Am 27. September waren 2,7 Millionen Wahlberechtigte in Uruguay aufgerufen, die 19 Gouverneursposten, die 117 Bürgermeistermandate sowie Regional- und Gemeinderäte für die nächsten fünf Jahre neu zu bestimmen. Bei der aufgrund der Corona-Pandemie vom Mai in den September verlegten Wahl konnte die Partido Nacional (PN) von Präsident Luis Lacalle Pou kräftige Zugewinne verbuchen. So gewann die regierende Mitte-Rechts-Partei insgesamt 15 der 19 Regionen (Departamentos) des Landes: Artigas, Cerro Largo, Colonia, Durazno, Flores, Florida, Lavalleja, Maldonado, Paysandú, Rio Negro, Rocha, San José, Soriano, Tacuarembó und Treinta y Tres. In drei dieser Regionen (Paysandú, Rio Negro und Rocha) löst die PN künftig die Linkskoalition Frente Amplio (FA) an der Regierung ab. Verteidigen konnte die FA wie erwartet die beiden bevölkerungsstärksten Regionen des Landes, Montevideo und Canelones, sowie die nördliche Region Salto. Die auf nationaler Ebene mit der PN verbündete Partido Colorado (PC) hielt ihre Hochburg in der Region Rivera.
Auch bei den Bürgermeistern konnte die PN Mandate hinzugewinnen. Künftig wird sie insgesamt 81 Bürgermeister stellen, gegenüber 29 für die FA, vier für die PC und drei für die ebenfalls der Regierungskoalition angehörende linksliberale Partido Independiente. Vor fünf Jahren, als insgesamt 112 Bürgermeister gewählt wurden, hatte die PN 68, die FA 37 und die PC 7 dieser Posten gewonnen.
Der Anteil an Frauen in Regierungsverantwortung auf regionaler und kommunaler Ebene bleibt gering. Nur zwei der 19 Regionen und 26 der 117 Gemeinden werden künftig von Frauen regiert.
Ungewöhnliches Wahlsystem
Das uruguayische Wahlrecht weist im lateinamerikanischen Vergleich einige Besonderheiten auf. So können bei Regional- und Kommunalwahlen bis zu drei Kandidatinnen und Kandidaten ein- und derselben Partei im selben Wahlkreis antreten. Siegreich ist jeweils die Bewerberin oder der Bewerber mit den meisten Stimmen innerhalb der meist gewählten Partei. Aufgrund der Tatsache, dass die eigene Stimme somit letztlich jemandem zum Sieg verhelfen kann, den man nicht gewählt hat, kursiert der Witz, dass die Wahl in Uruguay so geheim ist, dass man nicht einmal weiß, wen man letztlich gewählt hat.
Eine weitere Besonderheit des uruguayischen Systems ist es, dass die Wahl mit Hilfe von vorgedruckten Listen erfolgt, die der Wähler in einen Umschlag zu stecken hat. Dies führt bei bis zu drei Kandidaten pro Partei mit je eigener Liste zu einem wahren Papierwust in den Wahlkabinen. Da es auch erlaubt ist, eigene Wahllisten in die Wahlkabinen mitzubringen, werden in den Wochen vor der Wahl unzählige Personen beschäftigt, ein Vielfaches der benötigten Wahllisten an Straßenkreuzungen, in Briefkästen oder auf Windschutzscheiben zu verteilen, was in dem kleinen Land zu einem vergleichsweise hohen finanziellen und personellen Aufwand führt.
Wie üblich, waren die Wahlen in den Wochen vor dem Urnengang im Straßenbild sehr präsent. Dies zeigte sich etwa durch das Meer an Unterstützerplakaten für die zahlreichen Listen, die Fahrzeugkonvois, die via Lautsprecher Kandidaten-Jingles verbreiteten, oder in Parteifahnen eingehüllte Wahlkämpfer. Insgesamt war der Wahlkampf der Parteien stark personenbezogen und weniger programmatisch dominiert. Statt Wahlslogans standen die Nummern der jeweiligen Parteilisten im Mittelpunkt der Wahlpropaganda.
In Uruguay herrscht bei allen Urnengängen Wahlpflicht, wenn auch die Sanktionen für ein Fernbleiben von den Urnen vergleichsweise mild ausfallen. Mit rund 85 Prozent fiel die Wahlbeteiligung rund einen Prozentpunkt höher aus als vor fünf Jahren. Dies ist in Anbetracht der nicht überwundenen Corona-Pandemie durchaus ein beachtlicher Wert.
Überhaupt fand in Uruguay nach den Präsidentschaftswahlen in der Dominikanischen Republik im Juli überhaupt erst die zweite nationale Wahl in Lateinamerika unter Corona-Bedingungen statt. Sorgfältig ausgearbeitete Gesundheitsprotokolle wie das obligatorische Tragen von Mund-Nasenschutz, die Benutzung von Desinfektionsmitteln am Eingang des Wahllokals sowie das Einhalten von Abstandsregeln wurden weitgehend eingehalten. Gesundheitsminister Daniel Salinas gratulierte den Wahlbehörden, Wahlhelfern und Wählern zu ihrem „beispielhaften Verhalten.“ Trotzdem rief er alle Bürger auf, in den kommenden zwei Wochen ganz besonders auf die Einhaltung der Hygieneregeln zu achten, um eine Ausbreitung des bisher in Uruguay nur sehr begrenzt zirkulierenden Virus in Folge der Wahlen zu vermeiden.
