Ein demokratischer Kraftakt
Trotz der Komplexität dieser Wahlen – im Grunde genommen fanden 82 Wahlen gleichzeitig statt – lief die Wahl ohne Zwischenfälle ab. Die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) lobten die costa-ricanischen Wahlbehörden ausdrücklich für die erfolgreiche Umsetzung dieser logistischen Herausforderung.
Insgesamt galt es 6.138 Posten zu besetzen, um die sich 33.873 Kandidaten bewarben. Gewählt wurden 82 Landräte bzw. Oberbürgermeister, die einem Kanton vorstehen (alcalde) und jeweils zwei stellvertretende Landräte/Bürgermeister (vicealcalde). Jeder Kanton verfügt über ein Parlament (concejo municipal), das in etwa einem Kreistag entspricht und dessen Mitglieder 'regidores' genannt werden. In den Bezirken (distritos), die in den Kantonen liegen, wurden zusätzlich vier Bezirksräte (concejales) und deren Vorsitzender (síndico) gewählt. Sonderfälle stellen acht Bezirke dar, die weit entfernt vom Zentrum des Kantons liegen und nur schwer zugänglich sind (Inseln und Berggegenden). Dort wurde ein Kreistag für den Bezirk (concejo municipal de distrito) und ein so genannter 'intendente' gewählt, der dort den Landrat vertritt.
Erst seit 2002 werden die 'alcaldes' direkt gewählt. Bis dahin wurden die Landräte und Oberbürgermeister von den Mitgliedern des Kreistags gewählt. Seit 2016 werden alle Mandatsträger der kommunalen Ebene gleichzeitig gewählt – jeweils zwei Jahre nach den nationalen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.
Im Gegensatz zur nationalen Ebene, wo weder der Präsident noch die Abgeordneten direkt wiedergewählt werden können, gibt es auf der kommunalen Ebene keine Begrenzung der Amtszeit. Fünf der Kandidaten für das Amt des 'alcaldes' traten für eine fünfte Amtszeit an.[1]
Politischer Kontext
Die Wahlen fanden zur Halbzeit der Präsidentschaft Carlos Alvarados (Partido Acción Ciudadana, PAC) statt und wurden vielerorts als eine Abstimmung über die Regierungspolitik gewertet. Alvarado wurde 2018 im zweiten Wahlgang mit Unterstützung einiger Vertreter der Partido Unidad Socialcristiana (PUSC), darunter deren Präsidentschaftskandidat Rodolfo Piza, zum Präsidenten gewählt. Inzwischen gab es in fast allen Ministerposten Wechsel und von der PUSC sind nur noch zwei Minister im Amt.[2] Geprägt wurde die Präsidentschaft Alvarados bisher vor allem durch die lang überfällige Verabschiedung einer Steuerreform, die viel Widerstand in der Bevölkerung hervorrief und die Beliebtheitswerte der Regierung und des Präsidenten zeitweise in den Keller stürzen ließen. Und so fanden die Kommunalwahlen vor dem Hintergrund eines rigiden Sparkurses statt.
Generell ließ sich in Costa Rica in den letzten Jahren eine wachsende Abneigung der Bevölkerung gegen politische Akteure – besonders der etablierten Parteien – und eine damit einhergehende Politikverdrossenheit beobachten. Diese Entwicklung lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Zum einen wächst die Unzufriedenheit vieler Costa-Ricaner über die eigene (wirtschaftliche) Situation, die steigende Arbeitslosigkeit,[3]die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, hohe Lebenshaltungskosten im regionalen wie internationalen Vergleich (insbesondere angesichts des Lohnniveaus) und ein wachsendes Gefühl der Unsicherheit. Zum anderen erschütterten in den letzten Jahren wiederholt Korruptionsskandale hochrangiger Politiker (in die beispielsweise drei ehemalige Präsidenten verwickelt waren, oder zuletzt der Cementazo-Skandal[4], der Vertreter aller drei Gewalten involvierte und an dessen Aufklärung noch immer gearbeitet wird,[5] das Land.
Kommunalwahlen = Nationalwahlen?
Dieser Bericht basiert auf den vorläufigen Wahlergebnissen vom 3. Februar 2020. In einigen Kantonen ist der Abstand zwischen dem Erst- und Zweitplatzierten sehr knapp, folglich können sich die Ergebnisse in den kommenden Tagen noch ändern.
