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Regierungsumbildung in der Republik Moldau: Formalisierung der Koalition von PSRM und PDM

ของ Dr. Martin Sieg
In Chişinău kam es am 16. März zu einer Regierungsumbildung. Dabei wurde die faktisch bereits seit dem November bestehende Koalition aus der Partei der Sozialisten (PSRM) von Präsident Igor Dodon und der Demokratischen Partei (PDM) formalisiert, indem letztere jetzt auch mit fünf Ministern in die Regierung eintritt. An den tatsächlichen Machtverhältnissen ändert sich damit wenig. Die zentralen Interessen der Akteure zielen auf die Kontrolle über Institutionen und wirtschaftliche Ressourcen, die von Ministerposten nicht oder meist nur vordergründig abhängig sind. Der PDM ging es dabei wohl unmittelbar um eine stärkere eigenständige politische Sichtbarkeit, verbunden vermutlich auch mit der Hoffnung, das für sie bedrohliche Szenario vorgezogener Parlamentswahlen möglichst abzuwenden. Präsident Dodon ging es um eine Stabilisierung seiner Regierungsmehrheit und damit seiner politischen Kontrolle, auch im Blick auf seine Ausgangsposition für die Ende des Jahres anstehenden Präsi-dentschaftswahlen. Dafür nahm er jetzt auch eine formelle Partnerschaft mit der durch die Korruption und Machtmissbräuche des Plahotniuc-Regimes diskreditierte PDM in Kauf. Dodon bleibt gleichwohl die dominierende Gestalt der Regierungskoalition. Es ist zu erwarten, dass sein Einfluss und seine Kontrolle über den Koalitionspartner zunehmen, je länger die Regierung hält.

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Premierminister bleibt unverändert Ion Chicu, der schon unter Vlad Plahotniuc Finanzminister war, nach dessen Sturz zu Dodon wechselte und mit seinem eigenen Werdegang so auch den Wandel der Machtverhältnisse zur jetzigen Regierungsbildung verkörpert. Die PDM wird in der Regierung mit fünf Ministern von insgesamt 11 (oder mit Einschluss der Gouverneurin von Gagausien 12) Mitgliedern vertre­ten sein. Konkret geht es um die Ressorts Verteidi­gung, Äußeres und Europa, Reintegration (Transnis­trien), Wirtschaft und Bildung. Dass die PDM jetzt die außen- und sicherheitspolitisch – zumindest vor­dergründig – relevanten Ressorts übernimmt, die Dodon bislang zu seiner präsidialen Prärogative zählte, soll eine Außenpolitik des Gleichgewichts zwischen West und Ost signalisieren.

Die PDM wird in diesem Sinne versuchen, sich er­neut als Sachwalterin westlicher Interessen in der Moldau zu präsentieren. So hatte sie ihre Macht be­reits unter Plahotniuc gerechtfertigt. Das hatte aber offenkundig nur dazu gedient, die stattgefundene Kaperung des Staates mangels demokratischer Legi­timation geopolitisch zu legitimieren. Tatsächlich etablierte die PDM unter Plahotniuc ein fast schon idealtypisches Model oligarchischer Machtusurpa­tion, das mit europäischen Vorstellungen von De­mokratie und Rechtstaat strukturell unvereinbar ist; deshalb musste dieses politische Geschäftsmodell auch die geopolitische Wende früher oder später nach sich ziehen. Die frühere Herrschaft der PDM – und die geopolitische motivierte Unterstützung, die sie dabei auch von Akteuren innerhalb der EU erfah­ren hatte – hatte im Ergebnis nur erreicht: Eine Dis­kreditierung der EU, eine fast existenzielle Schwä­chung der wirklich pro-europäischen Parteien und eine massive Stärkung der pro-russischen Kräfte. Am Ende verschafft jetzt erst die PDM der PSRM eine strategische Mehrheit, die sie sonst kaum hätte er­langen können.

Die Koalition bekennt sich zum Assoziationsabkom­men mit der EU, ebenso wie zur Mitgliedschaft in der GUS, benennt als strategische Partner nament­lich zunächst Russland, dann die USA und Deutsch­land, zudem die Entwicklung der strategischen Part­nerschaft mit Rumänien. Das liegt ganz auf der bis­herigen Linie Dodons, der eine Politik des Aus­gleichs zwischen West und Ost postuliert. Allerdings hat Dodon engere Beziehungen zu Russland und ist auch stärker auf russische Unterstützung angewie­sen, als jeder moldauische Führungspolitiker bisher. Zugleich aber ist er und die Regierung gegenüber der EU und westlichen Partnern insgesamt weitge­hend isoliert, seitdem Dodon im die Zu­sammenarbeit mit dem pro-europäischen Block ACUM und die seit dem Sturz von Plahot­niuc im Amt befindliche Regierung unter der dama­ligen Premierministerin Maia Sandu im November beendete. Das Ausschei­den von Sandu und ACUM aus der Regierungsver­antwortung hat zu einem tiefen Vertrauensverlust innerhalb der EU geführt, insbesondere hinsichtlich der Ernsthaftigkeit demokratischer und rechtstaatli­cher Reformen. Die neue Regierung dürfte diese Zweifel eher vertiefen als überwinden.


