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Nachdem erste Hinweise auf die Skandale um Präsidentin Park Ende Oktober öffentlich geworden waren, versammelten sich anfangs rund 50.000 Menschen zu einer ersten Demonstration, die in den folgenden Wochen zum samstäglichen Ritual werden sollte. Die Teilnehmerzahl stieg von Mal zu Mal, so dass sich am 3. Dezember schließlich allein in Seoul etwa 1,7 Millionen Bürger auf dem zentralen Gwanghwamun-Platz versammelten. Auch in anderen Großstädten wie Busan, Gwangju und Daegu demonstrierten die Bürgerinnen und Bürger gegen die Präsidentin, die sie nicht mehr als die ihre empfanden. Laut Veranstalterangaben gingen landesweit rund 2,3 Millionen Menschen (laut Polizeiangaben: 420.000 Teilnehmer) auf die Straße und waren damit Teil der größten Protestkundgebung in Südkorea seit Jahrzehnten.
Zweites Amtsenthebungsverfahren seit Republikgründung
In der Republik Korea wurden seit Gründung zwei Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidenten initiiert. Das erste gab es gegen den inzwischen verstorbenen Präsidenten Roh Moo-hyun und das zweite nun gegen die amtierende Präsidentin Park Geun-hye. Allerdings sind die Gründe für und die Reaktionen der Bürger auf diese Verfahren höchst unterschiedlich.
Als im Jahr 2004 dem damaligen Präsidenten Roh Moo-hyun vorgeworfen wurde, gegen das Wahlgesetz verstoßen zu haben und seine „Neutralitätspflichten“ verletzt zu haben, leitete die Saenuri-Opposition – die heute die Regierung stellt – das Amtsenthebungsverfahren ein. Auch damals gab es „Kerzenlicht-Demonstrationen“, jedoch gegen das Vorhaben der Saenuri-Fraktion gerichtet. Das Verfassungsgericht entschied seinerzeit nach zweimonatiger Beratungszeit, dass Präsident Roh zwar gegen das Wahlgesetz verstoßen habe, der Vorgang jedoch insgesamt keine Amtsenthebung rechtfertigen würde.
Kerzenlichter brachten Politik in Bewegung
Anders als vor rund zwölf Jahren strömen die Bürger im Herbst 2016 mit einer Kerze in der Hand an jedem Samstag zu Großkundgebungen. Das Zeichen der Straße beeinflusste die Debatten im Parlament und forcierte die Diskussion über ein Amtsenthebungsverfahren gegen die jetzige Präsidentin. Der vom Parlament beschlossene Antrag nennt als Grund für die Amtsenthebung den rechtswidrigen Einfluss von Frau Choi Soon-sil, der langjährigen Freundin und Vertrauten der Präsidentin, auf Personal- und Sachentscheidungen der Regierung. Zudem habe die Präsidentin in ihrem Umfeld Korruption zugelassen beziehungsweise mutmaßlich sogar gefördert. Diese Vorhaltungen, die die Staatsanwaltschaft teilweise bereits bestätigt hat, sind die treibende Kraft für die allwöchentlichen Demonstrationen.
Die Opposition (Minjoo-Partei, „Partei des Volkes“, Justice Party) konzentrierte ihre Kräfte auf das Erreichen der gemäß Verfassung erforderlichen Zweidrittelmehrheit (200 Abgeordnete) für den Antrag auf Amtsenthebung. Das war nicht ohne Risiko. Denn die versammelte Opposition verfügt lediglich über 178 Mandate. Es waren also im günstigsten Fall wenigstens 28 Stimmen aus dem Regierungslager notwendig, um die parlamentarische Hürde zu nehmen. Ein Scheitern des Antrages hätte durchaus Auslöser für einen Stimmungsumschwung sein können. Die Präsidentin und ihre Anhänger hätten dann möglicherweise eine Chance bekommen, sich neu aufzustellen. Ob das Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, darf angesichts der eindeutigen Stimmungslage in der Bevölkerung aber durchaus bezweifelt werden. Wut, Enttäuschung und die unbedingte Forderung nach Veränderungen konnten auch die Saenuri-Vertreter nicht mehr überhören. Die geheime Abstimmung über den Antrag auf Amtsenthebung fand am Ende auch die Unterstützung nahezu der halben Regierungsfraktion.
„Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ – Präsidentin goss Öl ins Kerzenlicht
Als der Vertrauten von Präsidentin Park Geun-hye, Choi Soon-sil, der zentralen Figur der Skandalserie, vorgeworfen wurde, sich in die Regierungspolitik eingemischt zu haben, entschuldigte sich die Präsidentin am 25. Oktober 2016 erstmals öffentlich für die Vorgänge . Den Unmut der Bürger konnte das nicht mindern. Viele hofften und erwarteten, dass sich Park in ihrer dritten Ansprache am 29. November ernsthaft entschuldigen und ihren Rücktritt erklären würde. Doch entweder hat sie die Lage völlig verkannt oder aber – taktisch motiviert – ohnehin den Weg des Amtsenthebungsverfahrens vorgezogen. Auch Ende November hat sie lediglich bekräftigt, wie betroffen sie angesichts der schwierigen Situation sei und dass sie "das Parlament über ihre Zukunft im Amt entscheiden lassen" wolle. Auch diese dritte Stellungnahme zum Skandal verfehlte die intendierte Wirkung und steigerte bei den Bürgern die Enttäuschung weiter.
Parlamentarische Anhörung – Konzernchefs ohne Aufklärungswillen
Der eingesetzte parlamentarische Sonderausschuss zur Aufklärung des ‘Choi Soon-sil-Skandals' hat Anfang Dezember mit den Anhörungen begonnen. Wichtige Zeugen erschienen unter verschiedenen Vorwänden nicht. Die Anhörung zur Untersuchung des 'Choi Soon-sil-Gate' fand somit vor allem ohne die Frau statt, die im Mittelpunkt der Affäre steht. Die geladenen neun Führungsspitzen mutmaßlich betroffener Großkonzerne zogen das parlamentarische wie auch das öffentliche Interesse auf sich. Bei der Befragung zeigte sich, dass Chung Mong-koo, Vorsitzender von Hyundai Motor, die Ereignisse sehr mitgenommen haben. Er musste, gesundheitlich angeschlagen, die Befragung abbrechen. Die meisten Fragen richteten sich dann an Lee Jae-yong, Vizechef von Samsung. Lee agierte anfangs nervös, fasste sich aber im weiteren Verlauf der Anhörung. Vor allem ging es den Abgeordneten um „transparentes Firmenmanagement“. Konkret wurden die Wirtschaftskapitäne nicht. Ausnahmslos alle antworteten ausweichend, entschuldigten sich und gaben vor, sich an Details und Zusammenhänge nicht erinnern zu können. Das chronische Problem des engen Geflechts zwischen Politik und Wirtschaft zeigte sich an diesem Tag deutlich.
Neue Kultur der 'Kerzenlicht-Kundgebungen'
Die Kundgebungen in Korea präsentieren sich dagegen als eine neue Art von Demonstrationen. Obwohl Bürger und Regierung sich gegenüber stehen, kam es bisher kaum zu Zusammenstößen mit der Polizei. Im Gegenteil – das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei war teilweise gar herzlich. Bei den großen Samstagsprotesten gab es laut Presseberichten nicht eine einzige Verhaftung. Unter den Teilnehmern waren Eltern mit Kinderwagen, ganze Großfamilien, Abiturienten, Angestellte – allesamt Bürger, die eine gerechtere Gesellschaft in Südkorea einfordern und ihre Bereitschaft zeigten, dafür auch einen Beitrag leisten zu wollen. Nach jeder Demonstration wurde von den Teilnehmern „aufgeräumt“. Die Straßen waren wieder so sauber wie vor der Kundgebung. Da häufig Familien und Freunde gemeinsam zu den Demonstrationen gekommen waren, blieben Zusammenstöße oder gewalttätige Auseinandersetzungen aus. Die Zusammenkünfte hatten weithin den Charakter von Kulturveranstaltungen, bei denen auch Satire und politisches Liedgut zu hören waren.
Zahlreiche Saenuri-Abgeordnete billigten Amtsenthebungsantrag
Mindestens 61 Abgeordnete der Regierungspartei müssen für den Amtsenthebungsantrag gestimmt haben, da die Zahl der Abgeordneten der Opposition und der oppositionsnahen Parteilosen 172 beträgt. Analysten in Seoul gehen davon aus, dass von den Saenuri-Abgeordneten vor allem diejenigen, die in ihrer ersten oder zweiten Legislaturperiode im Parlament sind, mit der Opposition für das Amtsenthebungsverfahren votierten. Meinungsumfragen sehen die Zustimmung zum Amtsenthebungsverfahren bei 81 Prozent. (Gallup Korea). Die „Zustimmungswerte“ für die Präsidentin liegen nach wie vor im einstelligen Bereich. Auch diese Daten werden ihre Wirkung in den Reihen der Saenuri-Abgeordneten nicht verfehlt haben.
Droht der Saenuri-Partei die Spaltung?