Schauplatz Montevideo
Der zweifelsohne wichtigste zu besetzende Posten war der des Intendenten der Hauptstadtregion Montevideo. Mit 1,4 Millionen Einwohnern ist sie das mit Abstand größte urbane Zentrum des nur 3,5 Millionen Einwohner zählenden Landes und seit 1990 fest in der Hand der FA. In Übereinstimmung mit dem uruguayischen Wahlsystem hatte die Linkskoalition drei Kandidaten ins Rennen geschickt: die letztlich siegreiche Senatorin und ehemalige Industrie- und Energieministerin Carolina Cosse, die insgesamt 20,7 Prozent der Stimmen erhielt; den Arzt und Krankenhausleiter Alvaro Villar (18,3 Prozent) sowie den ehemaligen Intendenten Montevideos und Präsidentschaftskandidaten der FA 2019, Daniel Martínez, für den 11,7 Prozent votierten. Insgesamt kam die Frente Amplio somit auf 50,7 Prozent der Stimmen.
Einzige Kandidatin der Regierungskoalition war die formell für die kleine Partido Independiete gestartete 47-jährige Unternehmerin Laura Raffo, die mit einer effizienteren und sparsameren Verwaltung sowie einem Investitionsprogramm für die ärmeren Bezirke Montevideos warb. Auf sie entfielen 39,3 Prozent der Stimmen - ein achtbares Ergebnis in der FA-Hochburg Montevideo. Nach einem chaotischen Kandidatenfindungsprozess war es der als Verlegenheitslösung und Politikneuling gestarteten Raffo gelungen, sich durch einen engagierten Wahlkampf und geschickte Kommunikation Respekt zu erarbeiten.
In ihrer Botschaft in der Wahlnacht wies Raffo genüsslich darauf hin, die am meist gewählte Kandidatin gewesen zu sein und versprach, der Politik erhalten bleiben zu wollen. Der neu gewählten Intendentin von Montevideo wünschte sie eine glückliche Hand.
Die 58-jährige Wahlsiegerin Carolina Cosse bekleidet das wichtigste von der Opposition gehaltene Amt und dürfte bei der Neuaufstellung der FA eine wichtige Rolle spielen. Nachdem die im Wahlkampf insbesondere vom linken Flügel der FA unterstützte Kandidatin im Vorfeld der Wahlen immer wieder auf klare Kante gesetzt hatte, suchte Cosse nach ihrem Wahlsieg bewusst, Brücken in die politische Mitte zu bauen. So dankte sie Präsident Lacalle für dessen Anruf in der Wahlnacht und versprach trotz einiger Buh-Rufe ihrer Anhänger eine Zusammenarbeit mit der Regierung im Interesse der Menschen. Als Leitthemen ihrer Arbeit benannte sie Sauberkeit, Mobilität und Arbeitsplätze.
Insgesamt fand der Wahlkampf in der für Uruguay typischen demokratischen und republikanischen Atmosphäre statt. Eine unrühmliche Ausnahme spielte Ex-Präsident José Mujica. Der im Ausland deutlich höher als daheim angesehene Ex-Guerillakämpfer sorgte immer wieder mit polemischen Kommentaren für Aufregung, zuletzt durch despektierliche Äußerungen über die Kleidung der Kandidatin Laura Raffo, für die er sich später entschuldigte.
Bestätigung für die Regierung
Der wohl größte Wahlsieger des Tages stand jedoch auf keiner der zahlreichen Wahllisten – Präsident Luis Lacalle Pou. Nur sieben Monate nach seinem Amtsantritt konnte insbesondere seine Partido Nacional an den Urnen von der großen Popularität des Präsidenten profitieren. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Equipos[i] sind 57 Prozent der Befragten mit der Regierungsführung Lacalles zufrieden, während nur 20 Prozent diese kritisch sehen. Besonders interessant ist, dass der im Vorfeld der Wahlen von der politischen Linken als Kandidat der reichen Leute diffamierte Lacalle in unteren Bevölkerungsschichten besonders gut ankommt. Im einkommensschwächsten Viertel der Bevölkerung stößt Lacalle Pou laut der Equipos-Umfrage nur auf 14 Prozent Ablehnung, während diese Zahl im obersten Einkommensviertel mit 28 Prozent doppelt so hoch ist. Wichtigster Grund für diese Zustimmungswerte ist zweifelsohne die bisher äußerst erfolgreiche Bewältigung der Corona-Pandemie, die auch international für Aufsehen gesorgt hat sowie die damit verbundenen Maßnahmen zur sozialen Abfederung. Auch innerhalb der Regierungskoalition haben sich durch die Wahlen die Schwergewichte in Richtung der PN verschoben.
Bei allen Einbußen konnte die FA ihre Kraftzentren in den beiden wichtigsten Regionen des Landes, Montevideo und Canelones, festigen. Mit den gewählten Intendenten Carolina Cosse und Yamandú Orsi verfügt die FA über zwei schwergewichtige Politiker, die auch nationale Ambitionen haben. Das Zusammenspiel zwischen der Zentralregierung und diesen beiden Oppositionsadministrationen dürfte einer der wichtigsten innenpolitischen Brennpunkte der innenpolitischen Entwicklung Uruguays während der nächsten Jahre werden.
[i] https://equipos.com.uy/primeros-seis-meses-de-lacalle-pou-57-aprueba-20-desaprueba/. Zugriff am 28. September 2020.
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