Obwohl die liberal-sozialdemokratische Partido Liberación Nacional (PLN)[6] mit 42 Ämtern mehr als die Hälfte der Landrats- bzw. Oberbürgermeisterämter errang, gilt die Traditionspartei als Wahlverliererin. Sie ging mit 50 amtierenden 'alcaldes' in die Wahlen und verlor damit acht Kantone. Dies deutet darauf hin, dass der von der PLN angestrebte interne Erneuerungsprozess nicht gelungen ist und Personal und Programm nicht ausreichend an aktuelle Herausforderungen angepasst wurden. Zudem litt die Partei unter internen Konflikten. Nicht alle Kandidaten genossen die volle Unterstützung der Partei.
Die christdemokratische Partido Unidad Socialcristiana (PUSC), die bislang in 14 Kantonen regierte, konnte die Anzahl ihrer Mandate um zwei erhöhen und stellt nun 16 'alcaldes'. Während die Partei 2002 noch 48 Oberbürgermeister bzw. Landräte stellte, fiel diese Zahl nach den Korruptionsskandalen um die ehemaligen Präsidenten Rafael Ángel Calderón Fournier und Miguel Ángel Rodríguez auf nur elf errungene Mandate in den Wahlen 2006 und neun in 2010. Die Partei gewinnt nun langsam aber stetig an Bedeutung zurück. In den Kommunalwahlen trat die PUSC erstmals mit einer einheitlichen Kampagne unter dem Motto „Con los pies en la tierra“[7] („Mit beiden Füßen fest auf dem Boden“) auf und konnte damit Zusammenhalt demonstrieren.
Beide Volksparteien konnten von ihren über Jahrzehnte gewachsenen Parteistrukturen in allen Ecken des Landes profitieren.
Die als progressiv geltende Partido Acción Ciudadana[8] (PAC) konnte ihr gutes Abschneiden in den Präsidentschaftswahlen 2014 und 2018 nicht auf die kommunale Ebene übertragen. Sie errang nur vier Mandate plus ein Mandat im Parteizusammenschluss mit zwei anderen Parteien. Dies liegt vor allem daran, dass die Partei auf kommunaler Ebene nur über schwache Parteistrukturen verfügt. Zudem liegen die Themen, mit denen die PAC identifiziert wird, in erster Linie in der Kompetenz der nationalen Regierung – wie beispielsweise im Fall der Unterstützung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Ähnliches gilt für die beiden evangelikal geprägten Parteien Partido Restauración Nacional (PRN) und die neue Partido Nueva República (PNR)[9], die kein Bürgermeister- bzw. Landratsamt gewinnen konnten. Zwar gelang es den Parteien viele Kandidaten aufzustellen, diese waren aber meist eilig rekrutiert und hatten keine starke Verbindung zur Partei. Weiterhin fehlten die Kandidaten dieser beiden Parteien auch bei den meisten medial geführten Debatten. Das schlechte Ergebnis spiegelt die mangelnde Erfahrung und eine Überforderung der teils noch jungen Parteistrukturen mit den Dynamiken der Kommunalwahlen.
Als Gewinner dieser Wahlen gelten die kantonalen Parteien. Während bislang fünf Oberbürgermeister einer kantonalen Partei angehörten, hat sich diese Zahl auf 12 (von insgesamt 82 Bürgermeisterämtern) erhöht. Trotzdem sind die kantonalen Parteien – gemessen an ihrer Gesamtzahl, die sich auf 58 beläuft – nach wie vor unterrepräsentiert. Wie auf nationaler Ebene ist auch auf kommunaler Ebene eine Parteienzersplitterung zu verzeichnen. Insgesamt nahmen 80 Parteien und sechs Parteizusammenschlüsse an den Wahlen teil. 22 von ihnen stellen nun Landräte und Oberbürgermeister. Dies ist ein signifikanter Zuwachs im Vergleich zur vergangenen Wahlperiode, in der 14 Parteien 'alcaldes' stellten.
