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của Paul Linnarz

Erste Erkenntnisse nach der US-Wahl

Vielleicht wissen Sie bereits, wer der nächste US-Präsident ist. Vielleicht auch nicht. Zum Zeitpunkt der Ablieferung dieses Berichts am Donnerstag um 23:00 Uhr Ortszeit in Washington D.C. stand der Sieger jedenfalls noch nicht fest. Unabhängig davon, wer sich letztlich durchsetzen wird, lässt die „Hängepartie“ aber schon jetzt einige wichtige, zum Teil ernüchternde Aussagen zu.

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μερίδιο

November 2020

Auslandsbüro USA, Washington D.C.

Wenn der Sieger feststeht, wird ungefähr die Hälfte aller US-Wähler in stürmischen Jubel ausbrechen, während von der anderen Hälfte hoffentlich niemand frustriert und erbost zu den Waffen greift. Bisher jedenfalls entfallen gut 73 Millionen Stimmen auf Joe Biden, und etwas über 69 Millionen Stimmen auf Donald Trump. Der Abstand beträgt nur 2,7 Prozent. Im Wahlleutegremium kommt Joe Biden je nachdem, ob man einen Wahlsieg der Demokraten in Arizona bereits voraussetzt oder nicht, entweder auf 264 oder auf 253 Stimmen. Donald Trump hat nach derzeitigem Stand 214 Stimmen im „Electoral College“. Würde Joe Biden die Wahl in Pennsylvania gewinnen, hätte er gewonnen. Würde Trump in Pennsylvania gewinnen, käme es auf einige andere Swing States an. Voraussichtlich wird das Ergebnis für Pennsylvania in der Nacht zum Freitag verkündet.

Die gute Nachricht ist, dass sich schon jetzt etwa 143 Millionen Wähler an der Abstimmung beteiligt haben. 2016 waren etwas weniger als 130 Millionen. Und noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie war im Frühjahr befürchtet worden, dass die Wahlbeteiligung in diesem Jahr sogar einbrechen könnte. Stattdessen wird jetzt eine Rekordbeteiligung erwartet. Aber selbst wenn Joe Biden vor diesem Hintergrund gewinnen sollte – als die erhoffte „Blue Wave“, als Erdrutschsieg der Demokraten, wird diese Wahl nicht in die Geschichte eingehen. Stattdessen dürfte es wieder einigermaßen knapp werden, und das, obwohl Biden über Monate hinweg in fast allen Umfragen wenigstens fünf Prozentpunkte vor seinem Herausforderer lag. Sollte Donald Trump am Ende zwar die Mehrheit der Stimmen im Electoral College gewinnen, wie schon 2016 aber nicht die Mehrheit aller Wählerstimmen, würde das den Glauben seiner Gegner an das US-Wahlsystem gerade aufgrund der Rekordbeteiligung zusätzlich erschüttern.

Für den US-Präsidenten wäre schon ein knapper Sieg angesichts der vielen Infektionsfälle und Toten der Corona-Pandemie, schleppender wirtschaftlicher Erholung, hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender Proteste gegen Polizeigewalt ein Riesenerfolg. Die Demokraten hätten bei einem knappen Wahlsieg von Joe Biden zwar ihr wichtigstes Ziel erreicht und Donald Trump abgelöst; andererseits schwinden ihre Chancen darauf, die Mehrheit im Senat zu übernehmen. Dort steht es derzeit 48 zu 48. Für die Mehrheit in der Kongresskammer sind 51 Sitze erforderlich.

Im Repräsentantenhaus müssen die Demokraten wenigstens auf 218 Sitze kommen, um ihre Führung zu verteidigen. Das dürfte ihnen wohl gelingen – nach den derzeit vorliegenden Ergebnissen zählen sie bereits 208 Sitze. Ihre Hoffnungen darauf, den bisherigen Vorsprung mit einer Rekordzahl an Wählern noch ausbauen zu können, haben sich in ersten Tagen nach der Abstimmung aber nicht erfüllt.

Im Ergebnis haben sich die US-Wähler nach den derzeit ausgezählten Stimmen also weder besonders stark in die eine, noch in die andere Richtung neu orientiert – und das trotz allem, was dieses Land in den letzten vier Jahren unter Präsident Trump, erst recht natürlich in den letzten dramatischen Monaten seit dem Amtsenthebungsverfahren, bewegt hat. Hätten sich die politischen Meinungen signifikant geändert, lägen die Ergebnisse trotz des aufwändigen Verfahrens für die Auszählung der Briefwahlstimmen wohl längst vor. Unabhängig davon, wer am Ende gewinnen wird: nichts unterstreicht die Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft stärker als diese „Hängepartie“ nach dem Wahltag. Die am späten Donnerstagnachmittag von Trump in seiner ersten Pressekonferenz seit der Abstimmung wiederholte Behauptung, "If you count the legal votes, I easily win. If you count the illegal votes, they can try to steal the election from us”, verheißt in dem Zusammenhang nichts Gutes für eine versöhnliche und reibungslose Anerkennung des Wahlergebnisses. Im Zentrum von Washington D.C. stehen am Abend auffällig viele Polizeiwagen.

