Ülke raporları
Kurz vor und nach der vorgezogenen Parlamentswahl am 18.04. 1999 haben die kritischen Beobachter der Türkei eher pessimistisch in die Zukunft geschaut: Vor der Wahl hatte man mit keiner wesentlichen Verschiebung der Stärkeverhältnisse der Parteien im Parlament, also mit der Fortsetzung der instabilen Regierungsverhältnisse gerechnet.
Nach der Wahl, die überraschend die rechts-radikale MHP, die bisher nicht im Parlament vertreten war, zur zweitstärksten Partei machte, hatte kaum jemand erwartet, daß die überraschend zustande gekommene Koalition aus der links-demokratischen, nationalen DSP unter Ministerpräsident Bülent Ecevit, der MHP und der konservativ-liberalen ANAP unter Mesut Yilmaz eine reformorientierte Politik betreiben und die drängenden Probleme des Landes anpacken würde. Viele, vor allem auch ausländische Beobachter, befürchteten wegen der MHP auch eine eher EU-feindliche Politik der neuen Regierung.
Wirtschafts-, sozial- und finanzpolitische Reformen
Nichts von all diesen negativen Prognosen ist eingetreten. Die Türkei ist eben immer für Überraschungen gut. Manchmal auch für positive. In pausenlosen Sitzungen bis in den August hinein verabschiedete das türkische Parlament mit stabiler Mehrheit und in ungewohnter Schnelligkeit in 3 Monaten mehr Reformgesetze als alle Vorgängerregierungen und -parlamente in zwei Legislaturperioden zusammen.
Die schwierigste und umstrittenste Reform war die der seit Jahrzehnten defizitäre Renten- und Krankenversicherung, die durch Parlamentsbeschluß Gesetz wurde. Mit der Heraufsetzung des Rentenalters und der Anhebung der Sozialbeiträge wurde gegen den heftigen Widerstand der Gewerkschaften dieser große Schritt zur finanziellen Sanierung der sozialen Sicherungssysteme möglich. Gleichzeitig wurde erstmalig in der Türkei eine Arbeitslosenversicherung eingeführt.
Die Reform des Bankensystems und die Stärkung der staatlichen Bankenaufsicht stabilisierte das kurz vor dem Kollaps stehende Banken- und Finanzierungssystem. Durch Verfassungs- und Gesetzesänderungen wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Türkei in Zukunft bei Großinvestitionen durch Beteiligung von ausländischen Geldgebern die internationale Schiedsgerichtsbarkeit anerkennt, was eine entscheidende Voraussetzung für ausländische Investitionen ist. In der Vergangenheit war dies immer wieder im Parlament gescheitert, weil man die Abgabe nationaler Souveränität und die stärkere Abhängigkeit vom Ausland fürchtete.
Als Folge der Zollunion war schon zuvor eine nationale Wettbewerbsbehörde eingeführt und ein modernes Zollgesetz verabschiedet worden, das die häufig undurchsichtigen und höchst bürokratischen Zollformalitäten erleichtern sollte. Die schnelle Verabschiedung dieses Reformpakets hat das Vertrauen der türkischen Wirtschaft in die Koalitionsregierung gestärkt.
Dazu hat beigetragen eine Reform der Steuergesetzgebung, die auf die Belange der Wirtschaft stärker Rücksicht nahm, und die Verabschiedung eines konsequenten Inflationsbekämpfungsprogramm mit Senkung der Staatsausgaben. Die Istanbuler Börse belohnte diese Entscheidungen der Regierung mit einem Kursfeuerwerk, so daß die Aktien zum Jahresende 1999 um 485% gestiegen waren.
Die Realisierung dieses wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Reformprogramms erleichterte der türkischen Regierung auch die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWS) um einen stand-by-Kredit. Im Januar diesen Jahres erhielt die Türkei einen 4 Milliarden-Dollar-Kredit zugesagt, nachdem sie sich verpflichtet hatte, die Inflation, die im letzten Jahr noch bei 60% lag, in diesem Jahr auf 25% und in den beiden Folgejahren auf 12% bzw. 7% zu senken.
Dieses Ziel will die Regierung erreichen durch einen schrittweisen Abbau der Staatsverschuldung und der Subventionen für die Landwirtschaft. Die türkische Zentralbank legte gleichzeitig für das Gesamtjahr 2000 einen bestimmten Wechselkurswert zwischen Türkischer Lira und Dollar fest. Dies hatte zur Folge, daß die Zinsen auf türkische Staatspapiere in Türkisch Lira von 150% auf 37% und die hohen Zinssätze der Banken gesunken sind.
Seit 15 Jahren wird die Privatisierung gefordert, aber nur wenig wurde realisiert - weil entweder die Parlamentsmehrheiten fehlten oder entsprechende Gesetze durch Urteile des von Gegnern der Privatisierung angerufenen Verfassungsgerichts aufgehoben wurden. Nachdem nun durch Verfassungs- und Gesetzesänderungen auch die Privatisierung der ineffizienten und defizitären Staatsunternehmen rechtlich erleichtert wurde, dürfte das Versprechen der türkischen Regierung, in den nächsten Jahren 20 Staatsbetriebe zu privatisieren, vielleicht eher eine Chance auf Realisierung haben.
