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Wer warum die Piratenpartei wählt

Analyse der Landtagswahlen 2011/12 in Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen

Innerhalb von acht Monaten ist der Piratenpartei der Einzug in vier deutsche Landesparlamente gelungen. Mit einem Stimmenanteil von 8,9 Prozent in Berlin, 7,4 Prozent im Saarland, 8,2 Prozent in Schleswig-Holstein und 7,8 Prozent in Nordrhein-Westfalen übersprangen sie viermal hintereinander problemlos die Fünf-Prozent-Hürde.

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Die gemeinsame Betrachtung dieser so schnell aufeinander folgenden Landtagswahlen auf der Basis absoluter Zahlen gibt interessante Einblicke in die Struktur der Wählerschaft der Piratenpartei, weil sie regionale Besonderheiten relativiert. Dass drei dieser vier Wahlen in einem Zeitraum von nur acht Wochen stattfanden, hat den Erfolg der Parlamentsneulinge sicher begünstigt. Schon medial bereitete ein Wahlerfolg den nächsten vor: man wärmt sich gerne in der Sonne des Siegers. Den ersten Test auf die Nachhaltigkeit ihrer Erfolge müssen die Piraten nun in der wahlfreien Zeit bis zur Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar 2013 bestehen. Gerade für Oppositionsparteien auf Landesebene sind nämlich wahlfreie Zeiten meist auch Zeiten der Medienabstinenz.

Sonderfall Deutschland

Bei den Erfolgen der Piratenpartei handelt es sich bisher um ein ausschließlich deutsches Phänomen, obwohl in den letzten Jahren in fast allen Mitgliedsländer der Europäischen Union nationale Piratenparteien entstanden sind.

Der Ursprung der Piratenpartei liegt in Schweden, wo sie Anfang 2006 gegründet wurde. Sie geht dort zurück auf die Anti-Copyright-Organisation „Piratbyran“, die 2004 die Internettauschbörse „The Pirate Bay“ initiiert hatte. Der Protest gegen die Beschlagnahme des Servers dieses Internetanbieters durch schwedische Behörden wegen Urheberrechtsverletzungen und gegen die dazu 2009 ergangenen Urteile wurde zum Hauptthema der neuen Partei.

Dies führte zu einem einmaligen Wahlerfolg der schwedischen Piratenpartei bei den Europa¬wahlen 2009, wo sie mit 7,1 Prozent einen Abgeordneten nach Brüssel entsenden konnte. Doch diesem Strohfeuer folgte schnell die Ernüchterung: Schon bei den nationalen Parlamentswahlen in Schweden 2010 erreichten die Piraten wieder nur 0,6 Prozent der Stimmen erreichte und fielen damit auf ihr Ergebnis von 2006 zurück.

In anderen Ländern trat die Piratenpartei auf nationaler Ebene nicht zur Wahl an oder brachte sogar nicht die notwendigen Unterstützungsunterschriften für die Anmeldung zur Wahl zusammen. Auf lokaler Ebene ist allenfalls erwähnenswert, dass die Piratenpartei am 12. April 2012 mit 3,8 Prozent der Stimmen ein Mandat im Gemeinderat von Innsbruck errang.

Bundestagswahl 2009 als Fundament

In Deutschland wurde die Piratenpartei am 10. September 2006 in Berlin gegründet. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte sie weitgehend unbeachtet mit 847.000 Wählern immerhin zwei Prozent der Stimmen. In dieser Größenordnung bewegte sie sich bei den folgenden Landtagswahlen 2010/2011, zu denen sie ausnahmslos antrat: NRW (1,5 Prozent), Hamburg (2,1 Prozent), Sachsen-Anhalt (1,4 Prozent), Rheinland-Pfalz (1,5 Pro¬zent), Baden-Württemberg (2,0 Prozent), Bremen (1,9 Prozent) und Mecklenburg-Vorpom¬mern (1,9 Prozent).