Zittern um die „Swing States“

Offen ist neben Pennsylvania derzeit noch das Ergebnis in Nevada. Dort liegt Biden aktuell um nur 0,9 Prozent vorne. Noch 16 Prozent der Stimmen müssen ausgezählt werden. In North Carolina führt Trump mit 1,4 Prozent, nachdem dort inzwischen 94 Prozent aller Stimmen ausgezählt worden sind. In Georgia liegen beide Kandidaten mit jeweils 49,4 Prozent nach Auszählung fast aller Stimmen aktuell gleichauf. Fox News sieht Biden in Arizona 1,6 Prozent vor Trump und färbt den Bundesstaat bereits blau ein, obwohl noch 10 Prozent der Stimmen ausgezählt werden müssen. Für die New York Times ist das Rennen in dem Bundesstaat bis jetzt immer noch offen. Was Wisconsin und Michigan angeht, wird aktuell damit gerechnet, dass sich Biden jeweils durchsetzen konnte. In Wisconsin beträgt sein Vorsprung aber nur 0,6 bis 0,7 Prozent. Für die Frage, wer Präsident wird, zählt am Ende jeder „Swing State“ selbst mit noch so dünner Mehrheit.

Zur Erläuterung:

Der Präsident wird in den USA nicht direkt gewählt, sondern von einem Wahlleutegremium. Dieses „Electoral College“ hat 538 Mitglieder. Sie stimmen Mitte Dezember über den Präsidenten ab. Die Wahl gewinnt, wer mindestens 270 Stimmen erhält.

Die Zahl der Wahlleute, die jeder Bundesstaat in das Electoral College entsendet, liegt zwischen drei zum Beispiel für Alaska und 55 für Kalifornien. Sie hängt davon ab, wie viele Abgeordnete und Senatoren für den betreffenden Bundesstaat in den beiden Kammern des Kongresses sitzen. Zusätzlich benennt der District of Columbia, obwohl kein Bundesstaat, drei Wahlleute.

Bei der Wahl am Dienstag wurde für die künftige Präsidentschaft entschieden, welche Partei wie viele Wahlleute für das Electoral College stellt. Mit Ausnahme von zwei Bundesstaaten gilt dabei das Prinzip „the winner takes it all“. Die Partei, die in einem Bundesstaat gewonnen hat, darf selbst bei einer hauchdünnen Mehrheit mithin alle Wahlleute für diesen Staat in das Gremium entsenden. Da Abweichler die Ausnahme sind, steht bald nach der allgemeinen Wahl und den Ergebnissen in den Bundesstaaten in der Regel also bereits fest, welcher Kandidat im Wahlleutegremium die Mehrheit haben wird.

Das Wahlsystem mit dem Electoral College und dem „the winner takes it all“-Prinzip erklärt, warum sich die Parteien im Wahlkampf vor allem auf die „Swing States“ konzentrieren. Denn anders als im traditionell demokratischen Kalifornien oder im republikanisch geprägten Wyoming haben in den heiß umkämpften Swing States beide Parteien die Chance auf einen Wahlsieg – und regelmäßig trennen den Wahlverlierer und den Wahlgewinner dort nur wenige Prozentpunkte.

Zu den klassischen Swing States zählen Florida und Ohio. In Pennsylvania, Michigan und Wisconsin konnte sich 2016 mit Donald Trump erstmals seit den Achtzigerjahren ein Republikaner durchsetzen, jeweils aber nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. Darüber hinaus haben die Wahlkampfteams beider Parteien massiv in Georgia, North Carolina und Arizona um Stimmen geworben. Traditionell zwar kein Swing State, war für die Demokraten in diesem Jahr überdies Texas ein wichtiger „Battleground“. Bei den Zwischenwahlen 2018 hatten sie dort zwar erneut verloren; die Republikaner konnten sich aber nur mit knappem Vorsprung durchsetzen.

Obwohl Hillary Clinton 2016 bei der allgemeinen Wahl rund 2, 8 Millionen Wählerstimmen („popular vote“) mehr bekam als Donald Trump, wurde dieser Präsident, weil die Republikaner alle neun der oben genannten Swing States für sich entscheiden konnten. Die überraschende und knappe Niederlage in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin war für die Demokraten damals besonders bitter. Dort fehlten ihnen am Ende nicht mehr als 78.000 Stimmen in nur drei Wahlkreisen.

Insgesamt brachte den Republikanern allein ihr Wahlsieg in den neun Swing States vor vier Jahren 171 Wahlleute für das Electoral College ein. Mit den republikanischen Wahlleuten aus 22 weiteren Bundesstaaten kam Donald Trump in dem Gremium so auf 304 Stimmen, 34 mehr als für die Wahl zum Präsidenten erforderlich.

„Blue Wall“ und „Sun Belt“

Wenn sich bestätigt, dass Joe Biden in Arizona gewonnen hat, wäre das für ihn ein echter Erfolg. Denn die meisten Bundesstaaten im südlichen „Sun Belt“ der USA sind für die Demokraten traditionell eine Herausforderung. Das gilt neben Arizona auch für die noch offenen Rennen in North Carolina und Georgia.

