Am Ende wurde der Emir im kleinen Kreis beigesetzt. Am Tag zuvor, dem 16. Dezember, hatten kuwaitische Fernsehsender nachmittags unvermittelt vom normalen Sendeprogramm auf Koranrezitationen umgeschaltet, wie dies üblich ist, wenn wichtige Personen in Kuwait sterben. Vielen war da schon klar, dass Scheich Nawaf Al-Achmed Al-Dschaber Al-Sabah, der 86-jährige Emir von Kuwait, verstorben sein musste. Kurz darauf wurde per öffentlicher Erklärung sein Bruder, der vormalige Kronprinz Mischal Al-Achmed Al-Dschaber Al-Sabah, offiziell zum neuen Emir von Kuwait ernannt.
Der Emir der Begnadigungen
Mit 83 war Scheich Nawaf der älteste Herrscher, der in Kuwait die Macht übernahm. Anders als manche Vorgänger war Nawaf für sein tiefes Verständnis der kuwaitischen Gesellschaft sowie seine zurückhaltende und doch volksnahe Art bekannt. Diese Eigenschaften waren nicht nur seiner bescheidenen Persönlichkeit zuzuschreiben, sondern auch das Ergebnis einer langen politischen Karriere während turbulenter Zeiten – so etwa als Verteidigungsminister während der verheerenden irakischen Invasion Kuwaits 1991 und als Innenminister in Zeiten tödlicher Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und militanten Islamisten im Januar 2005.
Dieser Erfahrungsschatz half Scheich Nawaf als er 2020 nach einer langen Amtszeit seines Vorgängers inmitten der nächsten Krise die Macht übernahm: Angesichts der COVID-19-Pandemie und einbrechender Ölpreise kämpfte Kuwait mit einem kollabierenden Staatshaushalt. Kein Land am Golf ist so abhängig von Öl- und Gaseinnahmen wie Kuwait, das Staatsbudget speist sich zu 70 Prozent aus Energieexporten. Das Parlament – anders als in anderen Golfmonarchien mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet – und die Regierung blockierten sich jedoch gegenseitig, ohne ein dringend benötigtes Hilfspaket zur Eindämmung der Finanzkrise zu schnüren.
Bei der Bewältigung dieser Krise und des innenpolitischen Stillstands im Emirat konnte Nawaf seine Erfahrung wirksam einsetzen – auch wenn er es nicht schaffte, die gegenseitige Blockade von Exekutive und Legislative gänzlich aufzulösen. Dennoch verbesserten sich die Beziehungen zwischen Regierung und Parlament unter Nawafs Herrschaft spürbar, sodass für 2023 und 2024 erstmalig wieder ein Gesetzesplan von der Nationalversammlung verabschiedet werden konnte.
Sein politisches Erbe wird von einem weiteren Aushängeschild geprägt: die beispiellosen Initiativen zur Rehabilitierung und Aussöhnung, die Emir Nawaf zum Kernstück seiner Politik machte. Er ging dabei so weit wie keiner seiner Vorgänger, um die Beziehungen der Regierung zur Opposition zu verbessern, von Vorgängern inhaftierte oder ins Exil geschickte Kritiker zu rehabilitieren und familiäre Fehden innerhalb der rivalisierenden Zweige der Herrscherfamilie Al-Sabah beizulegen. Der als "Emir der Begnadigungen" verehrte Scheich Nawaf erließ während seiner kurzen Regierungszeit zahlreiche Amnestien und streckte selbst im Exil lebenden politischen Kritikern, darunter auch Personen aus der Herrscherfamilie, die Hand aus. Diese Politik war ein wichtiger Baustein, der zur politischen und gesellschaftlichen Aussöhnung beitrug und damit die Basis für kommende Reformen in Kuwait bilden könnte – sie bleibt als wichtigster Erfolg der Ära Nawaf übrig.
Scheich Mischal wird letzter Herrscher der „alten Garde“
Nach Nawafs Ableben richtet sich das Augenmerk nun auf den neuen Emir, Scheich Mischal, der trotz fehlender politischer Laufbahn über die letzten Jahrzehnte im Sicherheits- und Geheimdienstapparat aufgestiegen war, bevor er 2020 als Kronprinz aufrückte. Scheich Mischal übernimmt die Herrschaft im vollen Gange, hatte er doch schon im November 2021 weitreichende Befugnisse von seinem kranken Bruder übertragen bekommen und seitdem die Tagesgeschäfte bis hin zur Ernennung und Abberufung des Kabinetts geleitet – einmalig für einen Kronprinzen in der kuwaitischen Geschichte.