Die Saenuri-Partei bekam im Februar 2012, als ein neuer Parteivorstand um die damalige Parteivorsitzende Park Geun-hye gebildet wurde, ihren heutigen Namen. Park forcierte eine dezidiert konservative Ausrichtung der Partei. Jetzt schwindet ihre Unterstützung in der eigenen Partei zusehends. Sonst hätte sich nicht auch die Hälfte der Fraktion in der entscheidenden Abstimmung über die Amtsenthebung von ihr abgewandt. Die künftige Entwicklung der Partei wird sehr davon abhängen, wie die der Präsidentin nahestehenden Führungsleute in Partei und Fraktion mit der internen Spaltung umgehen werden – und welches der beiden Lager am Ende die Partei verlässt.
Der Zeitplan des Verfassungsgerichts bestimmt auch den Termin für die Präsidentschaftswahl
Das Verfassungsgericht hat nun erstmals nach zwölf Jahren in einem Amtsenthebungsverfahren zu entscheiden. Ein Gerichtssprecher hat mitgeteilt, das Verfahren solle zügig begonnen werden. Laut Gesetz muss die Entscheidung binnen 180 Tagen gefällt werden, mit - so oder so - erheblichen Auswirkungen auf die Politik. Gemäß Artikel 113 der Verfassung der Republik Korea müssten sechs Verfassungsrichter (von insgesamt neun Verfassungsrichtern) die Voraussetzungen einer Amtsenthebung als erfüllt sehen und den Antrag des Parlaments bestätigen. Der weitere Fortgang des Verfahrens insgesamt hängt ganz maßgeblich von der Dauer der Beratungen ab. Denn Ende Januar 2017 scheidet der Präsident des Verfassungsgerichts Park Han-cheol altersbedingt aus, im März folgt Verfassungsrichterin Lee Jung-mi. Sollte die Entscheidung vor Ablauf der Amtszeit des Gerichtspräsidenten Mitte Januar nächsten Jahres getroffen werden, könnten entsprechend der Verfassung (Artikel 68 Absatz 2) im März Präsidentschaftswahlen stattfinden. Erfolgt die Entscheidung nach dem Ende der Amtszeit des Gerichtspräsidenten Park, jedoch noch vor dem Ausscheiden der dann amtierenden Gerichtspräsidentin Lee Jung-mi,, also Mitte März, käme es im Mai zur Präsidentenwahl. Sollte das Verfassungsgericht, zum Beispiel wegen eigener Zeugenbefragungen oder der Prüfung weiterer Beweismittel, die Frist von 180 Tagen voll ausschöpfen, würde das neue Staatsoberhaupt im August gewählt werden.
Welche Faktoren könnten die Entscheidung des Verfassungsgerichts beeinflussen?
Das Verfassungsgericht kann den Beschluss des Parlaments aufrechterhalten oder ihn zurückweisen. Unter den Richtern befindet sich nur einer, der von der Opposition vorgeschlagen wurde, alle übrigen gelten als konservativ oder eher konservativ.
Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem Amtsenthebungsverfahren im Jahr 2004 und dem jetzigen. Damals war die Faktenlage vergleichsweise einfach beziehungsweise übersichtlich. Präsident Roh Moo-hyun hatte zugegeben, dass er gegen das Wahlrecht und die Verfassung verstoßen hatte, während Präsidentin Park Geun-hye nahezu jeden Vorhalt zurückweist. Da gegebenenfalls zahlreiche Zeugen befragt werden müssen, sollte eine schnelle Entscheidung die eher unwahrscheinlichere Variante sein.
Das Verfassungsgericht kann nur dann eine Entscheidung verkünden, wenn es von mehr als sieben Richtern besetzt ist. Daher könnte es auch zu einer Situation der Beschlussunfähigkeit kommen - wenn nämlich nach dem Ende der Amtszeit des Präsidenten Park Han-cheol oder von Richterin Lee Jeong-mi ein oder zwei Verfassungsrichter zurücktreten oder aus anderem Grund nicht teilnehmen. Gänzlich ausgeschlossen ist ein solches Szenario nicht. In diesem Fall wird Präsidentin Park Geun-hye ihre Befugnisse zurückerhalten und die Präsidentschaftswahlen finden am regulären Termin im Dezember 2017 statt.
Regierung und Parlament wirken in diesen Wochen gelähmt. Es gibt nur das eine und alles überlagernde Thema. Jetzt hat das Verfassungsgericht mit seiner Arbeit an diesem Fall begonnen. Abhängig vom weiteren Verlauf der politischen Krise und je nach Entscheidung des Gerichts könnten sich Gesellschaft und Politik der Republik Korea verändern. Vielleicht erlebt Südkorea sogar eine weitere Umbruchphase. Die Bürger zeigen – im positiven Sinne – Entschlossenheit.
Den gesamten Länderbericht lesen inklusive Fußnoten im obigen pdf.