Nach Begrüßung und inhaltlicher Einführung durch Marion Sendker erinnerte General a.D. Dr. h.c. Klaus Naumann zunächst, warum wir der NATO „unheimlich viel“ zu verdanken hätten: Sicherheit im Kalten Krieg, Absicherung des Prozesses zur Deutschen Einheit einschl. des Abzuges der russischen Truppen aus der früheren DDR sowie Sicherheit im turbulenten Umbruch nach den dramatischen Ereignissen des 11. Septembers 2001, wobei sich allerdings auch die Europäer bereitgefunden hätten, den USA nach der erstmaligen Ausrufung des Artikels 5 beizustehen. Außerdem skizzierte er kurz die aus seiner Sicht aus vier Phasen bestehende 75jährige Geschichte des Bündnisses: Nach dem Kalten Krieg sei ab 1989 der Übergang in eine neue Weltordnung gefolgt, die geprägt gewesen sei von der Hoffnung auf gemeinsame Sicherheit zwischen Ost und West. Ab 2001 bis 2014/21 habe der Kampf gegen den Terror und der Einsatz in Afghanistan im Mittelpunkt gestanden. Überlappend und ablösend gefolgt sowie aktuell bestehend, erlebten wir seit 2014/22 mit der illegalen Annektion der Krim durch Russland bzw. dessen Angriff auf die Ukraine das Ende kooperativer und den Beginn konfrontativer Sicherheit: nicht mehr Sicherheit mit sondern vor und gegen Russland.
Putin habe jegliches aufgebautes Vertrauen zerstört und langfristig verspielt. Jeder Schritt Russlands auf NATO-Territorium bedeute für ihn das unkalkulierbare Risiko von unannehmbaren Verlusten und Schäden auf russischem Boden. Gegen eine geschlossene NATO habe Russland keine Chance, die NATO sei eine Versicherung für nachhaltigen Frieden in Europa. Taurus sei im Übrigen eine wirkungsvolle Waffe, die zwar nicht den Krieg entscheiden, aber helfen könne, viele ukrainische Leben zu bewahren. Die NATO bleibe ihrem Wesen nach Peacekeeper und nicht Peacemaker.
Zur Gründung der NATO habe es geheißen, sie habe zur Aufgabe „to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down“ (so der erste Generalsekretär Hastings Lionel Baron Ismay). Nach Beitritt der Bundesrepublik ging aber dann um „get the Germans up“, was im Grunde bis heute gelte. Die Bundesrepublik sei trotzdem schnell zu einem der tragenden Pfeiler des Bündnisses geworden.
Europa sei für seine Sicherheit abhängig von den USA und eine Verteidigung ohne die Beherrschung des Atlantiks nicht möglich. Aber die amerikanische Nation sei kriegsmüde und die Verbündeten hätten sich auf dem amerikanischen Schutz lange ausgeruht, sodass die Amerikaner – nicht nur Trump – mehr fordern werden würden. Als Konsequenz müssten wir wieder in dem Sinne kriegstüchtig werden, wie wir es zu Zeiten des Kalten Krieges gewesen seien. Auch die Wehrpflicht sei ein geeignetes Mittel, Pflichten zu verdeutlichen, die für ein Leben in Freiheit und Sicherheit nötig seien.
Die NATO sei eine Interessengemeinschaft, die als eine der Grundlagen habe, gemeinsame Werte für schützenswert zu halten. Erdogans Handeln sei daher schwer vereinbar mit den Prinzipien der NATO als Wertegemeinschaft, aber es gebe einen großen Teil der Bevölkerung in der Türkei, der anders denke. Sein Agieren im Ringen um den Beitritt Schwedens werde der Türkei langfristig nicht dienen, denn die Türkei brauche uns in dem Maße, wie wir die Türkei.
Bei mittlerweile 32 Mitgliedern sei das Einstimmigkeitsprinzip heute eine Schwachstelle, aber expressis verbis sei es nur bei der Aufnahme neuer Mitglieder vorgeschrieben, jedoch dann zu einem Gewohnheitsrecht geworden. Gerade für Situationen des Krisenmanagements müsse dies überdacht werden.
Eine weitere Herausforderung sei die Herstellung von mehr Homogenität zwischen den Partnern, Stichwort gemeinsame Ausrüstung, Logistik, Systeme.
Grundsätzlich gebe es fünf Dimensionen moderner Kriegführung: Land, Luft, See, Weltraum und Cyberspace – die USA sei hier als einzige Macht überall uneingeschränkt und global handlungsfähig. Europa zu schützen sei auch Schutz für die USA selbst. Ein Grundelement maritimer Sicherheit sei nämlich die Kontrolle beiderseitiger Gegenküsten. Ein Aufgeben Europas würde für die USA das Aufgeben der Weltmachtstellung bedeuten. Europa müsse dennoch seinen Beitrag leisten, um die USA zu entlasten, denn diese sehe sich (und damit indirekt auch die NATO) weiteren Herausforderungen im Indopazifik gegenüber: Ist Hawaii zum Beispiel Teil des vertraglich begrenzten NATO-Gebietes? Was ist mit der kommenden eisfreien Arktis?
Unabhängig davon sei den Schutz der Freiheit der hohen See zu gewährleisten, ein Interesse der NATO, dazu gehörten eben auch die Wege von Asien nach Europa, Stichwort freie Durchfahrt in den Straßen von Malakka oder Taiwan.
Ein Krieg um Taiwan würde unsere industriellen Fertigungsfähigkeiten gewaltig beeinträchtigen; es müssten Mittel und Wege gefunden werden, auch hier Interessen aufrecht zu erhalten. Oberste Priorität habe aber derzeit der Schutz vor Russland, also laute das Gebot der Stunde, Verteidigungsfähigkeit herzustellen.
Zum Schluss des Gesprächs betonte General a.D. Naumann, dass ebenso die kognitive Kriegsführung um Narrative und Deutungshoheiten von großer Bedeutsamkeit sei und immer wichtiger werde, Beispiel Israel vs. Hamas. Wir selbst dürften aber niemals den Pfad der Wahrheit verlassen.
Konflikte würden weiterhin regionale Ursprünge, ihn ihren Auswirkungen allerdings globale Dimension haben; es werde komplexer werden. Die NATO der Zukunft müsse entsprechend global denken und handeln.
Das ganze Gespräch können Sie sich hier ansehen.
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