Es ist zu erwarten, dass Mischal zumindest in Nuancen einen anderen Herrschaftsstil pflegen wird als sein Vorgänger. In seiner Antrittsrede kündigte er bereits an, dass sich die Politik in einigen Kernbereichen ändern werde. Während Nawaf und seine Vorgänger versuchten, mit populistischen Maßnahmen das Parlament, die mächtige Wirtschaftselite und kuwaitische Staatsbürger, die etwa die 40 Prozent der Einwohner des Emirats ausmachen, zu kooptieren, hat Mischal bereits als Kronprinz einen anderen Kurs eingeschlagen, indem er die Alimentierung über gut bezahlte Verwaltungsjobs eingrenzte.
Gegenwärtig werden rund 80 Prozent der Staatsausgaben für Gehälter und Subventionen aufgewendet. Die Nationalversammlung, die von einer oppositionellen Mehrheit dominiert wird, hat stets noch höhere Subventionen gefordert und sich einer strukturellen Steuerreform, die erstmalig Abgaben zur Finanzierung der Haushaltsdefizite eingeführt hätte, widersetzt. Anfang Dezember unternahm Scheich Mischal – noch als Kronprinz – daher einen beispiellosen Schritt und ordnete für die nächsten drei Monate einen vorübergehenden Einstellungsstopp im öffentlichen Sektor an. Damit zeichnet sich ab, dass Mischal die finanzpolitischen Herausforderungen Kuwaits angehen möchte und eine verantwortungsvolleren Haushaltsführung anstrebt. Ob ihm dies angesichts innenpolitischer Widerstände gelingen wird, bleibt offen.
In anderen Bereichen dürfte Mischal hingegen der Linie des vorigen Emirs treu bleiben. Die zaghaften Schritte zur Korruptionsbekämpfung, die erstmalig auch hochrangige ehemalige Regierungsmitglieder vor Gericht brachten, wird der neue Emir wohl fortsetzen. Außenpolitisch wird es für Scheich Mischal – ebenso wie für Scheich Nawaf vor ihm – schwierig, an das große Erbe ihres Bruders und gemeinsamen Vorgängers, Emir Sabah Al-Achmed Al-Dschaber Al-Sabah, anzuknüpfen, der anderthalb Dekaden in Kuwait herrschte, das Land als regionalen Vermittler positionierte und damit das außenpolitische Profil des kleinen Emirats anhob.
Längst haben andere Staaten der Region, insbesondere Katar, Kuwait den Rang abgelaufen und dessen Mittlerrolle emuliert. Auch die junge Führungsriege des großen Nachbarn Saudi-Arabien schickt sich an, das Königreich zunehmend als Dialogplattform zu etablieren. Wie auch beim zweiten Megatrend der Golf-Region, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen, gerät Kuwait angesichts der Schlüsselposition anderer Golf-Staaten als regionale und globale Vermittler zunehmen ins Hintertreffen. Zudem muss das Emirat das Verhältnis zu seinen Nachbarstaaten künftig umsichtig ausloten: Schwelende Grenzkonflikte mit dem Irak über Chor Abdallah, das gemeinsame Flussdelta von Euphrat und Tigris, sowie mit Iran über das wichtige Arasch-Al-Dorra-Gasfeld müssen dringend gelöst werden.
Auch der neue Emir Mischal ist bereits 83 Jahre alt, daher dürfte seine Amtszeit, ebenso wie die seines Vorgängers, eher kurz ausfallen. Damit richtet sich bereits jetzt die Aufmerksamkeit auf Spekulationen über den nächsten Kronprinzen. Die Benennung eines jüngeren, künftigen Herrschers bietet die Möglichkeit eines Generationswechsels in Kuwait. Während dieser Umbruch in Katar, Oman, Saudi-Arabien und den VAE bereits vollzogen ist, wartet die kuwaitische Bevölkerung noch sehnlich auf eine Erneuerung seiner gerontokratischen Führungsriege.
Die Thronfolge ist Spielball alter Konflikte und neuer Akteure
Die Wahl des nächsten Kronprinzen ergibt sich jedoch nicht aus einer automatische Erbfolge wie in anderen traditionellen Monarchien. Vielmehr fächert sich das Herrscherhaus Al-Sabah in verschiedene Zweige auf, die untereinander konkurrieren. Traditionell wechselte die Wahl der Emire zwischen Nachkommen aus zwei Linien des früheren Emirs Mubarak „Al-Kabir“ Al-Sabah (reg. 1896-1915), den Familienzweigen Al-Dschaber und Al-Salam. Seit der Thronbesteigung des Emirs Dschaber Al-Achmed Dschaber Al-Sabah im Jahr 1977 alternieren die Thronfolger jedoch nicht mehr zwischen beiden Familien, wodurch sich der Al-Salam-Clan benachteiligt sieht.