Arizona stellt 11 Wahlleute. Der Bundesstaat ist mit rund 7,3 Millionen Menschen (2019) vergleichsweise dünn besiedelt. Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölkerung dort seit 2009 aber um fast 14 Prozent gewachsen – mehr als doppelt so stark wie im landesweiten Durchschnitt (6,3 %). Arizona ist weniger „weiß“ (54,4 %) als die US-Bevölkerung insgesamt (60,4 %), gleichzeitig aber noch ein wenig älter (17,6 Prozent über 65 Jahre). Die Arbeitslosenquote entsprach im Juli mit 10,6 Prozent etwa dem landesweiten Durchschnitt. Das Gleiche galt bei der Präsidentschaftswahl 2016 sowohl für den Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (71,3 %), als auch für die Wahlbeteiligung (60,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen für Arizona drei Prozentpunkte vor Donald Trump. Inzwischen ist sein Vorsprung deutlich knapper. Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in Arizona bis Ende Oktober bereits 87 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Stimmen, die per Brief oder persönlich bis Ende letzter Woche abgegeben wurden, durften dort bereits ab dem Wochenende ausgezählt werden.

Georgia stellt 16 Wahlleute. In dem Bundesstaat leben mit gut 10 Millionen Bürgern (2019) 3,2 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölkerung dort seit 2009 stärker als im Landesdurchschnitt um knapp 10 Prozent gewachsen. Der weiße Bevölkerungsanteil beträgt 52,4 Prozent. Auch beim Anteil der Menschen über 65 Jahre liegt Georgia mit 14 Prozent unter dem landesweiten Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote betrug im Juli während der Corona-Pandemie „nur“ 7,6 Prozent. Der größte Arbeitgeber ist mit gut 15 Prozent anteilig „die Regierung“, darunter staatliche Behörden und die öffentliche Verwaltung. Der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten, sowie die Wahlbeteiligung entsprachen bei der Präsidentschaftswahl 2016 nahezu dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen für Georgia zwei Prozentpunkte vor Donald Trump. Nachdem aktuell beide Kandidaten gleichauf liegen, hat sich auch diese Einschätzung nicht bewahrheitet.

Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in Georgia bis Ende Oktober bereits 93 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Dort entsprach die Wahlbeteiligung also bereits vor dem eigentlichen Wahltag am 3. November nahezu der von vor vier Jahren. Georgia hat bereits am 19. Oktober damit begonnen, die Briefwahlstimmen zu verarbeiten.

Die Bevölkerungszahl von North Carolina (2019) deckt sich mit der von Georgia (gut 10 Millionen). Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölkerung dort seit 2009 ebenfalls um circa zehn Prozent gewachsen. North Carolina ist etwas „weißer“ (62,8 %) und auch etwas älter (16,4 % über 65 Jahre) als der landesweite Durchschnitt. Der Anteil der Beschäftigten, die im öffentlichen Dienst, für Behörden und die öffentliche Verwaltung tätig sind, ist mit gut 16 Prozent noch höher als in Georgia. Dafür liegt der Anteil der Menschen, die im Gesundheitsweisen und in der Sozialfürsorge arbeiten, mit 11,6 Prozent ebenso wie in Georgia unter dem landesweiten Durchschnitt. Das Gleiche gilt mit 8,5 Prozent im Juli für die Arbeitslosenquote. Sowohl der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (74,6 %) als auch die Wahlbeteiligung (67,5 %) lagen bei der Präsidentschaftswahl 2016 deutlich über dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen für North Carolina zwei Prozentpunkte vor Donald Trump. Stattdessen führt der US-Präsident dort inzwischen knapp. Der Bundesstaat stellt 15 Wahlleute.

Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in North Carolina bis Ende Oktober bereits 91 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Auch dort entsprach die Wahlbeteiligung also bereits vor dem eigentlichen Wahltag am 3. November nahezu der von vor vier Jahren.

In North Carolina waren die Wahllokale bis 19:30 Uhr Ortszeit geöffnet. Die meisten der bis zum Wahltag abgegebenen Stimmen konnten bereits ausgezählt werden. Stimmzettel, die ab jetzt noch per Post eingehen, werden spätestens bis zum 12. November berücksichtigt.

Michigan, Wisconsin und Pennsylvania im Norden der USA zählen zu den Bundesstaaten hinter der „Blue Wall“. Denn diese Staaten lagen traditionell in der Hand der Demokraten, bevor Donald Trump dort vor vier Jahren überraschend gewinnen konnte. Jetzt zeichnet sich für Joe Biden ein Sieg in Michigan und Wisconsin ab.

Michigan mit seinen 16 Wahlleuten zählte 2019 knapp 10 Millionen Einwohner. Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölkerungszahl seit 2009 nahezu konstant geblieben. Der Bundesstaat ist ebenso wie Pennsylvania aber deutlich „weißer“ (74,9 %) als die US-Bevölkerung insgesamt. Außerdem liegt der Anteil der Menschen über 65 Jahre mit 17,2 Prozent über dem landesweiten Durchschnitt (16,1 %). Die Arbeitslosenquote lag im Juli mit 8,7 Prozent deutlich etwa unter der von Pennsylvania. Der größte Arbeitgeber ist mit 14,2 Prozent die Industrie und das verarbeitende Gewerbe. Sowohl der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (74,1 %) als auch die Wahlbeteiligung (64,3 %) lagen bei der Präsidentschaftswahl 2016 einigermaßen deutlich über dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (51 %) in den Umfragen für Michigan deutliche acht Prozentpunkte vor Donald Trump. Dieser Vorsprung ist aktuell auf 2,6 Prozent geschrumpft.

Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in Michigan bis Ende Oktober immerhin bereits 54 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt.

