Länderberichte
Die Organisation des Wahlprozesses, der Ablauf der Wahlen und das Ausmaß der nachweisbaren Wahlmanipulationen werden Aufschluss über den Stand des Aufbaus demokratischer Strukturen in Afghanistan geben. Die Durchführung landesweiter Wahlen zu gewährleisten, wird darüber hinaus zur ultimativen Bewährungsprobe für die afghanischen Sicherheitskräfte kurz vor dem Abzug der NATO-Kampftruppen. Trotzdem der Wahlprozess bisher vielversprechend verlaufen ist, besteht immer noch die Gefahr, dass die Wahlen verschoben werden könnten oder derart von Gewalt und Wahlbetrug überschattet werden, dass der künftige afghanische Präsident nur sehr bedingt über Legitimität verfügen wird. In den vergangenen Wochen haben sich drei Kandidaten zu Schwergewichten entwickelt, wobei derzeit noch keiner eindeutig als Favorit gelten kann.
Am 05. April 2014 finden zum dritten Mal seit der Beendigung der Taliban-Herrschaft im Herbst 2001 Präsidentschaftswahlen in Afghanistan statt. Hamid Karzai, der zunächst als Interimspräsident (2002 bis 2004) und nach seinen Wahlsiegen 2004 und 2009 zwei Wahlperioden als gewählter Präsident im Amt war, darf kein drittes Mal mehr antreten. Erfolgreiche Wahlen würden folglich den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte Afghanistans bedeuten. In der Wahrnehmung der internationalen Staatengemeinschaft könnten die Wahlen als „erfolgreich“ angesehen werden, wenn sie in einem höheren Maße als die von Wahlbetrug, Amtsmissbrauch und Gewalt überschatteten Präsidentschaftswahlen 2009 transparent, fair, frei und inklusiv verlaufen würden.
Neben dem Präsidenten wählen die Afghanen am 05. April auch die Mitglieder der Provinzräte der 34 afghanischen Provinzen. Entsprechend der Bevölkerungsgröße einer Provinz verfügen die einzelnen Provinzräte über neun bis 29 Sitze. Insgesamt haben sich fast 2.700 Kandidaten, davon etwa 300 Frauen, für die landesweit 420 Provinzratssitze zur Wahl gestellt.
Bedeutung der Wahlen
Die politische Debatte in und über Afghanistan wird seit der zweiten Jahreshälfte 2013 von den beiden Themen amerikanisch-afghanisches Bilateral Security Agreement (BSA) und Präsidentschaftswahlen dominiert. Die Dominanz dieser beiden Themen ließ die Auseinandersetzung mit den zentralen, von der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft für die Transitionsphase (Mitte 2011 bis Ende 2014) definierten Handlungsfeldern (1) Regierungsführung und Eindämmung der Korruption, (2) Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte, (3) Regionale Kooperation (vor allem mit Iran und Pakistan), (4) Aussöhnung und Friedensprozess und (5) Schaffung einer wirtschaftlichen Perspektive für Afghanistan zuletzt in den Hintergrund treten. Nichtsdestotrotz werden Verlauf und Ausgang der Präsidentschaftswahlen Aufschluss über Fortschritte und Defizite in den oben genannten Politikfeldern geben und die künftige Entwicklung in diesen zentralen Bereichen maßgeblich beeinflussen.
