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Parlamentswahlen in Thailand

ของ Dr. Céline-Agathe Caro, สริตา ปิยะวงศ์รุ่งเรือง

Ausgangslage und mögliche Szenarien

Die nächsten Parlamentswahlen in Thailand werden am 14. Mai 2023 stattfinden. Einen Tag nach der Auflösung des Repräsentantenhauses am 20. März hat die Wahlkommission das neue Datum für den Urnengang offiziell angekündigt. Schon seit Ende Dezember 2022 ist der Wahlkampf und das Ringen um Parteimitglieder und Kandidaten in allen Parteien in vollem Gange. Es steht viel auf dem Spiel, denn die neuen 500 Abgeordneten wählen anschließend zusammen mit den 250 ungewählten Senatoren den Premierminister. Welche Partei am Ende die Regierung führen wird, ist noch völlig offen. Die größte Oppositionspartei, die Pheu-Thai-Partei (PTP), wird aller Voraussicht nach die meisten Sitze im Unterhaus des Parlaments gewinnen. Das konservative und militärdominierte Lager der bisherigen Regierungskoalition könnte sich aber trotzdem an der Macht halten. In diesem unberechenbaren Kontext fragen sich viele Thailänder, ob der ehemalige Ministerpräsident Thaksin Shinawatra bald nach Thailand zurückkehren könnte, sofern die PTP gewinnt, oder ob eher ein neuer Staatsstreich des Militärs zu befürchten ist. Sicher ist auf jeden Fall, dass die thailändische Gesellschaft politisch und gesellschaftlich sehr gespalten ist und dass der spannendste Teil dieser Wahlen nach dem 14. Mai stattfinden wird.

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Wer darf wählen, und wie?

Am 14. Mai werden 52 Millionen Wahlberechtigte an die Urnen gerufen. Prozentual stellen die Bürger zwischen 27 und 58 Jahren („Generation X“  und „Y“) mit insgesamt über 31 Millionen Wahlberechtigten die größte Wählergruppe dar.[1] Es wird jedoch auch mit großer Spannung erwartet wie junge Menschen wählen, denn viele Beobachter unterstreichen, dass ihr demokratisches Bewusstsein in den letzten Jahren besonders gestiegen ist. Unter anderem die Demonstrationen der Jahre 2020/2021 und die Gouverneurswahlen in Bangkok im Mai 2022 haben dazu beigetragen, sie als einen neuen politischen Akteur mit ideologischen Standpunkten zu begreifen.[2] Die Anzahl der Erstwähler ist mit etwas mehr als vier Millionen – 7,67 Prozent aller Wahlberechtigten – dieses Jahr besonders hoch. Eine Wahlbeteiligung von ca. 75 Prozent ist am 14. Mai wahrscheinlich, zum einen aufgrund der geltenden Wahlpflicht aber auch wegen der Tatsache, dass mit diesem Urnengang eine große Erwartungshaltung in der Bevölkerung verbunden wird.

 

Entsprechend dem neuen Wahlsystem können alle Wähler zwei Stimmen abgeben: eine für einen Direktkandidaten aus dem eigenen Wahlkreis und eine für die Landesliste einer Partei. Aus diesem Grund wird das neue Wahlsystem oft mit dem deutschen System verglichen. Es bestehen jedoch große Unterschiede, u.a. folgende:

  • 400 der insgesamt 500 thailändischen Abgeordneten werden direkt gewählt.
  • Die „Zweitstimme“ bestimmt lediglich, wie viele Mandate einer Partei aus den restlichen 100 Sitzen zustehen.
  • Die thailändische Verfassung von 2017 sieht zudem vor, dass 250 Senatoren gemeinsam mit den 500 gewählten Abgeordneten über den Ministerpräsidenten abstimmen. Die Senatsmitglieder wurden 2018 durch ein von der Militärführung ernanntes Komitee ausgewählt und gelten dementsprechend als loyal gegenüber dem Militär. Um Premierminister zu werden, benötigt ein Kandidat die Mehrheit der insgesamt 750 Sitze, sprich mindestens 376 Stimmen.

