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Für ein anlassbezogenes Burka-Verbot

Religionsfreiheit und Integrationsnotwendigkeit gleichermaßen gerecht werden

Bei der Debatte um die Vollverschleierung gilt es, abseits aller Emotionen nüchtern die Fakten und rechtlichen Möglichkeiten zu bewerten. Innenminister Thomas de Maizière weist zu Recht darauf hin, dass es dem Freiheitsverständnis des Grundgesetzes widerspricht, alles zu verbieten, was uns nicht gefällt. Andererseits gibt es keine unbeschränkte Freiheit: Grenzen setzen der Respekt vor der Freiheit des Anderen und die Akzeptanz der Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie.

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1. Worum geht es

Im Islam gibt es unterschiedliche Formen der Verschleierung. Während der Niqab aus der vorislamischen Beduinenkultur stammt, um Körper und Gesicht vor Sonne und Wind zu schützen, lässt sich die Burka erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen. Im Koran gibt es die Aufforderung an Frauen, einen Schal zu tragen, der ihren Schmuck verdeckt bzw. "etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen", damit sie nicht belästigt werden. Erzkonservative Muslime berufen sich darüber hinaus auf eine Textstelle, nach der Männer keinen direkten Zutritt zu den Frauen des Propheten haben sollen, sondern nur getrennt durch einen Vorhang („Hijab“) mit ihnen reden dürfen.

Daraus wird die Forderung abgeleitet, alle Frauen sollten sich bis auf Gesicht und Hände vollständig bedecken (Chador). Mit der Ganzkörperverschleierung haben Islamisten diese Vorschrift ins Extrem getrieben. Die Burka mit einem Stoffgitter zur Verhüllung selbst der Augen wird vor allem in den Golfstaaten getragen, die vom erzkonservativen Wahabismus dominiert sind. Im fundamentalistischen Saudi-Arabien ist diese Form der Vermummung sogar vom Gesetzgeber verpflichtend festgelegt. Auch die Taliban in Afghanistan haben die Burka zwangsweise durchgesetzt, ebenso der „Islamische Staat“ in dem von ihm besetzten Gebieten. Wenn in Europa über ein „Burka-Verbot“ diskutiert wird, sind die Ganzkörperverschleierungen von Niqab und Burka gemeint.

2. Religionsfreiheit

Zwar lässt sich dem Koran eine Burka-Pflicht nicht unmittelbar ableiten und die meisten Muslime lehnen die Ganzkörperverschleierung ab. Dennoch gehört sie für bestimmte Gruppen zu ihrem Glaubensverständnis und ist deshalb grundsätzlich durch die vom Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit abgedeckt. Darauf weist auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten aus dem Jahr 2010 hin: "Das Tragen einer Burka fällt damit in den Schutzbereich des Art.4 GG, soweit die Trägerin dies als verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgeschrieben empfindet."

3. Integrationsnotwendigkeit

Es lässt sich nicht bestreiten, dass das Tragen einer Burka ein bewusstes Zeichen von integrationsfeindlicher Abgrenzung vom Wertekonsens sein kann, der unsere freiheitliche Gesellschaft trägt. Deshalb empfinden auch viele die Ganzkörperverschleierung im öffentlichen Raum als Zumutung. Wie der wiss. Dienst des Bundestages ausführt, verlangt das Grundgesetz von uns allerdings, dies zu ertragen, denn „der einzelne (hat) kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben. Insofern gewährt die negative Religionsfreiheit weder das Recht die Bekenntnisäußerung anderer zu verhindern, noch durch den Staat vor Konfrontationen mit religiösen Fakten geschützt zu werden. Es existiert kein Anspruch im öffentlichen Raum vor den religiösen Einflüssen der Umwelt abgeschirmt zu werden.“ Im übrigen ist es schwierig im konkreten Fall festzustellen, ob die Burka aus religiösen Gründen getragen wird oder als politische Demonstration.

4. Selbstbestimmung der Frau

Der Ganzkörperverschleierung liegt ein Frauenbild zugrunde, das erkennbar im Widerspruch zu Artikel 3 GG steht: „(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Der wiss. Dienst des Bundestages stellt dazu fest: „Beide Regelungen zielen aber auf die Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern. Der Staat erhält dadurch keinen Erziehungsauftrag für seine Bürger, der ihn legitimiert ein Verbot der Vollverschleierung auch gegen den Willen der betroffenen Frauen durchzusetzen.“

Ohne Zweifel besteht aber auch die Gefahr, dass die Ganzkörperverschleierung Frauen aufgezwungen wird. Dazu hat der wiss. Dienst des Bundestages eindeutig festgestellt: „Soweit die Burka aus anderen Motiven - etwa aufgrund äußeren Zwangs - getragen wird, unterfällt dies nicht dem Schutzbereich des Artikels 4 GG.“

5. Burka-Verbot konkret

Frankreich führte 2011 ein landesweites Burka-Verbot ein. Der Europäische Gerichtshof urteilte im Juli 2014, dass das dortige Gesetz menschenrechtskonform sei. Das Tragen einer Burka untersagt hat auch Belgien. Im Senegal hat die Regierung Ende 2015 die Ganzkörperverschleierung von Frauen verboten, nachdem es zuvor mehrere Selbstmordattentate von Burka-Trägerinnen oder von mit Burka verkleideten Männern gegeben hatte.