Dodon sitzt am längeren Hebel


Inwieweit die PDM einen inneren Reinigungsprozess vollziehen sollte, wie ihn einzelne ihrer Vertreter in Aus­sicht stellen, bleibt abzuwarten. Dabei stellt sich auch die Frage, wie geschlossen die PDM noch ist. Bereits vor einigen Wochen hatte sich eine Gruppe ihrer Abgeordneten, die Plahotniuc besonders nahe­standen oder -stehen, unter Führung des früheren Parlamentspräsidenten Andrian Candu abgespalten. Dem Vernehmen nach ist eine weitere Gruppe von Abge­ordneten faktisch bereits ins Lager von Dodon ge­wechselt, sodass der frühere Premierminister Pavel Filip, der Plahotniuc im Amt des Parteivorsitzenden nachgefolgt ist, wohl nur noch eine begrenzte Auto­rität über einen Teil seiner Partei ausübt. Für viele Beteiligte dürfte es jetzt vor allem um die Absiche­rung eigener Geschäftsmodelle gehen; und dabei mag auch der Schutz vor der Justiz ein sachlich nicht völlig ungerechtfertigtes Motiv sein. Das spricht da­für, dass Dodon am längeren Hebel sitzt und im Laufe der Zeit seine Kontrolle über den Koalitions­partner auszuweiten vermag. Legt man die Erfahrun­gen der letzten Jahre mit Machtmissbräuchen und Korruption zugrunde, erscheint die PDM in der Koa­lition mit der PSRM in dieser Hinsicht zudem eher als Katalysator denn als Korrektiv.

Die Alternative zu der jetzigen Koalition aus PSRM und PDM hätte und würde künftig vor allen in vorge­zogenen Parlamentswahlen bestanden bzw. beste­hen. Aufgrund der Krise um das Coronavirus ist dieses Szenario zwar jetzt auf absehbare Zeit vom Tisch. Nach dem Sturz von Plahotniuc und nachdem die letzte Parla­mentswahl vom Februar 2019 von extremen Un­gleichheiten und Benachteiligungen vor allem der Opposition geprägt war, wäre dies auch im Sinne ei­ner Rückkehr zu demokratischeren Verhältnissen na­heliegend gewesen. Zugleich dürfte ein zentrales Motiv der PDM für die Koalition mit der PSRM ge­wesen sein, Neuwahlen zu vermeiden oder jeden­falls nicht aus der Opposition zu bestreiten. Denn während sowohl die in ACUM zusammengeschlos­senen Parteien – die Partei Aktion und Solidarität (PAS) von Maia Sandu und die Partei Plattform Würde und Wahrheit (PDA) von Andrei Nastase - als auch die PSRM jeweils über soziologisch beschreib­bare Wählerschichten verfügen und über Profile, die deren Präferenzen ansprechen, ist ein im weiteren Sinne programmatisches Profil bei der PDM so nicht zu erkennen. Deren Machtbasis hing auch bei Wahlen von einer weitgehenden Mo­nopolisierung der Massenmedien durch Plahotniuc, einer nahezu ebenso weitgehenden Kontrolle über (und den Einsatz von) Behörden und administrative Ressourcen auch auf kommunaler Ebene sowie dem Einsatz vielfach höherer finanzieller Mittel (im Ver­gleich zu den politischen Gegnern) ab.

Bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2019 konnte sich die PDM auch durch Wahlrechtsände­rungen, die ihr eine überproportionale Repräsentanz ermöglichten, und mit einem faktischen Ableger, der Sor-Partei, sowie sogenannten „Unabhängigen“ 40 von 101 Mandaten sichern. Dabei bietet die Sor-Partei ein noch prägnanteres Beispiel als die PDM, mit wel­chen Methoden in der Moldau in den vergangenen Jahren Politik gemacht wurde. Ilan Sor, der Gründer und Parteivorsitzende, war nach einschlägigen Unter­suchungen und einer gerichtlichen Verurteilung der Organisator (wenn auch wohl nicht der Drahtzieher) des sogenannten Milliardendiebstahls aus dem mol­dauischen Bankensystem. Im Juni letzten Jahres war er zusammen mit Plahotniuc aus dem Land ge­flüchtet. Das Geschäftsmodell seiner Partei bestand im Wesentlichen aus Zuwendungen an arme Wähler, um sich deren Loyalität zu sichern. Obwohl PDM und Sor nach wie vor über erhebliche Ressourcen verfügen, würden sie nach aktuellen Umfragen bei Neuwahlen mindestens zwei Drittel ih­rer Mandate verlieren.


