Es ist fraglich, ob die Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung schon einmal ein derart prominent besetztes Auditorium erlebt hat wie an diesem 16. Januar 2023 – jedenfalls dürfte das Seltenheitswert haben. Zu Ehren des 90. Geburtstages von Bernhard Vogel, langjähriger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen und Ehrenvorsitzender der Stiftung, konnte der amtierende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert, mit Blick auf die anwesenden ehemaligen Bundesministerinnen und -minister nicht nur – wie er sagte - „fast ein komplettes Bundeskabinett“ mit allen vertretenen Ressorts begrüßen, sondern auch den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, den früheren österreichischen Bundeskanzler und Vorsitzenden des Kuratoriums der KAS, Wolfgang Schüssel, sowie den „Rekord-Parlamentarier“ der Bundesrepublik, Wolfgang Schäuble, der am selben Tag für 50jährige Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag geehrt worden war.
Im Zentrum des Abends, der der Rolle von Landespolitikern im föderalen System der Bundesrepublik am Beispiel des Jubilars gewidmet war, standen die Würdigung von Bernhard Vogels Lebenswerk als profilierter Landespolitiker, aber auch Gegenwart und Zukunft des Föderalismus in Deutschland.
Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und derzeit dienstältester deutscher „Landesvater“, hob in seinem Vortrag hervor, dass Vogel niemals „nur“ Politiker, sondern stets auch öffentlicher Intellektueller gewesen sei, verpflichtet dem Leibnizschen Prinzip „Theoria cum Praxi“. Dabei habe ihn stets das Bewusstsein geleitet, dass Politik allenfalls für die „vorletzten Dinge“ zuständig sei, und zwar von einem klaren Wertegerüst aus betrieben werde – für Vogel der christliche Glaube –, zugleich aber von Toleranz, Pragmatismus und dem Gespür für das Machbare geleitet sein müsse. Hier sei der Einfluss von Vogels akademischem Lehrer und Doktorvater Dolf Sternberger spürbar, für den der Friede „Grund und Merkmal und die Norm des Politischen“ gewesen sei. Vogels deutschlandpolitische Grundsätze, wonach am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes festzuhalten sei, aber das Prinzip „Freiheit vor Einheit“ bzw. „Einheit nur in Freiheit“ gelte und Wiedervereinigung und europäische Integration zwei Seiten derselben Medaille seien, hätten sich letztlich eindrucksvoll bestätigt.
In einer von Michael Borchard, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der KAS, moderierten Diskussionsrunde sollte neben der Würdigung von Bernhard Vogels Lebenswerk als Landespolitiker erklärtermaßen auch ein „Blick in die Zukunft“ geworfen werden. Sie bezog ihren besonderen Reiz daraus, dass mit Sina Römhild auch die jüngste Bürgermeisterin Deutschlands aus dem thüringischen Oechsen beteiligt war. Sie betonte besonders, dass Politik und ihre Protagonisten nahbar sein müssten, und plädierte für einen stärkeren Austausch der verschiedenen Ebenen im föderalistischen Staat, etwa ein stärkeres Zu- und Eingehen des Landes gerade auf die kleineren Kommunen. Überhaupt war sich das Podium – neben Römhild gehörten ihm die Europaabgeordnete und Bezirksvorsitzende der CDU Rheinhessen-Pfalz, Christine Schneider, der Ehrenvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und frühere FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt und der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Thüringen, Mario Voigt, an – einig in einem leidenschaftlichen Plädoyer für den Föderalismus. Dieser sei Voraussetzung für Freiheit und Wettbewerb sowohl auf der innerstaatlichen als auch auf der europäischen Ebene. Wolfgang Gerhardt nahm außerdem, sicher im Sinne Bernhard Vogels, die politischen Stiftungen in die Pflicht, sich wieder stärker ihres Auftrags im Bereich der politischen Bildung bewusst zu werden – gerade in einer Zeit, in der viele „Aktivisten“ mit hoher Motivation und großem Engagement, aber betrüblich wenig Wissen über die Funktionsweise unseres politischen Systems sich lautstark Gehör verschafften.
In seinen Dankesworten griff auch Bernhard Vogel das Thema Föderalismus noch einmal auf und warnte eindringlich vor der Versuchung, dass die Länder sich gegen das „Linsengericht finanzieller Zuwendungen durch den Bund Zuständigkeiten abkaufen lassen“. Ansonsten bestünde die Gefahr, „dass aus Ländern Provinzen würden“. Neben vielen anderen bedankte sich der Jubilar vor allem bei den Wählern, die mit ihren Voten stets dafür gesorgt hätten, „dass ich nie die Rolle des Oppositionsführers kennenlernen musste“.
Den festlichen Rahmen der Veranstaltung setzten zwei musikalische Darbietungen, die – passend zum Thema – jeweils durch zwei Institutionen repräsentiert wurden, an deren Entwicklung Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz und Thüringen engen Anteil genommen hat: Für die Villa Musica in Mainz kam die Cellistin Irena Josifoska und für die Franz-Liszt-Musikhochschule in Weimar übernahmen Philipp Lang und Daniel Roth (Gitarre und Akkordeon) die Darbietungen. Einen besonderen Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Enthüllung und Präsentation einer von dem renommierten Künstler Bertrand Freiesleben geschaffenen Bronze-Büste von Bernhard Vogel. Sie wird ihren Platz in Bezug zu einem in „Bernhard-Vogel-Saal“ umbenannten Raum in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung finden – als dauerhafter Dank an den langjährigen Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden für seine außerordentlichen Leistungen. Die letztgenannte Funktion betrachtet der Jubilar, wie Norbert Lammert abschließend feststellte, ebenso sehr als Ehre wie als Verpflichtung. Er sei darum ein „Ehrenvorsitzender i. R.“ – „in Rufweite“.
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