 

Die Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 7. Mai 2023 terminiert. Der Premier hat jedoch drei Tage vor dem Ende der Legislaturperiode am 23. März das Parlament aufgelöst. Ziel war es, allen Parteien – nicht zuletzt seiner eigenen – mehr Flexibilität bei der Registrierung neuer Mitglieder und Kandidaten zu geben. Dies hat auch zu einer minimalen Verschiebung des Wahltermins geführt.

 

Die Zeiten, in denen zwei große Parteien – die Demokratische Partei (DP) und die Pheu-Thai-Partei (PTP) – um die politische Führung des Landes konkurrierten, sind längst vorbei. Thailand besitzt jetzt ein Mehrparteiensystem, im dem militärdominierte Kräfte eine zentrale Rolle spielen. Über 60 Parteien werben dieses Jahr um die Stimmen der Wähler. Nach den letzten Wahlen im Jahr 2019 haben 26 Parteien den Einzug ins Parlament geschafft, darunter zwölf Parteien mit einem einzigen Abgeordneten (eine Fünf-Prozent- oder Grundmandatsklausel besteht nicht). Das neue Wahlsystem begünstigt allerdings große Parteien. Diese Entwicklung wird bei den diesjährigen Wahlen sicherlich dazu führen, dass weniger Parteien den Einzug ins Parlament schaffen.

 

Wichtigste Parteien und Spitzenkandidaten

Die aktuelle politische Landschaft Thailands lässt sich grob in zwei Blöcke und einen Königsmacher unterteilen. Auf der einen Seite sind die Befürworter des Status Quo: Vom Establishment gestützte, konservative Parteien, die momentan an der Macht sind. Auf der anderen Seite befinden sich die aktuellen Oppositionsparteien, die sich eine zivil geführte Regierung sowie Reformen wünschen und zum Teil sehr progressiv sind. Der Königsmacher, die Bhumjaithai-Partei (BJT), war in den letzten vier Jahren Teil der Regierungskoalition.

 

Das konservative Lager

Neu hinzu kommt bei diesen Wahlen, dass das Militär zersplittert ist. Am 9. Januar 2023 hat Premierminister Prayut (69) die militärdominierte Palang-Pracharat-Partei (PPRP) verlassen und sich der neu gegründeten Ruam-Thai-Sang-Chart-Partei (Englisch: United Thai Nation, UTN) angeschlossen. Die UTN stellte ihn als Premierministerkandidaten auf, auch wenn er bei den Parlamentswahlen nicht kandidiert und im Falle einer Wiederwahl seine achtjährige Amtszeit als Ministerpräsident im Jahr 2025 auslaufen würde. Der neue Chef der PPRP ist jetzt der aktuelle stellvertretende Premierminister General Prawit Wongsuwan (77). Er nimmt an den Wahlen als erster Listenkandidat seiner Partei teil. Diese Zersplitterung des Militärs schwächt das konservative Lager. Neuerlich haben sich mehrere Mitglieder der PPRP anderen Parteien angeschlossen. Der Wechsel von Politikern zwischen Parteien ist allerdings nichts Ungewöhnliches in Thailand. Diese Praxis hängt in der Regel mit taktischen und karriereorientierten Überlegungen zusammen.

 

Die Demokratische Partei (DP), die älteste bestehende Partei Thailands, hat in den letzten Jahren in ihren traditionellen Hochburgen in den südlichen Provinzen und auch in Bangkok viel Einfluss verloren. Der Spitzenkandidat und Nummer Eins auf der Landesliste der DP ist Jurin Laksanawisit (67), der in der bisherigen Regierung Handelsminister war und Mitte März damit begann, ein Freihandelsabkommen zwischen Thailand und der EU zu verhandeln.

