Ülke raporları
Zwar hatte sich in der vergangenen Woche angedeutet, dass Jacques Chirac im ersten Wahlgang nur knapp 20% erzielen würde, dass Lionel Jospin in den Umfragen stetig an Terrain verlor und dass Jean-Marie Le Pen bei rund 12-13% lag - mit leicht steigender Tendenz. Dass aber Le Pen am Wahlabend vor Jospin liegen würde, damit hatte offenbar niemand gerechnet. Mit Ausnahme von Le Pen selbst, der in den letzten Tagen vor der Wahl immer wieder betonte, Frankreich solle sich auf eine Überraschung gefasst machen.
Diese Überraschung ist eingetreten. Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen werden sich im zweiten Wahlgang der Präsidentenwahlen gegenüberstehen. Frankreich steht unter einem Schock, ein politisches Erbeben hat sich ereignet, dessen weitreichende Konsequenzen noch kaum zu ermessen sind.
Erklärungsversuche
Natürlich sucht man in Frankreich nun nach den Ursachen dieses Erdbebens. Die Wahlbeteiligung betrug lediglich 72,6%, und lag damit auf dem niedrigsten Niveau bei Präsidentenwahlen in der V. Republik (bei den letzten Präsidentenwahlen im Jahr 1995 betrug sie 78,4%). Zur Erklärung des Wahlergebnisses reicht die geringe Wahlbeteiligung indes nicht aus.
Die Ergebnisse des 1. Wahlgangs der Präsidentenwahlen am 21. April 2002 (Stimmenanteile in %)
19,41 | |
17,19 | |
15,85 | |
6,95 | |
5,82 | |
5,39 | |
5,31 | |
4,33 | |
4,32 | |
3,96 | |
3,44 | |
2,38 | |
2,08 | |
1,90 | |
1,20 | |
0,47 |
Angaben für France métropolitaine (ohne DOM-TOM und Franzosen im Ausland) Quelle: Ministère de l'Intèrieur.
Das Ergebnis für Le Pen ist wohl vor allem als Protestwahl zu interpretieren. Viele Franzosen haben genug von fünf Jahren Kohabitation, in denen sich politisch und wirtschaftlich nichts bewegt hat. Sie haben genug von der wachsenden Unsicherheit und zunehmenden Kriminalität, von der Ghettoisierung in den Banlieues der großen Städte, von einer Bürokratie, die den Klein- und Mittelunternehmern das Leben schwer macht, von einer der höchsten Steuer- und Abgabenlasten in Europa. Und sie haben genug von einer politischen Klasse, die sich - ob links oder rechts - immer weniger in der Lage zeigt, die Alltagssorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen und entsprechend zu reagieren. Allzu oft verbietet es schon allein die "political correctness", dass die Politiker diese Sorgen auch nur verbal aufnehmen.
Dieses Protestwählerpotential beträgt auf der extremen Rechten 19,57% (Le Pen und Mégret), auf der extremen Linken 10,61% (Laguiller, Besancenot, Gluckstein), und gar 14,05%, wenn man Hue hinzuzählt. Insgesamt haben somit 30-33% der Wähler Kandidaten der extremen Linken und extremen Rechten ihre Stimme gegeben.
Das Wahlergebnis hat sicher auch damit etwas zu tun, dass das politische System in Frankreich an seine Grenzen gestoßen ist. Vor allem die Zentralisierung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens wird den aktuellen Erfordernissen nicht mehr gerecht. Die politische Klasse kapselt sich von der Realität der "Normalbürger" ab (von Autismus der politischen Klasse ist die Rede) und verliert den Bezug zu den Bürgern vor Ort. Der zentralistische Staatsaufbau verhindert, dass lokale Probleme auch lokal gelöst werden können. Schwerfällige und realitätsferne Entscheidungsprozesse sind die Regel.
Große Teile der französischen Gesellschaft sind darüber hinaus durch die internationale Entwicklung verunsichert. Globalisierung sowie die veränderte Rolle Frankreichs in Europa und der Welt insgesamt werden vorwiegend als Bedrohung empfunden. In diesem Empfinden werden die Bürger von der Politik zusätzlich bestärkt. Globalisierung wird nicht als Chance, sondern nur als Gefahr wahrgenommen. Auf Veränderungen des internationalen Umfelds reagiert man defensiv, es wird nicht versucht, sie zu gestalten.
Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentenwahlen ist auch eine Ohrfeige für die beiden Kandidaten Jacques Chirac und Lionel Jospin. Der Amtsinhaber bei knapp unter 20%, der Premierminister während fünf Jahren nur bei 16%. Beide Resultate belegen den äußerst geringen Enthusiasmus der Wähler für die beiden Hauptkandidaten. Bei Chirac dürften die zahlreichen vermeintlichen und tatsächlichen Affären eine wichtige Rolle gespielt haben. Bei Jospin seine oft hölzerne Art und ein völlig mißlungener Wahlkampf. Den hatte Jospin mit der Bemerkung eröffnet, er habe kein sozialistisches Programm. Nach vielen Windungen und Strategieänderungen während des Wahlkampfes beschloss er die letzte Wahlkampfveranstaltung vor dem ersten Wahlgang mit einer flammenden Rede, die sozialistischer kaum hätte sein können. Seine Wählerschaft ist ihm bei diesem Hin und Her nicht gefolgt.
Teils hat sich die Wählerschaft überhaupt nicht zu den Urnen bemüht (s.o.), teils hat sie sich bei anderen linken Kandidaten bedient. Ein Teil der traditionellen Wählerschaft von Jospin hat aber auch Le Pen gewählt. Erste Analysen zumindest zeigen, dass Le Pen mehr Wähler unter den Arbeitern gewonnen hat als Jospin.
Gewiss hat auch die Vielzahl der Kandidaten dazu beigetragen, dass Chirac und Jospin ein derart schlechtes Ergebnis erzielten. Jospin hatte vier Mitbewerber aus dem eigenen Lager (Chevènement, Mamère, Hue, Taubira), die meist in ihm ihren Hauptwidersacher sahen. Von Balkanisierung des linken Lagers ist die Rede. Auch Chirac hatte, je nach Zählweise, vier bis fünf Mitbewerber aus dem eigenen Lager (Bayrou, Saint-Josse, Madelin, Lepage, Boutin). Vor allem Bayrou führte seinen Wahlkampf zeitweise, als ob es um ein Duell Chirac/Bayrou ginge. Jospin wie Chirac haben dieser Erosion praktisch tatenlos zugesehen.Hervorzuheben ist des weiteren das überaus schwache Abschneiden des kommunistischen Kandidaten Robert Hue. Er wurde gar von zwei linksextremen Kandidaten überflügelt. Auch Alain Madelin hatte ein besseres Ergebnis erhofft. Dagegen konnte Bayrou in den letzten Tagen wohl noch zulegen. Er sieht sich als dritten Mann unter den republikanischen Kräften. Zu Beginn des Wahlkampfes hatte aber auch er mit 9-10% gerechnet. Im Vergleich dazu sind sein knapp 7% eher enttäuschend.
Wie geht es weiter?
Noch am Wahlabend hat Lionel Jospin erklärt, dass er nur noch bis zum Tag der zweiten Runde der Präsidentenwahlen (5. Mai) im Amt bleiben wird (wohl auf Bitten von Chirac) und sich dann aus der Politik zurückziehen wird. Der PS steht somit ohne Führung da. Offen ist, wer das interne Rennen um die Nachfolge macht, François Hollande, Dominique Strauss-Kahn, Laurent Fabius oder Martine Aubry. Heftige interne Auseinandersetzungen um die Führung des PS sind auf jeden Fall für die nächste Zeit vorprogrammiert. Keine gute Ausgangsbasis für die folgenden Parlamentswahlen.
Das Duell Chirac/Le Pen wird Chirac nach allen Erwartungen gewinnen. Nach ersten Meinungsumfragen, sofern man diesen nach dem gestrigen Tag noch Glauben schenken kann, liegt Chirac mit rund 75% der Wahlabsichten vorn. Le Pen allerdings kündigt auch für den zweiten Wahlgang eine Überraschung an. Mégret hat Le Pen bereits seine Unterstützung zugesagt. So kann Le Pen, auf der Grundlage des Ergebnisses des ersten Wahlgangs, auf mindestens 19,5% der Wähler zählen. Der Überraschungscoup im ersten Wahlgang könnte Le Pen im zweiten noch einige Stimmen zuführen.
Der Ausgang des Rennens zwischen Chirac und Le Pen hängt vor allem davon ab, inwieweit Chirac sein eigenes Lager einigen kann. Am Wahlabend haben Bayrou und Madelin zwar davon gesprochen, man müsse den Extremisten Einhalt gebieten. Sie gaben aber keine offene Empfehlung für ein Stimmabgabe zugunsten von Chirac. Sicher wollen sie den Preis für eine solche Empfehlung noch nach oben treiben. Lepage und Boutin haben sich eindeutig für Chirac erklärt.
Dagegen gab es aus dem linken Lager schon zahlreiche Stimmen, die für eine Stimmabgabe zugunsten von Chirac aufriefen. So Mamère von den Grünen und Strauss-Kahn vom PS.
Für Chirac bedeutet dies aber auch eine problematische Gratwanderung. Einerseits wird er bestrebt sein, möglichst viele Wähler zu gewinnen. Andererseits kann ihm nicht daran gelegen sein, eine "republikanische Front" zu etablieren. Denn nur fünf Wochen nach den Präsidentenwahlen finden die Parlamentswahlen (am 9. und 16. Juni) statt. Dort ist der Hauptkonkurrent das linke Lager.
Die Parlamentswahlen sind für die bürgerlichen Parteien nach diesem politischen Erdbeben aber ungleich schwieriger geworden. Denn das gute Resultat für Le Pen bei den Präsidentenwahlen lässt erwarten, dass der Front National auch bei den Parlamentswahlen gut abschneiden wird. Besonders gefährlich für die bürgerlichen Parteien sind dabei die sogenannten Triangulaires. Dabei nehmen drei Kandidaten am zweiten Wahlgang teil. Nach französischem Wahlgesetz gelangt bei den Parlamentswahlen in den zweiten Wahlgang, wer im ersten Wahlgang mehr als 12,5% der Stimmen der Wahlberechtigten erzielt. Dies war beispielsweise bei den Parlamentswahlen des Jahres 1997 in über 50 Wahlkreisen der Fall. Je ein Kandidat der Linken, des bürgerlichen Lagers und des Front National gelangte in den zweiten Wahlgang. In allen Fällen gewann der linke Kandidat. Die Triangulaires kosteten im Jahr 1997 dem bürgerlichen Lager den Wahlsieg. Die Furcht ist nun groß, dass dies sich im Jahr 2002 wiederholen könnte.
Eine erneute Kohabitation, wieder für die Dauer von fünf Jahren, würde weitere Jahre des politischen und wirtschaftlichen Stillstands in Frankreich bedeuten und damit das Reservoir von Wählern extremer Parteien wohl noch weiter ansteigen lassen.
Die Ausgangssituation für das linke Lager ist allerdings ebenfalls trist. Der linke Spitzenkandidat wurde von einem rechtsextremen Kandidaten geschlagen. Hierzu hat die Zersplitterung des linken Lagers einen großen Teil beigetragen. Der PS ist seiner Führungsperson beraubt. Eine neue Führung muss erst noch gefunden werden. Es ist fraglich, ob der PS sich bis zu den Parlamentswahlen wieder neu positionieren können wird. Das Ergebnis für den Kandidaten des PC ist eine Demütigung. Die Zukunft des PC ist ungewiss.
Nach dem Rücktritt von Jospin als Premierminister am 6. Mai wird Präsident Chirac, im Falle seiner Wiederwahl, einen neuen Premierminister und eventuell auch ein Rumpfkabinett benennen. Schon seit einiger Zeit wird heftig über die Namen der aussichtsreichsten Kandidaten spekuliert. Nach dem Ergebnis der ersten Runde der Präsidentenwahlen hat sich die Ausgangslage nochmals verändert. Die größten Chancen dürften zur Zeit Jean-Pierre Raffarin und Nicolas Sarkozy haben. Der neu ernannte Premierminister wäre gewissermaßen der Spitzenkandidat der bürgerlichen Parteien für die Parlamentswahlen. Er müsste den Wahlkampf gegen Linke und extreme Rechte gleichzeitig führen. Hierfür wären Raffarin und Sarkozy wohl am besten geeignet. Philippe Douste-Blazy würde dann eventuell Außenminister werden.
Schon kündigt sich aber Widerstand aus den eigenen Reihen des bürgerlichen Lagers an. Bayrou scheint ebenfalls am Posten des Premierministers interessiert und fühlt sich nach seinem Wahlergebnis (6,95%) darin bestärkt. Der größte "Nuisance-Faktor" könnte - wie so oft - aus dem eigenen politischen Lager kommen.
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