Sonntag, 7. Mai 2023.
Die vertraute Sternfahrt: Aus allen Ecken Baden-Württembergs, so manchem Winkel anderer Bundesländer und selbst aus der Schweiz trudeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein. Meist sonorig brummend. Man fährt gesittet. Diesmal wird das Kloster Untermarchtal für die gesamte Seminarzeit unsere Unterkunft sein: idyllisch und zentral an der Donau gelegen.
Allerdings bescheinigt uns zum Auftakt Raimund Haser, Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Wangen, der mit einem traditionellen Boxer stilecht zweirädrig aus dem württembergischen Allgäu gekommen ist, dass wir es mit Untermarchtal geschafft hätten, das einzige nicht-barocke Kloster zwischen Alb und Bodensee, zwischen Schwarzwald und Lech gefunden zu haben. Sei’s drum. Wir üben uns auf andere Art in Demut. Haser meistert die komplexe Herausforderung, uns in die Region einzuführen, mit Humor und Tiefe: geographisch, historisch, politisch und wirtschaftlich. Man sei nicht verwegen, sondern verschmitzt, nichts gesagt sei gelobt genug, man suche nach Nischen und habe damit erfahrungsgemäß Erfolg. Teilweise München, aber auch Bregenz und gar Zürich seien näher als Stuttgart, und dass man einmal habsburgisch gewesen sei, wohl noch immer sichtbar. Man habe sich noch nicht ganz vom Vielgötterglauben losgesagt, bete beim „Schlampertoni“ für den verlorenen Schlüssel; und stelle doch in dieser in allen Bereichen erhaltenen Kleinteiligkeit Produkte für den Weltmarkt her. Abstrakt und konkret, sortiert und mit Ausflügen ins Detail – mit einem nun geschärften Blick auf die Region können wir ins weitere Seminar starten. Natürlich erst nach einem Briefing zu Erster Hilfe und zum Fahren in der Gruppe. Sicherheit ist oberstes Gebot.
Hoher Besuch
Wir haben die ersten beiden Tage einen sehr besonderen Gast: Gaël de Maisonneuve, Frankreichs Generalkonsul für Baden-Württemberg, ist aus Stuttgart zu uns gekommen – wenngleich auf vier Rädern. Am Sonntagabend geht es von Hohenzollern gewissermaßen zu ihm nach Frankreich. Raimund Haser zu folgen und als französischer Diplomat über Gott zu sprechen, sei für ihn zwar nicht so leicht, sagt der Diplomat des laizistischen Nachbarn augenzwinkernd. „Aber ich gebe mein Bestes“, so de Maisonneuve. Thema des Gesprächs: Frankreich und Deutschland, Frankreich und Europa, Frankreich und Deutschland in Europa… Man sei zusammen immer der Motor in Europa gewesen, was die Integration angehe – aber noch nie als ewiges Dream-Team. Es sei keine Liebe gewesen zwischen Adenauer und de Gaulle, auch nicht bei Kohl und Mitterand, und dennoch eine Erfolgsgeschichte. Das könne auch heute wieder gelten. „Wenn wir gemeinsam verstanden werden, können wir ganz Europa mitnehmen!“ Weiterarbeiten lautet die Devise.
Montag, 8. Mai 2023.
Es geht los, hinein in den kühlen, leicht verregneten, leicht nebligen Morgen, gen Süden – bis an das „Schwabenmeer“, den Bodensee. Von Sipplingen aus werden mit 1700 Kilometer Leitungen über vier Millionen Menschen mit erstklassigem Trinkwasser versorgt. Als Zweckverband hält man gemeinsam die Preise im Rahmen. Wir werden hinaufgeführt an die „Quelle“, das Ende der Steigleitung auf dem Sipplinger Berg, und werden eingeführt in die geniale Einfachheit des Systems aus Filtern, Spülsystemen und Ozonisierung. Auch hier neue und unerwartete Herausforderungen: Eine klitzekleine, hoch invasive Muschelart macht es notwendig, die Siebe der Wasserentnahme um ein Vielfaches häufiger auszutauschen, als noch vor ein paar Jahren. Ein Rendezvous des Klimawandels mit Württemberg-Hohenzollern. Muscheln im Wasserhahn? Lieber nicht!
Doch damit nicht genug: Wasser für Millionen – das ist kritische Infrastruktur. „Man sei gut geschützt und für alle Eventualitäten gewappnet“, erklärt uns unsere Führerin. Beeindruckt, aber auch nachdenklich treten wir – vorher aber noch schnell ein Glas Wasser für alle – die Weiterreise an.