Ende 2015 hat zudem der Schweizer Kanton Tessin nach einer Volksabstimmung ein Burkaverbot beschlossen. Dort heißt sst es jetzt in der Kantonsverfassung: „(1) Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen. (2) Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.“

Die Erfahrungen in Frankreich und Belgien haben allerdings gezeigt, dass ein generelles Verbot im Alltag schwer durchzusetzen ist, zu einer Solidarisierung radikaler Islamisten und einer Zunahme von Burka-Trägerinnen führen kann. Ausserdem zeigten sich konkrete Probleme im Blick auf die Wirksamkeit des Ordnungsgeldes: In Frankreich übernehmen muslimische Organisationen das Bußgeld für Frauen, die gegen das Gesetz verstoßen. Im Tessin verkündete ein muslimischer Unternehmer öffentlichkeitswirksam mögliche Strafzahlungen für Burka-Trägerinnen zu begleichen.

6. Was tun?

Der wiss. Dienst des Deutschen Bundestages hält ein generelles Burka-Verbot in Deutschland für verfassungswidrig, fügt aber hinzu: „Ein Verbot kommt nur im Einzelfall als Ergebnis einer Abwägung mit koll¬dierenden Verfassungsgütern in Betracht.“ Solche Einzelfallregelungen erscheinen sinnvoll, um Religionsfreiheit und Integrationsnotwendigkeit gleichermaßen gerecht zu werden.

Einige Beispiele dafür gibt es schon:

Bei „öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel“ gilt das sog. „Vermummungsverbot“: Nach §17a des Versammlungsgesetzes ist es verboten, „an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.“

Das Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes wird derzeit schon in den meisten Bundesländern insbesondere für den Bereich der Schulen und Kindergärten verboten. Berlin und Hessen haben darüber hinausgehende Regelungen, die sich auch auf Beamte und Angestellte in der Landesverwaltung beziehen. Im Bundesbeamtenrecht gibt es keine vergleichbaren Vorschriften. Der wiss. Dienst des Bundestages stellt dazu fest: „Ein Verbot des Tragens der Burka im öffentlichen Dienst bedürfte einer Änderung des Beamtenrechts. Eine solche Regelung dürfte aber weder konkret eine bestimmte Religion diskriminieren noch ein bestimmtes religiöses Kleidungsstück verbieten.“

Unter Beachtung dieser Vorgabe wäre eine gesetzliche Regelung sinnvoll, die Einzelregelungen zusammenfasst und systematisiert. Danach könnte die Formulierung des Versammlungsgesetz aufgreifend eine „Aufmachung, die geeignet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern“ für den öffentlichen Dienst inkl. des Besuchs von Ämtern, vor Gericht, bei Pass- und Verkehrskontrollen, in öffentlich finanzierten Bildungseinrichtungen von Kitas bis zur Hochschule usw. verboten werden. Das sollte übrigens auch bei der Teilnahme an den gesetzlich vorgeschriebenen und finanzierten Integrationskursen gelten. Außerdem sollten solche „Aufmachungen“ dort verboten werden, wo sie die Sicherheit gefährden wie z.B. beim Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr. Rechtlich sollten sollten Verstöße als Ordnungswidrigkeiten im Verwaltungsrecht, nicht im Strafrecht geahndet werden.

Dazu könnte für bestimmte private Bereiche das Recht auf Zurückweisung der Vollverschleierung (das ist etwas anderes als ein Verbot) gesetzlich abgesichert werden - z.B. beim Besuch einer Bank oder im privaten Geschäftsverkehr.

Solche differenzierten Regelungen sind zwar mühsamer als ein allgemeines Burka-Verbot, aber sie sind zugleich wirksamer. Zum einen entfällt die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht wegen eines generellen Eingriffs in die Religionsfreiheit tätig wird. Zum andern sollten wir uns im Respekt vor den Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie der Aufgabe nicht entziehen, genauer zu definieren, wann und warum Freiheitseinschränkungen wie das Verbot des Tragens einer bestimmten Kleidung gerechtfertigt sind. Die Diskussion darüber ist sinnvoll und notwendig, weil sie zur Auseinandersetzung mit den Grundlagen freiheitlicher Demokratie zwingt.

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Dr. Stephan Eisel

Dr

Projektleiter

stephan.eisel@kas.de +49 2241 246-2285
Anders als bei der Burka sind bei der Niqab die Augen der Trägerin noch zu sehen. (Bild: dpa) dpa

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland