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„Brandt und Kohl waren beide das Ergebnis von `68“

Britt-Marie Lakämper

Zeitzeugen berichten über die ‚alternativen 68er‘

Konservative Studenten bildeten in den 60er-Jahren nicht nur eine politische Alternative zur linken Studentenbewegung, sondern prägten nachhaltig den Kurs ihrer Partei. Vier Zeitzeugen berichten unter Moderation von Dr. Michael Borchard auf dem Podium der KAS-Tagung über die ‚alternativen 68er‘.

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Neunzig Prozent der Studenten sei es vollkommen egal gewesen, was da passierte

Wer sich an 1968 und die Studentenbewegung erinnert, hat sogleich Bilder von Pflastersteinen, Schah-Masken und Rudi Dutschke vor Augen. Das Schlüsseljahr der Studentenrevolte wirkt auch heute noch stärker über Bilder als über Inhalte. Der Historiker Philipp Gassert bricht diese Diskrepanz bei seinem einführenden Vortrag in Berlin auf eine einfache Formel runter: „Das Wie überragte stets das Was“. Die Visualität und Nachhaltigkeit des Mythos „1968“ seien wohl kaum ohne den Blick auf den Wandel der Medien hin zu Fernsehberichterstattung und Illustrierten begreifbar, schlussfolgert er.

Horst Teltschik stimmt ihm zu: „Man darf das Jahr `68 nicht nachträglich überhöhen.“ Neunzig Prozent der Studenten sei es doch vollkommen egal gewesen, was da passierte. Der spätere Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl war damals noch Hochschulassistent am Otto-Suhr-Institut – Teltschik war also mittendrin. Auf der KAS-Tagung sitzen neben ihm Wulf Schönbohm, Ursula Männle und Peter Radunski. Sie alle engagierten sich seinerzeit politisch im RCDS, als ihre protestierenden Kommilitonen Sprüche wie „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren“ skandierten.

„Im Grunde sind sowohl Brandt als auch Kohl das Ergebnis von `68“

Doch während sich die linken Protagonisten der Protestbewegung medial wirksam präsentierten, nahmen die Konservativen die Herausforderung an, sich neu zu erfinden. Frauen in der Politik? Gab es sowohl links als auch im konservativen Spektrum wenig. Ein politisches Programm der CDU existierte nicht. „Dem RCDS blieb nichts anderes übrig, als auf eine andere Parteistruktur und programmatische Diskussionen zu drängen“, erzählt Peter Radunski. Durch die Wahlniederlage von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im Jahr 1969 wurde umso deutlicher, dass sich die CDU nicht nur intern neu aufstellen musste.

Den Anstoß zur Parteireform der 70er-Jahre schreibt sich der RCDS nicht umsonst mit auf die Fahne: Durch die Gründung der „SONDE“, der Zeitschrift für „Neue Christlich Demokratische Politik“ im Jahr 1968, wurde man zum Vordenker der Modernisierung der CDU. Wulf Schönbohm, bis 1992 Mitherausgeber und Chefredakteur, schaffte mit der SONDE eine offene Plattform, um Grundsätze christdemokratischer Politik zu formulieren, aber auch inhaltlich zu streiten und zu polarisieren. „RCDS und CDU brauchten ein Organ, um in der Auseinandersetzung mit dem SDS und der Systemkritik der APO zu bestehen“, resümiert Schönbohm heute. Die Autoren fanden in Helmut Kohl einen Verbündeten, der sich offen für die Modernisierung der Partei zeigte. In der SONDE empfahl man ihn erst als Vorsitzenden, dann als Kanzlerkandidaten. „Im Grunde sind sowohl Brandt als auch Kohl das Ergebnis von `68“, sagt Peter Radunski schmunzelnd. Eine Plattform wie die SONDE fehlt Wulf Schönbohm heute übrigens – offene programmatische Grundsatz-Diskussionen seien wieder seltener geworden.

Die Frauenbewegung wirkte nachhaltiger und mobilisierte unterschiedlichste Personenkreise

Keine Selten-, aber weiterhin eine Minderheit sind Frauen in der Politik. In den 60ern galt Politik allerdings noch generell als „unweiblich“. Ein Gespräch mit der damaligen RCDS-Landesvorsitzenden Ursula Männle lehnte der bayerische Kultusminister 1967 sogar ganz ab. Heute ist sie Vorsitzende der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung und erinnert sich an verkrustete Rollenbilder in allen politischen Lagern: „Frauen waren auch beim SDS nur schmückendes Beiwerk, kochten Kaffee und druckten Plakate.“ Die sexuelle Befreiung hätte eben nicht simultan zur Freiheit und Selbstverwirklichung der Frau geführt.

Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Ursula Männle, im Interview über Frauen unter den 68ern.

Der Beginn der Frauenbewegung werde in der heutigen Erinnerung an 1968 oft außen vorgelassen, wenn überhaupt auf die Themen Abtreibung, Pille und sexuelle Aspekte reduziert, kritisiert die 74-Jährige. „Dabei wirkte die Frauenbewegung nachhaltiger und mobilisierte unterschiedlichste Personenkreise.“

Die alternativen 68er gingen produktiv an die radikalen Herausforderungen der linken Studentenbewegung heran

Nicht nur die Frauenbewegung war ein Impuls, der im RCDS eine konservative Antwort fand. Auch in der Außen- und Deutschlandpolitik entwickelten die „alternativen 68er“ Standpunkte, die für die CDU in den folgenden Jahrzehnten wegweisend waren. „Ich habe mich 1968 beispielsweise in einem Artikel für die Anerkennung der DDR ausgesprochen, denn aus meiner Sicht hatte erstmal die Freiheit der DDR-Bürger Priorität“, erzählt Horst Teltschik, „und da ging es erstmal nicht primär um die Einheit, sondern wie man das System der DDR ändern könnte.“ Diese Meinung war in konservativen Kreisen damals ein Novum. Auch die generelle Richtung der sozialliberalen Entspannungspolitik unterstützte er als außenpolitischer Berater Kohls.

„Es muss eine andere Politik gemacht werden!“

Horst Teltschik im Interview über außenpolitische Herausforderungen und die Rolle des RCDS 1968

Die alternativen 68er, die sich vorrangig im RCDS fanden, gingen produktiv an die radikalen Herausforderungen der linken Studentenbewegung heran. Robert Baumgart, der heutige stellvertretende Bundesvorsitzenden des Studentenverbandes, blickt daher mit Respekt auf seine Vorgänger zurück: „Wir haben es als RCDS heute in dieser Hinsicht innerhalb der studentischen Selbstverwaltung leichter.“ Allerdings seien viele Probleme, die 1968 Thema waren, beispielsweise die Wohnungsnot, immer noch präsent, so Baumgart.

Britt-Marie Lakämper ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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