 

Die politische Bilanz der amtierenden Regierung stellt eine Herausforderung für den Wahlkampf des konservativen Lagers dar. Das Kabinett steht in der Kritik u.a. wegen des Managements der COVID-19-Pandemie, dem Umgang mit den Demonstrationen 2020/2021 und der langsamen Konjunkturerholung. Auch die Anwendung verschiedener Gesetze gegen Einzelpersonen, die nicht im Einklang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung stehen, empfinden viele Bürger als besorgniserregend. Andere Schwachpunkte sind Korruptionsfälle, Massenerschießungen (2022 und 2020), Online-Glücksspielskandale (2022) und die Erleichterung illegaler chinesischer Geschäfte im Land (2023).

 

Das reformorientierte Lager

Die aktuell größte Oppositionskraft, die Pheu-Thai-Partei, hat fünfmal in Folge die Parlamentswahlen gewonnen. Die PTP stellte auch die größte Fraktion im Repräsentantenhaus in der letzten Legislaturperiode, obwohl die Wahlgesetze vom Militär ausgearbeitet wurden. Dieses Jahr gehen erneut alle Prognosen davon aus, dass die PTP mit großem Abstand die meisten Sitze im Unterhaus gewinnen wird.

 

Die Partei wird stark mit dem Unternehmer und Politiker Thaksin Shinawatra (73) assoziiert, der von 2001 bis zum Coup d’Etat im Jahr 2006 Premierminister war und nun in Dubai im selbstgewählten Exil lebt. Von 2011 bis zum letzten Coup im Jahr 2014 war seine jüngste Schwester, Yingluck Shinawatra (55), die erste Premierministerin Thailands. Nun versucht seine jüngste Tochter, Paetongtarn Shinawatra (36), Premierministerin zu werden. Die PTP hat sie als Spitzenkandidatin aufgestellt, auch wenn sie politisch unerfahren und hochschwanger ist und bei den Parlamentswahlen nicht kandidiert. Vor diesem Hintergrund sorgten Thaksins Aussagen Ende März, nach denen er bald nach Thailand zurückkehren könnte, auch wenn er u.a. zu 10 Jahre Haft verurteilt worden ist, für viel Aufsehen. Medienwirksam waren auch Thaksins pro-russische Äußerungen zum Krieg in der Ukraine am 22. März, als er im CARE Talk x CARE Clubhouse u.a. sagte, dass Russland seines Erachtens nicht verlieren werde und dass die Ukraine leider einen ehemaligen "Clown" an der Spitze habe, der seine Rolle ein wenig zu sehr genieße, während das Land zerstört werde.[3]

 

Weitere Spitzenkandidaten der PTP – von denen jede Partei bis zu drei nominieren kann – sind der thailändische Immobilienmagnat Srettha Thavisin (60), der auch nicht für einen Sitz im Parlament kandidiert, und der Chef-Stratege der PTP – ein ehemaliger Justizminister in Yingluck Shinawatras Regierung – Chaikasem Nitisiri (74). Dieser ist Kandidat Nummer 10 auf der Landesliste der Partei.

 

Schon bei den Wahlen 2019 hatte die PTP große Konkurrenz im eigenen Lager: die progressive Move-Forward-Partei (MFP, früher Future-Forward-Partei) ist besonders populär unter jungen Menschen, die sich grundlegende pro-demokratische Reformen und ein Ende der militärdominierten Regierung wünschen. Ihr Vorsitzender, Pita Limjaroenrat (42), ist auch der Spitzenkandidat und die Nummer Eins auf der Landesliste der Partei.

 

In den letzten NIDA-Umfragen lagen die reformorientierten Parteien im März an der Spitze: 38,2 Prozent der Befragten favorisierten die Tochter von Thaksin, Paetongtarn Shinawatra (PTP), für das Amt des Premierministers. 15,75 Prozent sprachen sich für Pita Limjaroenrat (MFP) und 15,65 Prozent für Premierminister Prayut (UTN) aus. Pita Limjaroenrat war auch der beliebteste Kandidat der Wähler in Bangkok. Der bisherige Gesundheitsminister, Anutin Charnvirakul (56), kam als Spitzenkandidat und Nummer Eins auf der Landesliste der BJT an achter Stelle (1,55 Prozent), u.a. hinter Jurin Laksanawisit von der DP (2,35 Prozent). General Prawit (PPRP) seinerseits tauchte nicht auf den ersten zehn Rängen der populärsten Kandidaten auf.[4]  

