Länderberichte
"Kompromatenkrieg"
Als fast bedenklich könnte man den Zustand der Massenmedien und ganz besonders der meisten bulgarischen Presseorgane bezeichnen, die bis auf sehr wenige Ausnahmen einen starken Hang zu skandalisierenden Darstellungen, Einseitigkeit, Verunglimpfungen von Politikern bis hin zu unkritischen oder sogar gezielten Falschdarstellungen aufweisen, wofür sich mittlerweile der Begriff "Kompromatenkrieg" eingebürgert hat. Diese Linie ist nicht allein gegen die Regierung und die sie tragenden Parteien gerichtet, sondern - was noch besorgniserregender ist - sie bezweckt darüber hinaus allem Anschein nach eine allgemeine Diskreditierung der freiheitlichen Demokratie als Staats- und Lebensform. Die meisten Zeitungen geben sich zwar als formal "unabhängig", doch verdienen sie nur in den seltensten Fällen auch tatsächlich diese Bezeichnung. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sie praktisch ausnahmslos bestimmten (oppositionellen) politischen Gruppierungen, bisweilen zwielichtigen Wirtschaftskreisen usw. (sehr) nahestehen. (Die VDK planen wohl, das DS(Staatssicherheits)-Unterlagengesetz zu novellieren und unter anderem die Chefredakteure großer Medien zu durchleuchten.)
Es wäre indessen überspitzt, die Symptome von Skeptizismus und Politikverdrossenheit, die sich auch in den Meinungsumfragen widerspiegeln, einzig mit der Situation in den Massenmedien und der oppositionellen Propaganda erklären zu wollen. Sicher sind diese auch auf objektive Faktoren wie die radikalen Wirtschaftsreformen und die daraus resultierenden sozialen Folgen zurückzuführen. Man kann sich in der Tat nur schwer ein Kabinett vorstellen, das derartig einschneidende ökonomische und soziale Transformationen, die zudem längst überfällig sind, verwirklicht und nichts von seiner Popularität einbüßt.
Schließlich können subjektive Mängel in der Regierungsarbeit ebenfalls nicht geleugnet werden. Der ehemalige Justizminister Swestoslav Lutschnikov (UDK) beispielsweise sieht eine gewisse Halbherzigkeit und Inkonsequenz bei manchen marktwirtschaftlichen Umgestaltungen, eine weiterhin im sozialistischen Stil agierende, hochnäsige Staatsbürokratie sowie zu starke interventionistische Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen als mitverantwortlich für die Abwanderung von Sympathisanten der Vereinigten Demokratischen Kräfte (VDK) an. Der UDK-Vorsitzende Iwan Kostov hatte überdies bereits 1999 in seinem Bericht vor der letzten Nationalkonferenz der Partei auf Schwächen und Unzulänglichkeiten vor allem im Verhalten von Parteiorganen vor Ort verwiesen.
Die konkreten Ursachen für den Vertrauensschwund gegenüber den Regierungsparteien (der allerdings in den diversen Befragungen sehr unterschiedlich ausfällt) müßten nichtsdestoweniger vermutlich eingehender erforscht werden. Dazu liefern die verhältnismäßig phantasielosen Fragen der bulgarischen Demoskopen derzeit zu wenig Anhaltspunkte. Ein Trend wird allerdings in sämtlichen Umfragen deutlich: Die Oppositionsparteien können vom gesunkenen Ansehen der Regierung wenig bis überhaupt keinen Nutzen ziehen.
Die plausibelste Deutung dieser Tatsache dürfte darin bestehen, daß die Menschen aus den leidvollen Erfahrungen 1992-97 zunächst mit der "überparteilichen", in Wirklichkeit rückwärtsgewandten, prosozialistischen Regierung des Ljuben Berov und dem nachfolgenden, offen restaurativen Kurs des sozialistischen Kabinetts unter Jean Widenov heraus wissen oder zumindest fühlen, daß es zur gegenwärtigen Reformpolitik keine sinnvolle Alternative gibt. Es scheint, daß sowohl die linke Perspektive als Ganzes als auch ihre konkreten Träger, allen voran die Bulgarische Sozialistischen Partei (BSP), in der öffentlichen Meinung wegen der in der Vergangenheit von ihnen verfolgten Politik zu stark in Verruf geraten sind, um glaubwürdig zu sein.
Es würde zu weit führen, wollte man an dieser Stelle im Detail die Skandalgeschichten referieren, welche im August und September der Opposition und der linken Presse reichlich Material für Ausfälle gegen das Kabinett boten. Hauptzielscheibe der Angriffe war und ist dabei zweifelsohne Premier Iwan Kostov, man scheut nicht vor Eingriffen in die Privatsphäre zurück, die teilweise die Grenzen des guten Geschmacks deutlich überschreiten.
