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Bundesregierung/Foto: Arne Schambeck

Zeitgeschichte AKTUELL

Das bundesdeutsche Wahlrecht

Prof. Dr. Heinrich Oberreuter

Historische Entwicklung und aktuelle Herausforderungen

Das am 15. Juni 1949 für die erste Bundestagswahl verabschiedete Wahlgesetz der Bundesrepublik ist ein Kompromiss zwischen einem reinen Mehrheits- und einem Verhältniswahlsystem und sollte die Fehler der Weimarer Republik nicht wiederholen. Doch die Differenzierung des Parteiensystems seit den 1980er Jahren und die Wahlrechtsreform von 2013, die dem Gleichheitsgrundsatz des Wahlrechts Geltung verschaffen wollte, hatten zu einer deutlichen Erhöhung der Abgeordnetenzahl geführt. Die Reform von 2023 hat zwar eine Reduzierung von Mandaten zum Ziel, erzeugt aber ein schwerwiegendes Problem, da ein Wahlkreissieger nicht mehr verlässlich einen Sitz im Bundestag erhält. Wie sich das Wahlsystem in der Bundesrepublik entwickelt hat, welche Auswirkungen es zeitigte und wieso die jüngste Reform bislang unstrittige Repräsentationsideen verändert, erläutert Heinrich Oberreuter.

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Auf einen Blick:

  • Am 15. Juni 1949 verkündeten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten das Wahlgesetz für die erste Bundestagswahl. Um dem künftigen Bundesgesetzgeber nicht vorzugreifen, blieb – anders als in der Weimarer Verfassung, welche die Verhältniswahl festgelegt hatte – im Grundgesetz die Entscheidung für das konkrete Wahlsystem offen.
  • Das Wahlsystem sollte die Fehler der Weimarer Republik nicht wiederholen. Während CDU und CSU die Radikalisierung und Zersplitterung des Parteiensystems auf das Verhältniswahlsystem zurückführten und daher für ein relatives Mehrheitswahlsystem eintraten, sollten nach Ansicht der SPD Positionen und Interessen durch eine Verhältniswahl möglichst gerecht repräsentiert sein. Am Ende erzielte ein Kompromissvorschlag die Mehrheit, nach welchem 60 Prozent der Mandate nach Stimmenmehrheit in den Wahlkreisen und 40 Prozent den Parteien proportional nach ihrem jeweiligen Stimmengewicht zugeteilt wurden.
  • Die Mehrheitswahl blieb zumindest im wissenschaftlichen Diskurs eine vielfach verfolgte Alternative. Für die FDP hätte ein Mehrheitswahlrecht jedoch deren Ende bedeutet. Die Diskussionen wurden schließlich aufgegeben, erschien eine Reform Anfang der 1970er Jahre auch nicht mehr notwendig, da sich das System bewährt hatte und die befürchtete Zersplitterung nicht eingetreten war.
  • Die zunehmende Dekonzentration des Parteiensystems seit den 1980er Jahren (Einzug der Grünen, der PDS und der AfD in den Bundestag) warf Probleme bei der Mandatszuteilung auf: Die Zahl der Überhangmandate, die zur Hochzeit der Konzentration kaum vorgekommen waren, trat in Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz des Wahlrechts. Die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2013, mit der Ausgleichsmandate rigide nach Proporz gewährt werden sollten, schuf dabei ein neues Problem: Der Ausgleich führte nun aufgrund der Differenzierung des Parteiensystems zu einer deutlichen Erhöhung der Abgeordnetenzahl. 2021 zählte der Bundestag 736 Abgeordnete.
  • Die Reform der Ampel-Parteien SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP von 2023 hat die Reduzierung der Mandate zum Ziel, erzeugt jedoch ein schwerwiegendes Problem: Denn sie verändert bislang unstrittige Repräsentationsideen, entwertet insbesondere das als legitimationsfördernd gedachte Element der Personalisierung und unterminiert zusätzlich die Chancen von speziell an Regionen oder Ideen orientierten kleineren Parteien. Aus dem personalisierten Verhältniswahlsystem wird eine reine Verhältniswahl. In den Wahlkreisen wird zwar noch kandidiert und gewählt. Die Stimme für einen Wahlkreissieger führt aber keineswegs mehr verlässlich zu dessen Sitz im Bundestag.

 

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