Wahlbeteiligung so schwach wie nie
Der erste Wahlgang der französischen Kommunalwahlen war von der Corona-Krise geprägt. Angesichts der rasch ansteigenden Zahl von Infizierten und Toten hatte Präsident Emmanuel Macron drei Tage vor der Wahl – am 12. März – ein Versammlungsverbot sowie die Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten angekündigt. Am Vorabend der Wahl erklärte Premierminister Édouard Philippe die umgehende Schließung von Restaurants, Bars und Cafés in ganz Frankreich. Die Kommunalwahlen wurden aber durchgeführt: die Wahllokale wurden mit Desinfektionsmittel und Abstandsmarkierungen ausgestattet. Den Wählern gab die Regierung den Rat, den eigenen Kugelschreiber mitzubringen und nach dem Wahlgang die Hände gründlich zu waschen. Die finale Entscheidung, die Wahlen zum vorgesehenen Zeitpunkt durchzuziehen, wurde insbesondere von Ärzten und Medizin-Experten kritisiert.
Das von Nationalversammlung und Senat bestätigte Gesetz sieht vor, dass die Ergebnisse des ersten Wahlgangs gültig sind – sowohl für die bereits gewählten Kommunalvertreter als auch die Kandidaten, die sich dem zweiten Wahlgang stellen müssen. Die Mandate der ausscheidenden Bürgermeister und Stadträte werden verlängert, bis der zweite Wahlgang stattgefunden hat.
Obwohl die Franzosen ein großes Interesse an kommunalpolitischen Themen haben, hielt das Risiko einer Corona-Infektion viele Wähler vom Gang zur Wahlurne ab. Frankreichweit lag die Wahlbeteiligung bei 44,7 Prozent. Bei den vorangegangenen Kommunalwahlen im Jahr 2014 hatten noch 63,5 Prozent der Wähler teilgenommen. Ein besonderes Augenmerk muss auf die rund hundert Kommunen in den akuten Risikogebieten gelegt werden, wo die Wahlbeteiligung weniger als 25 Prozent betrug. In der elsässischen Gemeinde Illzach (nahe Mulhouse) kam es zur frankreichweit höchsten Enthaltungsrate: nur 16,2 Prozent der Bürger trauten sich ins Wahllokal.
Zahlreiche Politiker unterschiedlicher politischer Couleur, darunter der Vorsitzende der Fraktion der bürgerlich-konservativen Républicains in der Assemblée Nationale, Damien Abad, oder der Europaabgeordnete der Grünen Yannick Jadot, forderten eine Verschiebung des zweiten Wahlgangs. Auf diese Weise könnten einerseits Wähler und Wahlhelfer vor einer drohenden Infektion geschützt, andererseits die demokratische Legitimität der Wahl gewährleistet werden. Nach Beratungen des Premierministers Edouard Philippe mit den Parteivorsitzenden und Verfassungsrechtlern kündigte Präsident Macron am 16. März an, den zweiten Wahlgang auf Juni zu verschieben. Ein mögliches Datum, das jedoch von der weiteren Entwicklung der Pandemie abhängt, könnte der 21. Juni sein.
Unter Politikwissenschaftlern und Staatsrechtlern ist inzwischen eine Debatte entbrannt, ob bei einer Absage des zweiten Wahlgangs auch die Ergebnisse des ersten Wahlgangs für ungültig erklärt werden müssen, da der Zeitraum zwischen den zwei Wahlgängen zu lang wäre. Gleichzeitig stellt sich in diesem Fall jedoch die Frage, ob die Kandidaten, die bereits beim ersten Wahlgang mit über 50 Prozent direkt gewählt wurden, ihr Amt antreten dürfen. Von den knapp 35.000 Gemeinden Frankreichs ist dies in rund 30.000 – zumeist kleineren – Gemeinden der Fall.