 

Wahlversprechen

Der Wahlkampf aller politischen Parteien konzentriert sich in erster Linie auf die Lösung wirtschaftlicher Probleme. Die meisten Versprechen zielen darauf ab, die starken Einkommensdisparitäten zu verringern und die Wirtschaft anzukurbeln. Die Vorschläge der Parteien umfassen unter anderem: direkte Geldsubventionen und mehr Sozialhilfe, höhere Mindestlöhne, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, bessere Infrastrukturen und niedrige Energiepreise sowie eine Reform des Gesundheitssystems und Förderprogramme zur Unterstützung der Landwirte. Die Parteien sprechen sich generell auch für mehr Wellness- und Ökotourismus, digitale Technologien oder Kultur- und Kreativwirtschaft aus.

 

Außenpolitische Fragen spielen im Wahlkampf, vor allem in den Medien, bislang kaum eine Rolle. Aber neben wirtschaftlichen Fragen führen die Parteien auch Kampagnen zu verschiedenen sozialen und politischen Themen, die ihre Standpunkte etwas stärker widerspiegeln. Die MFP und die PTP setzen sich beispielsweise für eine freiwillige Wehrpflicht sowie für eine partielle Dezentralisierung und die landesweite Wahl der Gouverneure ein. Ebenso unterstützen sie den aktuellen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Luftverschmutzung (Clean Air Act) und sprechen sich für eine Verfassungsänderung sowie für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe aus. Während die MFP eine Reform des Gesetzes zur Majestätsbeleidigung (Artikel 112) befürwortet, erwähnt die PTP den Artikel nicht, verspricht aber eine Reform des Justizsystems. Die PPRP und die UTN sowie die BJT erklärten wiederum, dass sie Artikel 112 nicht anfassen wollen und auch nicht mit einer Partei koalieren werden, die ihn reformieren will. Gleichzeitig proklamiert die PPRP unter General Prawits Führung, dass sie eine „nationale Versöhnung“ anstrebt, die Demokratie wiederherstellen und die jahrzehntelange Polarisierung der Politik beenden möchte.

 

Generell lässt sich sagen, dass abgesehen von der jungen Move-Forward-Partei, die klar prodemokratisch und progressiv ist, die thailändischen Parteien traditionell kein starkes programmatisches Profil haben. Sie lassen sich auf dieser Basis schwer voneinander trennen und können schwerlich als „rechts“, „links“ oder „liberal“ kategorisiert werden. So wird der Wahlkampf vor allem von ähnlichen, vagen und oft populistischen Versprechen geprägt, die darauf abzielen, die ökonomischen Sorgen der Bevölkerung aufzugreifen und vor allem die Stimmen aus den unteren Einkommensschichten in den bevölkerungsreichen Provinzen im Norden und Nordosten Thailands zu gewinnen.

 

Am Ende entscheiden sich viele Wählerinnen und Wähler eher auf der Basis ihrer Sympathie für den einen oder anderen Kandidaten, sowie je nach Loyalität zu Mitgliedern von regionalen oder lokalen „big clans“ (reichen und einflussreichen Familien, die seit Jahrzehnten in der Politik sind). Geldspenden spielen nach wie vor eine Rolle im thailändischen Wahlkampf, auch wenn das Thema oft von Politikern heruntergespielt wird.