So wurde er in Verbindung mit einem vermeintlichen Lauschangriff des Innenministeriums auf den Generalstaatsanwalt, der sich als Inszenierung herausstellte, der Schaffung eines "Polizeistaates" bezichtigt. Eine seiner Töchter wurde in Zusammenhang mit der Privatisierung der größten bulgarischen Geschäftsbank - Bulbank - in Zusammenhang gebracht, Betrachtungen über die Herkunft der Mittel für den Bau des Hauses seiner anderen Tochter angestellt, die Wohltätigkeitsstiftung seiner Ehefrau unter die Lupe genommen und der Verbindungen zur russischen Mafia sowie der Geldwäsche beschuldigt, die Herkunft seiner Ersparnisse (15 000 USD) diskutiert usw.
Die jüngst erfolgte Ausweisung einiger ausländischer, vor allem russischer "Geschäftsleute" aus dem Land kann als Gegenmaßnahme des Kabinetts gegen die Verleumdungskampagne gewertet werden. Iwan Kostov sowie andere führende Regierungspolitiker hatten wiederholt darauf hingewiesen, daß es in Bulgarien Kräfte gibt, die dem gegenwärtigen Reformkurs nicht wohlgesonnen sind, den Interessen anderer Länder dienen und eine Destabilisierung des Kabinetts betreiben.
Damit dürften vor allem russische Kreise gemeint sein. Die Verflechtungen z.T. dubioser bulgarischer Politiker, Geschäftsleute, Wirtschaftssubjekte und Massenmedien mit russischen Strukturen unterliegen keinem Zweifel. Hierzu zählen selbst angesehene und erfolgreiche Firmen wie der Mobilfunkanbieter MobilTel, dessen Überprüfung Iwan Kostov angeordnet hat.
Rede von Ministerpräsident Iwan Kostov zur Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des Parlaments
In seiner Rede zur Eröffnung der neuen parlamentarischen Sitzungsperiode am 7. September definierte Iwan Kostov als vorrangige Ziele der Regierung die Fortsetzung und Verstärkung der zu beobachtenden positiven Entwicklungstendenzen - die Wahrung der erreichten politischen Stabilität, die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und die Festigung der Rolle Bulgariens als erstrangiger Stabilitäts- und Sicherheitsfaktor auf dem Balkan. Es könne inzwischen als praktisch ausgemacht gelten, daß Parlament und Regierung zum ersten Mal in der modernen bulgarischen Geschichte ihre volle Legislaturperiode bzw. Amtszeit absolvieren würden. Der Ministerrat sei überzeugt, das Programm "Bulgarien 2001" und seine Aktualisierung erfüllen zu können.
Kostov versicherte den ausländischen Investoren und dem gesamten Ausland, daß die Transformationen in Bulgarien irreversiblen Charakter trügen und eine Rückkehr zur Vergangenheit unmöglich sei. Hinsichtlich des in rund 9 Monaten bevorstehenden Urnenganges und der Haltung der Massenmedien meinte der Premier wörtlich: "Bei den Wahlen 2001 werden wir entweder die traurigen Ergebnisse des Kompromaten- und Informationskrieges gegen Bulgarien oder eine überzeugende bulgarische Antwort zugunsten unserer europäischen Zukunft und Prosperität sehen...Es sind nicht bulgarisch die Interessen derjenigen, die bewußt Verdrossenheit unter den Wählern der bulgarischen Vielparteiendemokratie heraufzubeschwören suchen. Natürlich hat diese ihre Schwächen, wenn aber ihre Gegner Erfolg haben, werden sie ihre Entwicklung und ihren Reifungsprozeß stoppen. Die Wahlen werden ein schwaches Parlament und eine Marionettenregierung, DEREN FÄDEN IRGENDWO VON AUSSEN GEZOGEN WERDEN, hervorbringen. (Hervorhebung des Autors)."
Als konkrete Prioritäten des Ministerrates bis zum Ende der Amtsperiode nannte der Ministerpräsident die Gewährleistung der nationalen Sicherheit, die Unterbindung der externen Einmischungsversuche, die Fortführung der Bemühungen zur Abschaffung der Schengener Visabeschränkungen für bulgarische Bürger und die Verabschiedung eines neuen Parteiengesetzes, das u.a. auch die Parteienfinanzierung erschöpfend regelt. Bulgarien habe viele Freunde und Gönner in der EU und NATO und baue auf ihre Unterstützung.
