国家报道
Obwohl das Präsidentenamt in der Hand der ADN bleibt, bedeutet die Amtsübernahme durch den 41jährigen Jorge Quiroga zumindest einen Generationswechsel (Banzer ist 75 Jahre alt). Quiroga wird innerhalb der ADN zu den "pitufos" (Schlümpfen) gezählt, einer Gruppe junger und reformbereiter Politiker, die der Gruppe der "dinosaurios", der alten Machtelite der Partei, gegenübersteht.
Ein Politikwechsel zeichnet sich ab. Quiroga, ein reformfreudiger und dialogbereiter Technokrat, stellt zur Zeit sein Kabinett zusammen. Fraglich bleibt allerdings, ob sich Quiroga auf Dauer gegen die "Dinosaurier" durchsetzen kann. Ferner bleibt dem neuen Präsidenten nur ein Jahr für die Ausübung seines Amts: im Juni des kommenden Jahres werden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden, und die neue Regierung wird am 6. August 2002 ihr Amt antreten.
Angesichts der schwierigen politischen und sozialen Lage Boliviens und der seit April 2000 in Schüben stattfindenden Unruhen und Blockaden unterschiedlicher Gruppen und der bisher mangelnden Entscheidungs- und Aktionsfähigkeit der Regierung sind die Erwartungen an den neuen Präsidenten groß, eine hohe Meßlatte für Quiroga, dem man Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2007 zuschreibt und der nun sein politisches Geschick für die Zukunft zeigen muss.
Chronologie des Rücktritts
Seit dem 1. Juli hält sich Präsident Banzer in Washington, USA, auf, wo er wegen Krebs im Militärhospital Walter Reed behandelt wird. Schon seit Anfang des Monats war sein Gesundheitszustand deutlich ernster als zunächst offiziell zugegeben. Ein Rücktritt wurde in den ersten Wochen von engsten Familienangehörigen und nahestehenden Regierungsmitgliedern gänzlich ausgeschlossen. Der engste Umkreis des Präsidenten mag ihn in seinem Zögern bestärkt haben aus Sorge vor dem drohenden Machtverlust.
Mit Blick auf die anhaltend schwierige politische Lage des Landes - der Führer der Kleinbauern des Altiplano, Felipe Quispe, "el Mallku", hatte erneut zu Blockaden aufgerufen -, forderte der Unternehmerverband am 26. Juli offiziell den Rücktritt Banzers.
Andere Gruppen, Politiker und Analysten hatte sich ebenfalls für einen Rücktritt Banzers ausgesprochen, um die herrschende Unsicherheit zu beenden und ein drohendes Machtvakuum zu verhindern. Die erste öffentliche Rücktrittsforderung kam Mitte Juli von der NFR (Nueva Fuerza Republicana), einer besonders in Cochabamba einflussreichen Partei, deren Vorsitzender ein Bündnis mit Banzer zwecks Unterstützung einer eigenen Präsidentschaftskandidatur geschlossen hatte, das aber im vergangenen Jahr zerbrochen war.
Am 27. Juli, nach einem Besuch bei Banzer in Washington, erklärte der Informationsminister, Manfredo Kempff, dass Präsident Banzer am 6. August, dem Unabhängigkeitstag, zurücktreten wolle. Der Präsident werde zu den Feierlichkeiten in die Hauptstadt Sucre kommen und dort seine Entscheidung verkünden.
Am Abend des 30. Juli wurde überraschend eine 90sekündige Ansprache von Banzer im bolivianischen Fernsehen gesendet, in der er seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen bestätigte. Von großen Teilen der bolivianischen Bevölkerung wurde dies bereits als Abschied des Präsidenten von seinem Land gedeutet. Seinen Nachfolger, Jorge Quiroga, erwähnte der scheidende Präsident mit keinem Wort.