 

Wahlkampfregeln und Wahlkreise

Parteien können im diesjährigen Wahlkampf offen um Stimmen werben. Kandidaten aller politischen Strömungen nehmen an TV-Shows teil, nutzen soziale Medien wie Facebook oder TikTok für ihre Kampagnen, und dürfen im öffentlichen Raum Veranstaltungen organisieren. Gleichzeitig bestehen Regeln, wie das von der Wahlkommission ausgesprochene Verbot jeglicher Bezugnahme auf die Monarchie im Wahlkampf. Parteien, die gegen dieses Verbot verstoßen, können aufgelöst werden. Kandidaten, welche sich nicht an diese Regel halten, droht strafrechtliche Verfolgung. Generell sind öffentliche Äußerungen in Thailand nur innerhalb klarer Leitplanken möglich. Dies gilt auch während des Wahlkampfes. In diesem Kontext müssen alle Kandidaten und Parteianhänger auf ihre Aussagen Acht geben. Zum Hintergrund: Laut Human Rights Watch haben seit Juli 2020 die thailändischen Behörden mehr als 1.800 prodemokratische Aktivisten, Oppositionsanhänger und Regierungskritiker wegen ihrer Meinungsäußerungen oder der Teilnahme an Demonstrationen strafrechtlich verfolgt.[5]

 

In Vorfeld der Wahlen gab es auch Diskussionen in der Öffentlichkeit, ob die kurzfristige Änderung des Zuschnitts von bestimmten Wahlkreisen nicht vergleichbar mit der US-amerikanischen Praxis des „Gerrymandering“ sei. Das Oberste Verwaltungsgericht Thailands wies jedoch am 7. April Klagen gegen die Wahlkommission ab und erklärte damit die Revision der Wahlkreisgrenzen für die Provinzen Bangkok, Sukhothai und Sakhon Nakhon für gültig.

 

Mögliche Szenarien nach den Wahlen

Um die Wahlen zu gewinnen und den Premierminister stellen zu können, müssen beide Lager unterschiedliche Zahlen erreichen:

  • Die magische Zahl auf der Oppositionsseite lautet 376 Abgeordnetenmandate (die Hälfte aller 750 Abgeordneten und Senatoren sowie eine zusätzliche Stimme). Diese hohe Zahl ist nötig für den Fall, dass alle 250 Senatoren bei der Wahl des Premierministers gegen ihre Spitzenkandidaten stimmen. Mit einer starken Mehrheit im Unterhaus wäre die aktuelle Opposition auch regierungsfähig. Deswegen strebt die PTP einen Erdrutschsieg mit ca. 310 Mandaten an. Diese Zahl gilt allerdings als kaum erreichbar.
  • Die konservative Seite wiederum braucht nur 126 Abgeordnete, um zusammen mit 250 Senatoren den Premier wählen zu können. Um regierungsfähig zu sein, braucht sie allerdings eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, sprich 251 Mandate.

 

Szenario 1: Die aktuellen Oppositionsparteien PTP und MFP fahren einen deutlichen Wahlsieg ein und bilden mit anderen kleinen Parteien eine Koalition von mehr als 376 Abgeordneten. Paetongtarn Shinawatra oder ein anderer Spitzenkandidat der PTP wird Premierminister(in). Nach einem solchen Kraftakt müssten sich die PTP und die MFP von Anbeginn Ihrer Regierungszeit allerdings auf Widerstand des Establishments und des Militärs einstellen. Eine mögliche Rückkehr von Thaksin in diesem Kontext sowie progressive, liberale Reformen würden viele konservative Kreise kategorisch ablehnen. In diesem Kontext könnten Proteste ausbrechen und konservative Kräfte versuchen, eine solche Regierung zu stoppen. In der Vergangenheit wurden Parteien wegen angeblicher Verstöße während des Wahlprozesses verboten. Parteilose Abgeordnete könnten anschließend dazu motiviert werden, die Seiten zu wechseln. Ein Militärputsch zum erklärten Ziel der Wahrung von Ordnung und Sicherheit wäre in diesem Szenario auch nicht auszuschließen.

 

Szenario 2: Die PTP wird wieder stärkste Partei im Unterhaus und bildet eine Koalition mit kleineren Parteien. Diese Koalition verfügt über eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, sie erreicht aber nicht die Zahl von 376 Abgeordneten. Die Senatoren stimmen mit der PPRP, der UTN, der BJT, der DP und kleinen Parteien zusammen und bringen die Generäle zurück ins Amt, an der Spitze einer Minderheitsregierung. Diese Entwicklung könnte ebenfalls zu heftigen Protesten führen, dieses Mal aber auf der progressiven Seite der Gesellschaft. Eine Lähmung der legislativen Arbeit wäre ebenfalls zu befürchten. Erste Probleme könnten entstehen, wenn die Abgeordneten über den ersten Haushaltsentwurf Ende August abstimmen müssen. Eine Blockade könnte zu einer erneuten Auflösung des Parlaments führen. 