Wisconsin ebenfalls im Norden der USA stellt mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern (2019) nur 1,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Bundesstaat entsendet 10 Wahlleute ins Electoral College. Das Bevölkerungswachstum wird für die Zeit von 2009 bis 2019 auf 2,4 Prozent geschätzt. Der Anteil der Weißen ist mit 81,1 Prozent mehr als 20 Prozent höher als im landesweiten Durchschnitt. Die Bevölkerung von Wisconsin ist überdies etwas älter als der Rest des Landes (17 % über 65 Jahre). Der Bundesstaat ist ebenso wie Texas noch vergleichsweise glimpflich durch die ersten Monate der Corona-Pandemie gekommen: Im Juli lag die Arbeitslosenquote mit 7 Prozent weit unter der etwa von Pennsylvania. Anteilig sind die meisten Erwerbstätigen (fast 16 %) im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt; deutlich mehr als im US-Durchschnitt (8,5 %). Sowohl der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (76,3 %) als auch die Wahlbeteiligung (70,5 %) lagen bei der Präsidentschaftswahl 2016 signifikant über dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (52 %) in den Umfragen für Wisconsin acht Prozentpunkte vor Donald Trump. Aktuell sind es nur noch 0,6 bis 0,7 Prozent. Vor allem an Wisconsin wird sich in diesem Jahr erneut die Kritik an den Umfrageinstituten festmachen.

Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in Wisconsin bis Ende Oktober bereits 62 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt.

Pennsylvania stellt 20 Wahlleute. Der Bundesstaat beheimatet fast 13 Millionen Menschen (2019) beziehungsweise 3,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr hat sich die Bevölkerungszahl seit 2009 im Unterschied zur Gesamtbevölkerung der USA (+6,3 %) praktisch nicht verändert. Pennsylvania ist ebenso wie Ohio deutlich „weißer“ (76,1 %) als der Rest des Landes (60,4 %). Überdies ist die Bevölkerung älter als der Durchschnitt (18,2 % über 65 Jahre). Die Arbeitslosenquote lag im Juli während der Corona-Pandemie mit 13,7 Prozent relativ deutlich über dem Vergleichswert für die USA insgesamt. Als Arbeitgeber sind die Industrie und das verarbeitende Gewerbe immer noch vergleichsweise wichtig; 17,5 Prozent aller Erwerbstätigen sind in diesem Bereich beschäftigt. Sowohl der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (72 %) als auch die Wahlbeteiligung (62,6 %) lagen bei der Präsidentschaftswahl 2016 leicht über dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %).

Am Wahltag lag Joe Biden (50 %) in den Umfragen für Pennsylvania vier Prozentpunkte vor Donald Trump. Inzwischen sehen jedoch sowohl Fox News als auch die New York Times den US-Präsidenten mit 0,6 bis 0,7 Prozent in Führung.

Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hatten sich in Pennsylvania bis Ende Oktober 34 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt – anteilig vor dem eigentlichen Wahltermin am 3. November also deutlich weniger als beispielsweise in Texas, Georgia oder North Carolina.

Anders als beispielsweise in Georgia, durfte mit der Verarbeitung der Briefwahlstimmen in Pennsylvania erst am eigentlichen Wahltag morgens ab sieben Uhr begonnen werden. Einige Wahlkreise hatten angekündigt, in der Nacht zum Mittwoch zunächst nur die Stimmen der Wahllokale auszuzählen und sich erst danach mit den Briefwahlstimmen zu beschäftigen. Für Stimmzettel, die noch mit der Post eingehen, ist der 6. November das Fristende. Am 23. November muss die Auszählung in Pennsylvania endgültig abgeschlossen sein.

Umfragen: wieder häufig daneben

Die Beispiele für die derzeit noch offenen Swing States zeigen, dass Zustimmungswerte auch diesmal kein akkurates Bild abgegeben haben. Donald Trump lag in den landesweiten Umfragen bereits seit Wochen wenigstens fünf Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer Joe Biden. Viele Meinungsforschungsinstitute wurden bereits 2016 heftig dafür gescholten, dass sie den Wahlsieg von Donald Trump nicht vorhergesagt hatten. Die Kritik war insofern berechtigt, als Wähler ohne Hochschulabschluss in den Statistiken tatsächlich zu wenig berücksichtigt worden waren. So falsch, wie oft kritisiert, lagen die Demoskopen damals aber nicht. Denn es traf ja zu, dass die nach Zustimmungswerten bis zuletzt favorisierte Hillary Clinton bei der allgemeinen Wahl vor vier Jahren rund 2,8 Millionen Stimmen mehr erhielt als Donald Trump. Nur half ihr das im US-Wahlsystem eben nicht für die Mehrheitsverhältnisse im Electoral College. Dort fehlten ihr für eine ausreichende Zahl an demokratischen Wahlleuten, wie gesagt, am Ende nur wenige zehntausend Stimmen in nur drei Wahlkreisen.