Die Piraten testeten in diesen Wahlkämpfen nicht nur ihre Internetkompetenz, sondern übten sich zugleich in traditionellen Wahlkampftechniken wie Plakataktionen und Informationsständen. Bemerkenswert ist, dass sie dabei trotz des demonstrativ zur Schau gestellten „basisbezogenen“ Charakters der Partei von Anfang an mit einem professionell einheitlichen Erscheinungsbild sowie fast ausschließlich zentral erstellten Werbematerialen antraten.

Da sie schon bei der Bundestagswahl 2009 mehr als 0,5 Prozent der Stimmen erreichte, qualifizierte sich die Piratenpartei auch für die staatliche Parteienfinanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes. Ausweislich ihres vom Deutschen Bundestag veröffentlichten Rechenschaftsberichtes 2010 erhält die Partei jährlich schon wegen des Bundestagsergebnisses knapp 600.000 Euro an staatlichen Mitteln (BT-Drucksache 17/8551). 2010 standen dem 372.000 Euro an Mitgliedsbeiträgen und 220.000 Euro an Spenden gegenüber. Die Partei hat nach eigenen Angaben inzwischen 30.000 „registrierte“ Mitglieder, von denen aber nur 15.6000 „stimmberechtigt“ sind (Stand 14.5.2012: wiki.piratenpartei.de/Mitglieder). In der Bundessatzung der Partei heißt es nämlich: „Mitglieder, die ihren Beitrag nicht bezahlen, werden nicht aus der Partei geworfen, verlieren aber ihre Stimmberechtigung.“

Protestwähler, Wechselwähler und Wiederholungswähler

Durch ihren überraschenden Wahlerfolg von 8,9 Prozent bei den Wahlen Berliner Abgeordnetenhauswahlen am 18. September 2011 wurden die Piraten ins Zentrum des bundesweiten Medieninteresses katapultiert. Diese anhaltende Aufmerksamkeit blieb nicht ohne Folgen: 18 Prozent der Befragten gaben im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen (www.forschungsgruppe.de) Ende April 2012 an, sie könnten sich vorstellen, die Piratenpartei zu wählen. Davon nannten 72 Prozent als Hauptbeweggrund die Unzufriedenheit mit anderen Parteien. Nur 10 Prozent der potentiellen Piratenwähler wollen der Partei ihre Stimme wegen des Plädoyers für mehr Bürgerbeteiligung geben, 8% wegen des Einsatzes für soziale Gerechtigkeit und lediglich 5% wegen der Internetpolitik.

Dieses Protestpotential prägt auch die Wählerstruktur der Piraten bei den Landtagswahlen in Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Allerdings hatten die Piraten in diesen vier Bundesländern schon bei der letzten Bundestagswahl 258.000 Wähler. Die Wahlbeteiligung lag zwar bei der Bundestagswahl um (nur) ca. zehn Prozent höher als bei den vier Landtagswahlen, aber man kann beim Kern der Piratenwähler von einer hohen Mobilisierungsbereitschaft bei Wahlen ausgehen. Insofern sind unabhängig von den Gründen ihrer Entscheidung die Piratenwähler bei der Bundestagswahl sozusagen der Grundstock für die späteren Erfolge, denn offenbar sind diese Wähler der Partei überwiegend treu geblieben.

Untersuchungen zur Wählerwanderung von infratest-dimap (stat.tagesschau.de) zeigen freilich, dass die Piraten den Anteil mutmaßlicher Wiederholungswähler mit einem Zuwachs von 289.000 Proteststimmen deutlich übertrafen. Diese kamen aus dem Lager der Nichtwähler (112.000), früherer Wähler der Linken (106.000) und ehemaliger Wähler kleinerer Splittergruppen (71.000). Von den demokratischen Parteien wanderten bei diesen vier Landtagswahlenwahlen zusammengenommen besonders Wähler der SPD (117.000) und der FDP (104.000) zu den Piraten ab. Von den Grünen waren es 73.000 und von der CDU 82.000 Stimmen.