Die schwersten Reformschritte gehörten der Vergangenheit an, von nun an gebe es keine großen Hindernisse mehr. Man werde sich daher vor allem auf die Hebung des Lebensstandards und der Einkommen konzentrieren. Wegen des erwarteten Haushaltsüberschusses dürften zusätzliche Mittel für Soziales frei werden. Bei den noch ausstehenden bedeutsamen Reformvorhaben sei die Umstrukturierung und Privatisierung der großen Staatsmonopole erwähnenswert. Nicht zu vergessen seien schließlich die Fortführung der erfolgreichen Reformen im Gesundheitswesen und eine mit dem IWF bereits vereinbarte Steuersenkung. Das Kabinett habe die Kraft, den Wunsch und den Willen, all dies umzusetzen.
Kommunalpolitische Vorschläge der UDK
Die Kommunalpolitik ist ein Feld, dem die UDK traditionell besondere Aufmerksamkeit zukommen läßt. Viele der Maßnahmen der KAS in Zusammenarbeit mit der UDK sind gerade der kommunalen Ebene als bürgernaher bzw. bürgernächster Bestandteil der Politik gewidmet. Obgleich das Abschneiden der UDK bei den letzten Kommunalwahlen im Herbst 1999 insgesamt unter den eigenen Erwartungen blieb, hat sich die Union dennoch als stärkste Kraft auf kommunaler Ebene etabliert. 1 Die UDK-Führung ist - keinesfalls zu Unrecht - der Ansicht, daß die Ergebnisse der Partei bei den Parlamentswahlen 2001 nicht zuletzt von der Arbeit ihrer Vertreter vor Ort in den Städten und Gemeinden abhängen werden. In den letzten Monaten haben sich allerdings die Probleme ausgerechnet in den Kommunen zugespitzt. Während es der Zentralregierung ausgezeichnet gelungen ist, die infolge der Einführung des Währungsrates ("Currency board") 1997 2 erforderliche strenge Finanzdisziplin einzuhalten, haben eine Reihe von Kommunen einen recht laxen Umgang mit Geld an den Tag gelegt und gerieten sehr bald in die roten Zahlen. Allerdings sind die Ursachen für die finanziellen Schwierigkeiten auf kommunaler Ebene komplex und nicht allein einer lockeren Finanzdisziplin zuzuschreiben.
Die ersten Leidtragenden waren Ärzte und Lehrer, deren Gehälter nur mit Verspätung oder überhaupt nicht gezahlt werden konnten, was zu landesweiten Protesten führte. Nach massiven zweckgebundenen Geldzuwendungen aus dem Finanzministerium konnte dieser Mißstand (einstweilen) behoben werden. Die finanzielle Situation der Gemeinden bleibt dessenungeachtet vielerorts angespannt.
Die UDK hat Vorschläge für Verfassungsänderungen ausgearbeitet, welche auf die Stärkung der nach dem geltenden Grundgesetz eher beschränkten Selbständigkeit der Kommunen abzielen. So soll beispielsweise ihre Finanzhoheit dahingehend erweitert werden, daß Kommunalparlamente das Recht erhalten, die Höhe bestimmter Steuern und Abgaben eigenverantwortlich festzulegen, eigene Steuerbehörden aufzubauen usw. Die oppositionelle BSP hat erkennen lassen, daß sie zur Zeit nicht zu derartigen Verfassungsänderungen bereit ist.
Weiterhin hat die UDK beschlossen, eine Assoziation der Kommunen zu bilden, die Teil der analogen Organisation innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP), deren Mitglied die Union ist, werden soll. Die Opposition warf ihr vor, damit ein "blaues" 3 Gegengewicht zur bereits existierenden Assoziation aller 262 Gemeinden in Bulgarien zu wollen.
1 Die UDK kontrolliert 105 der insgesamt 262 Gemeinden, darunter die Hauptstadt Sofia und die zweitgrößte Stadt Plovdiv, und hat die meisten Stimmen bei den Listen für die Gemeinderäte erhalten.
2 Beim Währungsrat ist die Nationalwährung Lew im festen Wechselverhältnis 1:1 an die DM bzw. an den Euro gekoppelt. Die Geldumlauf in Lewa muß dabei in vollem Umfang durch die Devisenreserven der Zentralbank gedeckt sein, der Lew ist mithin frei konvertierbar. Haushaltsdefizite können infolgedessen nicht inflationär durch das Anwerfen der Notenpresse gedeckt werden, der finanzielle Spielraum für die Regierung ist entsprechend eingeschränkt. Dieser vermeintliche Nachteil wird indes durch die finanzielle Stabilität mehr als wettgemacht.
3 Blau ist die Farbe der UDK, Rot der BSP.
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