Veranstaltungsberichte
„Das ist nie gewesen, das ist niemals wahr“, sang Stephan Krawczyk in seinem Auftaktlied zum Jugendkongress 2009. „Es ist erstaunlich, wie schnell die Erinnerungen über die DDR verblasst, ja sogar verschönert worden sind“, sagte der Musiker. Der erfolgreiche DDR-Liedermacher erhielt 1985 Berufsverbot als seine Texte zunehmend kritisch wurden. Ende der 1980er Jahre wurde Krawczyk zu einer der bedeutendsten Figuren der DDR-Oposition. Er erzählte: „Zwei Wochen saß ich im Gefängnis. Für mich bedeutet der Siegeszug der Freiheit daher, dass ich mich nicht mehr bedroht fühle und dass ich keine Angst haben muss, an einem grauen Morgen abgeholt zu werden“.
In seiner einführenden Rede unterstrich Prof. Dr. Bernhard Vogel, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Ministerpräsident Thüringens a.D., wie wichtig es ist mit jungen Leuten über die DDR zu sprechen. Knapp 21 Millionen Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind nämlich nach dem Fall der Mauer geboren worden. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten“. 72% der Schüler im Osten und 74% der Schüler im Westen seien der Meinung, in der Schule werde die DDR zu wenig behandelt. Unabdingbar sei es, an den Schulen den Geschichtsstoff zu erweitern. Zudem sei es eine Kernaufgabe der KAS mit Jungendlichen für Demokratie zu werben. „Niemand wird als Demokrat geboren, deswegen muss man, wie das Lesen und Schreiben, auch die Demokratie lernen“, so Vogel. Dass es einen Alltag in der DDR gab, ist unbestreitbar, sagte der Vorsitzende der KAS. „Aber den gab es auch in anderen Diktaturen, beispielsweise im Nationalsozialismus“. Vogel appellierte an die Jugendlichen darüber nachzudenken, was Mythos und was Wirklichkeit in der DDR war: „Ein Staat, der auf Menschen schießt und eine Mauer baut, um die Leute drinnen zu halten, ist ein Unrechtsstaat“. Die Friedliche Revolution 1989 bezeichnete Vogel nicht als Wende, sondern als „einen von den Menschen in der DDR herbeigeführten Umsturz der Diktatur“.
Dr. Thomas Bellut, Programmdirektor des ZDF, moderierte die darauf folgende Podiumsdiskussion. Über die Frage „Wie revolutionär war die Friedliche Revolution 1989?“ diskutierten vier prominente Ost-Deutsche: Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thürigen, Dr. Joachim Gauck, Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin, und Jens Weißflog, ehemaliger Deutscher Skispringer. Sie alle schilderten eindrücklich ihre persönlichen Erlebnisse während des DDR-Regimes.
Die Friedliche Revolution
Die Bundestagsvizepräsidentin gestand: „Ich hatte das Glück in einer Umgebung groß geworden zu sein, die sagte ‚wir passen uns nicht an’“. In ihrer politischen Aktivität vor 1989 habe sie erstmals für „kleine Freiheiten“ gekämpft, wie die Reise- oder die Meinungsfreiheit. Göring-Eckardt erklärte: „Die Glaubensgemeinschaft hat uns bestärkt. Wir waren nicht alleine“. Die immer größer werdende Bewegung gab vielen Menschen Mut, sich zu wehren.
Als krasses Gegenteil wirkt die Biographie von Jens Weißflog. Mit 13 Jahren ist er ins Sportinternat gekommen und hatte dort Erzieher. „Ich bin in dieser Ideologie aufgewachsen. Viele Menschen, auch ich, waren stolz darauf, einen sozialistischen Staat mit aufzubauen“, erzählte der Olympiasieger. Vieles, was in der DDR geschah, habe er erst nach dem Fall der Mauer erfahren. „Als Sportler durfte ich reisen und habe nicht die Gegensätze der DDR erlebt, wie beispielsweise Herr Gauck“.
Gauck, eine bedeutende Figur im Widerstand gegen die DDR, wurde als Kind schon mit den Schrecken der Diktatur konfrontiert. Als er elf Jahre alt war, wurde sein Vater vom Geheimdienst abgeholt und ins Gefängnis gebracht. „Wenn man in so einer Familie aufwächst, dann weiß man sehr früh, dass in diesem System Vieles nicht in Ordnung ist“. Auch in der Schule musste man sich anpassen, erläuterte Gauck den 650 jungen Erwachsenen. Wer nicht Mitglied bei den Pionieren oder der FDJ war, wurde schnell ausgeschlossen und verlor sogar seinen Studienplatz. „Durch Angst und Anpassung wurden viele von diesem System geschluckt“, so Gauck.
Doch einige Menschen besiegten die Angst vor dem System. Es gab Vorboten und Wegbereiter in vielen Staaten Ost-Europas, wie beispielsweise die Ernennung des Polen Karol Wojtyla zum Papst oder der Abbau der Grenzanlagen an der ungarisch-österreichischen Grenze. „Dann gab es in der DDR diese starke Bewegung im Jahr 1989“, erzählte Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus. „Wenn man überlegt, welche Kraft aus den Menschen herauskam, ist eine starke revolutionäre Struktur zu erkennen, die sich dann am 9. November 1989 bestätigte“, so Althaus. Der Ministerpräsident von Thüringen beschrieb diese Bewegung als friedlich, unblutig, erfolgreich und betonte: “Ja, es war eine Revolution“.
Selber Wissen aneignen
Die Freiheit und Einheit wurden erreicht. Nun ist es wichtig, dass vor allem die Jugendlichen von heute sich mit der Vergangenheit der DDR auseinandersetzen - in diesem Punkt waren sich alle Podiumsteilnehmer einig. Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, wurde ebenfalls von allen Teilnehmern bestätigt. „20 Jahre danach, habe ich ein anderes Bild von der DDR, auch weil ich heute mehr darüber weiß“, erklärte der Sportler Weißflog. Ob die DDR als Unrechtsstaat oder Willkürstaat bezeichnet wird, ist für Göring-Eckardt zweitrangig: „Es bringt nicht viel über Begriffe zu diskutieren. Das Entscheidende ist, wie ich das Leben in der DDR beurteile. Ich habe es als außerordentlich unfrei und ungerecht empfunden“.
Göring-Eckardt forderte die jungen Zuhörer auf, sich mir ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen: „Fragt nach und hinterfragt! Wie ist meine Familie? In welchem Land lebe ich? Was ist Demokratie?“. Für Thüringens Ministerpräsident Althaus ist genau das eine Chance dieser jungen Generation: selber herauszufinden, was in der DDR geschah. „Die Demokratie braucht Menschen, die nachfragen, und die nicht gleich alle Geschichten glauben, die ihnen erzählt werden“, sagte Althaus. Er wurde von Gauck bekräftigt: „Es geht darum, sich selber Wissen anzueignen, und dem nicht gleich zu glauben, wenn die Eltern sagen ‚Es war ja nicht alles schlecht im Sozialismus’“.
Es ist gefährlich die DDR nach individueller Lebensgeschichte zu bewerten, so das Fazit der Podiumsdiskussion. Althaus hob abschließend hervor: „Es ist besonders wichtig, dass man sich nicht nur aus seinen persönlichen Ereignissen sein Geschichtsbild bastelt, einen rosa-roten Ausschnitt auswählt, sondern dass man sich mit Wissen über das System wappnet und die gesamte Wirklichkeit betrachtet“.
Über diese Reihe
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