Mit Spannung wurden nicht nur die Wahlergebnisse, sondern besonders auch die Angaben zur Wahlbeteiligung erwartet. Im Gegensatz zu den nationalen Wahlen, in denen die Wahlbeteiligung seit 1998 stets zwischen 65 und 70 Prozent[10] betrug, ist die Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene traditionell sehr niedrig. 2016 lag sie bei 35,4 Prozent.[11] Folglich wurde jetzt mit 37,81 Prozent zwar die bislang höchste Beteiligung erreicht. Die Zahl liegt jedoch weit unter dem, was Umfragewerte zuletzt erhoffen ließen. Das Centro de Investigación y Estudios Políticos (CIEP) und die Universidad de Costa Rica hatten in einer Umfrage aus dem November noch ermittelt, dass 57 Prozent der Wahlberechtigten ihr Recht nützen würden.[12] Allerdings schafften es die Beteiligten trotz einer engagierten Kampagne der Medien und der Parteien nicht, die Bevölkerung am Wahltag zu mobilisieren.
Einen Rückschlag erlebte auch die Repräsentation der Frauen in der Kommunalpolitik. Costa Rica gilt regional und international als Vorreiter bei der Gleichberechtigung der Frauen in der Politik. Seit 2009 ist die sogenannte vertikale Wechselfolge Vorschrift, gemäß derer Parteien abwechselnd Männer und Frauen auf ihren Listen führen müssen. In der Praxis verfehlte die Änderung des Wahlgesetzes ihre Wirkung, da die Mehrzahl der obersten Listenplätze weiterhin durch Männer besetzt wurden. Von den Kandidaten für das Amt des Landrats bzw. Oberbürgermeisters waren 77 Prozent Männer und 23 Prozent Frauen. Nur neun Frauen[13] wurden zur 'alcaldesa' gewählt. Das entspricht einem Wert von sieben Prozent und bedeutet zum ersten Mal seit 2002 wieder einen Rückgang der Anzahl gewählter Frauen im höchsten kommunalen Amt. 2016 waren noch 12 Frauen an die Spitze der damals 81 Kantone gewählt worden.
Die Aussagekraft der Ergebnisse mit Blick auf die nationalen Wahlen 2022 ist eher gering. Die spezifischen Gegebenheiten der Kantone lassen sich nur schwer auf die nationale Ebene übertragen. Einigen Parteien wie PAC, PRN und PNR, die auf nationaler Ebene stark sind, fehlt sowohl die spezifische Programmatik als auch die Wahlkampfmaschinerie für die kommunale Ebene. Die Themen, mit denen diese Parteien punkten, liegen mehrheitlich in der Zuständigkeit der Nationalregierung. Auch aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung können die Ergebnisse der Kommunalwahlen kaum als Anhaltspunkt für die Stimmung auf nationaler Ebene gewertet werden.
Eine Chance für mehr Transparenz und Bürgernähe
Die Kommunalwahlen boten den etablierten Parteien die Chance, die Bürger wieder für politische Prozesse zu gewinnen und die demokratische Partizipation zu stärken. Die Kommunalverwaltungen werden in Costa Rica vergleichsweise positiv bewertet. Laut einer Umfrage[14] vom November 2019 sind 60 Prozent der Costa-Ricaner der Meinung, dass die Kommunalverwaltungen besser auf die Bedürfnisse der Bürger eingehen als es die Zentralregierung tut. Im Idealfall kann die Politik auf kommunaler Ebene – auch dank der direkten Kommunikation zwischen Bürgern und Kommunalpolitikern – bürgernäher, transparenter und nachvollziehbarer gestaltet werden.
Dem stehen in Costa Rica jedoch verschiedene Herausforderungen entgegen. Das präsidentielle und stark zentralisierte Regierungssystem schränkt den Handlungsrahmen der Kommunen sehr ein. Zudem stehen den kommunalen Behörden nur 2,3 Prozent des öffentlichen Gesamthaushalts zur Verfügung.
Um das geringe Interesse der Costa-Ricaner an der Kommunalpolitik zu steigern, gilt es für die Kommunen, die Kommunikation mit den Bürgern zu intensivieren und diese besser über das Wirken der öffentlichen Verwaltung zu informieren. Wenn es den gewählten Mandatsträgern gelingen sollte, eine bürgernahe und transparente Lokalpolitik umzusetzen und konkrete Verbesserungen im Alltag der Costa-Ricaner zu erzielen, könnte dies die Politikverdrossenheit eindämmen und langfristig der costa-ricanischen Demokratie zugutekommen. Dazu bedarf es aber handlungsfähiger Kommunen, was wiederum eine Übertragung weiterer Kompetenzen mit entsprechender finanzieller Ausstattung von der nationalen auf die kommunale Ebene voraussetzt.
