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kurzum

Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe. Was folgt aus dem BVerfG-Urteil?

von Dr. Norbert Arnold
Das strafrechtliche Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Der Gesetzgeber muss sich daher erneut mit der Frage beschäftigen, wie das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende gesichert und gleichzeitig der Lebensschutz gewährleistet werden kann.

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BVerfG: Priorität der autonomen Selbstbestimmung

Der am 10. Dezember 2015 in Kraft getretene § 217 StGB zur „Geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 verfassungswidrig und nichtig.  


Das BVerfG stellt die Selbstbestimmung in den Vordergrund und leitet daraus das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ab, einschließlich des Suizids und der Beihilfe zum Suizid durch Dritte.


Das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe entfalte eine „autonomiefeindliche Wirkung“ und sei daher nicht verfassungsgemäß: Es mache die Selbstbestimmung hinsichtlich eines frei gewählten Lebensendes unmöglich.


Die „Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz“ wird mit dieser Einschätzung einmal mehr der wertorientierten gesellschaftlichen Deutung entzogen und dem individuellen Menschen überantwortet. Gleichwohl folgt das BVerfG damit der christlich-abendländischen Idee des Menschen als sittlichem Wesen, das selbstbestimmt und eigenverantwortlich handelt.

 

Kritik an Sterbehilfeorganisationen

Das BVerfG-Urteil ist aber kein Freibrief für Sterbehilfeorganisationen. Es kritisiert, dass sie die Authentizität des Suizidwunsches nicht sicherstellen können und Fehlentwicklungen und Missbrauch Vorschub leisten. Der Lebensschutz bleibt also ein wichtiges Kriterium. Viele Kritiker hätten sich jedoch einen stärkeren Akzent gewünscht.  


Das BVerfG sieht die Gefahr, dass durch geschäftsmäßige Suizidbeihilfe sozialer Druck entsteht, der besonders hilfsbedürftige Menschen zur Lebensbeendigung drängt und dadurch dem Lebensschutz und dem freien Willen zuwiderläuft.


Das Ansinnen, Suiziden entgegenzuwirken, Menschen zum Leben zu ermutigen und Selbsttötung nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden zu lassen, wird vom BVerfG gewürdigt.


Die grundsätzlichen Ziele haben sich seit dem Gesetzgebungsverfahren 2015 nicht geändert, auch nicht durch das BVerfG-Urteil, aber der Weg zur Zielerreichung muss neu gewählt werden.  

 

Abwägung und Kompromiss

Das Gesetzgebungsverfahren 2015 war von Kontroversen geprägt. Auslöser waren die Aktivitäten von Sterbehilfeorganisationen und einzelnen Sterbehelfern, die von vielen mit Blick auf die negativen ethischen Folgen als unerträglich empfunden wurden. Daran hat sich auch heute nichts geändert.


Damals wurden fünf Anträge im Bundestag eingebracht, die ein breites Spektrum abdeckten – von der Forderung nach einem umfassenden Verbot der Suizidbeihilfe (Dörflinger und Sensburg) bis hin zum völligen Verzicht einer gesetzlichen Regelung (Keul, Sütterlin-Waack u. a.). Der Antrag von Brand, Griese u. a. fand eine Mehrheit und erhielt als neuer § 217 StGB Gesetzeskraft.


Inhaltlich galt das neue Gesetz als tragfähiger Kompromiss: Dem Lebensschutz wurde entsprochen. Die grundsätzliche Straflosigkeit der Suizidbeihilfe wurde nicht in Frage gestellt. Lediglich Sterbehilfeorganisationen sollten Grenzen gesetzt werden. Ein Schwachpunkt war, dass die ärztliche Suizidbeihilfe nicht gesetzlich geregelt wurde.


Die Achtung vor dem Leben, das Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich der Entscheidung über den eigenen Tod, die Sorgen vieler Menschen vor einem leidvollen Sterben und die Vermeidung eines Dammbruchs im Umgang mit Suiziden waren wesentliche Aspekte der damaligen Diskussion. Sie sind auch heute noch aktuell.

 

Überregulierung vermeiden

Nach dem BVerfG-Urteil ist der einfache und klare Weg, geschäftsmäßige Suizidbeihilfe zu verbieten, nicht mehr gangbar. Für den Gesetzgeber stellt sich die schwierige Aufgabe, die Vorgaben des BVerfG zu beachten, ohne den Lebensschutz zu vernachlässigen. Dort, wo ein Verbot nicht mehr möglich ist, müssen zumindest Grenzen gezogen werden.


Drei Aufgaben stehen an:

  • Verbindliche Standards für die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe, die Fehlentwicklungen und Missbrauch verhindern,
  • Regelungen der ärztlichen Suizidbeihilfe, die Ärzten die Möglichkeit geben, suizidwilligen Patienten angemessen zu helfen,
  • weitere Verbesserung von Palliativmedizin, Hospizarbeit und Suizidprävention.

 

Lesetipps

Gesetzesentwürfe 2015 und Hintergründe:  
Norbert Arnold: Suizidbeihilfe: Was soll geregelt werden? Gesetzesentwürfe im Vergleich.
https://www.kas.de/documents/252038/253252/​7_dokument_dok_pdf_41824_1.pdf/c80300fd-​
1691-​7290-99ea-73e6b3a36a2a?version=1.0&t=​1539652333477

Wichtige Argumentationslinien zum assistierten Suizid:
Norbert Arnold: Gesetzesvorhaben zur Suizid­beihilfe: Überregulierung vermeiden.
https://www.kas.de/documents/252038/​253252/7_dokument_dok_pdf_42905_1.pdf/edeea5ae-0602-f447-359c-a3f3a5cc0d4f?​version=1.0&t=1539651818577

Basisinformationen zu Sterbebegleitung und Sterbehilfe:
Sterben in Würde. Missverständnisse, Irrtümer, Fragen.
https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_40131_1.pdf/dddd28bd-96df-de9d-57fe-5ddbd59d5ce7

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Christina Thelen

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Wissenschafts- und Forschungspolitik

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