Auch wenn vielleicht nicht alle wirtschaftlichen Ziele der Regierung erreicht werden, weil nicht zuletzt die Folgen der beiden schweren Erdbeben nicht so leicht zu verkraften sind, schaut die türkische Wirtschaft wieder optimistisch in die Zukunft und rechnet mit einem Wirtschaftswachstum im Jahre 2000 in Höhe von 5%. Damit wäre die schwere Rezession des letzten Jahres endgültig überwunden.
Reformen zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten
Haben die Zielstrebigkeit bei der Umsetzung erforderlicher Wirtschafts- und Sozialreformen kritische Beobachter der türkischen Regierung schon überrascht, so hatten sie noch weniger erwartet, daß diese Regierung auch auf dem ungleich schwierigeren Gebiet der Stärkung von Rechtssicherheit, Bürgerfreiheit und Menschenrechten durchaus ernst zu nehmende Reformanstrengungen unternahm - sicherlich nicht zuletzt auch deshalb, um die Chancen der Türkei für die Erreichung des EU-Kandidatenstatus in Helsinki zu verbessern.
Entgegenkommen zeigte die Türkei gegenüber der Kritik aus Europa z.B. dadurch, daß sie durch eine Gesetzesänderung den bisherigen Militärrichter als Mitglied des Staatssicherheitsgerichts durch einen Zivilrichter ersetzte. Die Verabschiedung eines "Reuegesetzes" sollte es den PKK-Kämpfern erleichtern, der Forderung Öcalans nachzukommen und ihren bewaffneten Kampf einzustellen, indem es ihnen unter allerdings sehr strengen Bedingungen Straffreiheit oder Strafnachlaß zusagte.
Im Herbst letzten Jahres erregte der Vorsitzende des obersten Appellationsgerichtes (vergleichbar dem Bundesgerichtshof), Sami Selçuk, mit seiner Rede zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahres großes Aufsehen, in der er auf schwere Demokratiedefizite in der türkischen Verfassung hinwies, die eher den Staat vor dem Bürger, statt umgekehrt den Bürger vor dem Staat schütze.
Diese Aussagen erfuhren in den türkischen Medien neben Kritik auch deutliche Unterstützung. Inzwischen hat die türkische Regierung eine Expertenkommission eingesetzt zur Überarbeitung der Verfassung und des Strafgesetzbuches.
Aber auch Regierung und Parlamentsmehrheit handelten: Die Strafen für Folter und Mißhandlungen durch Polizei und Sicherheitskräfte wurden erheblich verschärft. Das gilt auch für Ärzte, die durch falsche Gutachten Folter vertuschen wollen. Ein noch aus der osmanischen Zeit stammendes Gesetz, wonach Beamte wegen Straftaten (z.B. Korruption, Folter, Mißhandlungen usw.) durch den Staatsanwalt nur verfolgt und angeklagt werden können, wenn die Genehmigung seines Vorgesetzten vorliegt, wurde reformiert, so daß nunmehr nach Ablauf relativ kurzer Fristen der Staatsanwalt Straftaten von Beamten verfolgen und zur Anklage bringen kann.
Diese Gesetzesänderung kann in ihrer Bedeutung nur unterschätzt werden, weil sich künftig kein türkischer Beamter mehr darauf verlassen kann, daß Anschuldigungen gegen ihn letztlich im Sande verlaufen werden, sondern er wird jetzt für Straftaten zur Rechenschaft gezogen.
In einem langwierigen Verhandlungsprozeß zwischen Vertretern von Regierung und Parlament auf der einen und Vertretern des Türkischen Journalistenverbandes auf der anderen Seite beschloß das türkische Parlament, daß Schriftsteller und Journalisten, die wegen Meinungsäußerungen (z.B. Mißbrauch der Religion für politische Zwecke, Unterstützung separatistischer Ziele) rechtskräftig zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren und im Gefängnis saßen, frei gelassen wurden, weil die Urteile nachträglich auf Bewährung ausgesetzt wurden.
Dadurch konnten ca. 30 Schriftsteller und Journalisten aus dem Gefängnis geholt werden. Dies ist immerhin ein erster Fortschritt, wenngleich mittelfristig das Ziel sein muß, alle Vorschriften des Strafgesetzes und des Antiterrorgesetzes, die die Meinungsfreiheit bedrohen, abzuschaffen.
Wie erst die Regierung das Thema Menschenrechte nimmt, ist auch daran abzulesen, daß das türkische Innenministerium zusammen mit türkischen NGO's unter Leitung der Philosophie-Professorin Ionna Kuçuradi ein Erziehungsprogramm für Polizisten und Beamte zum Thema Menschenrechte entwickelt hat, das jetzt umgesetzt wird.