Als Momentaufnahmen machen sich die Zustimmungswerte in den Umfragen während des Wahlkampfs natürlich immer an wichtigen Ereignissen (z.B. Fernsehdebatten) und an Äußerungen über beziehungsweise am Umgang mit relevanten Sachthemen fest. Das innenpolitische Spektrum dafür reichte in den USA in diesem Jahr von der Corona-Pandemie und dem Gesundheitssystem über die Wirtschaftskrise, die anhaltenden Proteste gegen die Benachteiligung der Minderheiten, Plünderungen und Waffengewalt bis zum Obersten Gericht, der Briefwahl, Fragen zum Abtreibungsrecht und der illegalen Einwanderung, der Klimapolitik und darüber hinaus. Oft überschlugen sich die Top-Meldungen und Tweets zu mehreren Themen binnen weniger Tage.

In zahlreichen Berichten und Analysen wurde bereits herausgestellt, dass die Meinungen und Einstellungen der US-Bürger entlang der parteipolitischen Trennlinien zutiefst gespalten sind. Der Wahlkampf macht sich diese Polarisierung zunutze: Für jeden US-Bürger sind über das Wählerregister hinaus mehrere tausend Hinweise auf Alter, Geschlecht, Wohnort, Familienstand, Einkommen und vieles mehr öffentlich zugänglich – ein Datenschutz wie in Deutschland existiert nicht. Aus der Kombination dieser Hinweise ermitteln die Parteien mit großer Genauigkeit, wer zu ihren Anhängern zählt. Genau diese Gruppe wird dann entweder von den Republikanern oder den Demokraten zielgerichtet mit Werbemails, SMS, Wahlwerbung im Briefkasten, in den sozialen Medien oder den jeweils favorisierten Fernsehkanälen überschüttet. Buchstäblich „wahllos“ verbreitete Werbung beider Parteien für alle Stimmberechtigten wird mangels Erfolgsaussichten und aus Kostengründen vermieden.

Im Kern ging es aber nicht um Einzelthemen, sondern bei Joe Biden in allen Facetten um ein Referendum über die amtierende Regierung und einen "Battle For The Soul Of The Nation", während Donald Trump trotz Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit und Protesten gegen Polizeigewalt „Make America Great Again“ versprach. Vor allem mit Blick auf die farbigen Bevölkerungsminderheiten war dabei schwer vorhersehbar, welches der beiden Narrative sich im Wahlkampf erfolgreich verfangen würde. Dazu zählte beispielsweise der „gender gap“ unter den Wählern mit lateinamerikanischer Abstammung. Umfragen vom Oktober sahen Joe Biden bei den Latino-Frauen 34 Prozentpunkte vor Donald Trump. Bei den Latino-Männern betrug der Vorsprung für Biden hingegen nur acht Prozentpunkte. Der Unterschied in der Wählergunst galt für Latinos und Latinas sowohl mit, als auch ohne Hochschulabschluss.

Vor allem um die hispanische Bevölkerungsminderheit mussten die Demokraten im Wahlkampf auch deshalb heftig kämpfen, weil die Gruppe für sich genommen sehr divers ist. Knapp über die Hälfte aller Latinos verstehen sich nicht als Farbige, sondern als Weiße. Viele, vor allem ältere Amerikaner mit lateinamerikanischer Abstammung, sind bei Fragen über Abtreibung, Steuern und innere Sicherheit überdies eher konservativ. Mit ihren Forderungen nach „Recht und Ordnung“ und gegen illegale Einwanderung hofften die Republikaner in dieser Gruppe auf etwas über 30 Prozent Zustimmung. Der Anteil der schwarzen Trump-Anhänger wurde im Juli auf etwa zehn Prozent geschätzt.

Exakt ließ sich anscheinend auch nicht vorhersagen, wie sich der Generationenwechsel auf die Wahl und vor allem auf die Wahlbeteiligung auswirken würde. So stellt die nach 1981 geborene Generation der Millennials und GenZ in diesem Jahr in den USA erstmals die größte Bevölkerungsgruppe. Unter seiner eigenen Generation der zwischen 1946 und 1964 geborenen Babyboomer hatte Donald Trump vor vier Jahren mühelos gewonnen. Nach Umfragen aus Oktober lag diesmal Biden aber bei den Menschen über 65 Jahre vorne. Erst bei den weit über Siebzigjährigen konnte Trump seinen Vorsprung halten. Darüber hinaus zeichnete sich nach Umfragen aus September ab, dass Trump in der mittleren Altersgruppe zwischen den jüngsten Babyboomern und den ältesten Millennials, also Menschen zwischen 40 und 55 Jahren (GenX), weiterhin in Führung lag. Erst in einigen Wochen wird es wohl aussagekräftige Analysen darüber geben, welche Rolle das Wahlverhalten der Minderheiten und der verschiedenen Altersgruppen tatsächlich für das Ergebnis der Abstimmung gespielt hat. Schneller werden wir wohl wissen, ob vor allem die Republikaner oder die Demokraten von der Briefwahl profitiert haben.

Wahlbeteiligung mit „Trump-Faktor“

Bei der Abstimmung in diesem Jahr hatten bereits vor dem eigentlichen Wahltag am Dienstag knapp 100 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger per Briefwahl oder „early voting“ im Wahllokal abgestimmt. Das entsprach etwa 40 Prozent aller Wahlberechtigten und gut 70 Prozent der Wahlbeteiligung vor vier Jahren. Schon das war Rekord!

Genaue Angaben zur Wahlbeteiligung sind, vor allem so kurz nach der Abstimmung, ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Denn in den USA gibt es keine Meldepflicht. Die genaue Zahl aller Wahlberechtigten muss deshalb geschätzt werden. Eine Volkszählung findet nur alle zehn Jahre statt; die Ergebnisse der diesjährigen Zählung liegen noch nicht vor.

