Weltweit löste der „Sturm auf das Kapitol“ Entsetzen aus. Am 6. Januar 2021 drangen unzählige Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump gewaltsam in das Parlamentsgebäude ein. Er hatte die Menge zuvor in einer Rede dazu aufgestachelt. Die Bilder des Chaos sowie die symbolischen Inszenierungen der Aktivisten zielten darauf, das Ergebnis der demokratischen Präsidentschaftswahl vom November 2020 zu delegitimieren und die Anerkennung des Wahlsiegers Joe Biden noch in letzter Minute zu verhindern.
In Deutschland erinnerten die Ereignisse in Washington an die Tumulte um den Reichstag am 29. August 2020. Damals versuchten mehrere hundert Personen am Rande der Demonstrationen gegen die Bekämpfung der Pandemie in das Reichstagsgebäude einzudringen. Sie schwenkten u. a. Reichsflaggen und wiesen sich durch andere rechtsextreme Symbole aus. Auffällig war, dass eine der Aufwieglerinnen behauptete, der US-Präsident sei gegenwärtig in Berlin. Zahlreiche Aktivisten waren gewaltbereit, konnten aber am Eingang des Gebäudes aufgehalten werden. Einen weiteren Anlauf unternahmen Aktivisten im November 2020 mit Hilfe einiger Abgeordneter der AfD. Als „Gäste“ eingeladene Störer bedrängten Parlamentarier und inszenierten ihre scheinbare Macht über das demokratisch gewählte Parlament in den sozialen Medien. Der Bundestag blieb letztlich davon unbeeindruckt.
Kampf um die Deutungshoheit
Ohne Zweifel weisen die „Stürme“ auf die Parlamente in Washington und Berlin Unterschiede auf – das wird bereits an der Schwere der Vorfälle deutlich. Allerdings gibt es einige Parallelen. Donald Trump ist schon längst über den Atlantik hinweg zu einer Ikone der sog. „Neuen Rechten“ geworden. Darunter versteht man Gruppierungen, die ihren Rechtsextremismus mit einem gewissen (pseudo-)intellektuellen Anspruch verbinden. Sie sind der Überzeugung, dass eine „Rechte Revolution“ nicht durch die gewaltsame Übernahme politischer Institutionen gelingen kann, ohne zuvor die Mehrheitsmeinung zu gewinnen. Politik verstehen sie deshalb als eine Art Kulturkampf. Dabei setzen die gar nicht so „Neuen Rechten“ einerseits auf eine Strategie der „Verschiebung des Sagbaren“. Mittels gezielter Tabubrüche sollen extreme Positionen im öffentlichen Diskurs „normalisiert“ werden. Andererseits ist die realitätsferne Behauptung, eine breite gesellschaftliche Mehrheit stünde hinter der eigenen Position, ebenfalls Teil des Kulturkampfes. Bilder, die zum Beispiel große Massen bei Demonstrationen oder vor Parlamenten zeigen, sollen dann als Belege dafür herhalten.
Die härteste Währung in diesem politischen Kulturkampf ist die Inszenierung der eigenen Wirkungsmacht. Deshalb sind die Bilder des geschändeten Büros der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi oder von den Pöbeleien der „Gäste“ auf den Fluren des Reichstags für Rechtsextreme so wichtig. Sie suggerieren einen Einfluss, den sie letztlich nicht haben. Vor allem aber setzen sie eine mediale Spirale in Gang, denn über derart spektakuläre Vorgänge müssen die Journalisten berichten. Das führt am Ende zur weiteren Beschäftigung mit radikalem Gedankengut und verstärkt wiederum den Einfluss der Aktivisten.
Gegenstrategien
In liberalen Demokratien lassen sich diese Umtriebe nicht ohne Weiteres unterbinden. Die „Neuen Rechten“ tummeln sich bewusst im Graubereich zwischen legitimen und illegitimen Positionen und Aktionen. So sind sie nie ganz „fassbar“. Allerdings sind die Parlamente selbstverständlich nicht wehrlos.
Nationale Symbole und die Sitze von Verfassungsorganen werden immer Schaubühne von Protestaktionen sein. Ihr Schutz durch eine angemessene Anzahl von Sicherheitskräften ist eine Selbstverständlichkeit. Allerdings sollten ausgreifende Maßnahmen vermieden werden, die eine künstliche Distanz zur Bevölkerung schaffen. Nach den Tumulten um den Reichstag kam sehr schnell die Forderung auf, das Parlament mittels einer „Bannmeile“ zu schützen. Das war Wasser auf die Mühlen der „Neuen Rechten“, die in ihrem „Kulturkampf“ behaupten konnten, das „abgehobene“ Parlament wolle sich das Volk vom Hals halten. Alle Maßnahmen müssen folglich auf ihren Symbolgehalt geprüft werden.
Darüber hinaus weisen sowohl der „Sturm“ in Washington als auch in Berlin eine Verbindung bestimmter Gruppen im Parlament zu aggressiven Aktivisten auf. Alle Parlamente haben Instrumente, mit denen sie der Sprengung des Parlaments durch einzelne Abgeordnete mit Hilfe des Drucks externer Aktivisten entgegenwirken können. Unter Juristen werden schon seit einiger Zeit Vorschläge diskutiert, den Selbstschutz des Parlaments zu erhöhen. So weist Ferdinand Gärditz in einem Beitrag für die LTO vom 9. Januar 2018 darauf hin, dass das Strafgesetzbuch geändert werden könnte, damit Volksverhetzer aus den Reihen des Parlaments ihre Wählbarkeit verlieren. Außerdem könnten Verhaltensregeln für Abgeordnete aufgestellt werden, die auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Parlaments zielen. Eine Sanktionierung wäre dann über das Abgeordnetenrecht möglich. Das nimmt den demokratischen Kräften allerdings – wie Gärditz zu Recht betont – nicht die Pflicht ab, sich mit ihren politischen Gegnern auseinanderzusetzen.
Nicht zuletzt sollte grundsätzlich über die Rolle der Parlamente nachgedacht werden. Viele haben sich angewöhnt, sie als eher defizitäre Institutionen zu betrachten. In Deutschland mündet dies oft in der Forderung nach einer Ergänzung durch direktdemokratische Verfahren. Ob gewollt oder nicht – diese Perspektive fördert nicht das Verständnis für den Parlamentarismus. Gerade der „Sturm auf das Kapitol“ macht deutlich, dass die Parlamente eine zentrale, aber auch anfällige Säule moderner Demokratien sind. Es wird Zeit, sie mutig zu verteidigen.
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