Länderberichte
Gewinn für alle Parteien
Alles war bereits minutiös vorbereitet: der japanische Premierminister Shinzo Abe sollte am Mittwoch, den 11. Juli 2018, zu einer mehrtägigen Reise nach Europa aufbrechen, um anschließend weiter in den Nahen Osten zu fliegen. Als Herzstück des Besuchs war die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Inselnation geplant. Aufgrund verheerender Unwetter im Westen Japans, bei denen über 100 Menschen ihr Leben ließen, musste Abe seine Pläne kurzfristig ändern. Der wirtschaftspolitische Meilenstein wurde nun am 17. Juli in Tokio offiziell unterzeichnet.
Über fünf Jahre wurde das Freihandelsabkommen verhandelt und soll circa 30 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts umfassen. Mit über 600 Millionen Einwohnern in 29 Staaten entsteht die größte Wirtschaftszone der Welt. Im Dezember 2017 haben EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und der japanische Außenminister Taro Kono den erfolgreichen Abschluss der mehrjährigen Verhandlungen verkündet, Ende Juni 2018 hat der Rat der EU dem Vertragswerk zugestimmt. Nach der Unterzeichnung am 17. Juli muss es noch ratifiziert werden. Das soll bis zum Frühjahr 2019 geschehen, um möglichst noch vor dem Brexit in Kraft zu treten. Das Freihandelsabkommen mit der EU genießt in Japan Priorität vor einem bilateralen Wirtschaftsabkommen mit Großbritannien. Dementsprechend dringend wollte es die Unterschrift setzen.
Sowohl für das Land der aufgehenden Sonne als auch für den europäischen Staatenverbund zeichnen sich erhebliche wirtschaftliche Vorteile ab - außerdem wird eine spürbare Vereinfachung der Handelsbeziehungen erwartet. Durch JEFTA können rund 99 Prozent der Zölle abgeschafft werden, die auf EU-Produkte in Japan derzeit erhoben werden. Zusammen haben diese ein Gesamtvolumen von rund einer Milliarde Euro.
Die EU erhofft sich einen besseren Absatz im Lebensmittelmarkt. So entfallen japanische Zölle auf unterschiedliche Agrarwaren, wie verschiedene Käsesorten (circa 30 Prozent) oder Wein (circa 15 Prozent) – um die hiesige Bauernschaft dennoch zu schützen, nur gegen qualifizierte Mengenquoten. Aber auch in den Bereichen Finanzdienstleistung, E-Commerce, Telekommunikation und Verkehr gibt es für EU-Unternehmen künftig einen besseren Zugang zum ostasiatischen Markt. Aus japanischer Sicht ist der Entfall der Handelshemmnisse im Automobilsektor hervorzuheben. Die bisherigen Einfuhrzölle von rund 10 Prozent auf japanische Neuwagen sowie die üblichen drei Prozent auf Autoteile werden in Zukunft entfallen.
Deutsch-japanische Wirtschaftsbeziehungen
Das gemeinsame Freihandelsabkommen verschafft der EU einen einfacheren Zugang zum traditionell anspruchsvollen japanischen Markt, der aber verschiedene strategische und ökonomische Vorteile mit sich bringt, beispielsweise stabile und vorhersehbare Marktverhältnisse oder einen attraktiven Absatzmarkt.
Die Bundesrepublik Deutschland zieht aus dem Abkommen einen besonderen Gewinn. Japan ist in Asien der zweitgrößte Handelspartner nach China, weswegen in der Bundesrepublik sehr große Hoffnungen auf JEFTA liegen. Zwar gilt der japanische Markt als wenig dynamisch, zeitgleich aber auch als besonders lukrativ. Weiterhin versprechen gemeinsame Projekte mit japanischen Partnern einen guten Zugang zu Drittmärkten in Asien.
Auch der Inselnation liegt viel an den gegenseitigen Handelsbeziehungen. Im Jahr 2017 betrug das gemeinsame Handelsvolumen 186,6 Milliarden Euro. In Deutschland sieht Japan einen guten Absatzmarkt für seine Automobile und High-Tech-Produkte, außerdem ist Deutschland ein beliebtes Ziel für japanische Direktinvestitionen. Im Jahr 2016 hatten diese ein Volumen von 2,2 Milliarden Euro.
Shinzo Abe und Angela Merkel haben zuletzt immer wieder ihre Wertschätzung und die Bedeutung der gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen angesprochen. In Zukunft werden diese auch weiter strategisch ausgebaut.
Politisches Zeichen
JEFTA wird von allen beteiligten Parteien als politisches Symbol für den Freihandel und gegen einen wachsenden Protektionismus in den internationalen Beziehungen interpretiert. Damit stellen sich sowohl die EU als auch Japan gegen den Kurs von US-Präsident Donald Trump, welchen dieser seit seiner Amtseinführung im Januar 2017 beschreitet. Die von den USA eingeführten Strafzölle auf Stahl und Aluminium haben beide Partner hart getroffen. Eine angestrebte Ausnahmeregelung konnte weder Japan noch die EU erwirken.
Zusätzlich zum Handelsabkommen wird momentan auch über ein strategisches Partnerschaftsabkommen für eine vertiefte und nachhaltige politische Zusammenarbeit verhandelt. Dieser Schritt ist ein weiteres Zeichen gegen den Kurs der USA, aber auch gegenüber dem aufstrebenden China. Mit Japan hat die EU einen demokratischen, stabilen und verlässlichen Partner, der sich ebenfalls für eine regelbasierte liberale Weltordnung einsetzt. Bei all der Euphorie sollte aber nicht vergessen werden, wo das ökonomische sowie politische Hauptinteresse Nippons liegt: in Asien und den USA.