Wer mit abstimmen will, muss sich in seiner Gemeinde als Wähler registrieren lassen. Wer umzieht, muss seine Wählerregistrierung auf den neuen Wohnort anpassen.

2016 wurde die Zahl der wahlberechtigten US-Staatsbürger über 18 Jahre auf rund 225 Millionen geschätzt. Davon waren knapp 160 Millionen als Wähler registriert. Etwas weniger als 140 Millionen gaben ihre Stimme ab. Demnach lag die Wahlbeteiligung bei 61,4 Prozent. Deutlich höher war die Wahlbeteiligung während der letzten vier Jahrzehnte nur 1992 (67,7 %), etwas niedriger wiederum 1996 (58,4 %) und 2000 (59,5 %).

Würde man die Zahl aller abgegebenen Stimmen mit der erwachsenen Gesamtbevölkerung in den USA vergleichen, reduzierte sich die Wahlbeteiligung 2016 auf etwa 55 Prozent. Denn neben Ausländern sind auch mehrere Millionen verurteilte Straftäter nicht wahlberechtigt. Elf Bundesstaaten verwehren Mehrfachtätern und schwer Vorbestraften das Wahlrecht dauerhaft auch nachdem diese ihre Haft und die anschließende Bewährung abgeschlossen haben.   

Die Rekordbeteiligung in diesem Jahr war nach den einigermaßen stabilen Werten für die letzten Präsidentschaftswahlen zwar nicht vorhersehbar – überdies war ab März zu befürchten, dass die Corona-Pandemie viele Menschen von der Stimmabgabe abhalten würde. Andererseits hatte sich 2018 bereits bei der Abstimmung zum Kongress gezeigt, dass der „Trump-Faktor“ die Wählerinnen und Wähler mobilisiert. Vor zwei Jahren hatten sich 113 Millionen Menschen beteiligt, mehr als jemals zuvor bei einer „Zwischenwahl“.

Trump: Wahlkampf in drei Phasen

Für den US-Präsidenten lässt sich der Wahlkampf grob in drei Phasen einteilen: Ab Beginn des Jahres bis zu dem Zeitpunkt, an dem Joe Biden im Frühjahr nach dem Ausscheiden seines letzten verbliebenen Mitbewerbers Bernie Sanders aus den Vorwahlen als Präsidentschaftskandidat der Demokraten feststand, setzte Donald Trump weiterhin voll auf „MAKE AMERICA GREAT AGAIN!“. Noch etwa bis Juni lautete der Slogan dann „Keep America Great“.

Das Jahr hatte mit soliden Wirtschaftszahlen und geringer Arbeitslosigkeit begonnen, im Handelsstreit mit China wurde sozusagen als „Waffenstillstand“ eine erste Übereinkunft unterzeichnet, Trump setzte das neue nordamerikanische Handelsabkommen USMCA in Kraft und überstand das gegen ihn angestrengte Amtsenthebungsverfahren ohne Blessuren. Währenddessen attackierten sich die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in mehreren Vorwahlen heftig, ließ sich Michael Bloomberg für die ersten vier Runden gleich entschuldigen, blamierte sich die Partei beim „Caucus“ in Iowa mit einer defekten App bei überaus geringer Wahlbeteiligung und sah die Lage für Joe Biden im Wettbewerb mit Pete Buttigieg, Elizabeth Warren und Bernie Sanders zunächst alles andere als rosig aus. Erst mit dem „Super Tuesday“ Anfang März und seinem Wahlsieg in South Carolina zeichnete sich für Biden die Wende ab. Gut einen Monat später hatte er sich endgültig gegen seine Mitbewerber durchgesetzt.

Für Donald Trump war der 77jährige ehemalige Vizepräsident und langjährige Senator aus Delaware alles andere als der Wunschgegner. Sanders oder Warren hätten dem US-Präsidenten als Vertreter des linken Spektrums der Demokratischen Partei inhaltlich eine deutliche größere Angriffsfläche geboten. Überdies sprach viel dafür, dass die beiden Senatoren zwar vor allem in jüngeren Bevölkerungsgruppen mehr Anhänger finden würden, sie viele moderate und unentschlossene Wählerinnen und Wähler aber eher abschrecken könnten. Trumps Tweets gegen den drohenden „Sozialismus“ unter einer demokratischen Regierung hätten sich – vor allem, wenn Bernie Sanders gegen ihn angetreten wäre – also eher verfangen. Als Präsidentschaftskandidat stand Joe Biden hingegen deutlich stärker für die Mitte des politischen Spektrums.

In der zweiten Phase seines Wahlkampfs – inzwischen steckten die USA vollends in der Corona-Krise, war die Wirtschaftsleistung abrupt eingebrochen, kletterte die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe und zogen die Anhänger von „Black Lives Matter“ durch die Straßen, um – vielerorts überschattet von Ausschreitungen und Plünderungen – gegen Polizeigewalt zu demonstrieren – in dieser Phase also verlegte sich der US-Präsident stärker darauf, seinen demokratischen Gegenkandidaten persönlich zu diskreditieren und „Sleepy Joe“ als zu alt, als Anhänger der radikalen Linken und als Gegner von „Recht und Ordnung“ abzubilden. Natürlich bekam auch die Demokratische Partei insgesamt ihr Fett weg; wichtiger aber war dem Präsidenten zu betonen, dass nur er in der Lage sei, die Corona-Krise und ihre Folgen erfolgreich zu bewältigen, „Chaos und Anarchie“ abzuwenden (“No one will be safe in Biden's America”) und die USA möglichst bald wieder „great again“ zu machen, während umgekehrt sein politischer Widersacher im Falle eines Wahlsiegs genau das Gegenteil bezwecken werde. Vieles erinnerte an „Crooked Hillary“ aus dem Wahlkampf vor vier Jahren.

