Widerständige Menschen haben nicht nur auf unterschiedliche Art und Weise gegen das NS-Regime aufbegehrt, sie hatten auch verschiedene Beweggründe. Zu Beginn des diesjährigen Forums 20. Juli 1944 erläuterte Professor Robert von Steinau-Steinrück, warum dieses Jahr der Fokus auf der evangelischen Kirche lag: „Der christliche Glaube war eine wesentliche Quelle für den Widerstand“. Extremisten muss man entgegentreten, das ist die Lehre aus dem Kampf gegen das NS-Unrecht, die noch heute gilt, und zwar für alle Menschen, wie Professor Norbert Lammert in seiner einführenden Rede betonte: „Zivilcourage ist kein Privileg von Herkunft, Bildung oder einer bestimmten Gesinnung. Sie folgt einer inneren Haltung, sie folgt einem festen Wertebewusstsein, sie ist Ausdruck von Charakterstärke.“ Dieses Themenfeld bestimmte den Vortrag von Professor Wolfgang Huber sowie die anschließende Podiumsdiskussion.
Huber verwies in seinen Ausführungen darauf, dass das totalitäre NS-System von Anfang an die Gleichschaltung der christlichen Kirchen im Fokus hatte und die „Anpassung der evangelischen Kirche an das NS-Regime“ vorantreiben wollte. Leider mit Erfolg, denn die Kirche sah sich „als gesellschaftliche Großorganisation nicht im Stande, zu den politischen Entwicklungen generell auf Distanz zu gehen“ und „der weitaus größere Teil ihrer Mitglieder“ habe den Machtwechsel 1933 sowie „die Beseitigung der Demokratie und die Aushöhlung des Rechtsstaats“ akzeptiert bzw. hingenommen. Besonders die „Deutschen Christen“ als „Vorfeldorganisation der NSDAP“ seien bei der Verkehrung des kirchlichen Auftrags von „ausschlaggebender Bedeutung“ gewesen. Offenkundigstes Beispiel dafür war das Vorhaben, den „Arier-Nachweis“ für Menschen im kirchlichen Dienst einzuführen. Der grassierende Antisemitismus machte vor der Kirche keineswegs Halt, denn die „Entfernung von Juden aus dem kirchlichen Dienst“ war aus Hubers Sicht nur der Anfang: „Die ‚judenfreie Kirche‘ (…) war das eigentliche Ziel“ der „Deutschen Christen“.
Der Theologe und Pfarrer Dr. Dietrich Bonhoeffer hielt das für unerträgliche Entwicklungen. Er war Huber zufolge einer der wenigen, „die den Versuch unternahmen, (diesen Entwicklungen) mit Klarheit entgegenzutreten.“ Bonhoeffer sei enttäuscht gewesen, dass sich die oppositionelle Kirche, die sich nun Bekennende Kirche nannte, nicht gegen den sogenannten „Arierparagraphen“ positionierte und die Barmer Theologische Erklärung – trotz Klarheit in anderen Hinsichten – die „Diskriminierung von Jüdinnen und Juden und die ihnen bevorstehende Rechtlosigkeit (…) nicht zureichend in den Blick“ genommen habe, betonte Huber. Das wollte Bonhoeffer nicht hinnehmen, denn er habe es als die Pflicht der Kirche angesehen, „den Opfern staatlichen Fehlverhaltens beizustehen“. Er engagierte sich für „jüdische Christen in evangelischen Gemeinden und im kirchlichen Amt“ und nahm damit die Metapher, die er selbst für das Sich-Einmischen gewählt hatte, beim Wort: „Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“
Huber würdigte Bonhoeffers „theologische Klarheit und seine praktischen Vorschläge zum Widerstand der Bekennenden Kirche“ – und machte zugleich deutlich, dass der „Widerstand aus christlicher Überzeugung“ im Vordergrund stehen und erinnert werden müsse, und nicht unbedingt nur die kirchlichen Amtsträger. Als Beispiel nannte er den Freundeskreis von Bonhoeffer, der ihn aus Hubers Sicht sogar stärker als das familiäre Umfeld geprägt habe: Die „Grunewald-Gefährten“, im engsten Kreis neben Dietrichs Bruder Klaus auch Hans von Dohnanyi, Justus Delbrück und Gerhard Leibholz, – zu denen im Übrigen auch die „Frauen von Anfang an dazugehörten“, darunter Grete von Dohnanyi, Christine Bonhoeffer, Emmi Delbrück sowie Christine, Sabine und Susanne Bonhoeffer. Für viele Menschen, die dem „Widerstand ihren Stempel aufdrückten und allzu oft ihr Leben opfern mussten“, galt, so Huber, „dass ihr Handeln christlich bestimmt war.“
Im Anschluss diskutierte Huber mit der Moderatorin Barbara Manterfeld-Wormit, sowie Prof. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Prof. Harry Oelke und Vladimir Blumin-Sint über den Widerstand Bonhoeffers und der Bekennenden Kirche, die Lehren, die wir heute daraus ziehen, historische Forschungsarbeit und die Formen der Gedenkarbeit. Doch auch hier stand die Frage der Zivilcourage, die Bonhoeffer im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte bewiesen hat, im Fokus: insbesondere die Frage, wie wir dem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland entgegentreten können. Blumin-Sint gab sich zuversichtlich, dass eine Besinnung auf das, was uns ausmacht, die Demokratie stärken kann: „Es sind gerade auch die christlichen Werte, die uns Juden schützen.“ Werte wie die Menschenwürde und die Menschenrechte, wie Nothelle-Wildfeuer betonte. Oelke zufolge hat Bonhoeffer die bevorstehenden Gefahren klar erkannt, und getan, was notwendig war, was uns eine Lehre sein muss: „Das Wort Alternativlosigkeit gibt es mit Bonhoeffer nicht.“
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