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In seinen Büchern kehren Elemente wie die Dritte Welt, die Studentenproteste der 60er Jahre und Berlin immer wieder. Elemente, die Teil von Uwe Timms Biografie sind. Zu seinem 70.Geburtstag erscheint nun eine Sammlung autobiografischer Texte, die Timm über all die Jahre seines Schaffens verfasst hat. Darunter ist auch ein Thema, das ihn ebenfalls sein ganzes Leben begleitet hat, das er jedoch erst spät schriftlich festgehalten hat: sein Bruder, der Panzeroffizier. Karl-Heinz Timm war 16 Jahre älter. Uwe Timm hat ihn nie persönlich gekannt, denn Karl-Heinz zog freiwillig mit der Totenkopfdivision der Waffen-SS in den Krieg. Er starb ein Jahr später im Alter von 19 Jahren. Uwe Timm war damals vier Jahre alt.
Er kennt seinen Bruder nur aus einer einzigen Erinnerung, der ersten in seinem Leben, aus Erzählungen der Eltern - und aus den Tagebuchnotizen, die der Bruder an der Front machte. Es sind nur kurze Stichpunkte, die Uwe Timm seinen Bruder nahe brachten. „Es war eine Inventur des Krieges“, sagt Timm über die täglichen Stichworte des Bruders zwischen Gefechten in der Ukraine, „keine Wünsche, keine Träume. Jeden Tag notierte er bloß das blanke Entsetzen, ganz ohne Emotionen.“
Obwohl Karl-Heinz nie wirklich anwesend war im Leben von Uwe Timm, so war er doch immer Thema. „Meine Eltern haben immer von ihm erzählt und selbst wenn sie nicht von ihm sprachen, war er gegenwärtig“, erzählt Timm aus seinen Kinderjahren. Für den Vater war Uwe der Nachkömmling, der stets zum Vergleich mit seinem Bruder herhalten musste.
Sich schriftstellerisch mit seinem Bruder auseinanderzusetzen war mit einigen Hürden verbunden. Als er jung war, konnte Timm ab einem bestimmten Punkt in den Aufzeichnungen seines Bruders nicht weiterlesen. Er sträubte sich. Auch die Gedanken zu ihm niederzuschreiben schob er lange auf. Gründe gab es für ihn mehrere: „Über meinen Bruder zu schreiben, bedeutete ja auch über mich zu schreiben, zuzulassen mich zu erinnern, mich selbst befragen.“ Schließlich wartete er noch bis seine Mutter und zuletzt seine Schwester verstarben. Denn die Familie, vor allem die Mutter, hätte ihn gebeten Tote ruhen zu lassen. „Doch das konnte ich nicht. Ich schreibe immer über Themen, die mich umtreiben, Personen, Probleme, Dinge, die mir nahe sind“, erklärt Timm.
Fragen wollte er aufwerfen, doch nicht um zwangsläufig Antworten zu geben. Es entstand der Roman „Am Beispiel meines Bruders“, der bei Timm eine bedrängende Frage auslöste: Hätte er genauso gehandelt wie sein Bruder? Seine Familie war zwar nicht faschistisch, doch aber national orientiert. Der Vater war gerne Soldat. Timms Bruder wollte mit seiner Entscheidung für den Wehrdienst auch seinen Aufstieg in der Gesellschaft erreichen. Wie hätte Uwe Timm sich also verhalten? „Ich kann nicht behaupten, dass ich mich anders verhalten hätte. Und das ist das Erschreckende“, gibt Timm zu. Es fiel ihm schwer, sich dem zu stellen. „Am Anfang wollte ich nicht mal vor Publikum aus dem Buch lesen, weil es mir so nahe ging“, sagt er und schließt damit die Lesung aus dem zweiten Buch, das viel über ihn und seinen Bruder erzählt.
Bereitgestellt von
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Über diese Reihe
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