Manchmal sind Zeitzeugen in der Lage, die Vergangenheit sehr viel eindrücklicher in die Gegenwart zu holen, als es Bücher oder TV-Dokumentationen jemals vermögen. Das wurde Bundesminister Peter Altmaier bewusst, als er mit dem 82-jährigen Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 2003 im Flugzeug saß und dieser ihm im Gespräch sagte: „Wissen Sie, Herr Altmaier, ich habe den Stauffenberg gekannt.“ Für Altmaier war Stauffenberg eine historische Figur, jemand, „der schon lange tot war“. Aber: „Die Widerstandskämpfer von damals hätten heute noch leben können“, das war die eindrückliche Erkenntnis dieser Begegnung. Die Attentäter verloren 30, 40, 50 Lebensjahre und sahen ihre Kinder nie aufwachsen. Und dennoch setzten sie ihr Leben auf’s Spiel und widersetzten sich einem unmenschlichen System.
„Einen Eid zu brechen war für niemanden einfach“
Dabei hatten die Kämpfer gegen das Hitler-Regime auch mit sich selbst zu kämpfen. Denn ein kritischer Blick war für die konservative und militärische Elite, der Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow und die vielen anderen angehörten, bei Weitem nicht selbstverständlich. Schon zu Bismarcks Zeiten habe es ein „Ringen um das Primat der Politik über das Militär“ gegeben, so Altmaier: „Auch Stauffenberg verband zunächst Hoffnungen mit dem Nationalsozialismus“ und schließlich hatten die Militärs einen Eid geschworen: auf Adolf Hitler persönlich. Und „einen Eid zu brechen war für niemanden einfach“, betonte Altmaier. Ein Umstand, den die Nationalsozialisten gewissenlos ausnutzten.
Aufschrei des Gewissens der Attentäter vom 20. Juli
Doch „die Widerstandsgruppen haben ihr Handeln tief reflektiert und die Mittel in die Waagschale geworfen“, erläuterte Hildigund Neubert, stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, in ihrer Einführung zum Forum. So kam diese nicht homogene Gruppe – ihr gehörten Männer und Frauen aus militärischen wie zivilen, adligen wie bürgerlichen Kreisen an – zu einer Erkenntnis, die sie alle einte: Dieser Krieg widerspricht der Menschenwürde, fasste Altmaier zusammen. Er zeigte sich dankbar: „Die Attentäter des 20. Juli haben uns einen wunderbar großen Dienst erwiesen, denn es hat den Aufschrei ihres Gewissens gegeben.“
“Sie haben uns einen Rest Würde bewahrt“
Die 200 Männer und Frauen des 20. Juli ließen zwar ihr Leben, beim Versuch, den Krieg zu beenden. So vielfältig ihre Motive auch gewesen sein mögen, hätten sie aber eines gezeigt, sagte Altmaier: „Das Gewissen ist eine Richtschnur“. Denn die Attentäter, Beteiligten, Mitwisser und Fluchthelfer geben uns auch heute noch die „Hoffnung, dass es einen anderen Weg als Diktatur und Willkür gibt, das haben wir ihnen zu verdanken“, so Altmaier. Die Widerstandskämpfer hätten „das erste und sichtbarste Signal“ gegeben und eine erneute „Dolchstoßlegende“ verhindert – schließlich kam der Widerstand aus dem Militär. Und sie haben uns Deutschen „einen Rest Würde bewahrt“, resümierte der Chef des Kanzleramts vor den über 200 Gästen in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung.
„Ehrenamtliches Engagement ist ein Teil unserer Leitkultur“
Deswegen und weil sie ihren Einsatz für Deutschland mit dem Leben bezahlten, seien wir es den Widerstandskämpfern schuldig, über ihre Leistung zu reden. Und für Altmaier schloss sich ganz natürlich eine weitere Frage an: „Was bist du deinem Land schuldig?“ Eine Antwort könnte lauten: die Demokratie mit Leben füllen. Denn diese ist nach wie vor nicht selbstverständlich. „Demokratie und Freiheit müssen ständig neu erkämpft werden“, das zeige die deutsche Geschichte und Gegenwart: Links- und Rechtsextreme sowie Islamisten fordern das Gewaltmonopol des Staates heraus, Populisten greifen die freiheitlich-demokratische Grundordnung an. Dagegen müssten sich die Bürger engagieren, das ist die heutige Gewissensfrage. Engagement sei nicht nur unverzichtbar, so Altmaier, sondern tief in Deutschland verwurzelt. Schließlich galt in Mittelalter und früher Neuzeit: „Der Kaiser war weit weg“ – und so sei auch die Vereinskultur entstanden. Jeder half der Gemeinschaft. Denn, so schloss Altmaier: „Ehrenamtliches Engagement ist ein Teil unserer Leitkultur.“
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