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CETA: „Deutliche Fortschritte“, aber auch ungelöste Fragen

von Dr. Katja Gelinsky

Bericht zum dritten Panel des Berliner Jahresrückblicks auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2018

Intensive gesellschaftliche Debatten begleiten auch die Karlsruher Verfahren über das Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA, das die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten mit Kanada abgeschlossen haben. „Wer über CETA nachdenkt, weiß, wie sehr sich das Abkommen zur Spiegelfläche von Ängsten und Sorgen entwickelt hat“, umriss Professor Martin Nettesheim von der Universität Tübingen zum Auftakt des dritten Panels „CETA und die Folgen. Verlust demokratischer Gestaltungsmacht“ die Stimmungslage. Letztlich gehe es um die Frage, „wie wir uns gegenüber der Globalisierung verhalten sollen“.

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Nettesheim widersprach der Ansicht, dass das Abkommen Sozialstandards minimiere. Er verwies zudem auf die Bedeutung des Abkommen für die Sicherung des erworbenen Wohlstands. Aber das sei kein Grund, demokratische Legitimations-, Steuerungs- und Kontrollfragen mit Gleichgültigkeit zu behandeln: „Gerade wer an diese Abkommen glaubt, sollte die institutionellen Fragen nicht ausblenden“, so der Staatsrechtler.

 

Zahlreiche ungelöste Fragen

Problematisch sei, dass bei CETA wichtige Gestaltungsfragen nicht mehr in dem Entscheidungs- und Legitimationsmodus behandelt würden, der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen sei, warnt Nettesheim. Im Rahmen umfassender Freihandelsabkommen übertrage die EU-Entscheidungsbefugnisse auf überstaatliche Vertragsgremien. Wo die Grenzen dafür lägen und was das für die Mitsprache der Mitgliedstaaten und des Deutschen Bundestages bedeute, sei unklar. Als fragwürdig bewertete Nettesheim ebenfalls den Anspruch des Europäischen Gerichtshofs, bei Abkommen, die sowohl in die Zuständigkeit der EU als auch in die der Mitgliedstaaten fielen, auch jene Vertragsbestandteile interpretieren zu können, die in die mitgliedstaatliche Zuständigkeit fallen. Im Übrigen sei verfassungsrechtlich ungeklärt, in welcher Form die Einsetzung internationaler öffentlicher Gewalt parlamentarisch legitimiert und kontrolliert werden müsse.

 

Zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts bemerkte Nettesheim, das Karlsruher Gericht befinde sich in einer „strategisch schwierigen Situation“. Bislang hat der zweite Senat nur in den gegen CETA angestrengten Eilverfahren entschieden, indem er die Anträge der CETA-Gegner auf einstweilige Anordnung ablehnte. Die zentralen verfassungsrechtlichen Fragen würden sich erst bei einem etwaigen künftigen Angriff auf das deutsche Zustimmungsgesetz zu CETA stellen, führte Nettesheim aus. Bislang habe das Verfassungsgericht eine unionsrechtsfreundliche Lesart strittiger Punkte zugrunde gelegt. Manche vermeintlichen Sicherungen verfassungsrechtlicher Vorgaben seien aber in Wahrheit Formelkompromisse. Dauerhaft werde das nicht ausreichen. Auch habe der Europäische Gerichtshof mittlerweile in seinem Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017 zum Freihandelsabkommen EU/Singapur die außenwirtschaftlichen Kompetenzen der EU extensiv interpretiert. In einer Entscheidung vom 5. Dezember 2017 habe der Gerichtshof betont, dass die EU aufgrund geteilter Zuständigkeit auch im Bereich der Portfolio-Investitionen alleine handeln könne, wenn die politische Mehrheit gegeben sei. Zentrale Fragen mit Blick auf die Karlsruher Hauptsacheentscheidung zu CETA lauteten, ob und inwieweit sich das Verfassungsgericht der EuGH-Rechtsprechung zu den Kompetenzfragen entgegenstelle und wie man verfassungsrechtlich absichere, was international verhandelt werde.