[1] Vgl. Observatorio de política nacional, Universidad de Costa Rica: Documento de contexto – Elecciones municipales 2020. https://onedrive.live.com/?authkey=%21APokI%5FXf%2Ds7xmi4&cid=8402A5C6C16600A6&id=8402A5C6C16600A6%2196183&parId=8402A5C6C16600A6%2196064&o=OneUp.
[2] Offiziell müssen Minister während ihrer Amtszeit ihre Parteizugehörigkeit ruhen lassen.
[3] 11,4 Prozent im dritten Trimester 2019, das sind 1,2 Prozentpunkte mehr als im dritten Trimester des Vorjahrs. Vgl. Instituto Nacional de Estadística y Censo (INEC): Encuesta Continua de Empleo al tercer trimestre de 2019. http://www.inec.cr/sites/default/files/documetos-biblioteca-virtual/reeceiiit2019.pdf.
[4] Der Cementazo-Skandal ist ein Korruptionsskandal, in den Vertreter aller drei Staatsgewalten involviert waren. Dies beinhaltet den Obersten Gerichtshof, das Präsidialamt und Vertreter von vier Parteien. Folgender Bericht der Wochenzeitung Semanario Universidad liefert eine umfassende Analyse: http://cementazo.semanariouniversidad.com/terremoto-politico
[5] Die drei Präsidenten, die Costa Rica von 1990-2002 regierten, Rafael Ángel Calderón Fournier (PUSC), José María Figueres (PLN) und Miguel Ángel Rodríguez (PUSC) waren in medial viel diskutierte Korruptionsskandale verwickelt und wurden verurteilt. Figueres und Rodríguez wurden nachträglich freigesprochen.
[6] Zur Rolle der Parteien auf nationaler Ebene und ihrer Vertretung in der Asamblea Legislative empfiehlt sich der Länderbericht zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 von Dr. Werner Böhler: https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_51483_1.pdf/fa5e8ace-ca65-cc1e-ad6f-448f8d5da530
[7] (https://www.crhoy.com/nacionales/pusc-luchara-por-las-alcaldias-con-los-pies-en-la-tierra/)
[8] Die PAC ging aus ehemaligen Vertretern der PLN hervor, die mit dem Kurs ihrer Partei unzufrieden waren und eine Partei mit einem stärkeren sozialdemokratischen Profil gründen wollten.
[9] Die Partei ist eine Abspaltung von der PRN unter der Führung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Fabricio Alvarado, der 2018 überraschend den zweiten Wahlgang erreichte
[10] Vgl. Tribunal Supremo de Elecciones: Participación y Abstencionismo 1982-2018. Serie histórica elecciones presidenciales: https://www.tse.go.cr/pdf/elecciones/participacion_abstencionismo.pdf
[11] 2002: 22,8%, 2006: 23,8%, 2010:27,9%. Vgl. Tribunal Supremo de Elecciones: Elecciones municipales en cifras 2002-2016. https://www.tse.go.cr/pdf/elecciones/eleccionesmunicipalescifras.pdf.
[12] Informe de resultados del estudio de opinión sociopolítica, veröffentlicht am 4. Dezember 2019. Universidad de Costa Rica und Centro de Investigación y Estudios Políticos (CIEP). S.19 https://ciep.ucr.ac.cr/sites/default/files/Informe%20Opini%C3%B3n%20P%C3%BAblica%20Encuesta%20noviembre%202019.pdf.
[13] Davon gehören fünf Frauen der PUSC an.
[14] Informe de resultados del estudio de opinión sociopolítica, veröffentlicht am 4. Dezember 2019. Universidad de Costa Rica und Centro de Investigación y Estudios Políticos (CIEP). https://ciep.ucr.ac.cr/sites/default/files/Informe%20Opini%C3%B3n%20P%C3%BAblica%20Encuesta%20noviembre%202019.pdf.
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