Zunächst wird sich zeigen, inwieweit die derzeitige Regierung willens und fähig ist, freie und faire Wahlen zu organisieren und somit ihren Zusagen und Versprechungen bezüglich guter Regierungsführung zu entsprechen. Im Rahmen einer offensiven Operationsführung versuchen die afghanischen Sicherheitskräfte bereits seit Jahresbeginn die Ressourcen der Aufständischen abzunutzen und deren Aktionsmöglichkeiten zu beschränken. Am Wahltag werden die Sicherheitskräfte gezwungen sein, defensiv zu agieren und Wahllokale und andere Objekte zu schützen. Diese Operationen stellen – vor allem in den Augen der afghanischen Bevölkerung – einen wichtigen Indikator für die Beurteilung der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit von Polizei, Armee und Geheimdienst dar. Sollte es den afghanischen Sicherheitskräften gelingen, eine annähernd landesweite Durchführung der Wahlen zu gewährleisten und spektakuläre, medienwirksame Anschläge weitgehend zu unterbinden, so wird sich dies positiv auf das Ansehen und die Moral der Soldaten und Polizisten auswirken. Sollten die Wahlen darüber hinaus auch als weitgehend frei, fair und transparent wahrgenommen werden, so wird dies die Anerkennung der Institutionen des afghanischen Staates stärken. Sollten aber die Wahlen aufgrund eskalierender Gewalt in eini¬gen Landesteilen gar nicht stattfinden können oder von Wahlbetrug und Amtsmissbrauch überschattet sein, wird die afghanische Bevölkerung wohl endgültig ihr Vertrauen in das politische System verlieren.
Die für die Afghanistanpolitik relevanten Machtzentren in Iran und Pakistan werden, genau wie die Führung der afghanischen Taliban, erst dann über ihre künftige Politik entscheiden, wenn klar ist, wie die Wahlen verlaufen sind und wie die militärische Präsenz der NATO und USA ab 2015 aussehen wird. Afghanistan mit einem legitimen Präsidenten, gestärkten politischen Institutionen und einer – wenn auch stark verringerten – fortgesetzten militärischen Präsenz von NATO und USA stellt ein vollkommen anderes Szenario dar, als Afghanistan nach chaotischen Wahlen, einer Regierung mit stark beschädigter Legitimität und gescheitertem Bilateral Security Agreement (BSA).
Ob also Iran und Pakistan im Friedensprozess und im Hinblick auf die künftigen Stabilisierungsbemühungen der internationalen Gemeinschaft einen kooperati¬ven oder eher aggressiven Politikansatz wählen und ob die afghanischen Taliban mehr oder weniger zu Zugeständnissen in den Verhandlungen bereit sein werden, wird auch vom Verlauf des Wahlprozesses beeinflusst. Die Frage nach dem Ausgang der Wahl, also nach dem Wahlsieger, ist in diesem Zusammenhang von sekundärer Bedeutung. Da der scheidende Präsident Karzai durch seine Politik in den vergangenen Monaten die Wahlen zudem mit dem Bilateral Security Agreement (BSA) verknüpft hat, beeinflusst der Verlauf des Wahlprozesses auch die gesamte Planung des militärischen und zivilen Engagements der westlichen Gemeinschaft für die Zeit nach 2014. Karzai will die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens zwischen Afghanistan und den USA seinem Nachfolger überlassen, weswegen auch die Verabschiedung eines entsprechenden Abkommens zwischen Afghanistan und der NATO, die notwendige formale Einladung der afghanischen Regierung, die völkerrechtliche Legitimierung der neuen Mission durch die Vereinten Nationen sowie die Beschlussfassung der nationalen Parlamente einiger NATO-Staaten erst nach den Wahlen erfolgen können. Dies bedeutet, dass wesentliche Verzögerungen im Ablauf der Wahlen die erforderliche Planungsphase für das militärische Engagement der NATO und der USA in Afghanistan nach 2014 unmöglich machen würden. Hierdurch hängen die künftige Afghanistanpolitik der NATO-Staaten und ein Teil der damit einhergehenden Militär- und Entwicklungshilfe direkt vom Verlauf des Wahlprozesses ab.
Wahlprozess
Am 17. und 20. Juli 2013 unterzeichnete Präsident Hamid Karzai zwei Gesetze, die den Ablauf des Wahlprozesses und die Verantwortlichkeiten für die Organisation und Durchführung der Präsidentschaftswahlen regeln: ein allgemeines Wahlgesetz und das Law on the Structure, Duties and Authorities of the Independent Election Commission (IEC) and the Independent Electoral Complaints Commission (ECC) . Entsprechend dieser beiden Gesetze setzte Präsident Karzai am 29. Juli 2013 eine neunköpfige, unabhängige Wahlkommission ein.