Der Bodensee: Von erstklassigem Trinkwasser und den Pfahlbauten unserer Zeit
Ein Katzensprung, mit einem Schlenker vorbei am Internat Salem. Und schon sind wir bei Airbus zu Gast. Zwischen Immenstaad und Friedrichshafen bleibt kritische Infrastruktur das Thema, nur in einer neuen Dimension. Hier, am schönsten von 180 Standorten der Firma weltweit, so führt uns Pressesprecher Christian Wulf („mit einem F!“) ein, fokussiere man sich auf „Defence and Space“. Man habe erst im Jahr 2019 das neue Flaggschiff eröffnet: das „Integrated Technology Centre“. Riesige Filter halten Staub aus dem riesigen Reinraum fern. Techniker und Wissenschaftler in weißen Overalls und Maske lassen unter optimalen Bedingungen Satelliten entstehen: Goldfolie glänzt auf den hochkomplexen Wunderwerken. Erinnerungen an einen Bond-Film keimen auf. „Dafür haben wir so etwas wie die Pfahlbauten von Unteruhldingen in modern geschaffen“, erklärt unser Guide – 60 Meter lange Betonpfeiler tragen das Gebäude im wenig resistenten Bodenseeuferboden. Wir hören kaum zu. Zu faszinierend ist der Blick in die futuristische Werkhalle. Die Umweltfrage holt uns wieder ein: Weltraumschrott. „Der Weltraum ist groß!“, heißt es zunächst. Das Problem sei dennoch weiterhin nicht gelöst, es helfe aber, die vollständige Verglühfähigkeit der Satelliten zu gewährleisten – württembergische Nachhaltigkeit bis ins All.
In die Zukunft denken kann man am See auch gleich nebenan: Die einzige private Uni Baden-Württembergs, die Zeppelin-Universität Friedrichshafen, trumpft gegenüber staatlichen Mitspielern auf. „Wir haben ein Betreuungsverhältnis von 8:1 von Studierenden zu Wissenschaftlern“, erklärt uns nicht ohne Stolz Prof. Dr. Christian Opitz, der den Lehrstuhl für Unternehmensführung und Personalmanagement innehat. Ebenso selbstbewusst verweist er auf die große Zahl an Ausgründungen der Absolventinnen und Absolventen. Start-ups vom Bodensee.
Alles eine Frage des Hubraums
Pivatuni…? Nicht ganz billig! „Lohnt sich aber“, denkt man am See. Ein Beispiel dafür ist Maximilian Thelemann, der als Gesprächspartner einen weiteren wichtigen Player Friedrichshafens direkt zu uns bringt: Die traditionelle Motorenmarke MTU, Teil von Rolls Royce in Friedrichshafen – und ein Beispiel für den am Bodensee stark vertretenen Defence-Bereich. Thelemann kann über unsere Zwei- und Vierzylinder nur müde lächeln. Motoren aus seinem Haus haben „richtig“ Hubraum. Auf Lorbeeren ausruhen kann man sich aber nicht: Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung werden als entscheidende Markttrends ausgemacht – die aber für Rolls Royce nur teilweise sofort wirksam würden. Einen gewissen Stolz auf den perfekten, unkaputtbaren Dieselmotor kann man förmlich spüren. Der gute Selbstzünder werde noch ein Weilchen gebraucht – gerade auf hoher See. Dennoch: Bis 2050 will man auch hier klimaneutral sein.
Zurück auf der Straße: Von Friedrichshafen drehen wir wieder ab nach Nordwesten und steuern Sigmaringen an, das Zentrum des ehemaligen schwäbisch-hohenzollerschen Herrschaftsgebietes. Wir werfen einen geführten Blick in das repräsentative Schloss in der Stadt, sind von dem Technikstand des frühen 20. Jahrhunderts begeistert. Die Linie sei immer auf Heiratspolitik und auf Konfliktvermeidung aus gewesen – und das habe sich ausgezahlt: Anfang des 19. Jahrhunderts rettete man durch die Verbindungen zum napoleonischen Hof so die Souveränität des Herrscherhauses, dessen Geschichte im vergangenen Jahrhundert bis heute für Kontroversen sorgt. Im Anschluss geht es weiter nach Zwiefalten – Standort eines weiteren, natürlich barocken Klosters – zum Abendessen. Ein voller Tag.
Dienstag, 9. Mai 2023
Rise and shine? Auch heute verbirgt sich die Sonne zunächst. Auch wenn wir die Hoffnung nicht verlieren – zurecht, wie sich später zeigen wird.