Man kann die Wählerschaft der Piratenpartei also die größere Gruppe der Protestwähler, die mittlere Gruppe der Wechselwähler und die kleinere Gruppe der Wiederholungswähler (von Stammwählern kann man angesichts der jungen Parteigeschichte kaum sprechen) aufteilen.

Soziologisch gesehen haben die Piraten bei allen vier Landtagswahlen bei den unter 45-jährigen überdurchschnittlich gut abgeschnitten, bei den über 45-jährigen unterdurchschnittlich. Besonders hoch – fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt – schneiden die Piraten bei den Erstwählern ab. Signifikant höher ist auch ihr Anteil bei arbeitslosen Wählern. Mit drei Prozent weit unterdurchschnittlich war der Anteil der Piratenwähler bei allen vier Landtagswahlen bei den Rentnern.

Kleine Parteien verlieren, Nichtwählerbilanz ernüchternd

Wenn man die Sichtweise ändert und danach fragt, für welche Partei die Piraten die größte Bedrohung des eigenen Wählerpotentials darstellen, muss man die Wählerwanderungszahlen in Bezug zur Stimmabgabe bei den jeweils letzten Landtagswahlen setzen. Danach haben die Linke 12,7 Prozent, die FDP 11,3 Prozent und kleine Splitterparteien (incl. der NPD) 10 Prozent ihrer Wähler an die Piraten verloren. Bei den Grünen waren es noch 5,3 Prozent, bei SPD 3,4 Prozent und bei CDU 2,2 Prozent.

Besonders überraschend ist es, dass die Piraten bei den vier Landtagswahlen nur 1,2 Prozent bisheriger Nichtwähler für sich gewonnen haben. Dieser Anteil liegt weit unter ihrem Stimmanteil bei bisherigen Wählern. Ingesamt haben die Erfolge der Piraten bei keiner der vier Landtagswahlen zu einem nennenswerten Anstieg der Wahlbeteiligung geführt, bei zwei der vier Wahlen ist die Wahlbeteiligung sogar gesunken.

In Nordrhein-Westfalen hat sich sogar gezeigt, dass die Piraten umso erfolgreicher sind, je geringer die Wahlbeteiligung ist. Sie lag bei den Landtagswahlen im größten Bundesland bei fast 60 Prozent. In den zehn Wahlkreisen mit der schlechtesten Wahlbeteiligung schnitten die Piraten überall besonders gut ab. In den zehn Wahlkreisen mit der höchsten Wahlbeteiligung verzeichnete die Piratenpartei mit einer Ausnahme deutlich unterdurchschnittliche Ergebnisse. Ihr Spitzenergebnis erzielten die Piraten mit 9,9 Prozent im Wahlkreis Dortmund I, wo die Wahlbeteiligung nur bei sieben Prozent unter dem Durchschnitt lag. Ihr schlechtestes Ergebnis erzielten sie mit 5,8 Prozent in Borken, wo die Wahlbeteiligung zwei Prozent über dem Durchschnitt lag. In Duisburg, wo die Wahlbeteiligung mit 45 Prozent am weitesten (15 Prozent!) unter dem Landesdurchschnitt lag, erreichten die Piraten ein Prozent mehr als im Landesschnitt. In Essen, wo die Wahlbeteiligung zehn Prozent über dem Landesschnitt lag, lag das Piratenergebnis im Durchschnitt.

Die Nichtwählerbilanz der Piraten ist also ambivalent: Sie mobilisierten zwar bei den vier Landtagswahlen – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen – mehr Nichtwähler als andere Parteien. Aber nur zwölf Prozent ihrer Wählerschaft kommen aus dem Bereich der Nichtwähler, 20 Prozent haben zuletzt die Linke oder kleinere Splittergruppen gewählt und 30 Prozent können als Wiederholungswähler der Piraten gelten. Dem stehen 40 Prozent Piratenwähler gegenüber, die von den „etablierten“ demokratischen Parteien kommen (SPD 13,2; FDP 11,7; CDU 9,2; Grüne 8,2).

Bitte beachten Sie auch den Tabellenanhang im PDF anbei.

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Berlin Deutschland