Unabhängig vom Termin gelten beim zweiten Wahlgang der Kommunalwahlen folgende Regeln: Alle Kandidaten und Listen, die im ersten Wahlgang über zehn Prozent erhalten haben, können beim zweiten Wahlgang antreten. Alle Kandidaten und Listen, die über fünf Prozent erhalten haben, können eine Listenverbindung mit den Teilnehmern des zweiten Wahlgangs eingehen und auf diese Weise ihrem Favoriten ihre Wähler zuführen. Bis 2014 liefen diese Regeln darauf hinaus, dass sich das linke und das rechte Lager jeweils auf einen gemeinsamen Kandidaten einigten und es zu einer Stichwahl zwischen einem linken und einem rechten Kandidaten kam. Durch das Auftreten von La République en Marche und das Erstarken der Grünen wird es 2020 in mehreren Kommunen im zweiten Wahlgang zu einem Dreikampf („triangulaire“) oder Vierkampf („quadrangulaire“) kommen.
Comeback der Républicains und der Sozialisten?
Bei den Kommunalwahlen scheinen weder der aktuelle Umgang der Regierung mit der Corona-Krise noch der bereits länger anhaltende Unmut über Macrons Reformpolitik die Wahlentscheidung beeinflusst zu haben. Stattdessen waren offenkundig kommunalpolitische Überlegungen ausschlaggebend für die Stimmabgabe. Angesichts der überwiegend großen Zufriedenheit der Wähler mit ihren Bürgermeistern – 75 Prozent der Franzosen zeigte sich in einer Umfrage mit der Arbeit ihrer Kommunalvertreter zufrieden bis sehr zufrieden – wurden zahlreiche Bürgermeister im Amt bestätigt oder erhielten die meisten Stimmen.
Dies stärkte insbesondere die beiden traditionell großen Volksparteien Les Républicains und Parti Socialiste, die noch bei den Europawahlen im Mai 2019 nur auf 8,5 bzw. 6,5 Prozent gekommen waren. Ihre Kandidaten wurden zahlreich gewählt oder werden zumeist in die Stichwahl kommen. Gleichzeitig haben die Bewegung von Präsident Macron, La République en Marche, und der rechtspopulistische Rassemblement National ihre hohen Stimmenanteile bei den Europawahlen von 22,4 bzw. 23,3 Prozent nicht auf die kommunalpolitische Ebene übertragen können. Sowohl Républicains als auch Sozialisten sehen in ihren Erfolgen bei den Kommunalwahlen die Möglichkeit, den seit 2017 sichtbaren Niedergang zu stoppen und hoffen, einen Wendepunkt einleiten zu können. Ob die Wahlergebnisse den nötigen Schub für ein Comeback geben werden, ist noch nicht abzusehen.
Insgesamt traten zehn Minister der Regierung bei den Kommunalwahlen als Bürgermeisterkandidaten an. Fünf von ihnen wurden gleich im ersten Wahlgang gewählt, darunter Haushaltsminister Gérald Darmanin im rund 100.000 Bürger zählenden Tourcoing (nahe Lille) und Kulturminister Franck Riester im 15.000 Einwohner starken Coulommiers (nahe Paris). Premierminister Edouard Philippe erhielt in Le Havre im ersten Wahlgang 43,6% der Stimmen. Philippe und seine Minister gelten im Falle eines Wahlsiegs als gewählt, lassen das Amt des Bürgermeisters jedoch für die Dauer ihres Ministeramtes ruhen.
Die Ergebnisse der Parteien im Überblick
La République en Marche (LREM) – wenig Ehrgeiz, mageres Ergebnis
Ziel von LREM war es, Paris und einige mittelgroße Städte zu erobern. Bereits im Vorfeld der Kommunalwahlen war jedoch klar, dass der Bewegung von Präsident Macron eine Verankerung in der Fläche fehlt. Die nach dem Wahlsieg Macrons im Jahr 2017 gebildeten Ortskomitees von LREM wurden kaum als Personalreservoir für mögliche Bürgermeister, Stadtverordnete oder Gemeinderäte genutzt. Seit Sommer 2019 versuchte LREM, amtierende Bürgermeister aus dem gemäßigt bürgerlichen und linksliberalen Spektrum zu einem Parteiübertritt zu bewegen bzw. amtierende Bürgermeister offen zu unterstützen – selbst wenn diese bereits von anderen Parteien für eine neuerliche Kandidatur nominiert waren, so etwa im Falle des Bürgermeisters von Toulouse, Jean-Luc Moudenc, der zuvor bereits von den Républicains wiederaufgestellt worden war.