Vom Prunksaal in die Gummistiefel
Unser erster Programmpunkt führt uns nach Aulendorf, wo wir den Vormittag im Landwirtschaftlichen Zentrum Baden-Württemberg (LAZBW) verbringen werden. Hier findet Landwirtschaft der Zukunft längst statt: Man mischt der Kuh einen Sensor in das Futter. Der bleibt im Magen und meldet Gesundheitsprobleme so früh, dass Antibiotika oft vermieden werden können. Warnung aufs das Smartphone des Landwirts. In Echtzeit. Genial. Wir gehen verblüfft an einem Kuhstreichelautomaten vorbei. Vorführeffekt bei der Vorführung des vollautomatischen Melkroboters, den die Kühe eigenständig aufsuchen, wenn es ihnen danach ist. Melk-Life-Balance? Unsere Kuh will jetzt aber nur das Leckerchen, gemolken ist sie schon. Ein Tritt auf den Schlauch – und schon müht sich der Roboter von vorne ab, sich anzulegen: aufsammeln, reinigen, desinfizieren, anlegen. Die nächste Kuh zeigt aber: Die Maschine kann das! Wer? Wann? Wieviel? Die Melkmengen werden wiederum auf der App in Echtzeit und mit höchster Präzision abgelesen. In Aulendorf betreibt das Land Forschung und Ausbildung, um die heimische Landwirtschaft für die zunehmenden Herausforderungen durch Klimawandel, Flächenknappheit und Marktanforderungen zu rüsten. Besser, effizienter, leistungsfähiger – und zum Wohl von Menschen und Tieren. Leckerchen auch für uns: Zum Abschluss genießen wir eigene Erzeugnisse des Gutes Aulendorf als Stärkung für die Fahrt Richtung Allgäu.
Des Jägers ganzer Stolz
Nächste Etappe: Jagdwaffen Blaser in Isny, äußerste Außenstelle des noch württembergischen Allgäus. Auf der Homepage haben wir Drohnen gefunden, die vor der Mahd Kitze auf dem Feld aufspüren können. Hightech – nicht zuletzt für das Image. Für Jäger ist die Jagd aktiver Naturschutz. Nicht alle sehen das hierzulande so. Bei Blaser hat man aber auch internationale Kunden im Blick – gelten deren Waffen gewissermaßen als die Rolls Royce ihrer Gattung. Entsprechend versichert und zeigt man uns: „Hier gibt es nichts, was es nicht gibt!“ In den Fabrikhallen erleben wir hautnah, wie ein Jagdgewehr aus einem Stück Stahl Schritt für Schritt erwachsen wird. Eine Wissenschaft aus Metallurgie und allen Disziplinen der Verformung. Mit einem Prinzip, dass sich durchaus als eine Art modularer Querbaukasten bezeichnen lässt, entsteht über Bohrung und mehrere Schleifschritte ein Lauf. Und eine kleine, feine Auswahl findet ihre Veredelung in einem unscheinbaren Gebäude hinter den Hallen, wo individuelle Kundensehnsüchte erfüllt werden. Mit Swarowski-Klunkern und türkischem Hartholz, je nach Geschmack und Kassenlage. Da muss man nur noch treffen.
Seiner Verantwortung dabei, dass auch solche mit den Waffen treffen könnten, die es nicht sollten, ist man sich bewusst, für straffe Regeln setzt man sich ein. Einig kann man sich in einem Punkt sein: Die Jagd, Jägerinnen und Jäger werden gebraucht – und damit auch präzise Ausrüstung „made in WüHo“.
Mittwoch, 10. Mai 2023
Kaum zu glauben – der letzte Programmtag. Wir machen uns zeitig auf, denn Disziplin wird am nächsten Ziel ganz besonders groß geschrieben: Wir treffen Hauptmann Sperber in der Kaserne des Hubschraubergeschwaders 64 der Bundeswehr in Laupheim. Dort stehen uns einmal mehr alle Türen offen: Wir sehen die Arbeit im Tower und die der Radar-Luftüberwachung. In der Wartungshalle ein beeindruckender Hubschrauber. „Bitte keine Fotos!“. Unter den Bikern haben viele Bundeswehr-Geschichte – man fühlt sich zuhause. „Und wie viele von den Hubschraubern sind nun eigentlich flugtauglich?“ Kein Blatt vor dem Mund, man hofft spürbar auf die „Zeitenwende“ auch bei der Ausstattung. Insbesondere die Ersatzteilbeschaffung fordert die Truppe heraus. Aber: „Was fliegt, das fliegt zuverlässig!“, lacht der Pilot neben der Maschine. Kritische Infrastruktur. Einer der roten Fäden des Programms. Gerade das Einsatz- und damit Relevanzprofil macht die Arbeit des Hubschraubergeschwaders so interessant, und damit die Schwierigkeiten so problematisch: Über den Heimatschutz, Spezialkräfteoperationen, Transportaufgaben und Risiko- und Krisenmanagement hat man zweifelsohne viel zu tun.
