszit einen weiteren Schub bekommen hat.

Justizministerin Frances Fitzgerald kündigte nun bereits für Ende Juli einen entsprechenden Gesetzesentwurf (Marriage Bill 2015) an, wodurch die entsprechende Verfassungsänderung eingeleitet werden könnte. Gleichgeschlechtliche Ehen („marriage“) und nicht mehr „nur“ zivile Partnerschaften („civil partnerships“) könnten dann nach Abschluss des legislativen Prozesses bereits im September diesen Jahres in Irland möglich werden.

Martin Alioth von der NZZ bewertet diese Reform auf Grund dieser Hintergründe auch eher „methaphysischer Natur“ , da letztlich lediglich der „Makel der Andersartigkeit“ zwischen gleichgeschlechtlicher Ehe und traditioneller Ehe aufgehoben werden soll. Es kann aber nicht übersehen werden, das dies eben auch mit einem gesellschaftlich profunden Umbruch einhergeht, welcher, so Brian Sheehan , die irische Gesellschaft toleranter und offener gemacht hat.

Reaktionen und Positionen

Die Eindeutigkeit des Ergebnisses hat keinerlei Spielraum für allzu spitzfindige Interpretationen gelassen. Die Wahlverlierer erkannten das Ergebnis umgehend an. Die Notwendigkeit sich selbstkritisch mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen besteht nun vor allem in der Katholischen Kirche (die sich mehrheitlich gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen hatte), während sich das gesamte politische Spektrum letztendlich für die Änderung eingesetzt hat.

Regierung und Parteien

Leo Varadkar, der irische Gesundheitsminister, der sich erst vor wenigen Monaten in einem Radiointerview zu seiner Homosexualität bekannte, bezeichnete das Ergebnis als eine „historische Abstimmung, eine soziale Revolution“.

Auch Enda Kenny, der irische Premierminister hob das Engagement der Iren für Gleichberechtigung in seiner Stellungnahme hervor: „The decision makes every citizen equal and will strengthen the institution of marriage for all existing and future marriages. All people now have an equal future to look forward to”.

Auf Seiten der Regierungskoalition nimmt insbesondere die kleinere Labour Partei für sich in Anspruch dieses Thema vorrangig gefördert (es war Bestandteil des Labour Wahlprogramms) und den größeren Koalitionspartner Fine Gael mitgezogen zu haben, obwohl dieses Thema nicht Bestandteil der Koalitionsvereinbarung war.

Paradoxerweise könnte aber nun vor allem Fine Gael mehrheitlich davon profitieren. Enda Kenny war anfangs alles andere als davon angetan dieses Referendum überhaupt durchzuführen, setzte sich aber gegen Ende dezidiert mit an die Spitze der Befürworter und signalisierte damit, dass er selbst und seine Partei „progressiv“ bzw. weltoffen und zukunftsorientiert sind, ohne die konservative Parteibasis dabei zu verlieren. Dieser Spagat war umso bemerkenswerter, als die einzige Altersgruppe, die sich gegen die Verfassungsänderung aussprach, die über 65 jährigen waren (wo Fine Gael auch seine treueste Anhängerschaft hat – hier würden 44% für Fine Gael stimmen gegenüber 28% im allgemeinen Durchschnitt). Enda Kenny und Fine Gael ist es aber im Zuge dieser Kampagne gelungen neben den bereits bestehenden wirtschaftlichen Erfolgen (die Fine Gael zugeschrieben werden) sich eben auch mit einem fortschrittlicheren gesellschaftliches Image zu präsentieren, was ihnen den Zugang zu bisher verschlossenen jüngeren Wählerschichten öffnet und damit die allgemeinen Wahlchancen sicher verbessert.

Auf Seiten der Opposition nahm Fianna Fail eine relativ offene Haltung ein und erlaubte seinen Abgeordneten eine „Gewissensentscheidung in dieser Frage.