 

Szenario 3: Die PTP bildet die größte Fraktion im Unterhaus. Das Militär, die BJT und eine Mehrheit der Senatoren blockieren aber ihre drei Spitzenkandidaten. Das Militär, die DP und die BJT wiederum könnten mit der Unterstützung der Senatoren den Premier wählen, wollen jedoch keine Minderheitsregierung bilden. In diesem Fall könnten sich vor allem die PTP und die PPRP auf eine Art „große Koalition“ einigen. Einige politische Parteien wie die MFP haben früh im Wahlkampf eine Koalition mit militäraffinen Parteien abgelehnt. Die PTP hält sich aber bis jetzt eher bedeckt. In dieser Koalition könnte General Prawit (PPRP) oder einer der PTP-Spitzenkandidaten Premierminister werden. Die PTP wäre somit wieder an der Regierung beteiligt. General Prayut könnte möglicherweise ins Abseits geraten. Eine solche Entwicklung würde beide Lager dazu zwingen, miteinander zu kooperieren, wenn sie etwas erreichen wollen. In Anbetracht der aktuellen Polarisierung der Gesellschaft würde dies eine große Herausforderung darstellen. Dieses dritte Szenario erscheint jedoch momentan vielen Beobachtern der thailändischen Politik am wahrscheinlichsten.

 

Schlussfolgerung

Das aktuelle Wahlsystem, in dessen Rahmen ernannte Senatoren gemeinsam mit gewählten Abgeordneten über den Ministerpräsidenten abstimmen, zielt darauf ab, den Status quo zu bewahren. Mit den aktuellen Trends in der Parteienlandschaft Thailands sind aber viele Szenarien möglich. Das Potenzial für Proteste und Chaos sowie für Instabilität im Parlament und in der Regierung ist hoch. Sicher ist nur, dass Thailands nächste Führung nach den Parlamentswahlen am 14. Mai stark von harten Koalitionsverhandlungen abhängen wird. Die Reaktion traditioneller Machtzentren und unabhängiger Institutionen wie der Wahlkommission, der Gerichte, der Antikorruptionskommission und der Armee wird auch eine zentrale Rolle spielen. Es bleibt abzusehen, inwieweit das finale Ergebnis die Präferenzen des Wählers am Ende widerspiegeln wird.

 

[1] „Thais 'fighting wars on many fronts'“, Bangkok Post, 03.04.2023, https://www.bangkokpost.com/thailand/special-reports/2541694/thais-fighting-wars-on-many-fronts

[2] Dr. Céline-Agathe Caro, Sarita Piyawongrungruang, ,,Bangkoks Gouverneurswahlen 2022”, Länderbericht, Konrad-Adenauer-Stiftung, Thailand, 01.06.2022, https://www.kas.de/de/web/thailand/laenderberichte/detail/-/content/bangkoks-gouverneurswahlen

[3] Vgl. Matichon Weekly (auf Thailändisch), https://www.matichonweekly.com/hot-news/article_659281

[4] Das National Institute of Development Administration (NIDA) ist das führende Befragungsinstitut in Thailand. Für die März-Umfragen, siehe: https://www.thaipbsworld.com/pheu-thais-paetongtarn-voted-the-favourite-candidate-for-pm-nida-poll/ und https://www.bangkokpost.com/thailand/politics/2536769/pita-holds-small-lead-over-ung-ing-in-bangkok

[5] Vgl. Human Rights Watch, “Thailand: Upcoming Election Fundamentally Flawed”, 06.04.2023, https://www.hrw.org/news/2023/04/06/thailand-upcoming-election-fundamentally-flawed

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