Bereits vor der Verabschiedung der Wahlgesetze und der Einsetzung der unabhängigen Wahlkommission und der Wahlbeschwerdekommission führte die afghanische Regierung ab Mai 2013 eine erneute Wählerregistrierung auf Distriktebene durch, die bis November 2013 abgeschlossen wurde. Die Zahl der Wahlberechtigten wird auf ungefähr 12 Millionen der etwa 30 Millionen Einwohner Afghanistans geschätzt, wobei davon ausgegangen wird, dass sich bis zu 20 Millionen Wahlkarten im Umlauf befinden könnten. Hiervon wurden etwas mehr als drei Millionen in den letzten Registrierungsphasen in 2013 ausgegeben, der Rest stammt aus den Wählerregistrierungen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 und 2009 sowie der Parlamentswahlen 2005 und 2010.
Insgesamt werden laut unabhängiger Wahlkommission am 05. April 6.775 Wahllokale landesweit zur Verfügung stehen. Zunächst hatte das Innenministerium im Januar bekannt gegeben, dass 414 Wahllokale aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht öffnen werden können. Wenig später, am 21. Januar, gab die unabhängige Wahlkommission dann bekannt, dass 313 zusätzliche Wahllokale eingerichtet worden wären. In Kabuler Sicherheitskreisen wird vermutet, dass etwa fünf, im schlechtesten Fall, bis zu zehn Prozent, der von der unabhängigen Wahlkommission derzeit vorgesehenen Wahllokale kurzfristig nicht öffnen könnten oder am Wahltag unbesetzt bleiben, sodass keine Stimmabgabe möglich sein würde.
Der eigentliche Wahlprozess begann am 16. September 2013 mit einer dreiwöchigen Registrierungsphase für die Präsidentschaftskandidaten. Bis zum 06. Oktober hatten 27 Kandidaten ihre Bewerbungen um Zulassung als Kandidaten eingereicht. Nach einem mehrwöchigen Prüfverfahren veröffentlichte die unabhängige Wahlkommission am 16. November 2013 die endgültige Liste mit elf zugelassenen Kandidaten sowie den jeweiligen beiden Kandidaten für die Ämter des ersten und zweiten Vizepräsidenten. Insgesamt stehen seit Ende letzten Jahres also 33 Personen, in elf dreiköpfigen Teams, im Fokus der afghanischen Wählerschaft und Medienaufmerksamkeit.
Laut Wahlgesetz dürfen die Präsidentschaftskandidaten und ihre jeweiligen Vize zwischen dem 02. Februar und 02. April 2014 Wahlkampf betreiben. Hierauf soll dann eine 48-stündige Ruhephase (Political Campaign Silence Period) erfolgen, bevor für den 05. April der erste Wahlgang geplant ist. Der weitere Ablauf des Wahlprozesses sieht für den 24. April die Veröffentlichung eines vorläufigen Wahlergebnisses und für den 14. Mai die Bekanntgabe des Endergebnisses vor. Zwischen dem 07. April und dem 27. April können Beschwerden über den Wahlverlauf abgegeben werden, die bis zum 07. Mai von der Wahlbeschwerdekommission geprüft werden. Sollte – womit derzeit gerechnet wird - im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, so muss laut Wahlgesetz 14 Tage nach Bekanntgabe des Endergebnisses, also am 28. Mai, der zweite Wahlgang stattfinden, bei dem dann die beiden Bestplatzierten des ersten Wahlganges gegeneinander antreten. Für diesen Fall wird mit der Bekanntgabe eines vorläufigen Ergebnisses Mitte Juni und des Endergebnisses frühestens Ende Juni gerechnet, so dass bestenfalls, also wenn es zu keinerlei Verzögerungen im Ablauf des Wahlprozesses kommt, mit Beginn des Fastenmonats Ramadan feststeht, wer der neu gewählte afghanische Präsident ist.