Das Erbe Plahotniucs


Die Koalition mit der PDM wirft zwangsläufig die Frage auf, ob und inwieweit Dodon jetzt das Erbe Plahotniucs antritt. Letzterer hatte mit der Unter­wanderung und Kaperung des Staates über ein in­formelles System persönlicher Abhängigkeitsver­hältnisse und Korruption die Kontrolle über den Staatsapparat, einschließlich u.a. die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden, weitgehend privatisiert. Mit seiner Flucht haben diese Netzwerke gleichsam ihren Patron verloren; zugleich hat seine Flucht in dieser Hinsicht ein Machtvakuum hinterlassen. Jeder neue Machthaber könnte wohl viele von Plahotniuc geschaffene Strukturen recht einfach übernehmen.

Von den Repressionen gegen die Opposition und den Machtmissbräuchen, insbesondere auch dem Missbrauch der Justiz- und Strafverfolgungsbehör­den unter Plahotniuc, sind die Verhältnisse derzeit in der Moldau zwar nach wie vor weit entfernt. Unter Dodon und ihm nahestehender Akteure, of­fenbar auch durch Unterstützung aus Russland, voll­zieht sich aber eine ähnliche Monopolisierung der Medien. Auch beim Einsatz von Desinformation und Diskreditierung politischer Gegner zeigt sich ein Rückfall in frühere Verhältnisse. Das bislang promi­nenteste Beispiel – und vermutlich nur ein Vorge­schmack auf Weiteres – besteht in einem ganz of­fensichtlich gefälschten Brief von Sandu an den EU-Handelskommissar, den ein Berater von Do­don veröffentlichte und der dann von Medien verbreitet wurde. Darin wird die EU angeblich aufgefordert, ein Embargo gegen landwirtschaftliche Pro­dukte aus der Moldau zu verhängen. Das knüpft an frühere Diskreditierungskampagnen gegen Sandu an. Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016, die sie dann knapp verlor, hatten die Plahotniuc und Do­don nahestehenden Medien beispielsweise verbrei­tet, Sandu hätte Bundeskanzlerin Merkel angeblich versprochen, im Falle ihres Wahlsieges 30.000 syri­sche Flüchtlinge aufzunehmen. Solche Diskreditie­rungskampagnen sind auch deshalb besonders wirksam, da aufgrund des mangelnden Zugangs der Opposition zu Massenmedien ein Großteil der Wäh­ler nur die jeweilige Falschmeldung erhält ohne von der Richtigstellung zu erfahren.


Friktionen im Oppositionsbündnis ACUM


Sandu ist nach allen Umfragen die einzige Person, die Präsident Dodon bei den Präsidentschaftswahlen Ende des Jahres ernsthaft gefährlich werden könnte. Sie hat ihre Kandidatur noch nicht erklärt, diese wird aber so allgemein und auch von einem Großteil der pro-europäisch eingestellten Wählerschaft erwar­tet, dass sie sich dem nach jetzigem Stand auch kaum entziehen könnte. Ihre Chancen wären durch den sehr ungleichen Medienzugang allerdings be­schränkt. Hinzu kommt, dass das Oppositionsbünd­nis ACUM seit dem Ende der Regierung Sandu deut­liche Risse aufweist. Hintergrund ist, dass PAS poli­tisch sehr viel stärker vom Sturz Plahotniucs profitie­ren konnte als PDA. Hervorgegangen aus einer Pro­testbewegung, war eine radikale Opposition gegen Plahotniuc Markenkern von PDA; nach seinem Sturz steht die Partei vor der Aufgabe, sich neu erfinden zu müssen. Die positiven Ziele, für die sie auch steht – Demokratie, Rechtstaat und Europäische Integra­tion – werden von Sandu und PAS in den Augen der meisten Wähler auch und originärer verkörpert. Die Chancen von Nastase auf eine erfolgreiche Präsi­dentschaftskandidatur müssen als sehr zweifelhaft gelten, nachdem er als gemeinsamer Kandidat von ACUM die Bürgermeisterwahl in Chisinau im November knapp ge­gen seinen Mitbewerber von der PSRM verloren hatte, obgleich Anhänger von PAS und PDA in der Hauptstadt stärker vertreten sind als im übrigen Land. Nach Umfragen, die nach dem Ende der Regierung Sandu, aber vor der Krise um das Coronavirus durchgeführt wurden, konnte die PSRM 35-45 Prozent erwarten, PAS 25-30 und PDA 4-6 Prozent.

