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In Utrecht wurde weder über Personen noch über Resolutionen abgestimmt. Dennoch war der Sonderparteitag von enormer Bedeutung: Nach den von Koalitions-, Personal-, oder Kursfragen dominierten und turbulenten Kongressen der letzten beiden Jahre sollte nun ein harmonischer Gipfel ein Signal der Geschlossenheit senden. Zuletzt hatte der CDA schwere Monate durchstehen müssen: in diversen Umfragen schwankte die einst so dominante Volkspartei zwischen 10 und 15 Sitzen (von 150) und lag damit noch unter dem ernüchternden Wahlergebnis von Juni 2010 (21 Sitze). Zudem ist in der durch die populistische PVV geduldeten Minderheitsregierung aus VVD und CDA die Stimmung angespannt. Grund: unterschiedliche Auffassungen zu künftigen Sparmaßnahmen. Für die (psychologische) Bedeutung des Kongresses sprach auch der große Andrang von Presse und Parteibasis – insgesamt rund 1500 Parteimitglieder reisten nach Utrecht. Mehrere hundert Mitglieder konnten aus Platzgründen nicht registriert werden.
Das vom 25köpfigen Strategischen Rat unter Vorsitz des ehemaligen Stellvertretenden OECD-Generalsekretärs Aart Jan de Geus am Freitag veröffentlichte Programm besinnt sich in vielen Aspekten auf die Wurzeln der niederländischen Christdemokraten. Einige Kernpunkte:
- Mehrfach wird das Bekenntnis zu einem starken Europa und zur Gemeinschaftsmethode erwähnt. Betont wird die Notwendigkeit einer weiteren Vertiefung der Integration, besonders in den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zudem setzt sich der CDA für eine Stärkung der Europäischen Wirtschaftsgovernance ein. Zurückhaltend äußert sich das Papier zu raschen Erweiterungsschritten. Insgesamt will sich der CDA wieder als wichtigste Europapartei der Niederlande etablieren.
- Der CDA steht für Partizipation und nicht für Polarisierung: Konkret bedeutet das eine grundsätzlich positive Haltung zur Zuwanderung – verbunden mit einer aktiveren Integrationspolitik. Die Partei bekennt sich klar zu einem christlichen Menschenbild und daraus folgend zu einer offenen Gesellschaft.
- Beachtenswert ist die Schwerpunktsetzung auf das Thema Nachhaltigkeit. So soll Wirtschaftswachstum mit einem behutsamen Umgang mit Natur und Raum verbunden werden.
- Der CDA bekennt sich zum Leitmodell der Sozialen Marktwirtschaft, in den Niederlanden als „Rijnlands model“ bezeichnet. Auffällig: de Geus betonte ausdrücklich die Gemeinsamkeiten mit der CDU/CSU und mit den flämischen Christdemokraten des CD&V. Ferner spricht sich der CDA auch für einen ausgeglichenen Haushalt und die Reduzierung der Schuldenlast aus. Zudem will sich die Partei für eine Vereinfachung des Steuer- und Abgabensystems einsetzen – unter anderem durch die Einführung eines einheitlichen Satzes für Sozialabgaben („sociale vlaktaks“).
In einer ersten Reaktion wurde das Papier von den anwesenden Mitgliedern sehr positiv aufgenommen. Insbesondere das klare Bekenntnis zu christlichen Werten und die Absage an jede Form des Populismus fanden Anklang. Die Hoffnungen sind groß, dass von diesem Grundsatzprogramm wichtige Impulse für die kommenden Jahre ausgehen: Zuletzt war ein solches Programm 1995 veröffentlicht worden, damals ebenfalls nach einer schweren Wahlniederlage. Das Grundsatzprogramm soll in den kommenden Monaten in den Regionalverbänden des CDA mit den Parteimitgliedern diskutiert und am nächsten Parteitag am 2. Juni verabschiedet werden.
Daneben stellten die Arbeitsgruppen zur Reorganisation der Parteistruktur ihre Arbeit vor; der endgültige Bericht wird wohl am 2. Juni folgen. Im Vordergrund stehen dabei die Bemühungen, einen engen und stetigen Austausch mit der Parteibasis und der Bevölkerung zu fördern. Schließlich waren im so genannten Frissen-Report zu den Ursacgen der Wahlschlappe von 2010 auch die zunehmende Volksferne und fehlende Diskussionskultur als wichtige Mängel konstatiert worden. Bislang gelingt es der in der Partei beliebten Vorsitzenden Ruth Peetoom den Anspruch größerer Mitsprache und Basisnähe glaubwürdig zu verkörpern.
Ob dem CDA auf dem Parteitag die Wende gelungen ist und der Abwärtstrend der Partei gebremst werden konnte, bleibt noch offen. Zum einen wird sich die Partei mittelfristig mit der Frage des künftigen Parteiführers auseinandersetzen müssen. So wurde von Wählern und Basis 2010 nicht nur das blasse Profil des CDA kritisiert, sondern auch fehlende Führung. Bislang wurde die von der Presse wiederholt aufgeworfene Führungsfrage abgeblockt – mit dem Hinweis, dass die Verabschiedung eines gemeinsamen Grundsatzprogramms wichtiger sei als Personaldebatten. Aussichtsreiche junge Kandidaten wie der ehemalige Minister Camiel Eurlings oder Finanzminister Jan Kees de Jager haben allerdings bereits abgewunken. Auch der bisherige informelle Parteiführer und Wirtschaftsminister Maxime Verhagen wird wohl nicht zur Verfügung stehen.
Die größte Belastungsprobe für den neuen Kurs wird aber das Tagesgeschäft in der von der PVV geduldeten Minderheitsregierung sein: Das Papier des Strategischen Rats ist als Distanzierung vom polarisierenden Populismus der PVV zu verstehen und auch als Absage an deren Kurs in der Migrations- und Integrationspolitik. Zwar betonte die Parteivorsitzende Ruth Peetoom, dass auch der erneuerte CDA ein zuverlässiger Partner in der Minderheitsregierung sein werde. Dennoch weichen einzelne Passagen des neuen Grundsatzprogramms von der Duldungsvereinbarung mit der PVV und dem bisherigen Regierungskurs ab. Das Konfliktpotential ist mithin gewachsen.
Die Vorstellung des neuen Grundsatzprogramms ist der Versuch, eine christdemokratische Volkspartei unter widrigen Umständen zu erneuern und nach ihrer Verdrängung in das ländliche Milieu wieder für breitere Bevölkerungsschichten wählbar zu machen. Das neue Programm ist dabei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Stärkung der Volksnähe der Partei könnte eine weitere wichtige Etappe sein. Gleichwohl wird es noch ein beschwerlicher Weg für den CDA, insbesondere die verlorenen Wähler in den Städten zurückzugewinnen.
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Europabüro Brüssel
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