„Europa ist bereits eine Supermacht“ – so die Behauptung von Prof. Eckard Stratenschulte in dem Workshop mit Schülerinnen und Schülern, die das anschließende Expertenpodium mit Fragen der jungen Generation vorbereitet hatten. Es fehle der EU aber am politischen Willen, ihre Machtressourcen in der Sicherheits-, Handels- und Technologiepolitik einzusetzen. Diese Schwäche habe auch mit einer bislang viel zu zögerlich geführten öffentlichen Diskussion über die Rolle Europas in der internationalen Politik zu tun. Die EU müsse auch bereits sein, die Voraussetzungen für ihre Autonomie zu schaffen.
Für die Handelspolitik – so die Expertin und Vertreterin des Instituts der Wirtschaft Köln – sei Globalisierung keine Aufgabe, sondern Realität. Die Unternehmen hätten die Herausforderungen längst angenommen und sich weltweit als „Partner der ersten Wahl“ angeboten. Diesen Vorteil aber drohe die EU gegenüber China sukzessive zu verlieren. Doch stellte Prof. Dr. Golina Kolev dieser pessimistischen Einschätzung einer Renationalisierung und Deglobalisierung die Strategie der diversifizierten Globalisierung entgegen. Lieferengpässe im Zuge der Pandemie und des Kriegs gegen die Ukraine hätten die Wirtschaft aus einem Dornröschenschlaf geweckt und die Augen für die Risiken der Abhängigkeit von nur wenigen, kostengünstigen Lieferanten geöffnet. Das Bewußsstsein für die Abhängigkeiten von politischen Rahmenbedingungen sei gewachsen und der Notwendigkeit einer höheren Ressourceneffizienz werde stärker Rechnung getragen.
Aus Sicht der Wissenschaftskooperation bestätigte Dr. Torsten Fischer, dass Europa bereits eine Supermacht sei, dass es seine Stellung durch die wissenschaftspolitische Zusammenarbeit zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten noch verbessern könne. Wie der Geschäftsführer der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen aus Brüssel herausstellte, habe die Kommission bei der Förderung und Vernetzung auf europäischer Ebene einen guten Job gemacht. Die europäische Initiative zur Krebsbekämpfung zeige, dass es auf die treibende Kraft und Zusammenarbeit von Industrie, Staat, nichtstaatlichen Einrichtungen, Wissenschaft bzw. Hochschulen ankomme. Auch im Green Deal sah er einen guten Anreizmechanismus, die europäischen Forschungsbemühungen zu bündeln und die führende Stellung Europas auszubauen. Und Galina Kolev ergänzte, dass die EU durch ihre Handelspolitik die gesetzten Klimaziele wirkungsvoller erreichen könne („Klimaclub“).
Niemand wunderte, dass die größte Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik klaffte. Roland Freudenstein, Vizepräsident des Brüsseler Think Tanks GLOBSEC stellte unmissverständlich klar, dass nur eine enge transatlantische Partnerschaft der EU mit den USA in der NATO die Unabhängigkeit Europas durch atomare Abschreckung garantiere. Es begrüßte es, dass sich die Wirtschaft mehr und mehr von einer Blickverengung auf ihr Business verabschiedeten und sich der geopolitischen Realität annäherten, dass China den Handel in den Dienst ihrer globalen politischen Hegemoniestrategie stellten. Während die USA und Großbritannien die Ukraine massiv verteidigten, hätten Deutschland und Frankreich das historische Moment der Verteidigung der demokratischen Existenz eines europäischen Staates nur zaudernd angenommen.
Diskutiert wurde auch, ob die Strategie Europas gegenüber Russland, Wandel durch Handel, gescheitert sei. Während die Ökonomin Kolev im Handel ein Machtinstrument sah, Stichworte sind die Sanktionsmacht und der CO2-Grenzausgleichmechanismus, berichtete der Wissenschaftsorganisator, dass die wissenschaftliche Kooperation mit russischen Partnern bereits vollständig eingestellt worden sei oder sich in Abwicklung befinde. Kritisch kommentierte er den bereits von Obama angestoßenen strategischen Schwenk der USA in Richtung Asien, der zu einer Schwächung der transatlantischen Zusammenarbeit im Bereich der Hochtechnologie führe.Dem Geostrategen Freudenstein fehlte bei der Erwartung eines Wandels durch Handel indes die politische Einordung. Der erhoffte Wandel autoritärer Regierungen sei nachweislich durch wirtschaftliche Vernetzung und Wohlstandszugewinne nicht erfolgt. Der „globale Westen“ müsse konkreter ansetzen und mehr Gewicht auf die Untertützung der demokratischen Kräfte bei den Handelspartnern legen. Er sprach sich für strategische Partnerschaft der Demokratien und für Handelsbeschränkungen beim Export von Hochtechnologien in autoritäre Staaten aus.
Auf die Frage nach den drei drängendsten Hürden auf dem Weg Europas zu einem global player fielen die Antworten sehr unterschiedlich aus. Einig waren sich alle, dass es einer schonungs- und illusionslosen Schwächen-Stärken-Analyse und eines strategischen politischen Kompasses bedürfe, um Werte und Interessen Europas international zu verteidigen. Auch bei den ersten Schritten auf dem Weg dorthin sowie bei der thematischen Agenda blieben die Gesprächspartner häufig im Vagen. Keinen Zweifel ließen sie indes an der Notwendigkeit, politische Allianzen der demokratischen Staaten zu bilden, zu, um die eigene Position, aber dadurch die Glaubwürdigkeit der multilateralen Organisationen zu stärken. Dazu müsse auch auf Koalitionen der Willigen zurückgegriffen werden, um Fortschritte zu erzielen. Strategische Verantwortung zu übernehmen aber bedeute, zu erklären, was gescheitert sei und Verantwortung gegenüber den Verbündeten zu übernehmen.
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