Die Aufhebung des Ausnahmezustandes der noch in fünf Provinzen im kurdischen Südosten des Landes gilt, ist eine weitere wichtige Voraussetzung für Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte; denn Willkür, Mißhandlungen und Folter finden vor allen Dingen in den Provinzen statt, in denen der Ausnahmezustand herrscht, weil dort die Sicherheitskräfte und das Militär Sondervollmachten haben und dort die ansonsten in der Türkei gültigen Schutzrechte der Bürger außer Kraft gesetzt sind.
Das türkische Parlament hat mit Wirkung zum 01.12.1999 den Ausnahmezustand in der süd-östlichen Provinz Siirt aufgehoben und den Ausnahmezustand in den erwähnten fünf Provinzen noch einmal für vier Monate verlängert. Es besteht die Hoffnung, daß nach Ablauf dieser Frist in weiteren Provinzen der Ausnahmezustand aufgehoben wird.
Nachdem nun auch von offizieller Seite bestätigt wurde, daß die terroristischen Angriffe von Seiten der PKK im Südosten des Landes drastisch zurückgegangen sind, besteht erstmalig seit 15 Jahren die Hoffnung, daß Sicherheit und innerer Frieden auch im süd-östlichen Teil des Landes einziehen kann. Vielleicht hat dann auch das wirtschaftliche Förderungsprogramm für den Südosten, daß die Ecevit-Regierung noch im letzten Jahr beschlossen hatte, wonach Investoren in dieser Region Steuerfreiheit, kostenloser Baugrund verbilligte Energiekosten genießen, auch mehr Chancen auf Realisierung, damit dort die dringend benötigten Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Nach der Helsinki-Entscheidung zugunsten des türkischen EU-Mitgliedsstatus empfahl Außenminister Ismail Cem , Kurden die öffentliche Benutzung ihrer Sprache in Rundfunk und Fernsehen zu erlauben. Daraufhin wurde er angezeigt wegen separatistischer Propaganda, aber der zuständige Staatsanwalt eröffnete kein Verfahren, weil derartige Äußerungen nach seiner Meinung zur garantierten Meinungsfreiheit gehörten.
Es gibt zwar einige kleinere kurdische Zeitungen in der Türkei, die allerdings immer wieder unter verschiedenen Vorwänden schikaniert oder verboten werden, weil die Rechtsklage unklar und die Rechtsprechung widersprüchlich ist.
Dieses Thema ist aber für die jetzige Koalitionsregierung politisch besonders heikel, genauso wie der Vollzug des Todesurteils gegen Öcalan. Es kann nur vollstreckt werden durch einen Beschluß des türkischen Parlaments in Form eines Gesetzes, das vom Staatspräsidenten unterschrieben werden muß. Über 50 Todesurteile liegen deshalb bisher unbearbeitet im zuständigen Ausschuß des türkischen Parlaments, weil seit 1984 kein Todesurteil vollstreckt wurde.
Ob über das Todesurteil gegen Öcalan im türkischen Parlament sofort abgestimmt oder auf das ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gewartet werden solle, war ein derartig strittiges Thema, daß die Koalition daran beinahe zerbrochen wäre.
Nun wartet man, und viele haben die Hoffnung, daß bis zu der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof eine Lösung gefunden wird, die es verhindert, daß Öcalan gehängt wird. Auch die Abschaffung der Todesstrafe ist in diesem Zusammenhang in der Diskussion.
Jedem Politiker in der Türkei war klar, daß die Vollstreckung des Todesurteils gegen Öcalan den Europa-Ambitionen der Türkei sehr geschadet hätte. Dies gilt übrigens auch für das in den nächsten Monaten anstehende Urteil des Verfassungsgerichts über den Antrag des türkischen Generalstaatsanwalts Savas, die islamische Partei Fazilet zu verbieten. Sollte es ihm gelingen nachzuweisen, daß Faziletmitglieder - wie in einigen türkischen Medien behauptet wird - die islamistische Mörderbande Hizbollah, der bisher 48 brutalste Morde nachgewiesen wurden, unterstützt haben, dann dürfte es für die Fazilet eng werden.
Eine andere Gefahr entsteht für die Stabilität und den Zusammenhalt der jetzigen Regierungskoalition und damit für ihren wirtschaftlichen und politischen Reformkurs wegen der Entscheidung über die Neuwahl des Staatspräsidenten, die Mitte Mai ansteht. Überwindet die Regierung diese Klippe, die mit schwierigen Rechts- und Personalfragen verbunden ist, so besteht die Chance, daß sie weiterhin stabil bleibt und ihre begonnene Reformpolitik systematisch umsetzt.
Dies wäre ein großer Fortschritt für die Türkei zu mehr wirtschaftlichem Wohlstand, zu mehr sozialer Sicherheit, Demokratie und politischer Freiheit. Dann würde die Türkei auch auf dem Weg zu einer späteren EU-Mitgliedschaft schneller vorankommen, als viele europäische Beobachter annehmen.
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