In der dritten Phase ging der US-Präsident schließlich dazu über, den Wahlausgang selbst anzuzweifeln. Widerholt kündigte er Betrug und Manipulationen durch die gelockerten Regelungen zur Briefwahl an. Bereits im September ließ er wissen, das Oberste Gericht müsse über die Legitimität des Wahlergebnisses entscheiden – auch das ein Grund dafür, warum Trump und die republikanische Mehrheit im Senat mit der Berufung von Amy Coney Barrett als Nachfolgerin für die im September verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg nicht bis nach der Amtseinführung im Januar warten wollten.

Sei es damit, dass er nun bereits den dritten Richterposten im Obersten Gericht mit einer eigenen Kandidatin auf Lebenszeit neu besetzen konnte, oder damit, dass nur er für Sicherheit und einen neuerlichen Wirtschaftsboom nach der Corona-Pandemie sorgen könne – konsequent setzte Donald Trump im Wahlkampf auf „Zukunftsversprechen“. Vor vier Jahren angetreten als politischer Außenseiter, war diese Rechnung mit „MAKE AMERICA GREAT AGAIN!“ und der Ankündigung, den „Sumpf“ des Washingtoner Establishments „trockenzulegen“, für ihn aufgegangen.

Biden: „Versöhnen statt spalten“

Auch Joe Biden hat vor allem in den letzten Wochen vor der Wahl zahlreichen Ankündigungen gemacht, zum Beispiel, dass er als Präsident das Land einen und versöhnen wolle, er den Klimawandel eindämmen, Arbeitsplätze schaffen und sich für die Minderheiten einsetzen werde. Beizeiten schlug er dabei Töne an, die auch von Donald Trump hätten stammen können („Buy American!“). Insgesamt blieb Biden mit seinen Versprechen aber vorsichtiger; so warnte er davor zu hoffen, dass sich die Polarisierung und die tiefen Gräben in der US-amerikanischen Gesellschaft kurzfristig überwinden beziehungsweise zuschütten ließen. Statt sich bereits darauf festzulegen, ob er als Präsident die Zahl der Richter am Obersten Gericht erhöhen wolle, um dort eigene Kandidaten einzusetzen, kündigte er an, die Frage von einer Kommission prüfen zu lassen.

Stattdessen führte Biden den Wahlkampf von Anfang an als Referendum über die Regierungsjahre von Donald Trump. Nachdem der Demokrat im April als Präsidentschaftskandidat feststand, wurde ihm auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen, sich für eine offensive Abrechnung praktisch überhaupt nicht aus der Deckung vorzuwagen. Im Vergleich zur Medienpräsenz des US-Präsidenten, der ja schon mit seinen Corona-Briefings durchgängig im Rampenlicht stand, war dieser Eindruck nicht ganz falsch – genau das, jede umstrittene, missverständliche und falsche Äußerung und jeder von Donald Trump nicht getragene Mundschutz, spielten Biden aber natürlich in die Hände. Darauf jedenfalls hoffte sein Wahlkampfteam. Darüber hinaus zählte, schon aufgrund seiner geringeren Medienpräsenz und einer – zumindest anfänglich – weniger gefüllten Wahlkampfkasse, vor allem das „Timing“, und zwar in vielerlei Hinsicht:

Nachdem beispielsweise die Corona-Krise die USA voll getroffen hatte, schlug Biden bereits mit einigen Monaten Vorlauf zunächst eine Verschiebung des Nominierungsparteitags der Demokraten von Juli auf den August nur wenige Tage vor dem Parteitag der Republikaner vor. Anschließend regte er an, den Nominierungsparteitag seiner Partei zur Minimierung der Ansteckungsrisiken nicht als Präsenzveranstaltung vor mehreren zehntausend Anhängern und Delegierten, sondern „virtuell“ im Internet abzuhalten. Das war durchaus „hoch gepokert“. Denn zu diesem Zeitpunkt konnte niemand mit Sicherheit vorhersagen, wie sich die Pandemie bis zum Sommer entwickeln würde. Viele US-Bundesstaaten begannen bereits ab Mai wieder mit einer Lockerung der Restriktionen für Menschenansammlungen und das Wirtschaftsleben. Das Risiko bestand darin, mit einem virtuellen Parteitag ohne jubelnde Fans, große Bühne und Luftballons für die letzten Wochen des Wahlkampfs vor allem deshalb deutlich an Momentum zu verlieren, weil Donald Trump und die Republikaner ihrerseits keinerlei Anstalten machten, wegen Corona auf das traditionelle Großspektakel mit vollen Besuchertribünen zu verzichten.