General Banzer: Diktator und Demokrat
Hugo Banzer Suárez wurde als Nachfahre deutscher Einwanderer 1926 in Concepción im tropischen Tiefland von Bolivien geboren. Er absolvierte eine erfolgreiche Militärkarriere und bekleidete sein erstes Regierungsamt als Erziehungsminister im Kabinett Gen. René Barrientos von 1964 - 1966. 1971 gelangte er durch einen Militärputsch an die Macht. Seine Präsidentschaft während der folgenden Militärdiktatur dauerte bis 1978. 1989, ein Jahr nachdem er in demokratischen Wahlen erneut ins Präsidentenamt gelangt war, wurde ihm vorgeworfen, in den siebziger Jahren am sogenannten "Plan Cóndor", dem Abkommen südamerikanischer Diktatoren zwecks grenzübergreifender gewalttätiger Unterdrückung politischen Widerstands, beteiligt gewesen zu sein.
Im Jahr 1979 gründete Banzer die Partei "Acción Democrática Nacionalista", deren Vorsitz er bis jetzt innehat, mit dem Ziel, auf demokratischem Weg erneut an die Macht zu kommen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen gelang ihm dies schließlich im Jahr 1997 mit Hilfe einer breiten Koalition unter Beteiligung der Parteien "Movimiento Izquierdista Revolucionario" (MIR), "Unión Cívica Solidaridad" (UCS) und "Conciencia de Patria" (CONDEPA), die jedoch schon im Folgejahr bröckelte.
Grundlage des Regierungsprogramms von Präsident Banzer war ein Aktionsplan, der folgende vier Schwerpunkte setzte:
- "Oportunidad"": wirtschaftliche Entwicklung, Wachstumsförderung bes. im Privatsektor, Stärkung des Finanzsektors, Ausbau des Straßennetzes
- "Equidad": Verteilungsgerechtigkeit, Erhöhung der staatlichen Investitionen im Sozialbereich, um die Armutssituation der Mehrheit der Bevölkerung zu lindern
- "Institucionalidad": Institutionenförderung zur Verbesserung des Rechtswesens und zur Korruptionsbekämpfung in der öffentlichen Verwaltung
- "Dignidad": Drogenbekämpfungsprogramm, bis Ende der Regierungszeit Ausrottung er illegalen Kokaanpflanzungen, Förderung des Anbaus alternativer Produkte.
Eine Reform des Zollwesens brachte im vergangenen Jahr mehr Transparenz und Effizienz in die ehemalige Hochburg der Korruption. Allerdings wurden damit die Arbeitsmöglichkeiten im informellen Sektor - hier Kleinhändler, die geschmuggelte Waren verkaufen - erheblich eingeschränkt, was wiederum zum Verlust von Arbeit und Einkommen für die betroffenen Händler führte.
Trotz dieser Bemühungen fiel Bolivien im Korruptionsindex von "Transparency International" im Juni 2001 von Platz 71 auf Platz 84 von insgesamt 91 aufgeführten Staaten. In Lateinamerika bildet Bolivien damit das traurige Schlusslicht, wenn bei der Bewertung auch bedacht werden muss, dass der Index nicht die tatsächliche Korruption darstellt sondern die subjektive Einschätzung der Befragten.
Seit April 2000 führen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme eines Großteils der Bevölkerung immer wieder zu Protestmärschen, Blockaden und Unruhen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Proteste der Kleinbauern des Altiplano unter Führung des charismatischen und polemischen Felipe Quispe, genannt "el Mallku" (bedeutet in der Aimara-Sprache "der Kondor"), der Kokaanpflanzer der Region Chapare mit dem Abgeordneten Evo Morales an der Spitze und der "Coordinadora del Agua", einer Vereinigung von Bürgergruppen in Cochabamba, die um niedrige Wasserpreise kämpft.
Die Regierung Banzer versuchte zunächst, mit Gewalt die Probleme zu lösen und zeigte sich verhandlungs- und entscheidungsunfähig. Eine in den meisten Fällen nur kurzfristige Lösung der verschiedenen Konflikte wurde mit Hilfe der Ombudsfrau, der katholischen Kirche und der bolivianischen Menschenrechtsorganisation "Asamblea de los Derechos Humanos" erzielt.