Das Land der aufgehenden Sonne und die EU befinden sich in einer unangenehmen Situation. Daran Schuld haben das immer selbstbewusster auftretende China und die sich immer weiter isolierenden USA. China versucht die aktuelle Konstellation zu seinen Vorteilen auszulegen: Es stößt in das entstandene Vakuum, das die USA in den globalen Wirtschaftsbeziehungen hinterlassen. Deswegen werden die gemeinsamen Aktivitäten von der EU und auch Japan intensiviert. Es soll dem aktuellen Trend entschieden entgegengetreten werden.
Was folgt als Nächstes?
Japan und die EU verstehen sich als Verfechter des freien Handels, und damit als Verfechter einer liberalen Weltordnung, wobei speziell für Japan die vertieften Beziehungen zur EU eine strategisch wichtige Position im derzeitig verfolgten politischen Kurs darstellen.
Premierminister Abe intensiviert seit geraumer Zeit sein Bekenntnis für den Freihandel. Er versucht strategisch wichtige Partnerschaften in Asien (CPTPP), Europa und dem Nahen Osten zu finden und zu festigen. Zudem möchte er auch weiterhin Donald Trump davon überzeugen, der von amerikanischer Seite fallengelassenen Transpazifischen Partnerschaft (CPTPP) wieder beizutreten. Tokio versucht dem wirtschaftlichen Übergewicht Chinas in der Asien-Pazifik-Region entgegenzusteuern, weiß gleichzeitig aber auch, dass dies ohne Mithilfe der USA nur schwer möglich ist.
Das Interesse der Inselnation liegt in einem regionalen, regelbasierten Wirtschaftssystem. Nicht zuletzt deswegen verbleibt JEFTA bisher außerhalb des japanischen Medieninteresses. Japan ist auf mehreren Ebenen von den USA abhängig - wirtschafts-, sicherheits- und außenpolitisch. Mitte Juli wird es hochrangige Gespräche zu "freien, fairen und reziproken" Handel zwischen Tokio und Washington geben. Es wird erwartet, dass die USA den Wunsch nach Verhandlungen über ein bilaterales Wirtschaftsabkommen an Tokio herantragen werden. Die japanische Regierung erhofft sich durch das unterzeichnete Freihandelsabkommen mit der EU eine stärkere Handelsposition.
Langfristiges Ziel der Inselnation ist vorrangig eine wirtschaftliche Eindämmung des großen Nachbarn in der Region: China. Aus diesem Streben können enorme wirtschaftliche Gewinne in der gesamten Asien-Pazifik-Region entstehen und somit zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führen. Tokio ist mittlerweile treibende Kraft bei den Verhandlungen von CPTPP. Die japanische Regierung hat sich in eine gute Ausgangsposition gebracht, um auch im Asien-Pazifik eine lukrative Freihandelszone zu errichten.
Nicht frei von Kritik
Auch wenn JEFTA für alle Partner viele Vorteile mit sich bringt, bleibt das Abkommen dennoch nicht von Kritik verschont - diese kommt vorrangig aus dem europäischen Raum, die japanische Seite hält sich weitestgehend bedeckt. Lautstarke Kritik ist im Land der aufgehenden Sonne nicht zu vernehmen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass das Freihandelsabkommen nicht im Medieninteresse und somit außerhalb der Öffentlichkeit steht.
Bemängelt werden überwiegend die intransparenten Verhandlungsrunden, an denen fast ausschließlich Großkonzerne beteiligt waren. Klein- und mittelständische Unternehmen blieben weitestgehend außen vor. Bedenken über den Modus der Verhandlungen gab es schon bei anderen großen Freihandelsabkommen (TTIP, CETA, usw.) und sind deswegen kein spezifisches Phänomen.
Weiterhin gibt es in den EU-Staaten einige Sorgen über die mögliche Privatisierung der Wasserversorgung, den Verbraucherschutz und unter Wettbewerbsdruck leidende Entwicklungsländer, die in Japan wiederrum auf keine Resonanz stoßen. Auch die EU hat diese Sorgen als unbegründet zurückgewiesen.
Fazit
Mit dem Freihandelskommen haben Japan und die EU ein symbolträchtiges Zeichen gesetzt - gegen Protektionismus und für den Freihandel. Es muss als unumstößliches Bekenntnis zu einem regelbasierten Wirtschaftssystem und gegen protektionistische Tendenzen in der Weltpolitik interpretiert werden. Beide Parteien zeigen, dass sie konkrete Vorstellungen dazu haben, wie das internationale Handelssystem in Zukunft gestaltet werden soll.
Mit China steht eine Nation bereit um den Platz einzunehmen, den die USA gerade freiwillig anbietet. Weder in Japan noch Europa trifft diese Vorstellung auf Zustimmung. Deswegen stellt JEFTA nur den Anfang eines Weges dar, welchen sowohl Japan als auch Europa in Zukunft weiter beschreiten werden. Beide Partner vertreten die Idee des freien Handels.
Der hohe Stellenwert des Abkommens wird von der Tokioter Regierung ständig hervorgehoben. Es nützt der Inselnation als strategische Position in den Verhandlungen mit den USA, ganz neben den Handelsvorteilen. Das große Ziel dabei ist, die USA wieder in die Transpazifische Partnerschaft einzugliedern. Die Inselnation hat dazu nun die Chance einen ähnlichen Meilenstein mit seinen asiatischen Partnern zu etablieren.
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