Hubschrauber, High tech, Hub-Kultur, Hohenzollernburg
Es geht weiter auf die kurze Fahrt nach Ulm, wo wir in der zweiten Hälfte des Morgens die Mobilitätsfrage in einer anderen Dimension angehen: Am ZSW, dem baden-württembergischen Forschungszentrum für Sonnenenergie und (hier in Ulm) Wasserstoff, erklärt man uns in der folgenden Stunde die Idee, den Aufbau und das realistische Potential eines Brennstoffzellenantriebs in einer Präzision, die fasziniert – weil sie nachvollziehbar ist. Individualverkehr, kleinere Autos? Unrealistisch. LKW? Bereits erfolgreich getestet und serienreif. Flugzeuge? Die große Vision, und denkbar. Entscheidend sei, rational für jede Anwendung immer die Lösung zu wählen, die sich am besten eigne – klingt eigentlich ganz einfach. Die Schilderung technischer Details allerdings ist das nicht unbedingt, und würde hier keinen großen Sinn ergeben – es sei darauf verwiesen, dass auch das ZSW selbst hierfür online informative Publikationen anbietet. Zuletzt sind wir zurück beim Thema der kritischen Infrastruktur: Es sei enorm wichtig, wieder Batterieproduktion nach Deutschland und Europa zu bringen. Und wie? „Einfach machen“, so der Rat, den wir mit auf die Reise nehmen.
Diese ist nicht weit. Nur ein paar Kilometer sind es nun zur Uni Ulm, auf deren Campus wir am Nachmittag Birgit Stelzer treffen, die uns in ihr Projekt der Start-up-Unterstützung einführt. Stelzer ist Geschäftsführerin des Entrepreneur Campus der Uni Ulm. „Mein Job? Hat viel mit Netzwerken, vor allem dem Verbinden der richtigen Empfänger mit den richtigen Bereitstellern zu tun.“, denn: „Ohne Moos nichts los!“ Etwas zu „unternehmen“, sei „leidenschaftliches Leiden“, aber es könne sich lohnen: Wer es lerne, zu priorisieren und zu pragmatisieren, der könne und werde es schaffen. Drei Viertel der „Ausgründungen“ hier sind, getreu dem technischen Profil der gesamten Region, solche im Deep-Tech-Bereich. Sie treffen auf ein Feld, in dem die Nachfrage bekanntermaßen nicht das Problem ist – die Potentiale sind riesig.
Es geht weiter, auf einer unüblichen Route, nicht etwa quer und schnell über die Schwäbische Alb, wie das von „Nicht-Älblern“ üblicherweise gehandhabt wird, sondern längs, immer weiter nach Westen, bis sie, die Alb, wieder ins „flache“ Land fällt – das Ziel, unser letzter Programmpunkt, und gleichsam in gewisser Hinsicht krönender Abschluss, ist die Burg Hohenzollern. Ein Schelm, wer die Anfahrt als das Highlight bezeichnet, aber exklusiv ist sie: Wir dürfen bis in den Burghof mit den Motorrädern fahren – keineswegs üblich. Die Kulisse: Ein Berg, eine Burg, und 20 Motorräder – ganz nach unserem Geschmack. Dr. Anja Hoppe, die Chefin des Hauses selbst – zumindest, was die Verwaltungsseite angeht – führt uns eindrücklich durch die repräsentativen Räume und spart nicht mit Anekdoten. Von Hochzeiten und Beerdigungen, über Filmdrehs des echten Hollywood, japanischen Turbo-Besuchen mit Ende auf dem „Ohnmachtsbett“, Diskussionen mit der Kulturstaatsministerin bis hin zur großen, langen Geschichte des Hauses – Hoppe nimmt uns förmlich mit auf eine Reise durch das Schloss und bereitet einen mehr als würdigen, vor allem aber humorvollen Abschluss des Programms.
Eine letzte Rückfahrt zum Kloster, einmal mehr trocken unter dem Regenbogen hindurch, hinein in die Nacht – mit einer auch wichtigen Erkenntnis: Wir hatten in einer sehr instabilen Gesamtlage unfassbares Wetterglück.
Donnerstag, 11. Mai 2023
The Big Goodbye. Und kommendes Jahr? Schaumermal! Südbaden lockt…
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