Da die vom nationalen Komitee von LREM eingesetzten Kandidaten vor Ort nicht immer auf Zustimmung stießen, kam es vielfach zu Kandidaturen mehrerer LREM-Politiker. Prominentestes Beispiel ist Paris, wo der LREM-Abgeordnete der Assemblée Nationale, Cédric Villani, gegen den offiziellen LREM-Kandidaten antrat und dafür den Parteiausschluss in Kauf nahm. Am 15. März gaben ihm 8 Prozent der Wähler ihre Stimme, wohingegen die offizielle LREM-Kandidatin mit 17 Prozent ein mäßiges Ergebnis erhielt und nur auf Platz drei landete.
Das Ziel, neben Paris auch eine angemessene Anzahl mittelgroßer Städten zu erobern, wird LREM auch im zweiten Wahlgang nicht erreichen. Wie in Paris erreichten die LREM-Kandidaten in mehreren Städten wie Lille, Bordeaux oder Lyon lediglich den dritten Platz. In anderen Städten wie Marseille, Toulon oder Montpellier liegen die Ergebnisse der LREM-Kandidaten sogar unter 10 Prozent. Das für LREM unbefriedigende Ergebnis und das offensichtliche Scheitern der Strategie wird gegenwärtig durch den in der Corona-Krise handlungsstark agierenden Präsidenten und seine Regierung verdeckt.
Les Républicains (LR) – Stabilisierung dank starker Persönlichkeiten
Nach den großen Zugewinnen bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2014 war es für die Républicains absehbar, dass es 2020 vor allem darum gehen würde, ihre Städte zu halten und einige, symbolisch bedeutende Kommunen wie etwa Avignon zu erobern. In vielen mittelgroßen Städten erreichten die Kandidaten der Républicains sehr gute Ergebnisse. So wurden etwa François Baroin in Troyes, Arnaud Robinet in Reims oder David Lisnard in Cannes jeweils mit deutlich mehr als 60 Prozent der Stimmen direkt im ersten Wahlgang wiedergewählt.
In den Großstädten tun sich die LR-Kandidaten hingegen schwer. Mit Ausnahme von Nizza, wo der bisherige Bürgermeister Christian Estrosi 47,6 Prozent erhalten hat und mit großer Zuversicht auf die zweite Runde blickt, kamen die LR-Kandidatin in Marseille, Bordeaux und Lyon auf Platz zwei und werden sich in der zweiten Wahlrunde jeweils starken Gegenkandidaten stellen müssen.
In Paris hat die LR-Kandidatin Rachida Dati in den rund vier Monaten seit ihrer überraschenden Nominierung durch das nationale Komitee den Pariser Républicains, die das Europawahl-Ergebnis von 10,1 Prozent entmutigt hatte, neuen Schwung gegeben: in Umfragen stiegen ihre Umfragewerte von zunächst rund 12 stark an. Ihr Ergebnis von 22 Prozent ist bemerkenswert und insbesondere auf die Fokussierung auf die Themen Sicherheit und Sauberkeit zurückzuführen. Ob es ausreichen wird, in der zweiten Wahlrunde eine Mehrheit im Pariser Stadtrat zu erobern, ist noch unklar.
Europe Ecologie / Les Verts (EELV) – Grüne Welle in Frankreichs Kommunen
Grenoble war bisher Frankreichs einzige Kommune mit grünem Bürgermeister. Der amtierende Bürgermeister Eric Piolle erhielt im ersten Wahlgang 44 Prozent der Stimmen und hat gute Aussichten auf eine Wiederwahl im zweiten Wahlgang. Auch in Lyon (30 Prozent), Bordeaux (35 Prozent), Strasbourg (28 Prozent) oder Besançon (31 Prozent) erhielten die Kandidaten der Grünen sehr gute Ergebnisse, die sie auf eine Übernahme der Rathäuser nach dem zweiten Wahlgang hoffen lassen.