Sollte einer der elf Präsidentschaftskandidaten während des ersten oder zweiten Wahlganges beziehungsweise vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses versterben, so muss laut Verfassung und Wahlgesetz binnen 30 Tagen ein neuer Wahlgang unter den verbliebenen Kandidaten durchgeführt werden.
Kandidaten
Zu den prominentesten Präsidentschaftskandidaten gehören der zweitplatzierte von 2009 und ehemalige Außenminister Dr. Abdullah Abdullah, der ehemalige Finanzminister Ashraf Ghani Ahmadzai, der bis vor kurzem amtierende Außenminister, Zalmai Rassoul, der bereits aus dem Rennen ausgestiegenen ältere Bruder Präsident Karzais, Qayyum Karzai, der dem wahhabitischen Islam nahestehende ehemalige Mudschahedin-Führer, Abdur Rab Rassul Sayyaf, der ehemalige Verteidigungsminister Rahim Wardak und der ehemalige Gouverneur der Provinzen Kandahar und Nangarhar, Gul Agha Sherzai.
Die elf dreiköpfigen Kandidatenteams, die seit November 2013 feststehen, sind in ihrer Zusammensetzung äußerst heterogen und stellen teilweise kuriose politische Allianzen dar. Dem Anschein nach sind die meisten Präsidentschaftskandidaten Bündnisse mit Vertretern politischer Gegner oder Konkurrenten eingegangen, um somit möglichst viele der relevanten politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen anzusprechen. Entsprechend setzen sich die Kandidatenteams zumeist auch aus Angehörigen unterschiedlicher Volksgruppen zusammen, wobei auffällig ist, dass sich unter den Präsidentschaftskandidaten mit dem Tadschiken Abdullah Abdullah nur ein nicht-paschtunischer Kandidat befindet. Abdullah Abdullah ist zudem der einzige Bewerber um das Präsidentenamt, der sich als Kandidat einer Partei, der Jamiat-e Islami-ye Afghanistan (Islamische Gemeinschaft Afghanistans) hat aufstellen lassen. Alle anderen Bewerber haben sich als unabhängige Kandidaten registrieren lassen.
Die beiden großen islamistischen Parteien, die zu den Hauptakteuren der Kriege in den 1980er und 1990er Jahre gehörten, die Jamiat-e Islami-ye Afghanistan und die Hezb-e Islami-ye Afghanistan (Islamische Partei Afghanistans), sind mit prominenten Vertretern in unterschiedlichen Kandidatenteams vertreten. Dies verdeutlicht nochmals, dass politische Parteien kaum eine Rolle bei den diesjährigen Wahlen spielen, sondern Personen und die Bündnisse zwischen einzelnen Personen und Netzwerken im Vordergrund stehen. Nach Bekanntgabe der abschließenden Kandidatenliste im November 2013 war bis lange in den Wahlkampf hinein spekuliert worden, dass sich einige Präsidentschaftskandidaten mit einem der Vizeanwärter aus ihrem jeweiligen Team überwerfen und dadurch Kandidatenteams auseinanderbrechen könnten. Dies ist bis dato nicht passiert. Einzig drei Präsidentschaftskandidaten haben im Laufe des März ihre Kandidaturen zurückgezogen und somit das Feld auf insgesamt acht Kandidaten (Stand: 27. März) verkleinert.
