Den Höhepunkt der Konferenz bildete die Dinner Speech des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes, Professor Dr. Koen Lenaerts, der sich in seinem Vortrag mit den „Werte(n) der Europäischen Union in der Rechtsprechung des Gerichtshofes“ auseinandersetzte.
In seiner Rede stellte sich Präsident Lenaerts die Frage, ob er über die Rolle des Europäischen Gerichtshofes zur Lösung aktueller Herausforderungen sprechen könne, ohne die Gerichtsbarkeit zu politisieren. Dies gelang ihm durch eine Rückbesinnung auf die gemeinsamen Verträge der Europäischen Union: Gemäß seiner Ermächtigung durch die Mitgliedsstaaten könne der Gerichtshof immer nur auf Klagen, Anträge oder Vorlagen Dritter hin aktiv werden und niemals von sich selbst aus. Damit verfolge der Gerichtshof als rechtsprechendes Organ keinerlei politische Agenda, die Werte der EU aktiv zu gestalten.
„Normativ ist dem Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 EUV indes die Aufgabe übertragen, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern". Dieser zentrale Artikel des Vertrags über die Europäische Union enthalte – neben den Verpflichtungen zur Wahrung des Rechts und zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes – die Verbürgung der Rechtlichkeit der Union. Der Wertekanon aus Artikel 2 EUV, welcher dieser Rechtlichkeit zugrunde liegt, sei der Kompass der Union und in Zeiten politischer Herausforderungen wegweisend.
Mit zunehmender Vertiefung der europäischen Integration habe sich auch immer eine Verstärkung dieses gemeinsamen Wertefundaments vollzogen, so Präsident Lenaerts. Dieses Wertefundament solle in Zeiten wie diesen rechtsverbindliche Referenznormen setzen und als Hilfestellung zur Abstimmung zwischen den Mitgliedsstaaten die Funktionsfähigkeit der Union aufrechterhalten.
In einer Zeit, in der nicht nur von einigen Regierungen europäischer Mitgliedsstaaten, sondern auch innerhalb deren Gesellschaften der gemeinsame Weg der Einigung bisweilen durch lautstarken Diskurs über die Zukunft der Europäischen Union überdeckt würde, vermittele der Wertekanon aus Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union einen eigenständigen Wertegehalt der Europäisierung.
Diese Rolle des Gerichtshofes, das Unionsrecht in allen 28 Mitgliedsstaaten zu wahren und gleichzeitig seine Rückbindung an die individuellen Verfassungen der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten, war Kern der Diskussion des ersten Panels, auf dem mit Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas von Danwitz, Kammerpräsident am Europäischen Gerichtshof und Prof. Dr. Doris König, M.C.L., Richterin am Bundesverfassungsgericht, zwei hochkarätige Vertreter der europäischen und deutschen Gerichtsbarkeit sowie mit Maximilian Steinbeis, Gründer und Herausgeber des Verfassungblogs, ein wichtiger Vertreter des Diskurses vertreten waren.
Im zweiten Panel zum Thema „Unionsbürgerschaft – Bedeutung, Tragweite und Grenzen“ diskutierten Johannes Laitenberger, Generaldirektor der DG Wettbewerb der Europäischen Kommission, Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht der Universität Augsburg sowie Prof. Dr. Maria Berger, Richterin am Europäischen Gerichtshof das Spannungsfeld, in dem sich die Union, ihre Institutionen und auch die Gerichte derzeit bewegen.
Kritik an den europäischen Institutionen – am Gerichtshof, der Kommission, am Parlament – werde es aus Perspektive der einzelnen Nationalstaaten hin und wieder geben, da nicht immer allen gleichzeitig in ihren individuellen Situationen gerecht geworden werden könne, schloss Dr. Hans-Gert Pöttering. Diese Kritik müsse im gemeinsamen Austausch geäußert werden, denn wo Fehlentwicklungen bestünden, müssten diese auch angesprochen werden. Allerdings müsse man bei der Äußerung von Kritik auch immer die Psychologie der anderen Mitgliedsstaaten im Hinterkopf haben, damit sich das Recht als Ausdruck der gemeinsamen Unionswerte durchsetze.
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