 

Professor Christoph Ohler, der zweite Referent auf dem Panel, erinnerte daran, dass CETA aus Sicht der EU-Kommission Modellcharakter habe. Deshalb müsse man „sehr genau“ auf dieses Abkommen und seine möglichen Folgen schauen. Ohler gab zugleich zu bedenken: „Je strenger wir auf CETA schauen, desto ungünstiger könnte das Urteil über 60 Jahre internationale Vertragspraxis der Bundesrepublik ausfallen.“

 

„Umfassende Berücksichtigung innerstaatlicher Gemeinwohlbelange“

Ohler nahm vor allem die in CETA geregelte Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in den Blick. Zu begrüßen sei die Schaffung einer Berufungsinstanz. Auch sieht Ohler „deutliche Fortschritte“ in puncto materieller Standards im Vergleich zur früheren deutschen Vertragspraxis. CETA „eröffnet eine umfassende Berücksichtigung innerstaatlicher Gemeinwohlbelange“, lobte er. Wesentliche Probleme sieht er jedoch darin, dass CETA es in die freie Entscheidung des Investors stellt, ob er erst den innerstaatlichen Rechtsweg sucht und ausschöpft oder sich gleich an das Investitionsgericht wendet. Dadurch verschiebe sich das Verhältnis von primärem und sekundärem Rechtsschutz. Dazu bemerkte der Staatsrechtler und Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte, dies sei ein spezifisch deutsches Problem. Die Unterscheidung von primärem und sekundärem Rechtsschutz sei den Amerikanern so nicht bekannt: „Rechtsvergleichend ist das nicht ganz so fremdartig, wie es uns aus deutscher Perspektive erscheint.“

 

Hirte bedauerte, in der CETA-Diskussion werde leicht verdrängt, „das Handel uns zu dem gebracht hat, wo wir heute stehen“. Ein Einwand gegen CETA laute, Schiedsverfahren nutzten in erster Linie den großen Konzernen. Um solchen Vorbehalten zu begegnen, habe man darauf gedrungen, dass es eine Art Prozesskostenhilfe für kleine und mittelständische Unternehmen gebe. Auch sei es wichtig, bei Besetzung der Schiedsgerichte parlamentarische Demokratie einzubringen. Skeptisch äußerte Hirte sich zur Einführung einer Berufungsinstanz: „Jedenfalls dauert es dann länger“, befürchtet er.

 

Zur Debatte über die Ausweitung der handelspolitischen Kompetenzen der EU bemerkte der Bundestagsabgeordnete, es sei unvermeidbar, dass Handel sich auch auf andere Bereiche auswirke. Er habe manchmal das Gefühl, so Hirte, „dass die juristische Diskussion ein bisschen an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht.“

 

„Enormer Klärungsbedarf“

Der Richter des Bundesverfassungsgerichts Peter Müller sieht jedoch gute Gründe für eine intensive verfassungsrechtliche Debatte. Zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bemerkte das Mitglied des zweiten Senats, der Verweis auf bilaterale Abkommen führe nicht weiter. Denn bei CETA gehe es nicht darum, dass die Bundesrepublik selbst, sondern ein Dritter, nämlich die EU, Entscheidungen treffe „und zwar auch, wo sie nicht allein zuständig ist.“

 

„Enormen Klärungsbedarf“ sieht Müller in der Frage, wer für welche Inhalte des Freihandelsabkommens zuständig ist, also wo ausschließlich die EU zuständig sei, wo allein die Mitgliedstaaten und wo eine geteilte Zuständigkeit anzunehmen sei. Selbst wenn man die Zuständigkeiten kenne, blieben grundlegende Fragen zu klären: Müssen die nationalen Organe mitbestimmen? Und wenn ja, worüber? Nur über die Vertragsteile, die ausschließlich national sind? Oder auch im Fall gemischter Zuständigkeiten?

 

Schließlich müsse auch noch eine Antwort darauf gefunden werden, welche Organe in welchen Verfahren zu beteiligen seien. „Wir stehen da vor Fragen, die uns noch ganz grundlegend beschäftigen werden“, fasste Richter Müller die verfassungsrechtlichen Herausforderungen durch CETA zusammen. Er sieht zudem einen engen Zusammenhang zwischen den vielen ungelösten Fragen und dem Widerstand gegen das Freihandelsabkommen in weiten Teilen der Bevölkerung. „Die Ängste der Menschen haben mit der Komplexität der Materie zu tun. Und so lange diese Komplexitätsfragen nicht gelöst sind, wird es sehr schwierig, diesen Ängsten zu begegnen“, prophezeite der Verfassungsrichter.

 

 

Mitschnitt des zweiten und dritten Panels des Berliner Jahresrückblicks 2018

 

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