Sinn Fein schließlich stand eindeutig hinter der JA-Kampagne.

Alles in allem muss aber festgehalten werden, dass Parteipolitik in diesem Referendum keine signifikante Rolle gespielt hat. Die hohe Wahlbeteiligung vor allem der jungen Wähler hat gezeigt, dass diese, trotz vorhandener Skepsis bezüglich Parteien und Politik, bereit sind sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Hier liegt die große Chance und Herausforderung für Parteien und Politiker (und insbesondere für Fine Gael) dies auch bei den allgemeinen Wahlen 2016 anzusprechen.

Katholische Kirche

Die Katholische Kirche hatte sich während der Kampagne eindeutig gegen die Verfassungsänderung gestellt.

Das klare Ergebnis ist somit auch Ausdruck eines Wandels, welcher die Werteorientierung der Gesellschaft durch die Katholische Kirche mehr als nur in Frage stellt. Die Katholische Kirche, die in ihrer irischen Ausformung besonders klerikal und autoritär geprägt war, ist ohnehin durch die vor kurzem publik gewordenen Skandale über den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in ihrer Glaubwürdigkeit schwer angeschlagen.

Letztlich waren es auch gestandene Katholiken“ die mit ihrem sehr persönlichen Statement für die JA-Kampagne warben und so eine Trennlinie zwischen der schwindenden Autorität der Amtskirche und dem persönlichen Eintreten bekennender Katholiken für christliche Nächstenliebe und Gleichberechtigung zogen. Dazu gehören der schon zitierte Gesundheitsministern Leo Vardakar ebenso wie die ehemalige irische Präsidentin Mary McAlleese (mit einem homosexuellen Sohn) oder der Generalsekretär von Fine Gael, Tom Curren, (selbst Seminarist und überzeugter Katholik), ebenso mit einem homosexuellen Sohn.

Am Ende, so schreibt die irische Journalistin Sarah Carey in ihrem lesenswerten Artikel , wurden die juristischen Argumente über Leihmutterschaft und Elternschaft verdrängt durch das sichtbare Leid und die Notwendigkeit ihrer homosexuellen Freunde und Familienmitglieder akzeptiert zu werden, nicht nur einfach untereinander, sondern auch durch ihr Land.

Immerhin setzte von Seiten der Katholischen Kirche unmittelbar auch deutliche Selbstkritik ein, sowohl in der Sache selbst als auch was die grundsätzliche gesellschaftspolitische Rolle angeht. So betonte der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin auf Grund seines Eheverständnisses selbst mit ‚Nein‘ gestimmt zu haben, erklärte aber ebenso unmissverständlich, dass die Kirche einen „reality check“ benötige: „We have to stop and have a reality check, not move into denial oft he realities. We won’t begin again with a sense of renewal, with a sense of denial.”

Die Katholische Priestervereinigung ACP betonte, dass das Ergebnis des Referendums ein unverhülltes Desaster für die Katholische Kirche Irlands sei. „Die Tage des doktrinären Katholizismus in diesem Land sind vorbei, die Menschen sind nicht länger bereit den Reden und Predigten über Moral von dieser Kirche zuzuhören“, so Tony Flannery von der ACP.

Das Bild des „Katholischen Irlands“, welches bereits in der jüngeren Vergangenheit durch den zunehmenden Ansehensverlust der Kirche in Irland Risse bekommen hatte, dürfte nach diesem Referendum weiter schwinden. Dies hat aber weniger mit der Frage des Referendums, sondern mit der verlorenen Glaubwürdigkeit zu tun, die sich die Katholische Kirche in Irland auf Grund ihrer haarsträubenden Verfehlungen selbst zuzuschreiben hat.

Dass damit die Verfechter der „klassischen“ Ehe zwischen Mann und Frau derart in die Defensive geraten, ist ein Phänomen, welches im Zuge des „Gender Mainstreaming“ nachdenklich stimmt und nicht nur in Irland zu beobachten ist.

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