Länderberichte
Die partielle Umsetzung der Kriterien führte dazu, dass Albanien im Juni 2014 offiziellen Beitrittskandidatenstatus erhielt. Für eine weitere Annäherung zwischen der EU und Albanien, konkret die Aufnahme von Beitrittsgesprächen, verblieben fünf zu erfüllende Schlüsselkriterien und die Umsetzung der OSZE/ODIHR-Empfehlungen. Die Forderungen umfassen: (1.) die Reform der öffentlichen Verwaltung, (2.) die Justizreform, (3.) die Bekämpfung von Korruption, (4.) die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Drogenkriminalität (5.) die Menschenrechte, Anti-Diskriminierung und Eigentumsrechte, (6.) die Wahlrechtsreform und (7.) das Gesetz zur Dekriminalisierung.
EU-Fortschrittsbericht 2016
Wie der EU-Fortschrittsbericht zu Albanien vom 09.11.2016 zeigt, verläuft die Umsetzung dieser Prioritäten nur schleppend; die Kriterien wurden bis dato zum Teil nicht erfüllt bzw. sind in manchen Bereichen seit dem letzten EU-Fortschrittsbericht von 2015 kaum Verbesserungen zu verzeichnen gewesen; insgesamt waren die Ergebnisse unzureichend. Etwa wurden in Bezug auf (2.) die Kriterien nicht erfüllt, da wesentliche Teile der Justizreform durch das Verfassungsgericht suspendiert wurden und nun fraglich ist, wann diese in Kraft tritt. Betreffend die Punkte (3.) und (4.) wurden seit 2015 kaum Erfolge erreicht, es gab Rückschläge zu verkraften. Albanien zeigt sich mäßig vorbereitet, was den Kampf gegen Korruption betrifft, weitere Fortschritte und nationale Anstrengungen sind erforderlich, um insbesondere Korruption auf oberen Ebenen einzudämmen, denn diese ist nach wie vor ein ernstes Problem im Land. Im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen und die Drogenkriminalität hat das Land ein gewisses Maß an Vorbereitung erreicht, doch sind sichtbare und nachhaltige Erfolge notwendig. Auch hinsichtlich (6.) und (7.) gibt es Aufholbedarf. So wird vor allem die Umsetzung der OSZES/ODIHR-Empfehlungen bis zur Wahl 2017 gefordert.
In weiteren Bereichen, etwa in Bezug auf die Menschenrechte (5.), zeigten sich Fortschritte. So hat Albanien die meisten internationalen Abkommen ratifiziert, jedoch muss hier die Durchsetzung gestärkt werden. Ein neues Gesetz für einen nationalen Ausgleichsmechanismus wurde entworfen, das für während der kommunistischen Diktatur beschlagnahmtes Eigentum entschädigt bzw. Wiedergutmachung leistet. In Hinblick auf die Entwicklung einer funktionierenden Marktwirtschaft zeigt sich das Land mäßig vorbereitet; Fortschritte wurden erzielt – so stieg das Wirtschaftswachstum, jedoch ist die Arbeitslosigkeit noch immer hoch. Der Handel bleibt hinter seinem Potential zurück. Dies steht auch in Zusammenhang mit den geringen Kapazitäten für Forschung, Entwicklung und Innovation. Zwar gab es Verbesserungen im Bildungssektor, doch muss die Qualität in allen Bereichen der Bildung erhöht werden.
Bei der regionalen Zusammenarbeit übernimmt Albanien eine konstruktive und proaktive Rolle, die im Einklang mit den Verpflichtungen des Stabilisierungs-und Assoziierungsabkommen steht.
Deutsches Engagement
Die Bundesregierung unterstützt die albanischen Bemühungen um eine Aufnahme in die EU. Seit 2010 führt die Bundestagsfraktion der CDU/CSU fact-finding-missions durch. Die letzten zwei fanden 2016 statt; eine im Juni, vor der Verabschiedung der Justizreform im Parlament am 22.07.2016 und eine weitere im November 2016, nach Erscheinen des Fortschrittsberichts.
Bei letzterer formulierte der Vorsitzende des Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Gunther Krichbaum MdB, in einer Pressekonferenz am 24.11.2016 in Tirana sieben „Erwartungen“, die Albanien zu erfüllen hat, um von deutscher Seite grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen zu erhalten. Die sieben „Erwartungen“ umfassen im Kern folgende Inhalte: Die Justizreform muss vollständig in Kraft treten, die Gesetze (insbesondere das „Vetting Law“) beschlossen und umgesetzt werden. In den Bereichen der Bekämpfung von Korruption und der Organisierten Kriminalität (insbesondere der Drogenkriminalität) sind erhebliche Fortschritte notwendig, deren Resultate sichtbar und nachhaltig sein müssen. Die von der OSZE/ODIHR ausgesprochenen Empfehlungen für eine Wahlrechtsreform müssen bis zur Wahl 2017 umgesetzt sein, damit diese europäischen Standards entsprechend stattfinden können. Das Gesetz zur Dekriminalisierung von Parlament, staatlichen und kommunalen Institutionen bedarf einer nachhaltigen und umfassenden Umsetzung.
