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Anatolij Sobtschak, Politiker mit Weitblick
Sobtschak war der erste demokratisch gewählte Oberbürgermeister der Stadt Sankt Petersburg. Er galt als der am meisten westlich orientierte Politiker Rußlands. Wie der Stadtgründer Peter der Große, der seine Residenz am Finnischen Meerbusen als Fenster nach Europa zum Nutzen der wirtschaftlichen und kulturellen Zukunft Rußlands baute, hat Sobtschak immer den Anschluß an den Westen gesucht.
Dank der Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung baute er sehr schnell Kontakte zum Bonner politischen Establishment auf. Im Herbst 1995 besuchte er die Konrad-Adenauer-Stiftung, begleitet von seinem Stellvertreter Wladimir Putin, und führte u.a. auch ein Gespräch mit Bundeskanzler Kohl. Die zu Zeiten des Kalten Krieges geschlossene Städtepartnerschaft mit der Hansestadt Hamburg erlebte unter Sobtschak eine Blütezeit.
Sobtschak sah klar die Möglichkeit, daß Sankt Petersburg sich zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Ost- und Westeuropa entwickeln könnte und wirkte stark an der Neugestaltung der russisch-deutschen Beziehungen mit - über den Aufbau eines dichten wirtschaftlichen, handelspolitischen und kulturell-gesellschaftspolitischen Beziehungsgeflechts.
Werdegang Sobtschaks
Anatolij Sobtschak wurde am 10.8.1937 in Tschita, einer ostsibirischen Stadt geboren, schloß 1959 das Jura-Studium an der Leningrader Universität ab, arbeitete anschließend als Rechtsanwalt in Stawropol . Seit 1964 hatte er einen Lehrauftrag an der Leningrader Universität, seine erste Doktorarbeit über einen marktwirtschaftlichen Sozialismus wurde Anfang der sechziger Jahre nicht angenommen, aber 1982 habilitierte er sich mit dem Thema "Rechnungsführung und bürgerlich-rechtliche Probleme bei der Vervollkommnung der Wirtschaftsabläufe". Bis 1989 war er Ordinarius am Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht an der Leningrader Universität.
Im Jahre 1988 trat Sobtschak der KPdSU bei, nachdem ihm ein Jahr vorher die Aufnahme verweigert worden war. Er verließ die Partei allerdings schon 1990. In politisch-bewußter Abkehr war er einer der ersten, die ihr Parteibuch abgaben. 1989 wurde er zum Abgeordneten des Kongresses der Volksdeputierten der Sowjetunion gewählt, einem der demokratischen Experimente Gorbatschows. Da die Diskussionen des Kongresses im Fernsehen übertragen wurden, entdeckte die ganze Nation das rhetorische Talent Sobtschaks, der die Fehler des kommunistischen Regimes geißelte. Er wurde zum Wortführer der demokratischen Bewegung. 1990 wurde er zum Vorsitzenden des Stadtsowjets von Leningrad, 1991 zum Oberbürgermeister der Stadt Leningrad gewählt, die dann durch ein von ihm initiiertes Referendum wieder in Sankt Petersburg umbenannt wurde.
Bei der Niederschlagung des Putsches 1991 in Sankt Petersburg bewies er großes politisches Geschick. Er war auch Mitautor von Rußlands neuer Verfassung. Dank seiner Unterstützung wurde der 5. Petersburger Fernsehkanal gegründet - der Sender, der 1991 und 1993 als einziger die politischen Ereignisse kritisch kommentierte. Ohne die Unterstützung Sobtschaks hätte sich der einzige einigermaßen unabhängige Fernsehsender NTW kaum erfolgreich durchsetzen können.
Sobtschak stellte 1993 sicher, daß NTW landesweit empfangen werden konnte. Er implementierte auch ein sehr ehrgeiziges Privatisierungsprogramm und wollte aus Sankt Petersburg die Bankenhauptstadt Rußlands machen. Allerdings fehlt ihm der Blick für die wirtschaftlichen Realitäten und die Probleme der Bevölkerung. Auch zeigte er gewisse autokratische Tendenzen in seinem Verhältnis zur Gesetzgebenden Versammlung, sodaß er ein wenig von seiner demokratischen Aura verlor.
Da ihm auch die Unterstützung durch Moskau fehlte, verlor er den Wahlkampf 1996 gegen seinen früheren Stellvertreter, Wladimir Jakowlew, der von gewissen Kräften aus Moskau, die in Sobtschaks Petersburg eine Konkurrenz sahen, unterstützt wurde. Nach seiner Niederlage im zweiten Wahlgang wurden alle möglichen Korruptionsvorwürfe gegen Sobtschak erhoben und er brach während einer Vernehmung mit einem Herzinfarkt zusammen. Viele Leute behaupteten damals, dieser Herzinfarkt sei nur gespielt gewesen, aber sein tragisches Ende hat das Gegenteil bewiesen. Am 7. November 1998, auf den Tag genau 80 Jahre nachdem der Chef der Provisorischen Regierung, Alexander Kerensky, vor den Bolschewiken aus Sankt Petersburg geflohen war, floh auch Sobtschak nach Paris, weil er sein Leben gefährdet sah. Erst 20 Monate später kehrte er zurück, seine politische Fortüne hatte ihn aber verlassen und er verlor in den Dumawahlen im Dezember 1999.
Symbol des demokratischen Umbruchs
Sobtschak ist ein Symbol der Epoche des politischen Umbruches, der demokratischen Hoffnungen der neunziger Jahre in Rußland gewesen. Mit dem Tode Sacharows, der Ermordung der Duma-Abgeordneten Starowojtowa, dem Tode des Akademiker Lichatschow im letzten Jahre und dem Abtritt von Präsident Jelzin hat erneut ein geistig-politischer Führer die politische Bühne verlassen. Für die hiesige intellektuelle und politische Elite ist es ein Anlaß, innezuhalten und auf die umwälzenden Ereignisse des vergangenen Jahrzehntes kritisch zurückzublicken und auch einen Blick in die Zukunft zu wagen, auch wenn er im Augenblick weniger zuversichtlich sein mag.
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