Für die Demokraten hat sich das Wagnis am Ende gelohnt: Nach hartnäckigen Versuchen, ihren Nominierungsparteitag mit reduzierter Zuschauerzahl, aufgeteilt auf zwei Austragungsorte und unter strengen Hygieneauflagen doch noch als Präsenzveranstaltung durchzuführen, mussten die Republikaner schließlich ebenfalls zumindest weitgehend auf ein virtuelles Format ausweichen. Das wochenlange Hin und Her hatte zur Folge, dass dem Wahlkampfteam von Donald Trump für die erzwungene Alternativlösung wertvolle Vorbereitungszeit fehlte.

Passend dazu, dass die Demokraten ihren Wahlkampf als Referendum über den US-Präsidenten führen wollten, haben sie überdies konsequent darauf spekuliert, dass sich viele Wählerinnen und Wähler bereits lange vor der Abstimmung am Dienstag auf einen der beiden Kandidaten festgelegt hatten; Donald Trump polarisiert das Wahlvolk ja nicht erst seit diesem Jahr.

In der Tat gaben nach Umfragen schon Wochen vor der Wahl 80 bis 90 Prozent der Befragten auch in den heiß umkämpften Swing States an, sich längst entschieden zu haben. Vor diesem Hintergrund hat die Kampagne von Joe Biden unter den eigenen Anhängern massiv dafür geworben, frühzeitig per Briefwahl abzustimmen. Diese Wähler hätte Donald Trump auch mit den Fernsehdebatten wohl ohnehin nicht für sich gewinnen können. Viel wichtiger war stattdessen, mit der Briefwahl eine größtmögliche Wahlbeteiligung der demokratischen Anhänger sicherzustellen. Ohne Briefwahl hätte für Biden das Risiko bestanden, auf den letzten Metern entscheidende Stimmen dadurch zu verlieren, dass er sich bei Live-Auftritten und im Schlagabtausch mit seinem republikanischen Herausforderer verhaspelt, ungeschickt formuliert oder Schwächen zeigt. Für ihn wichtige Wählergruppen wären nach solchen, für den 77jährigen schon aus dessen Zeit als Vizepräsident nicht ganz unbekannten Pannen sicherlich nicht zu den Republikanern übergelaufen; unter Umständen hätten sie sich aber dafür entschieden, am 3. November überhaupt nicht wählen zu gehen. Die Briefwahl sorgte stattdessen für eine Rekordbeteiligung.

Dass Biden mit Kamala Harris eine Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin aufgestellt hat, die gewissermaßen ein Gegengewicht zu ihm sein sollte – Frau, jünger, Schwarze – war ein für die meisten Beobachter „logischer“ Schachzug. Denn wie schon bei den Zwischenwahlen 2018 mussten die Demokraten im Wahlkampf alles unternehmen, um die politisch oft moderateren Wählerinnen vor allem in den Vororten der städtischen Metropolen, daneben möglichst viele Angehörige der farbigen Minderheiten sowie jüngere Wähler unter den Millennials und der GenZ gewinnen – die Generation der nach 1981 Geborenen stellte in diesem Jahr erstmals die größte Altersgruppe. Ein Risiko bestand bei der Nominierung vor allem darin, dass die Senatorin aus Kalifornien, dort lange auch Generalstaatsanwältin und zuständig für eine Polizeireform, von Vertretern des linken Flügels der Demokratischen Partei hätte abgelehnt werden können.

Auch bei dieser in den Medien nahezu durchgängig als historisch bewerteten Personalentscheidung spielte das Timing eine wichtige Rolle: Biden nominierte seinen „running mate“ nur wenige Tage vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten. Über Wochen hinweg hatten die Medien zuvor darüber spekuliert, welche Kandidatin – dass es eine Frau sein würde, war klar – Biden aufstellen würde. Die Benennung verzögerte sich dann noch um einige Tage, was die Spannung weiter steigerte und den Demokraten im Wahlkampf hohe Aufmerksamkeitswerte bescherte, während sich die Republikaner noch vom Schock über eine nur schwach besuchte Wahlkampfveranstaltung in Oklahoma erholen mussten, Trump den Chef seines Wahlkampfteams auswechselte und seine Partei mit Hochdruck daran arbeitete, den Ablauf und das Programm für den nunmehr virtuellen Nominierungsparteitag festzuzurren.    

Die von Joe Biden und seinem Team geschickt terminierten Äußerungen und Auftritte konnten die guten Zustimmungswerte der Demokraten zwar nicht weiter in die Höhe treiben; Trump wiederum konnte mit seiner von wiederholten „Querschlägen“ geplagten Wahlkampfdramaturgie – darunter zuletzt natürlich seine Ansteckung mit dem Corona-Virus – in den Umfragen aber auch nicht aufholen. In den letzten Wochen vor der Wahl ließ sich Biden bei seinen Attacken gegen Donald Trump immer häufiger von Ex-Präsident Barack Obama flankieren („But just like everything else he inherited, he messed it up.”)

Wie gesagt, vielleicht wissen Sie nach der Veröffentlichung dieses Berichts bereits, ob Joe Biden oder Donald Trump den erfolgreicheren Wahlkampf geführt hat und wer sich für die Mehrheit im Electoral College am Ende in den entscheidenden Swing States durchsetzen konnte. Mit Ablieferung dieses Berichts ist das noch offen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Leiter des Länderprogramms Japan und des Regionalprogramms Soziale Ordnungspolitik in Asien (SOPAS)

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