Wahlkampf
Der Wahlkampf 2014 unterscheidet sich erheblich vom Wahlkampf des Jahres 2009. Die Kampagnen der Kandidaten sind deutlich aufwendiger und professioneller geworden. In den ersten Wochen des Wahlkampfes, in denen sich die Kandidaten vor allem auf Kabul konzentrierten, fanden eine Reihe von Rededuellen oder politischer Talkshows statt, in denen die Kandidaten zu ihren Zielen und Programmen Stellung nehmen sollten. Dies hat mit dazu beigetragen, das Interesse der afghanischen Bevölkerung an den Wahlen, den Kandidaten und teilweise auch an Politikinhalten zu erhöhen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass mehr Menschen, vor allem aus der jungen Generation, nach politischen Inhalten und programmatischen Unterschieden fragen, die Programme der einzelnen Kandidaten jedoch häufig dürftig blieben und die Inhalte von Politik nicht im Vordergrund der politischen Debatten standen. Fast alle Kandidaten kündigten an, Arbeitsplätze zu schaffen, die Korruption zu bekämpfen, die Friedensgespräche voranzutreiben und das bilaterale Sicherheitsabkommen mit den USA (BSA) zu unterschreiben.
Nach wie vor gibt es erhebliche Unterschiede was die politische Partizipation und das Erlernen von Demokratie der Bevölkerung in urbanen Zentren gegenüber den Bewohnern der Dörfer anbelangt. In vielen Dörfern findet der Wahlkampf gar nicht statt oder auf eine recht traditionelle Art und Weise, wenn Wahlhelfer der einzelnen Teams persönlich ins Dorf kommen und auf Versammlungen für ihren Kandidaten werben. Hier kommt, wie in vielen anderen politischen und gesellschaftlichen Bereichen, der starke Stadt-Land Gegensatz, der Afghanistan prägt, zum Ausdruck.
Im Verlauf des Wahlkampfes haben sich relativ schnell vier Kandidaten (Abdullah Abdullah, Ashraf Ghani, Zalmai Rassoul und Qayyum Karzai) als Schwergewichte herauskristallisiert. Von Beginn an wurde allerdings mit dem Rückzug des Bruders von Präsident Karzai oder Zalmai Rassouls zu Gunsten des jeweils anderen gerechnet, weil beide dem „Karzai-Lager“ zugerechnet wurden. Seit dem Rückzug Qayyum Karzais, der am 04. März seine Kandidatur zurückzog und seine Anhänger aufrief, für Zalmai Rassoul zustimmen, gilt dieser als der Vertreter des politischen Lagers Karzais. Von ihm wird erwartet, dass er die (Klientel-)Politik des amtierenden Präsidenten fortsetzt und die bestehenden Patronagenetzwerke nicht oder nur unwesentlich verändert. Aus diesem Grund hat Zalmai Rassoul vor allem unter Bediensteten des Staates viele Anhänger, was ihm zwar nicht unbedingt eine Mehrheit, aber Anhänger in allen Provinzen des Landes verschafft hat. Abdullah Abdullah hat sich in seinem Wahlkampf teilweise sehr stark um paschtunische Wähler bemüht. Einerseits weil er sich eines starken Zulaufs seitens der nicht-paschtunischen Wähler sicher sein kann, andererseits weil er 2009 gesehen hat, dass er ohne Stimmen der Paschtunen zu erhalten, nicht gewinnen kann. Ashraf Ghani Ahmadzai hat, wie Abdullah Abdullah, sehr viele Anhänger unter jungen Wählern. Ihm ist es gelungen, eine Vielzahl kleinerer Parteien, Politiker und einflussreiche Ratsversammlungen (Shuras) auf seine Seite zu ziehen.
Beobachter in Kabul gehen davon aus, dass Abdullah Abdullah, Ashraf Ghani und Zalmai Rassoul bis zu 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen und nur zehn Prozent auf die übrigen Kandidaten entfallen könnten. Die Rückzüge Rahim Wardaks und Nader Naims am 16. und 26. März haben den Wahlkampf nicht beeinflusst und werden sich auch kaum auf die Stimmanteile der anderen Kandidaten auswirken. Zuletzt sahen einige afghanische Beobachter, einschließlich Vertreter aller drei Wahlkampfteams, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani Ahmadzai etwa gleich auf und deutlich vor Zalmai Rassoul.