Für die PDA verbindet sich mit dieser Entwicklung die Befürchtung, immer stärker in den Schatten von Sandu zu geraten und so marginalisiert zu werden. Innerhalb von PDA dominieren daher derzeit Ten­denzen, sich parteipolitisch gegen Sandu profilieren zu müssen. Die Partei hatte daher zuerst die Aufstel­lung eines gemeinsamen, aber „unpolitischen“ Kan­didaten von PAS und PDA für die Präsidentenwahl gefordert (also nicht Sandu), dann aber bereits An­fang März Nastase zu ihrem Präsidentschaftskandi­daten erklärt. Im Falle separater Kandidaturen wer­den sich gegenseitige Angriffe kaum vermeiden las­sen; und das dürfte die Wählermobilisierung in der entscheidenden zweiten Runde einer Präsident­schaftswahl erschweren. Die Folgen einer Spaltung von ACUM zeigten sich bereits bei einer Nachwahl zum Parlament im Bezirk Hincesti am 15. März, bei der PAS und PDA unterschiedliche Kandidaten aufstel­lten bzw. unterstützten. Zusammen kamen die Kandi­daten beider Parteien auf 45 Prozent. Mit einer ge­meinsamen Kandidatur wäre der Sitz nahezu sicher gewonnen worden. Da der von PDA unterstützte Kandidat aber knapp dreizehn Prozent für sich ge­wann, verlor die Kandidatin von PAS mit 32 Prozent das Mandat an den Kandidaten der PSRM, der 39 Prozent erhielt.


Krise um das Coronavirus in der Moldau


Unterdessen hält die Krise um das Coronavirus das Land im Griff. Am 17. März hatte das Parlament den Ausnahmezustand für 60 Tage beschlossen. Alle Schulen, Universitäten und zur Grundversorgung nicht notwendigen Geschäfte sind geschlossen, der internationale Flugverkehr wurde eingestellt, es gel­ten weitgehende Einreisebeschränkungen. Seit dem 24. März gilt eine erweiterte Ausgangssperre, die in Chi­sinau durch das Militär überwacht wird. Die Moldau ist gegenüber dieser Krise besonders verwundbar. Oh­nehin eines der ärmsten Länder in Europa, wird es für viele Menschen in der Moldau keine Kompensationen, keinen Ersatz o­der ein Netz staatlicher Unterstützung für den dro­henden Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrund­lagen geben. Das Gesundheitssystem ist weit weni­ger leistungsfähig als in EU-Staaten, genießt wenig Vertrauen in der Bevölkerung und dürfte schnell überfordert sein. Das Land steht daher noch mehr als andere europäische Länder vor dem Dilemma, gesundheitliche und wirtschaftliche Folgewirkungen von Maßnahmen gegeneinander abzuwägen. Die Moldau dürfte noch am Anfang der Epidemie ste­hen. Mit Stand vom 25. März gab es 125 bestätigte Fälle. Die Zahlen besagen aber wenig, da es viel zu we­nige Tests gibt.

Präsident Dodon hat sich von Anfang an in hohem Maße in die Krisenkommunikation eingeschaltet. Dabei bewegten sich seine Stellungnahmen zwi­schen der Ankündigung von Notstandsmaßnahmen und Botschaften, die eher der Beruhigung der Be­völkerung dienten. So verglich er den Virus zu­nächst mit einer Erkältung und stellte auch bereits in Aussicht, dass Notstandsregeln auch vor dem Ablauf der 60-Tage-Frist wieder aufgehoben werden könn­ten, um die Wirtschaft zu entlasten. Zwangsläufig werden vielen Menschen in erste Linie den Präsiden­ten für den Umgang mit der Krise und ihre Folgen verantwortlich machen. In dieser Hinsicht und gene­rell kann und wird vermutlich diese Krise einen er­heblichen Einfluss auf die weitere politische Entwick­lung haben. Führungspersönlichkeiten spielen in der moldauischen Politik und im Vergleich zu Parteien eine ungleich größere Rolle als das beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Der Eindruck, wie diese Führungspersönlichkeiten mit der Krise umgehen, wird daher großen Einfluss auf ihre unmittelbare politische Zukunft haben. Insbe­sondere dürfte sich maßgeblich auch daran ent­scheiden, welche Akteure für die kommende Präsidentschaftswahl wie positioniert sein werden.

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