Die Lager innerhalb der Al-Sabah sind zudem nicht konstant. Sie ergeben sich aus wechselnden Allianzen und Konflikten innerhalb und zwischen verschiedenen Familienzweigen. Manöver und Verhandlungen bleiben oft vor der Öffentlichkeit verborgen, werden teils aber auch in den Medien und im Parlament offen ausgetragen. Erst im November verurteilte das höchste Gericht den ehemaligen Verteidigungs- und Innenminister Khalid Al-Dscharra Al-Sabah wegen Missbrauchs von Militärgeldern zu sieben Jahren Gefängnis und den ehemalige Premierminister Dschaber Al-Mubarak Al-Sabah, der mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert war, zur Rückzahlung der von ihm veruntreuten Mittel. Solch herausragende Ereignisse geschehen auch immer vor dem Hintergrund von Konflikten um Macht und Einfluss innerhalb der Herrscherfamilie.
Zwei Entwicklungen sind in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam. Erstens wich der verstorbene Emir Nawaf von kuwaitischer Tradition ab, indem er seinen Sohn Achmed Nawaf Al-Sabah zum Premierminister ernannte. Diese Rolle kann eine mögliche Vorbereitung auf die Ernennung zum Kronprinzen bedeuten, denn alle Emire vor Scheich Nawaf waren zuvor auch Premierminister. Sollte Achmed Nawaf tatsächlich Kronprinz werden, würde die Thronfolge auf die direkte Familie des verstorbenen Emirs übergehen, Achmed Nawaf wäre zudem der erste Vertreter einer neuen Herrschergeneration und könnte für Jahrzehnte Emir bleiben – womit alle anderen Familienzweige mittelfristig kaltgestellt wären.
Zweitens kehrten unter den weitreichenden Amnestieinitiativen des letzten Emirs Nawaf zwei ehemals mächtige Brüder aus Al-Sabah-Familie, Athbi und Ahmad Al-Fahad Al-Sabah, auf die politische Bühne zurück, letzterer als Verteidigungsminister im neuen kuwaitischen Kabinett. Achmed Al-Fahad stand in den 2010er Jahren im Zentrum eines Korruptionsskandals und hatte nach einem Machtkampf mit dem ehemaligen Premierminister und Parlamentspräsidenten das Land verlassen. Seine Rückkehr könnte damit auch die politischen Dynamiken rund um die Thronfolge und künftigen Machtverhältnisse im Land beeinflussen.
Drei Achmeds als mögliche Kronprinzen
Da Scheich Mischals Herrschaft höchstwahrscheinlich nur eine Übergangszeit markieren wird, kommt diesen Dynamiken eine besondere Bedeutung zu. Alles hängt nun davon ab, welchen Kronprinz Scheich Mischal benennen wird. Achmed Nawaf, der Sohn des verstorbenen Emirs, steht mit seiner Erfahrung als Premierminister als wahrscheinlichster Kandidat da.
Doch auch der Sohn des neuen Emirs, Achmed Mischal Al-Sabah, hat verschiedene Positionen im öffentlichen Dienst bekleidet und bringt Erfahrung aus der Wirtschaft mit, was angesichts der derzeitigen ökonomischen Lage Kuwaits von Vorteil sein könnte. Er wäre zwar jung und unerfahren, doch Scheich Mischal könnte dem Beispiel des saudischen Königs folgen und versuchen, seinen eigenen Sohn direkt in der Thronfolge zu installieren, womit die Kernfamilie des neuen Emirs Mischal künftig die Schlüsselrolle im Al-Sabah-Clan spielen würde. Schließlich hätte auch Verteidigungsminister Ahmed Al-Fahad als Schwiegersohn von Emir Mischal trotz seiner kontroversen Biografie einen legitimen Anspruch auf den Thron – wenngleich er eher eine „Wildcard“ wäre und in der kuwaitischen Gesellschaft wenig Akzeptanz fände.
Welcher der drei Achmeds am Ende das Rennen macht, ist noch nicht entschieden. Trotz der Komplexität der Wahl scheint es, dass Achmed Nawaf aufgrund seines Alters, seiner jüngsten Rolle als Premierminister, seiner bisherigen Zusammenarbeit mit der Nationalversammlung und der kürzlichen Amtszeit seines Vaters als Kronprinz bevorzugt wird.
Diese Entscheidung fände einen Ausgleich zwischen Erfahrung und Potenzial für weitere Reformen. Insbesondere verbinden sich mit Achmed Nawaf – wie mit weiteren möglichen Kronprinzen aus der nächsten Generation der Al-Sabah-Familie – Hoffnungen, dass mit neuen, jüngeren Entscheidungsträgern Kuwait, das als Golf-Staat mit Reformstau und starker Abhängigkeit von Öleinnahmen gilt, endlich einen Modernisierungskurs einschlagen wird.
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