Die Taliban haben am 10. März in einer Presseerklärung Angriffe gegen Wahllokale, und Personen, die mit der Durchführung der Wahlen betraut sind, angekündigt. Zudem bedrohen sie die Wähler und fordern die Bevölkerung auf, nicht an den Wahlen teilzunehmen. In Sicherheitskreisen in Kabul herrschen unterschiedliche Auffassungen über die Ressourcen und Fähigkeiten der Aufständischen, die Wahlen signifikant zu beinträchtigen, vor. Einige Offiziere in Armee, Polizei und Geheimdienst halten die Kapazitäten der Taliban und anderer Gruppen für begrenzt und sehen die afghanischen Sicherheitskräfte stark genug, um eine Eskalation der Gewalt um den 05. April weitestgehend zu unterbinden. Andere sehen die Zunahme der Angriffe und Anschläge in den letzten Wochen als Indiz dafür, dass es den Aufständischen gelingen wird, die angekündigte Offensive, also eine sprunghafte Zunahme von Gewalttaten in der entscheidenden Phase des Wahlprozesses, herbeizuführen.
Infolge des Anschlages auf das Kabuler Serena-Hotel am 20. März sind bereits einige der wenigen internationalen Wahlbeobachter aus Kabul abgezogen worden, was die Taliban eindeutig als Erfolg verbuchen können.
Fazit
Angesichts des sich abzeichnenden Dreikampfes wird bereits nach dem ersten Wahlgang ein Verlierer feststehen. Hier wird es, wie auch nach einer möglichen Stichwahl, darauf ankommen, ob der Unterlegene die Niederlage akzeptiert oder den Sieg des oder der Kontrahenten anfechtet. Sollten der zweit- und drittplatzierte des ersten Wahlganges sehr eng beieinander liegen, so ist in jedem Fall mit Protesten zu rechnen. Selbst wenn die Wahlmanipulation gering ausfällt, muss mit Ungenauigkeiten von einigen Prozentpunkten gerechnet werden, so dass eindeutige Ergebnisse, also ein großer Abstand zwischen den Platzierungen 2 und 3 des ersten Wahlganges, vorteilhaft für den Wahlprozess wären, weil dies den möglichen Kandidaten für die Stichwahl mehr Legitimität verschaffen würde.
Im Hinblick auf den zweiten Wahlgang besteht die Möglichkeit, dass, wie im Jahr 2009 geschehen, einer der Kandidaten zurückzieht und den Wahlprozess somit deutlich verkürzt. Hier käme es natürlich darauf an, dass dies nicht wie vor fünf Jahren aus Protest gegen die offenkundige Wahlmanipulation, sondern bestenfalls infolge einer Einigung der beiden verbleibenden Kandidaten erfolgt.
Trotz der zunehmenden Anschläge und Angriffe der Aufständischen und trotz etlicher Mängel und Unzulänglichkeiten ist der Wahlprozess bisher akzeptabel verlaufen. Das heißt, die Probleme, mit denen viele Beobachter bis zu diesem Zeitpunkt gerechnet hatten – bis hin zu einem Versuch Karzais, die Wahlen zu verschieben –, sind bisher nicht eingetreten. Dies wiederum bedeutet, dass die Durchführung erfolgreicher Wahlen nach wie vor gelingen kann. Andererseits hängt der gesamte Wahlprozess an einem seidenen Faden. Die Anschläge in Kabul der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Taliban und ihre Verbündeten immer noch über die Fähigkeit verfügen, an vielen Orten des Landes komplexe Angriffe durchzuführen. Die gezielte Tötung von Spitzenpolitikern oder Präsidentschaftskandidaten kann folglich zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen werden und könnte den Wahlablauf vollkommen durcheinander bringen. Außerdem könnte eine Welle der Gewalt in den Tagen kurz vor der Wahl in vielen Provinzen zu einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung beziehungsweise zur Nicht-Öffnung vieler Wahllokale führen. Letztendlich bleibt als großer Unsicherheitsfaktor das Ausmaß an Wahlmanipulation, was derzeit kaum prognostizierbar ist.
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