In den meisten Fällen werden die grünen Kandidaten von einem linken Wahlbündnis unterstützt. Anders als in Deutschland verorten sich die Grünen in Frankreich klar im linken Spektrum. Sollten sich die Erfolge ihrer Kandidaten tatsächlich realisieren, werden die französischen Grünen ihre Führungsrolle im linken Lager weiter ausbauen können. Schon bei der Europawahl im Mai 2019, als EELV mit 13,5 Prozent mehr als doppelt so viele Stimmen auf sich vereinen konnten wie die Sozialisten, wurde deutlich, dass die Grünen den Sozialisten diese Führungsrolle zunehmend abnehmen.
Dies war nur dort nicht möglich, wo die Sozialisten starke Kandidaten ins Rennen geschickt haben, etwa in Lille oder Paris, wo der grüne Kandidat angesichts einer Bürgermeisterin, die sich in den vergangenen Jahren insbesondere über grüne Themen profiliert hatte, deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb. Anders als 2014 haben es die Grünen in keinem Pariser Arrondissement geschafft, stärkste Partei zu werden.
Parti Socialiste (PS) – Stabilisierung dank starker Persönlichkeiten
Die Sozialisten atmen auf. Ihr seit 2017 sichtbarer Niedergang hat sich nicht auf die kommunale Ebene übertragen. Dies war weniger der Parteiführung als den Persönlichkeiten überzeugender und lokal verankerter Bürgermeister zu verdanken: Allen voran konnte die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, mit 30,2 Prozent ein unerwartet gutes Ergebnis erzielen. Auch in Lille, Rennes, Nantes oder Dijon konnten die bisherigen sozialistischen Bürgermeister sich klar für den zweiten Wahlgang qualifizieren. Ob die siegreichen Bürgermeister den in den vergangenen Jahren erlittenen Bedeutungsverlust der PS auffangen und umkehren können, bleibt abzuwarten. Insbesondere die bisherige Bürgermeisterin von Paris hat mehrfach erklärt, keine Ambitionen für die nationale Politik zu hegen.
Rassemblement National (RN) – Stärkung der Hochburgen, doch kaum Zugewinne
Ziel des Rassemblement National war es, die bereits vom RN regierten Städte zu halten und neue Kommunen hinzuzugewinnen. Von den rund zwölf Gemeinden, die der Rassemblement National (bis 2018 Front National) bei der letzten Kommunalwahl 2014 erobert hatte, konnten fast alle gehalten werden. In Beaucaire (ca. 16.000 Einwohner), Béziers (ca. 80.000 Einwohner), Fréjus (ca. 54.000 Einwohner) und Hénin-Beaumont (ca. 25.000 Einwohner) ziehen die ausscheidenden Bürgermeister des RN bereits im ersten Wahlgang wieder in das Rathaus ein. In der Gemeinde Hénin-Beaumont konnte der bisherige Bürgermeister Steeve Briois sogar 74,2 Prozent der Stimmen für sich gewinnen.
In der nordfranzösischen Hafenstadt Calais, die seit mehreren Jahren Brennpunkt der ungelösten Flüchtlingsfrage Frankreichs ist, hatte sich der RN Hoffnungen ausgemalt, die jedoch klar enttäuscht worden sind: Die bisherige Bürgermeisterin von den Républicains wurde mit 50,2 Prozent direkt im ersten Wahlgang im Amt bestätigt, während der Kandidat des RN 17,9 Prozent erhielt. Im südfranzösischen Perpignan erhielt der Vizepräsident des RN und langjährige Lebensgefährte von Marine Le Pen, Louis Aliot, 35,6% der Stimmen und sieht zuversichtlich auf den zweiten Wahlgang.
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