Hugo Banzer übergibt ein wirtschaftlich geschwächtes Land mit schweren sozialen und politischen Problemen an seinen Nachfolger. An den erfolgreichen Reformprozess seines Vorgängers, Gonzalo Sánchez de Lozada (1993 - 1997), konnte er nicht anknüpfen. Es scheint, als habe Banzer vor allem Wert darauf gelegt, als geläuterter Demokrat in die Geschichte seines Landes einzugehen. Impulse für Lösungen der drängenden Probleme hat er dabei kaum gegeben.
Der Nachfolger: Jorge Quiroga
Jorge "Tuto" Quiroga tritt verfassungsgemäß die Nachfolge von Hugo Banzer an. Der 41jährige Vertreter der jüngeren Generation innerhalb der ADN, Industrieingenieur und Betriebswirtschaftler mit Abschluss einer texanischen Universität, verheiratet mit einer US-Amerikanerin, arbeitete zunächst mehrere Jahre in den USA bei IBM, war Vizeminister für Finanzen in der Amtszeit von Jaime Paz Zamora und ist seit 1997 Vizepräsident. Erfolgreich leitete er die nationalen Dialogprozesse "Diálogo Nacional I" und "Diálogo Nacional II" und führte die internationalen Verhandlungen im Rahmen des Entschuldungsabkommens HIPC II für Bolivien.
Der Erlass im Rahmen der laufenden HIPC-Initiative bedeutet für Bolivien, das als erstes lateinamerikanisches Land ausgewählt wurde, die Streichung von 1,3 Milliarden US$ im Laufe der nächsten fünfzehn Jahre vor, was die Ende 1998 bestehende Auslandsschuld um 30% reduziert.
Der Vizepräsident übernimmt laut Verfassung ebenfalls die Präsidentschaft des Kongresses. Im vorliegenden Fall - Vizepräsident übernimmt das Amt des Staatspräsidenten - bleibt das Amt des Vizepräsidenten bis zu den nächsten Wahlen unbesetzt.
Kongresspräsident ist in dieser Zeit der Präsident des Senats. Da zu jedem 6. August die Präsidenten des Abgeordnetenhauses und des Senats neu bestimmt werden, bezieht Quiroga auch diese Ämter, neben den Ministerien, in seine personellen Überlegungen ein. Mehrere Ministerwechsel sind zur Zeit im Gespräch. Dabei zeichnet sich ab, dass vor allem die Vertreter der "alten Garde" die Regierung verlassen werden.
Quiroga will sich besonders folgenden zwei Aufgaben widmen: der Bewältigung der Wirtschaftskrise und einem sauberen politischen Übergang zur nächsten Regierung. Er wolle daher ein Kabinett zusammenstellen, dass Fachwissen und politischen Einfluss miteinander vereinbare. Das derzeitige Kabinett wird voraussichtlich am 6. August geschlossen zurücktreten, um Quiroga die Auswahl seiner Regierungsmannschaft zu ermöglichen.
Die größte Oppositionspartei, "Movimiento Nacionalista Revolucionario" (MNR), hat dem neuen Präsidenten - bei gleichzeitig kritischer Haltung - ihre Unterstützung zugesichert. Ein Dialog mit der MNR scheint nun zumindest möglich zu werden, falls nicht die MIR diese Kontakte, wie zur Regierungszeit Banzer, zu verhindern versucht. Quiroga schien in der Vergangenheit flexibler und gesprächsbereiter als Präsident Banzer zu sein und wird sich voraussichtlich nicht so schnell dem politischen Druck der Koalitionspartner beugen.
Die Herausforderungen der neuen Regierung sind die Vorbereitung und Durchführung von sauberen Wahlen, der Abschluss der derzeit laufenden Verfassungsreform, klare Zeichen gegen die Korruption und Ämterpatronage zu setzen, ein wirtschaftliches Notprogramm einzuleiten mit dem Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen und von Einkommen für die am stärksten betroffenen Sektoren. Damit könnte der Staat seine in den letzten Jahren verlorene Glaubwürdigkeit und Führungsrolle wiedergewinnen. Viel wird von der neuen Regierungsmannschaft und ihrer Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln zum Wohle der Bevölkerung abhängen.
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