Zunächst begrüßte Simone Habig, die Leiterin des Regionalbüros Rheinland, die Gäste: „Hat die Welt so etwas wie die aktuelle Situation schon einmal erlebt? Wie veränderten Seuchen im Verlauf der Geschichte das öffentliche und private Leben?“ Dann stieg Fangerau in das Thema ein – mit zwei Begriffen, die wir alle häufig im Alltag nutzen. „Ein Seuchengeschehen ist immer ein Zusammenspiel von Kultur und Natur.“ Wichtig dabei sei die Unterscheidung zwischen den Definitionen des Begriffes Kultur: Eine besagt, alles, was wir Menschen geschaffen haben, sei Kultur - die andere geht davon aus, dass „der Mensch die Natur in Teilen so geprägt hat, dass eine neue Kultur entsteht.“ Eine Pandemie könne sich in unserer heutigen Gesellschaft ausbreiten, weil „wir Menschen eine Kultur geschaffen haben, die das begünstigt“ – zum Beispiel durch hohe Mobilität oder nahes Zusammenwohnen.
Handlungsebenen der Gesundheitssicherung
Fangerau nutzt das Beispiel der Cholera-Pandemie, um den Umgang der damaligen Naturwissenschaftler mit den auftretenden Krankheiten zu verdeutlichen. Die Mediziner hätten auf Basis von Beobachtungen gearbeitet – zum Beispiel, dass Cholera eher in Städten auftrat. Max von Pettenkofer schlug daraufhin vor, durch Kanalisationen verunreinigtes Wasser zu entfernen, Robert Koch machte Keime sichtbar und nahm so die Verbreiter in den Fokus. Gemein ist beiden Ansätzen, dass die Städte beziehungsweise der Staat eine Handlungsebene dazu bekommt – Gesundheit wird öffentlich. Und auch in der späteren Sozialhygiene spielt der Staat eine wichtige Rolle – denn die Bekämpfung von soziopathogenen Faktoren wie ungesunden Wohnbedingungen zählt zu den Handlungsfeldern des Sozialstaats.
Medikalisierung des Privaten
In der Folge sei die Gesundheitsvorsorge immer öffentlicher geworden, während eine weitere Individualisierung der Medizin passierte und mehr private Bereiche – wie das Körpergewicht – medizinisch relevant wurden. In dieser Situation befand sich unsere Gesellschaft, als die Covid-19 Pandemie auftrat – ein Verständnis von Gesundheit und Medizin, die sich messbar machen lässt. Nun musste aber „unter unsicheren Bedingungen gehandelt werden“, was in der Medizin nicht unüblich sei – aber im öffentlichen Medizindiskurs vorher nicht stattgefunden habe.
„Geschichte ist keine Grabbelkiste, aus der wir Parallelen hervorziehen können“
Obwohl es Gemeinsamkeiten gebe, könne man vergangene Pandemien nicht komplett mit der aktuellen Situation vergleichen, denn die Digitalisierung und die Wahrnehmung der Gesellschaft habe großen Einfluss. In der anschließenden Diskussion unter der Moderation von Maximilian Rieger, geht es unter anderem um die aktuellen Schutzmaßnahmen: Eine Zuschauerin fragt, ob die Opposition nicht eher Einigkeit mit der Regierung zeigen solle, wenn die Maßnahmen verkündet würden. Fangerau antwortet, dass er es wichtig finde, dass Kritik in der Demokratie möglich sei und artikuliert werde. Das Zusammenspiel von Natur- und Sozialwissenschaften wird diskutiert – diese sei sehr wichtig, sagt Fangerau, um spezifische Maßnahmen zu entwickeln. Um gemeinsam zu handeln, sei es wichtig, dass die EU gemeinsam agiere. Trotzdem vermutet Fangerau, dass auch bei einer möglichen nächsten Pandemie spät reagiert werde. Und doch gibt es am Ende einen positiven Abschluss: Auf die Frage, wann die Menschen nach der Pandemie „wieder lachen könnten“, sagt Fangerau, dass dies wahrscheinlich schnell ginge, weil wir das Gefühl hätten, die Pandemie selbst unter Kontrolle gebracht zu haben: „Menschen sind dafür gemacht, eher zu zweit oder mit mehreren zu sein als allein – und das holen wir uns nach der Pandemie zurück.“
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Landesbüro NRW und Regionalbüro Rheinland
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