Am 28.11.2016, dem albanischen Nationalfeiertag, trafen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der albanische Premierminister Edi Rama in Berlin zu Gesprächen. Dabei sicherte die Bundeskanzlerin weiterhin Unterstützung zu und betonte die engen deutsch-albanischen Beziehungen, auch lobte sie bisher gemachten Fortschritte, wies jedoch auch auf die fünf Schlüsselkriterien der EU hin und die Wichtigkeit der Umsetzung der Justizreform, des „Vetting Law“, der Bekämpfung der Korruption und Organisierten Kriminalität und vor allem die Wahlrechtsreform hin.
Die Entscheidung des EU-Außenministerrats
Der Weg hin zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Beitritt gestaltet sich jedoch schwierig. In Anbetracht der Defizite, von denen der Fortschrittsbericht vom 09.11.2016 zeugt, entschied der Rat der EU-Außenminister am 13.12.2016, dass die Verhandlungen über den EU-Beitritt Albaniens noch nicht eröffnet werden können. Weder ein pre-screening, noch ein Aufnahmedatum wurde beschlossen. Wesentliche, von Seiten der EU für eine Aufnahme von Gesprächen geforderte Voraussetzungen wurden bis dato nicht erfüllt. Der Rat der Außenminister betonte wiederholt die nachhaltige Umsetzung der fünf Schlüsselkriterien sowie der Empfehlungen der OSZE/ODIHR in Bezug auf eine Wahlrechtsreform noch vor den Wahlen 2017, damit diese frei und fair stattfinden können. Im Rahmen der Justizreform wurde besonders der „Vetting“-Prozess hervorgehoben.
Für März 2018 wird der nächste Fortschrittsbericht erwartet, der als Grundlage für die Entscheidung zur Aufnahme von Gesprächen gilt. Bis März 2018 erfolgt ein Monitoring des Reformprozesses durch Zwischenberichte der EU-Delegation in Albanien. Ob die erneut gestellten Forderungen bis März 2018 erfüllt werden können, hängt vom politischen Willen der demokratischen Kräfte Albaniens ab. Die albanische Politik ist polarisiert, das Machtkalkül dominiert die Politik. Auch wenn sich die regierungsführende SP und die in Opposition befindliche DP beide für die europäische Integration aussprechen, so stehen die Interessen der eigenen Partei im Vordergrund und nicht die Zusammenarbeit für ein größeres Ziel, insbesondere in einer Zeit bevorstehender Wahlen.
Reaktionen
Für die albanische Regierung ist die Entscheidung der EU-Außenminister eine Enttäuschung. Premierminister Edi Rama äußerte sich, dass nicht die EU, sondern nur Albanien über eine Aufnahme von Verhandlungen zu entscheiden hätte. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Zuge seines Deutschlandaufenthaltes hatte er die politische Verfassung der EU kritisiert, während er jene Albaniens lobte. Lob wurde auch der Bundeskanzlerin zuteil und Rama zeigte sich bezüglich der deutschen Unterstützung dankbar.
Vor dem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Premier Rama hatte der Aufenthalt des CDU-Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum, zugleich Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, für leichte Verstimmung gesorgt. Seine Presserklärung, in der er die sieben Erwartungen von deutscher Seite formulierte, wurde von den albanischen Medien als Alleingang, der nicht in Übereinstimmung mit der Bundesregierung stünde, hingestellt.
Dies konterkarierte eine Presseerklärung des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU, Jürgen Hardt, und des zuständigen Berichterstatters Thorsten Frei. In Anschluss an das Ergebnis des EU-Außenministerrates vom 13.12.2016 unterstrichen sie die Haltung der Fraktion: Die Wichtigkeit der Aufnahme Albaniens in die EU und die Unterstützung dieses Prozesses durch die deutsche Bundesregierung wurden betont, allerdings ebenso die Forderung nach einer nachhaltigen Umsetzung der vorgeschriebenen Kriterien; für Albanien werde es im Aufnahmeprozess keinen „Rabatt“ geben. Die albanische Regierung und die albanischen Medien hätten dies zur Kenntnis zu nehmen.